Freitag, 18. Juli 2014

Anne Bronté / Agnes Grey (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Was so typisch charakteristisch für englische Klassiker ist, erst recht die aus der viktorianischen Zeit, sie sind alle gesellschaftskritisch ...
Das Buch liest sich ganz leicht, was schon wieder untypisch ist. Der Text geht runter wie Öl. Darf auch mal sein, verliert deswegen nicht gleich an Würze.

Viele Zettelchen liegen in dem Buch, und nun bin ich gespannt, was ich aus ihnen machen und welche ich für meine Buchbesprechung verwenden werde.

Agnes Grey ist die Hauptperson und die Icherzählerin dieses Romans. Ihre Ezählart hat sich mir dermaßen eingeprägt, dass ich ihr gerne und mit großem Interesse zugehört habe. Auch habe ich sie keinesfalls als ausschweifend erlebt. 

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Sensibel und mit ergreifender Unmittelbarkeit erzählt Anne Brontë (Brontë, Anne 1820 - 1849) (...) die Geschichte ihrer jungen Titelheldin: Um des Geldes willen verdingt sich die intelligente und empfindsame Agnes Grey, Tochter eines verarmten Landpfarrers, als Gouvernante in reichem Hause. Schon bald gerät sie mit ihren naiven Vorstellungen in die Mühlen zwischen verzogenen Kindern und allzu nachgiebigen Eltern, und all ihre Träume und Hoffnungen scheinen sich in Luft aufzulösen. 
Der Roman weist leichte autobiografische Züge auf. Parallelen sind zu finden im Beruf der Väter. Der Vater von den Brontés war Landpfarrer gewesen, sowie auch der Vater der Protagonistin Agnes Grey. Agnes Grey besaß noch eine ältere Schwester namens Mary, während die Brontés in der Geschwisterzahl aus drei Schwestern und einem Bruder bestanden, und zusätzlich gab es noch zwei ältere Schwestern, die im Alter von zehn und elf Jahren verstorben sind.

Interessant fand ich Agnes´ Mut, 18-jährig sich in eine Familie zu begeben, um dort als Lehrerin ein wenig Geld zu verdienen, da sie unbedingt die Familie finanziell unterstützen möchte. Agnes Vater wurde durch unglückliche Umstände plötzlich fast arm, da sein Vermögen schicksalhaft und fremdverschuldet falsch angelegt wurde. Der Vater litt so sehr unter diesem Verlust, dass Agnes Mitleid mit ihm hatte.
Agnes und Mary wurden zu Hause unterrichtet und verfügten über eine recht gute Schulbildung. Obwohl die Eltern Einwände hatten, Agnes als Gouvernante loszuschicken, gaben sie schließlich den Bitten und Betteln ihrer Tochter nach. Agnes stammt aus einem recht gutmütigen Elternhaus.

In die erste Familie mit dem Namen Bloomfield, in der Agnes eingestellt wurde, ist sie nicht gerade wohlwollend aufgenommen worden. Die Kinder glichen eher kleinen Monstern oder Dämonen, die sich nichts haben von der Lehrerin sagen lassen. Nicht, weil Agnes unfähig war, sondern weil ihr von den Eltern strikt verboten wurde, Druck auf die Kinder auszuüben. Die Kinder waren dermaßen verzogen, dass die junge Agnes sich sehr schwer tat, sich bei ihnen durchzusetzen. Natürlich fehlte es ihr aufgrund ihres Alters an Erfahrung ...
Besonders der Junge Tom, sieben Jahre alt, machte ihr zu schaffen, doch seine sechs Jahre alte Schwester Mary Ann und die vierjährige Fanny waren auch nicht viel besser, sie ahmten vom störenden Verhalten her ihren älteren Bruder nach:
Zu der Schwierigkeit, Tom von dem abzuhalten, was er nicht tun durfte, kam die Herausforderung, ihn dazu zu bewegen, was er tun sollte. Oft weigerte er sich schlicht, etwas zu lernen, eine Lektion zu wiederholen oder auch nur in sein Buch zu sehen. Auch hier hätte eine Birkenrute viel bewirken können, doch meine Befugnisse waren begrenzt, und ich musste mit den Mitteln zurechtkommen, die mir blieben. (…) Meine einzigen Waffen hießen Geduld, Entschiedenheit und Beharrlichkeit, und ich nahm mir vor, sie bis zum äußersten einzusetzen. (44)
Birkenrute? Nein, für die war Agnes nicht wirklich der Typ, aber mehr Autorität, die sie von den Eltern nicht ausgesprochen bekam, hätte ihr schon geholfen.

