Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Meine Meinung
Gleich vorneweg gesagt,
wow was für ein Buch. Supergut geschrieben, die Thematik ist zwar eine ernste,
aber historisch gesehen sehr gut
recherchiert, sehr gut in eine
literarische Sprache gepackt, es gibt sehr
empathische Figurenbeschreibungen mit differenzierten Charakteren. Ich habe die
ganze Geschichte sehr authentisch
erlebt. Von der ersten bis zur letzten Seite hat die Autorin mich und Tina
gepackt. Dies ist das erste Werk von Rosemarie Marschner, das ich gelesen habe.
Ich werde mir diesen Namen unbedingt merken.
Den
Nationalsozialismus mal aus der Perspektive der Österreicher betrachtet,
immerhin ist Adolf Hitler Linzer, fand ich hoch interessant. Außerdem noch
spannend waren die komplizierten verstrickten Familienbiografien und das
Einzelschicksal eines jungen Mädchens. Auch wenn dieses Buch als ein Frauenbuch
deklariert ist, möchte ich sagen, dass dies kein Schnulz-Liebesromanbuch ist.
Es ist ein Buch über starke Frauen, aber auch ein Buch über starke gesellschaftliche Zwänge, wo man Frauen, die nicht der Norm entsprechen, ihre Existenzberechtigung nimmt …
Hier geht es zum Klappentext, zum Autor*inporträt, zu meinen ersten
Leseeindrücken und zu den Buchdaten.
Die Handlung
Mira Zweisam hat 1918 ein uneheliches Kind namens Marie auf die Welt
gebracht. Dadurch ist Mira von der Dorfgemeinschaft abgeschnitten, da sie
Schande über sie gebracht habe. Mira wird ausgegrenzt, sodass sie zusammen mit
ihrem Kind ein einsames Leben fristet. Es gibt nur einen Angehörigen, es ist
der Bruder von Mira, der Kontakt zu ihr und der Marie hält. Auch ist er der Vormund
von Marie. Er entscheidet über Maries Zukunft.
Marie wächst auf dem Land auf. In der Schule ist sie Musterschülerin. Der
Lehrer setzt sich für das Kind ein, damit sie nach der Schulpflicht eine höhere
Schule besuchen kann. Sowohl die Mutter als auch der Vormund lehnen ab, denn
mit Marie sind andere Pläne vorgesehen.
Mit 14 Jahren wird Marie fortgeschickt, und man weiß als Leserin noch gar
nicht wohin. Man erfährt, wie Marie von der Mutter an den Bahnhof begleitet
wird und ohne große Abschiedszeremonien geht die Mutter wieder zurück nach
Hause. Schwer trägt sie den inneren Abschiedsschmerz, den sie der Tochter nicht
zeigen möchte, um ihr die Trennung zu erleichtern. Marie ist nun auf sich
selbst gestellt. Mit einer fremden Adresse in der Hand fährt sie nach Linz, um
dort die adlige Familie Horbach in der Villa aufzusuchen. Bei dieser Familie
wird sie als Dienstmädchen eingestellt werden ... Marie steht am Tor der
Horbachs, und man wollte ihr erst nicht aufmachen, da man sie mit einer
Bettlerin verwechselt hat …
Marie lernt die gleichaltrige Elvira kennen, das einzige Kind der Horbachs.
Elvira besucht eine Privatschule. Marie würde alles geben, selbst auch noch
eine Schule besuchen zu dürfen. Elvira verhält sich ihr gegenüber überheblich
und behandelt sie von oben herab, schikaniert sie vor ihren Freund*innen, vor
dem Geschwisterpaar Ohnesorg, die sich allerdings recht einfühlsam Marie
gegenüber verhalten und weisen Elvira in ihre Schranken ….
Am Beispiel von Elvira hatte Marie beobachtet, dass ein Leben, selbst ein ganz junges, eine klar festgelegte Linie haben konnte. Von Elvira wurde erwartet, dass sie ihre Schule abschloss und dann eine passende Ehe ansteuerte. Künftige Bewerber zeigten sich bereits. Sie würde heiraten und dann das gleiche Leben führen wie ihre Mutter. Ein Leben, das zumindest gesichert und behaglich war. (2012, 47)
Nach einem behaglichen Leben träumte auch Marie. Auch sie hatte Bewerber.
