Donnerstag, 3. Juli 2014

Harper Lee / Wer die Nachtigall stört (1)


Mit dem Buch hatte ich letzten Donnerstag begonnen zu lesen und es hat mir recht gut gefallen, von der ersten bis zur letzten Seite und habe mir daraufhin heute die Verfilmung mit Gregory Peck bestellt, die in den 1960er Jahren gedreht wurde und einen Filmpreis erhielt. Ich habe das immer ganz gerne nach dem Buch den Film zu sehen, soweit es eine Verfilmung gibt und dann vergleiche ich den Inhalt miteinander. Scout, die Protagonistin des Buches, ist die Ich-Erzählerin und spricht aus der Kind-Ich-Perspektive... .

Atticus Fink, Rechtsanwalt von Beruf, und  alleinerziehender Vater zweier Kinder, Jem und Scout, vertritt einen Schwarzen. Er wird dadurch in der Stadt, im tiefsten Süden der Vereinigten Staaten, als Nigger-Freund verhasst, selbst seine Herkunftsfamilie verteufelt ihn. Scout, acht Jahre alt, hat damit besondere Probleme, als sie in der Schule wg. ihres Vaters gehänselt wird. Die Kinder gehen durch eine harte Schule... .

Atticus Fink, der von den Kindern auch mit dem Vornamen gerufen wird, ist ein richtiger Idealist und zeigt für alle menschlichen Schwächen Verständnis, auch dann, wenn ihm daraus Nachteile entstehen, was besonders für die kleine viel nachdenkende Scout unverständlich ist, die sich über das abfällige Verhalten des Nachbarn Cunningingham gegenüber ihren Vaters beschwert, erwidert er daraufhin:
Mr. Cunningham ist im Grunde ein guter Mann. Er hat lediglich seine schwachen Seiten, und die haben wir alle. 
Als Scout dagegen Einwände äußert, versucht der Vater sie bildlich zu überzeugen:
Man kann einen anderen nur richtig verstehen, wenn man die Dinge von seinem Gesichtspunkt aus betrachtet. (…) Ich meine, wenn man in seiner Haut steigt und darin herumläuft.
Der um vier Jahre ältere Bruder Jem verbringt viel Zeit mit seiner Schwester Scout und beide machen sich viele Gedanken über die Menschen in ihrem Umfeld. Besonders Arthur Radley beschäftigt sie, über den sie durch andere Leute jede Menge Schauermärchen zu hören bekommen haben, da die Radleys keine "gewöhnliche" Familie darstellen und sehr zurückgezogen von der Gesellschaft leben. Scout entwickelt eine besondere Beziehung zu der älteren Dame Miss Maudie, und sie durch Miss Maudie Informationen erhält  zu Arthur Radley, dessen Spitzname Bobo ist.
"Glauben Sie, dass er verrückt ist?"
Miss Maudie schüttelte den Kopf. "Ich würde mich aber nicht wundern, wenn er´s mittlerweile geworden wäre. Wir wissen ja nie genau, was mit den Menschen passiert. Was in den Häusern hinter verschlossenen Türen vorgeht, was für Geheimnisse…"
Die Kinder spielten viel um Radleys Haus, immer in der Hoffnung, Arthur zu begegnen. Aber sie kamen mit ihren Erkundungen nicht sehr weit.  Jem wurde sehr schweigsam, und seine Schwester versuchte ihn zu verstehen, indem sie den Rat ihres Vaters befolgte:
Ich versuchte, wie mein Vater Atticus mir einmal geraten hatte, in Jemes Haut zu steigen :D und darin herumzulaufen: Wenn ich um zwei Uhr nachts allein zum Raleys - Grundstück gegangen wäre, so hätte am nächsten Tag meine Beerdigung stattgefunden. So ließ ich ihn denn in Ruhe und stellte keine Fragen.
Arthur bleibt unsichtbar und doch scheint er die spielenden Kinder vor seinem Haus sehr wohl wahrzunehmen und tut im versteckten auch Gutes für sie. In dem Hohlraum eines Baumes verbirgt er Geschenke für die Kinder, bis der Hohlraum eines Tages zugemacht wird... .

Der Prozess mit dem schwarzen Angeklagten Tom Robinson spitzt sich immer weiter zu, so dass auch die Kinder immer mehr in die Konflikte hineingezogen werden, die an Gewalt grenzten. Dazu der Vater zu Scout:
"Du wirst vielleicht in der Schule heftig darüber reden hören, aber ich bitte dich um eines: Halte immer den Kopf hoch und lege die Fäuste auf den Rücken. Ganz gleich, was man dir sagt, lass dich nicht in Wut bringen. Versuche zur Abwechslung einmal mit dem Kopf zu kämpfen… er ist ganz gut beieinander, auch wenn er nicht lernen will."
Scout zeigt sich besorgt zu der Verteidigung Tom Robinsons und sowohl sie als auch ihr Bruder beschäftigen sich recht intensiv mit dem Strafgefangenen... .
Weshalb Tom vor Gericht sitzt lasse ich absichtlich offen... .

