Da ich nächstes Wochenende keine Zeit haben werde, haben Anne und ich
ein wenig vorgearbeitet und die nächsten zehn/elf Seiten vorgezogen.
Seite 217 – 228
Auf den nächsten Seiten gibt es nicht so viel, was ich aufschreiben
möchte. Proust hatte wieder einen Asthmaanfall, schreibt darüber an seine
Mutter, später lädt er literarische Freunde zu einer Dinnerparty ein, und in einem
anderen Brief schreibt er über die Dreyfusaffäre.
Und die Wogen zwischen Reynaldo Hahn und Marcel Proust scheinen sich wieder geglättet zu haben.
Und die Wogen zwischen Reynaldo Hahn und Marcel Proust scheinen sich wieder geglättet zu haben.
An Jeanne Proust
September 1896
Proust schreibt einen Brief an seine Mutter, die sich auf Reisen
befindet. Marcel erlitt wieder einen Asthmaanfall, war dadurch auf eine
Rauchinhalation angewiesen. Zur Beruhigung muss er sonst nach der Inhalation
Baldrian und Amylnitrit eingenommen haben, wie aus dem Brief hervorgeht, während er
dieses Mal auch ohne diese Präparate ausgekommen sei. Baldrian ist als ein pflanzliches
Beruhigungsmittel bekannt und Amylnitrit ist ein Antidepressivum. Das würde
auch zu Prousts Erkrankung passen, denn so eine Atemnot ist eine existenzielle
Bedrohung, und man zu jedem Anfall den Tod vor Augen haben muss. Ich kenne
jemanden aus der Familie mit ähnlicher Symptomatik. Er schreibt, dass er diesmal
mit Natron und Kräutertee ausgekommen sei und auf die anderen Medikamente
verzichten konnte.
Aber es sind auch literarische Gespräche, und so teilt er der Mutter
mit, dass er in einer privaten Leihbibliothek namens Cabinet de lecture
den Briefband zwischen Schiller und Goethe bestellt hätte, sowie auch einen
Band von Flaubert, der über die Bretagne geschrieben hat. Dieses Buch Über
Felder und Strände: Eine Reise in die Bretagne ist auch ins Deutsche
übersetzt.
Er schreibt: (…) das heißt, unter so viel Schätzen, die sie nicht besitzen, haben sie mir wenigstens das geschickt. Du siehst, das Sursum hat nicht nachgelassen. Und das, wenn Dein Sohn in einem erträglichen Gesundheitszustand, ohne Beschäftigung (…) ganz sich selbst überlassen würde, ich spreche nicht von der Arbeit, denn wenn ich auch nicht sagen kann, ich hätte wieder an meinem Roman gearbeitet in dem Sinne, dass ich von ihm absorbiert worden wäre und ihn in Gänze konzipiert hätte, so ist doch das Heft seit dem Tag, an dem ich es gekauft habe (…) und das nicht alles darstellt, was ich gemacht habe, da ich vorher auf losen Blättern gearbeitet habe – so ist doch dieses Heft nun zu Ende, und es zählt 110 große Seiten), nach einer gewissen Zeit gebildeter als die Gebildeten wäre.
Man kann aus diesem Schreiben herauslesen, dass Proust es nun geschafft
hat, das Schriftstellern als Beruf zu betrachten. Das hat mich sehr gefreut,
dass er dabei sehr wahrscheinlich auch von seiner Mutter unterstützt wird. Von
dem Vater liest man leider nichts mehr.
Aber dass Proust durch seine Erkrankung an seiner Arbeit gehindert
wird, geht deutlich aus dem Brief hervor. Aber er zeigt auch auf, dass er nicht
ganz untätig geblieben ist. Stolze 110 große Seiten während der Krankschreibung
ist schon enorm, wenn man auch bedenkt, dass Proust, um zu regenerieren, auch
viel Schlaf benötigt hat, wie man aus dem Brief entnehmen kann. Er hat dadurch
noch einen zusätzlichen enormen Zeitverlust hinnehmen müssen.
Er grüßt seine Mutter mit Dein kleiner Marcel.
25 Jahre ist Marcel alt, und scheinbar macht er sich nicht nur vor
seinem Geliebten so klein, sondern auch vor seiner Mutter. Vielleicht wurde er
von der Mutter stark bemuttert, weil er von Kind auf schon sehr kränklich war.
An Alfred Franklin
Januar 1897
Alfred Franklin ist der Administrator der Mazarine - Bibliothek, in der
Proust im Ehrenamt eingestellt ist. Auch hier bekundet er Ausfallzeiten, doch
Franklin geht damit Proust gegenüber wohlwollend um. Er bittet um
Verlängerung seiner Beurlaubung, da er noch immer mit seinem Studium
beschäftigt sei. Wahrscheinlich ist sein Philosophiestudium noch gar nicht abgeschlossen, und er die
Bibliothek für seine Studien gerne nutzen möchte.