Sogar einen, der wirklich zu ihr gepasst hätte, wenn das Schicksal sie zusammen
geführt hätte. Zusätzlich hat sich in Marie ein junger Bäcker verliebt, der ihr
später mit seinem Motorrad bis aufs Land folgt, als sie von jetzt auf gleich
ihre Zelte bei den Horbachs abbrechen musste …
In dem Haushalt ist Amelie eingestellt, die für das Kochen und für die
Wäsche zuständig ist. Amelie ist Maries Vorgesetzte, und erlebt durch sie verschiedene
nachdenkenswerte Ereignisse.
Die Horbachs geben jeden Mittwochnachmittag eine Gesellschaft. Marie
bekommt frei, weil die feine Dame Beate Horbach Marie nicht dabeihaben möchte.
Sie weiß nicht sehr viel mit der freien Zeit anzufangen, mit diesen vielen
Stunden draußen umzugehen. Sie kommt sich als Landmädchen in der großen Stadt verloren
vor. Sie trauert um ihr Zuhause, sehnt sich nach der Mutter und nach deren
Zärtlichkeiten zurück. Sie gerät immer wieder in eine Identitätskrise, und bekommt
die Nachteile, die sie in der Gesellschaft als ein uneheliches Kind
einzustecken hat, deutlich zu spüren. Marie schaut anderen zu, was sie in ihrer
Freizeit treiben, wo sie ausgeschlossen ist, wie z. B. vom Tennisspiel oder vom
Besuch der öffentlichen Badeanstalten. Als Dienstmädchen stehen ihr Aktivitäten
dieser und anderer Arten nicht zu.
Nicht nur, dass sie ein Bauernkind ist. Sie fühlt sich auch schuldig, ein
Bastardkind zu sein, denn als solches
wird sie häufig bezeichnet.
Elviras Großvater, ein emeritierter Notar, der sich häufig in seiner
Bibliothek verkriecht, entdeckt in Marie eine literarische Begabung. Marie findet
in dem Haus eine große Bücherstube und ist von den vielen Büchern recht
angetan. Es stellt sich schnell heraus, dass Marie lesen kann, und auch an den
Zeitungen interessiert ist …
Der Notar engagiert Marie zu seiner Vorleserin. Durch seine Mithilfe
schafft sie es, dass Marie auf seinen Namen einen Bibliotheksausweis ausgestellt
bekommt und, sodass sie sich aus der Stadtbücherei Bücher ausleihen konnte ...
Es entsteht zwischen dem Notar und Marie eine stillschweigende Bindung. Jeden
Nachmittag sollte Marie dem Notar in der Bücherstube vorlesen. Jeden Tag
empfand Marie so viel Vorfreude auf diese eine einzige Lesestunde …
Eines Tages holt der Onkel Marie wieder nach Hause, da die Mutter durch
eine schwere Erkrankung im Sterben liegt. Die Anstellung bei den Horbachs wird
gekündigt.
Nach dem Tod der Mutter fühlt sich Marie alleine auf der Welt. Einsam und
verlassen … Der Bäckerjunge Franz Janus schafft es, Marie für sich zu gewinnen.
Die Nöte, nirgendwo richtig dazuzugehören, treibt Marie in die Arme dieses
jungen Mannes ...
Nachdem der Vormund mit Franzens Eltern alles Notwendige geklärt hat,
zieht Marie mit der Familie Janus nach St. Peter, ein Vorort von Linz. Der
Familie wurde Maries Herkunft verschwiegen ... Nun hat Marie endlich eine
Familie, in der sie dazugehört, doch der Schein trügt. Sie wird von der
Schwiegermutter schwer ausgenutzt und zieht einen Keil zwischen diesen beiden
Jungvermählten, der sich über mehrere Jahre hinzieht … Imma Janus ist von
Hitler angetan und erwirbt einen Parteiausweis und weiß sehr genau ihre politischen
Vorteile gegen Marie auszuspielen ...
Welche Szene hat mir gar nicht gefallen?
