Montag, 3. September 2018

Matt Haig / Wie man die Zeit anhält (1)

Lesen mit Tina

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Leider hat mir dieses surreale Buch nicht so gut gefallen, wie Haigs letzter Band Ich und die Menschen. Es hat mir an Tiefgang gefehlt und auch die Thematik, aus der man hätte mehr machen können, konnte mich nicht weiter fesseln. Meine Anfangseuphorie über die Zeitreise von mehreren hunderten von Jahren konnte leider nicht aufrechterhalten werden.

Hier geht es zum Klappentext und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Handlung ist schnell erzählt.
Auf den ersten Seiten lernt man den Protagonisten Tom Hazard kennen, der unter einer seltenen Veranlagung leidet. Der Name dieser Veranlagung wird als Anagerie bezeichnet und ist nicht allzu sehr bekannt. Tom ist 439 Jahre alt, im besten Alter, für seine Verhältnisse noch jung, auch wenn er sich selbst als alt bezeichnet, wenn er sich mit ganz normalen Menschen vergleicht, die hier als Eintagsfliegen charakterisiert werden. Nur etwa 1000 Menschen seien universal in dieser fiktiven Welt von jener Anlage betroffen. Geboren wurde Tom 1581. Hendrich, Toms Compagnon, bzw. Toms Chef unter ihnen, stellt diverse Regeln auf, die helfen sollen, sich in der Welt zurechtzufinden, ohne aufzufallen, denn sonst bestünde die Gefahr, verfolgt zu werden. Im 16. Jahrhundert wurden solche Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder ertränkt. In der Moderne sind es WissenschaftlerInnen, die aus diesen Menschen Versuchskaninchen machen, würden sie in der Gesellschaft auf sich aufmerksam machen.

Menschen wie Tom gehören einer Albatros-Organisation an. Eine kleine Geheimgruppe, die sich weltweit gegenseitig hilft und schützt. Diese Menschen sind strengen Regeln unterworfen. Die erste Regel lautet: Du sollst nicht lieben. Wie will man sonst den PartnerInnen klarmachen, dass sie nicht altern? Dass selbst die eigenen Kinder eines Tages älter aussehen werden als man selbst?
Eine weitere Regel lautet, alle acht Jahre die Identität und den Wohnort zu wechseln ...

Menschen mit der Anagerie-Veranlagung verfügen über ein effektives Immunsystem. Bakterien und Viren können ihnen nichts anhaben. Ebenso von der Pest und der Cholera bleiben sie verschont. Auch der Alterungsprozess setzt sich nur sehr, sehr langsam fort.

1623 lernt Tom Rose kennen, die er zur Frau nahm, mit der er ein Kind gezeugt hat, ein Mädchen, das den Namen Marion erhält. Marion erbt die Anlagen ihres Vaters und kommt damit nicht klar, da der Vater Frau und Kind verlassen musste, um die Familie durch sich nicht in Gefahr zu bringen. An den Hauswänden sind böse Beschimpfungen geschrieben und weisen auf mögliche Morddrohungen hin. Obwohl Tom seine kleine Familie verlässt, gerät Marion trotzdem auf die schiefe Bahn …

Tom fühlte sich in der Einsamkeit sehr unglücklich und nicht selten denkt er daran, sein Leben selbst zu beenden. Aber die Liebe zu Marion hält ihn am Leben, obwohl er seine Tochter viele Jahre nicht mehr gesehen hat, und macht sich auf die Suche nach ihr …

In der Gegenwart ist Tom Lehrer an einer Gesamtschule und unterrichtet Geschichte. Lebendige Geschichte, da Tom vieles selbst erlebt hat. Nur wissen das seine SchülerInnen aus der neunten Klasse nicht. Er kennt z. B. Shakespeare und andere bedeutende Persönlichkeiten.

Tom sucht immer wieder nach dem Sinn seines Lebens und sehnt sich nach Normalität.