Die derzeitige Richtung meines Studiums hat mir, mehr noch als mein Gesundheitszustand, die Verlängerung meiner Beurlaubung, um die ich im Ministerium nachgesucht habe, zur Notwendigkeit gemacht. Da man mir hat ausrichten lassen, dass dieser Verlängerung stattgegeben worden sei, glaubte ich mich nicht nur im Recht, als ich nicht in die Mazarine zurückkehrte, sondern fürchtete auch, den guten Gepflogenheiten zuwiderzuhandeln, wenn ich während meiner Beurlaubung die Bibliothek beträte: In der Tat hätte ich häufig den starken Wunsch, dort wie jeder andere Leser arbeiten zu können. Ich fürchte, Sie könnten es als einen Mangel an Takt und Zurückhaltung auslegen, wenn ein beurlaubter Angestellter sich frei in der Bibliothek bewegt.
Außerdem schreibt er, dass er sich freuen würde, seine Kollegen und
seine Vorgesetzte wiederzusehen, deren Liebeswürdigkeit er so sehr schätzen
würde. Aber wenn jemand beurlaubt ist, wieso ist es ein Problem, sich auf der
Dienststelle zu zeigen? Anders wäre es, sich während einer Krankschreibung in die
Öffentlichkeit zu begeben.
Aber der Brief zeigt, wie gewissenhaft Proust seiner Arbeit gegenüber
als Angestellter ist. Aber was bedeutet in Frankreich Ehrenamt? Hier in
Deutschland erhalten ehrenamtliche Mitarbeiter*innen kein Gehalt, das wird in
Frankreich sehr wahrscheinlich anders gehandhabt, denn Proust musste hier eine
schwere Aufnahmeprüfung bestehen, um aufgenommen zu werden. Das muss also eine
Anstellung sein, die mehr als ein unbezahltes Ehrenamt ist.
An Robert de Montesquiou
Mai 1897
Und wieder ein Brief an einen Schriftstellerkollegen. Hatten wir nun
länger nicht. Proust hat Monsieur France und Montesquiou kurzfristig zum Diner
eingeladen. Aus der Fußnote ist zu entnehmen, dass Proust über dieses
Abendessen einen Bericht in der Gaulois verfasst hatte, der am 25.Mai 1897
publiziert wurde. Aus der Fußnote ist zu entnehmen:
>Ein höchst literarisches und elegantes Diner fand gestern Abend bei Marcel Proust statt, der erstmals seine zahlreichen Freunde zusammenführte. (…)<. Es sei ein schönes Abendessen gewesen, hieß es weiter, >bei dem pariserischer Geist und Witz nur so perlte<.
Die Fußnote zählt acht Gäste mit einem anschließenden >>usw<<.
Ich könnte mir schon eine ganze intellektuelle Gesellschaft vorstellen. Unter
den Gästen befand sich auch Reynaldo Hahn. Auch Robert de Montesquiou
hatte die kurzfristige Einladung angenommen. Doch Damen waren hier nicht
vertreten.
Ich lade keine Damen ein, und wir werden nur ganz wenige sein, denn so bin ich nicht gezwungen, sehr enge Freunde einzuladen, die auf keinen Fall auf einige meiner Gäste treffen dürften.
Das hatte politische Gründe, denn 1897 ging in Frankreich der
Antisemitismus los und wie aus der Fußnote zu entnehmen ist, geht es hier um
die Dreyfusaffäre, die in Frankreich begonnen hatte, und sie die französische
Gesellschaft und auch Prousts Freunde zu spalten begonnen hatte.
Die Dreyfusaffäre hatte Proust auch in seiner Recherche sehr
ausführlich behandelt.
Der jüdische Hauptmann Alfred Dreyfus, 1859-1935, wurde 1894 zu Unrecht
auf die Teufelsinsel verbannt. Man hatte ihm Spionage für das Deutsche Reich vorgeworfen,
weshalb er wegen Landesverrat verurteilt wurde. Emile Zola hatte sich für den
zu Unrecht Inhaftierten eingesetzt und veranlasste eine Petition, zu der es
dazu eine lange Unterschriftenliste gibt. Weitere Details sind dem Brief zu
entnehmen.
Laut Wikipedia liegt die Teufelsinsel 13 km vor der Küste von
Französisch-Guayana in Südamerika.
Nun muss auch Proust seine Haltung zu Dreyfus zeigen, womit er in den letzten Briefen sich eher herausgehalten hatte. Aber mittlerweile zeigt er Partei für Dreyfus, beteiligt sich an der Unterschriftenliste, die Zolas Petition mitbeigefügt wird.
Telefongespräch mit Anne
Anne sind dieselben Briefe ins Auge gefallen wie auch mir. Anne hat
Prousts Liebenswürdigkeit berührt und das Wohlwollen seiner Vorgesetzten. Auch
die Verniedlichung, Dein kleiner Marcel, konnte sich auch Anne damit
erklären, dass Proust von der Mutter von klein auf, weil er so krank war, ein
wenig verhätschelt wurde.
Anne und mir machen die Briefe immer noch große Freude, wir haben nicht
ein Wochenende ausfallen lassen. Wir fühlen uns beide von Proust stark
bereichert.
Nächstes Wochenende geht es weiter von Seite 228 bis 239.
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Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen,
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
(Marcel Proust)
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