Ich fand viele Szenen sehr traurig, aber sie haben zu den Ereignissen
dazugehört. Allerdings hat mich diese adlige Familie angewidert. Gerade die
vornehmen Damen von alt bis jung wissen oftmals nicht ihre Zeit sinnvoll zu
nutzen. Beate Horbach, Elviras Mutter, musste sich oft vom Nichtstun erholen. Ihr Job bestand lediglich daraus, die feine Dame
zu spielen. Schlimm fand ich, dass die ältere Hauswirtschafterin Amelie sehr
krank wurde, und sie die Horbachs ohne Vorwarnung verlassen hat. Man hat sie
tot in einem Fluss gefunden, zusammen mit den vielen Kochbüchern der Beate
Horbach. Amelie brauchte diese schweren Bücher, die sie alle in ihren Koffer gelegt
hatte, sie eine Schnur um den Koffer, und diese wiederum um die Füße gebunden
hatte, damit der Koffer sie bei dem Sturz von der Brücke in die Tiefe reißen
konnte. Sie hat einen Suizid begannen, und niemand außer Marie trauerte um
Amelie. Beate Horbach schimpfte über sie, da sie ihre Kochbücher gestohlen
hätte. Könnte man Tote anzeigen, dann hätte sie die gestohlenen Bücher zur
Anzeige gebracht. Auch Amelie hatte keine Angehörigen auf der Welt. Deshalb
fand ich auch ihr Schicksal sehr traurig.
Es gibt noch viele andere Szenen, die im Umgang mit anderen Figuren
grausam waren …
Zur politischen Lage
Auch in Österreich feierte Hitler seine Verehrer aber viele erkannten,
dass es ein Fehler war, sich in Hitlers Politik zu begeben. Außerdem wurden
nicht nur Juden aus ihren Häusern vertrieben. Es gab viele Österreicher, die
ähnlich wie die Juden Land und Haus abgesprochen bekommen haben. Weitere
Details sind dem Buch zu entnehmen.
Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Mir hat gefallen, dass Susanne Ohnesorg Marie die Freundschaft angeboten
hatte, obwohl Elvira sie schikaniert hatte.
Welche Figuren waren für mich Sympathieträger?
Marie und Mira Zweisam.
Welche Figur war mir antipathisch?
Emmi Janus.
Meine Identfikationsfigur
Marie Einsam.
Hat mich beides angesprochen.
Zum Schreibkonzept
Auf den 414 Seiten ist dieses Buch in drei Büchern unterteilt. Und jedes
Buch beginnt erneut mit dem ersten Kapitel … Zu Beginn der Lektüre bekommt man
einen Prolog zu lesen, aber ohne dass es mit einem Prolog betitelt wurde. Hier
ist Marie eine alte Frau, die ein Testament an ihren Neffen Thomas hinterlassen
hat, der nun auf ihren Spuren wandelt. Mit dem ersten Kapitel lernen wir Maries Kindheit und Jugend kennen,
später Marie als eine junge Erwachsene. Ganz zum Schluss findet man eine
Anknüpfung zur alten Marie aus dem Prolog. Ich habe allerdings bei so vielen Kapiteln ein Inhaltsverzeichnis vermisst. Im Austausch mit Tina war es ein wenig mühsam, da sie das Buch auf einen eReader gelesen hat, und dort keine Seitenzahlen angegeben wurden. Tina war hundert Seiten weiter als ich, was sich erst später herausgestellt hat. Ich hatte keine Ahnung, auf welcher Seite sich ihr Kapitel befand. Nach vielem Rumgeblättere habe ich es schließlich aufgegeben zu suchen. Wir haben uns schließlich dann erst ausgetauscht, nach dem wir beide mit dem Buch durch waren.
Meine Meinung
Vorsicht Spoiler
Was mich und Tina ein wenig gewundert hat, ist, dass Marie einen Enkel
besaß, wir aber nicht wissen, wer ihr Kind war? Dem Kontext erschließend hat
Marie nach ihrer Scheidung nicht neu geheiratet, obwohl sie einen jungen Mann
kennengelernt hat, zu dem sie sich diesmal hingezogen gefühlt hat.
Mein Fazit
Auch wenn wir jetzt nicht wissen, woher dieser Enkel stammt, und die
Autorin uns eigentlich eine Antwort schuldig bleibt, kann ich mit dieser Lücke
trotzdem leben, weil alles andere den Stoff aufgewertet hat. Sie muss ihre
Gründe gehabt haben. Ein superspannendes Buch, das von mir trotz dieser Lücke die volle
Punktzahl erhält.
Meine Bewertung
2 Punkte:
Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere 2 Punkte: Authentizität der Geschichte, sehr gut recherchiert. 2 Punkte: Sehr gute Übersetzung 2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel
und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein
|
12 von 12 Punkten
Hier geht es zu Tinas Buchbesprechung.
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)
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