Das Schreibkonzept
Das Buch besteht auf den 380 Seiten aus vier Teilen und aus vielen Kurzkapiteln. Das Buch hält sich an keinen chronologischen Abläufen. Die Albatros-Organisation ist in dieser magischen Welt weit verbreitet. London, Los Angeles, New-York, Paris, Australien, Sri Lanka …
Auf der ersten Seite findet man eine kurze Einleitung zu der Geschichte, bevor es mit dem ersten Teil losgeht. Man kommt gut in die Handlung rein, die Kapitel sind alle leicht lesbar. Zum Ende hin entwickelt sich dieser Roman kurzweilig zu einem Thriller.

Cover und Buchtitel?  
Das Cover ist für mich sehr ansprechend und der Buchtitel hat mich bis zur letzten Seite beschäftigt. Ich hatte schon befürchtet, die Bedeutung überlesen zu haben, als ich dann schließlich ganz am Ende, auf der sogenannten letzten Seite, fündig geworden bin. Ob mich nun der Titel überzeugt hat, darüber muss ich noch weiter nachdenken.

Identifikationsfigur
Meine Identitätsfigur ist Tom, da auch ich im Laufe meines Lebens immerzu den Sinnfragen hinterhergerast bin. Damit angefangen hatte ich schon in meiner Kindheit. Mit zwölf Jahren legte ich mich in die Badewanne, die den Sarg ersetzen sollte und so spielte ich tot sein. Ich wollte wissen, wie sich der Tod anfühlt, denn was ist der Tod, was ist das Leben? Warum gibt es uns Menschen? Warum gibt es mich? Warum führen Menschen Kriege? Gibt es einen Gott? Müsste der Himmel nicht aus allen Nähten platzen, wenn immer mehr Menschen geboren werden, um wieder zu sterben, um anschließend in den Himmel zu gelangen? Was ist das Nichts? Ist das Nichts auch eine Religion? Bei dieser letzten Frage erinnere ich mich noch genau. Da war ich zehn Jahre alt. Ich hatte wirklich alle Theorien hinterfragt, religiöse und gesellschaftliche, mit der ich aus der erwachsenen Welt behaftet wurde. Wie einsam hatte ich mich mit diesen vielen Fragen damals schon gefühlt. Und wie schwer war es für mich, diesen Fragen ohne Antworten schuldig zu bleiben?

Meine Meinung
Mir wurde das Buch zur Mitte hin, als mir schließlich die Figuren vertraut geworden sind, langweilig. Der Autor hat in bestimmten Handlungen versucht, ein wenig Action reinzubringen, ging ein wenig in die kriminalistische Haltung rein, die sich aber schnell wieder gelöst hat. Am Anfang war ich ganz von der Thematik angetan. Stellte mir sehr häufig die Frage, was ich selbst alles tun würde, hätte ich ein so langes Leben wie diese Menschen aus der Albatros-Gesellschaft. Ich glaube, ich würde sehr verschwenderisch mit der Zeit umgehen. Allerdings bin ich ein sehr langsamer Mensch, und langsame Menschen sollten mehr Lebenszeit zur Verfügung haben. Wie häufig habe ich die Welt auf den Kopf gestellt, um alle Perspektiven betrachten zu können.

Auf jeden Fall hätte ich Zeit, alle Bücher zu lesen. Aber dennoch würde ich nicht mit Tom tauschen wollen. Zu erleben, wenn die Menschen und Tiere alle sterben, mit denen man groß geworden ist, oder mit denen man das Leben geteilt hat, würde mich sehr nachdenklich und traurig stimmen. Toms Hang zur Melancholie und Schwerfälligkeit sind für mich gut nachzuvollziehen. Am besten ist, die Jahre sinnvoll zu nutzen, die man zur Verfügung hat. Es ist gut, wie es ist, nicht unsterblich zu sein. Eine Lebenserwartung von mehr als 500 Jahren betrachte ich schon fast als unsterblich. Gut, dass es solche Menschen nicht gibt.

Mein Fazit?
Es war schön, sich in diese Ideen hineinversetzt zu haben. Ein nettes Märchen. 

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte, Spannung
1 Punkte: Fantasievoll ohne dass es zu kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
10 von 12 Punkten.

Tinas Buchbesprechung.
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