Die Ansprüche wurden der Hauslehrerin recht hoch angesetzt, die, durch diese elterlichen Umstände, niemals hätten erreicht werden können. Eigentlich sind es die Eltern, die an den Kindern versagt haben.

Der Junge durfte nicht mit dem Vornamen angesprochen werden, sondern mit Master Tom. Das zeigt schon das ungleiche Verhältnis eines Kindes zu der Lehrerin, indem die Kinder das Sagen hatten. Die Mädchen waren Miss Mary Ann und Miss Fanny.
Auf wundersame Weise erledigten die Mädchen ihren Teil, doch Tom wurde so wütend, dass er sich auf den Tisch warf und Milch und Brot zu Boden schleuderte, seine Schwestern schlug, den Kohleneimer trat, Tische und Stühle umzustoßen versuchte und drauf und dran war, den ganzen Raum in ein einziges Chaos zu verwandeln, doch ich griff ihn mir, schickte Mary Ann los, um ihre Mutter herbeizurufen und hielt ihn trotz seiner Tritte, Schläge, Schreie und Flüche fest, bis Mrs Bloomfield erschien. "Was ist los mit meinem Jungen?", fragte sie. Doch als ich ihr von dem Vorfall berichtet hatte, ließ sie nur das Kindermädchen rufen, dass sie das Zimmer aufräumen sollte, und Master Bloomfield sein Abendessen bringen.
„Sehen Sie", rief Tom voller Triumph und schaute von seinem Teller auf, den Mund fast zu voll, um sprechen zu können: "Sehen Sie, Miss Grey! Egal, was Sie sagen, ich habe mein Abendessen bekommen und nicht ein einziges Ding aufgehoben!" (68f) 
Das war abzusehen, dass Agnes Grey in dieser Familie nicht bestehen konnte. Trost fand Agnes zu Hause in der Familie:
Nun, wenn die Kinder nicht lernen konnten, dann war es auch nicht ihr Fehler. Du kannst nicht erwarten, dass sich Stein so gut formen lässt wie Ton." (86)
Agnes verzagt nicht und möchte es in einer anderen Familie neu angehen lassen, in der Hoffnung, dass es auch freundliche Familien geben müsse. Ihr jugendlicher Optimismus ließ sie nicht verzagen. Und so landet sie bei der Familie Murray. Doch der Snobismus war auch hier sehr deutlich zu spüren. Allerdings konnte sich Agnes hier über mehrere Jahre halten, wenn auch die Mutter der Kinder ihr immer wieder zu spüren gab, wie unfähig sie in ihren Methoden doch sei. Auch diese Mutter beklagte den geringen pädagogischen Erfolg an ihren Sprösslingen. Die Kinder waren wesentlich älter als die Kinder bei den Bloomfields ...
Die pubertierenden Mädchen waren nichts anderes als eitel und arrogant. Ihnen menschliche Werte zu vermitteln, war schier unmöglich. Zu stark war der elterliche Einfluss, dass Wohlstand, Vermögen und der gesellschaftliche Status a priori zählten, mehr noch als die Formung eines guten Charakters in der Art von (menschlicher) Liebe und Güte. Diese jungen Mädchen waren von ihrem Charakter her so narzisstisch geprägt, dass sie nichts anderes konnten, als immer nur an sich selbst und an ihren eigenen Vorteile zu denken. Sie beurteilten andere Menschen nach deren Herkunft und gesellschaftlichem Status als gut, wenn sie reich, als schlecht, wenn sie arm waren.

Die beiden Mädchen, die Agnes Grey zu unterrichten hatte, waren Miss Rosalie und Miss Matilda. Mrs Murray mischt sich ein und stellt Ms Grey vor einem schweren persönlichen Tadel: 
Wer soll denn bitte schön den Geschmack einer jungen Dame formen, wenn nicht Sie? Mir sind schon Erzieherinnen begegnet, die sich so sehr mit dem Ruf der ihnen anvertrauten jungen Damen identifizierten -dass deren Eleganz und untadeligen Manieren angeht-, dass sie errötet wären, hätten sie selbst auch nur mit einem Wort etwas gegen sie vorgebracht. Selbst der geringste Tadel für ihre Schülerinnen wäre für sie schlimmer gewesen, als selbst gerügt zu werden - und das mit vollem Recht, meine ich. (...) Die Fertigkeiten und die Eleganz der jungen Dame sind doch für die Erzieherinnen wie für die übrige Welt von größerer Bedeutung als sie selbst. Wenn sie in Ihrem Beruf vorankommen möchte, dann muss sie all ihre Energie dort hineinlegen. Ihr gesamtes Denken und Streben muss dem Erreichen dieses einen Zieles dienen. Wollen wir das Verdienst einer Erzieherin bewerten, dann betrachten wir natürlich zuerst die jungen Damen, die sie nach eigenem Bekunden ausgebildet hat, und bilden uns unser Urteil. Eine kluge Erzieherin weiß das. Sie weiß, dass sie selbst zwar im Hintergrund steht, die Tugenden oder Fehler ihrer Schüler jedoch für jeden offensichtlich sind, und dass sie nur dann auf Erfolg bei ihrer Erziehung hoffen darf, wenn sie sich selbst dabei zurückstellt. Wissen Sie Miss Grey, es ist doch wie in jedem anderen Metier auch: Wer sich zum Besten entwickeln will, muss mit Leib und Seele seiner Berufung folgen. Wer jedoch der Trägheit nachgibt und sich gehen lässt, bleibt rasch hinter der Konkurrenz zurück. Es gibt kaum einen Unterschied zwischen jenen, die ihren Schülern durch Vernachlässigung Schaden, und denen, die es durch ihr schlechtes Beispiel tun." (245f)
Das waren böse Vorurteile gegenüber Agnes Grey. Ein absolutes Fehlurteil von der Mutter und völlig unreflektiert sich selbst gegenüber. Vornehme und vermögende Leute, die es nicht schaffen, selbst ihre Kinder zu erziehen, schreiben anderen vor, was richtig und falsch ist ...

Unmenschlichkeit? Die bekommt Agnes noch einmal zu spüren, als ihr Vater im Sterben liegt, und sie Mrs Murray um Sonderurlaub bittet:
Ich bat um Erlaubnis, den Urlaub vorzuziehen und mich sofort auf den Weg machen zu dürfen. Mrs Murray war verblüfft, wie ungewohnt eindringlich und beherzt ich meine Bitte vorbrachte. Sie starrte mich an und meinte, es gebe doch keinen Grund zu so großer Eile, aber schließlich stimmte sie zu - allerdings nicht ohne anzumerken, dass es doch nicht nötig sei, "sich so aufzuregen", es könne auch "ein falscher Alarm" sein, und falls nicht - nun, dann sei es eben "der Lauf der Natur; wir müssen schließlich alle einmal sterben", und ich solle nicht glauben, dass ich „die einzige betrübte Person auf der Welt sei, (…) "und statt zu nörgeln, Miss Grey, seien Sie doch bitte einmal dankbar für die Vorzüge, die Sie hier genießen. Es gibt so viele arme Geistliche, deren Tod ihrer Familien in den Ruin treiben würde. Sie hingegen haben einflussreiche Freunde, die gerne bereit sind, Ihnen auch weiterhin eine Arbeit zu geben, und die Ihnen stets mit Rücksichtnahme begegnen."
Mrs Murray bezeichnet sich demnach als Freundin. Auch hierhin absolute Oberflächlichkeit, denn eine Freundschaft ist die Beziehung mit dieser Familie weiß Gott nicht.

Agnes Grey war mir eine sehr sympathische Persönlichkeit. Sie besaß sehr viel Weisheit, Menschenliebe, Stärke und Geduld. Als der Vater verarmte, trug sie es mit Fassung und ist daran nicht verzweifelt. Im Gegenteil, sie versuchte ihrem Vater tröstende Worte zu spenden.

Ich mache hier nun Schluss. Was ich nicht erwähnt habe, ist, dass der Roman auch mehrere Liebesgeschichten verschiedener Protagonistinnen bereithält. Sie sind aber nicht kitschig, sondern recht authentisch und differenziert dargestellt. Dass der Kontext zudem noch gesellschaftskritisch geprägt ist, habe ich anfangs schon erwähnt. Die Details sind dem Buch zu entnehmen.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.
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Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

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