Jem und Scout wachsen ohne Mutter auf und damit aus Scout eine Dame wird, wird die spießige Tante Alexandra, väterlicherseits, zu ihnen ziehen, um sich der Erziehung des Mädchens anzunehmen. Scout zieht lieber Latzhosen statt Mädchenkleider an. Das ist das Schöne an dem Buch, dass so viele unterschiedliche Themen darin behandelt werden und so wird auch deutlich, wie sehr Jungen und Mädchen zu ihren Rollen hingeführt und erzogen werden... .
Tante Alexandra war, dass meine Kleidung betraf, eine Fanatikerin. Ihr zufolge bestand für mich keine Hoffnung, eine Dame zu werden, solange ich Hosen trug. Auf meinen Einwand, in einem Kleid könne ich nichts unternehmen, antwortete sie, ich solle auch nichts unternehmen, wozu man Hosen brauche. Wäre es nach Ihren Wünschen gegangen, so hätte ich artig mit Puppenöfchen und niedlichen Teegeschirr gespielt und das Perlenkettchen getragen, das sie mir bei meiner Geburt geschenkt hatte und das jedes Jahr um eine Perle verlängert wurde. Außerdem forderte sie, dass ich Sonne in meines Vaters einsames Leben brächte. Meiner Meinung nach ließe sich das genauso gut in Hosen bewerkstelligen, doch Tantchen sagte, man müsse sich auch wie ein Sonnenscheinchen benehmen.
Obwohl Rechtsanwalt Atticus Fink einem schwierigen Beruf nachgeht, sind die Kinder noch zu jung, um zu begreifen, welch hohe Verantwortung seine juristische Tätigkeit nach sich zieht. Die Kinder schätzen eher praktische Fertigkeiten:
Unser Vater tat gar nichts. Er arbeitet in einem Büro, nicht in einem Druckstore. Er fuhr keinen städtischen Müllwagen, er war weder Sheriff noch Bauer, noch Autoschlosser, kurzum, er tat nichts, was irgendwie Bewunderung hätte erregen können.
Erst durch Miss Maudie erfahren sie die besonderen Fähigkeiten ihres Vaters, der kein Durchschnittsmensch sei, und über vielerlei Talente verfügen würde wie zum Beispiel Mundharmonika und Dame spielen und in jungen Jahren war er Mister im Jagen und Schießen ... Doch schießen tut er als Gegner der Gewalt nicht mehr, sondern nur noch, wenn es unbedingt nötig ist.
Des weiteren ist euer Vater ein Mensch, der sich durch seine Herzensgüte auszeichnet. eigentlich sollte er doch stolz darauf sein, doch vernünftige Leute sieht nie stolz auf ihre Talente.
 Es wird hierbei die Metapher Nachtigall gebraucht und macht daran deutlich, wie sinnlos es ist, auf Menschen zu schießen, die in Wirklich keine Bedrohung sind... .
Es ist Sünde, auf eine Nachtigall zu schießen. Denn Nachtigallen erfreuen uns Menschen mit ihrem Gesang. Sie tun nichts Böses, sie picken weder die Saat auf dem Boden, noch nisten sie in Maisschuppen, sie singen sich nur für uns das Herz aus der Brust. Darum ist es Sünde, auf eine Nachtigall zuschießen...
 Nationalsozialismus, in Deutschland herrscht Hitler und die Amerikaner wundern sich über die Judenverfolgung im Land. Für sie zählen die Juden zum eines der edelsten Völker der Welt... . In den Schulen lernen die amerikanischen Kinder, dass in Deutschland die Diktatur und in Amerika die Demokratie herrsche. Demokratie, eine Regierungsform, in der alle Menschen gleiche Rechte haben und so machen sie sich über die Deutschen her, die Juden, und geistig kranke Menschen verfolgen, einsperren und töten. Nun ist den Amerikanern zu dieser Zeit aber nicht bewusst, dass Schwarze von der Demokratie ausgeschlossen sind, da sie nicht wirklich als Menschenrasse bezeichnet werden. Der Rassismus und der Sklavenhandel in Amerika ist ebenso ein großes Verbrechen an die Menschheit, und da muss der Amerikaner nicht mit dem Zeigefinger auf die Deutschen zeigen, was viele ja heute nach wie vor noch gerne tun, und sie die Deutschen noch immer mit Hitler assoziieren, der die Juden von der menschlichen Rasse ausgeschlossen hat... .

Die Kinder nehmen heimlich an dem Prozess teil und entwickeln dadurch Gerechtigkeitssinn gegenüber Tom Robinson. Sie begreifen schließlich den Rassismus, wozu selbst die Erwachsenen dazu nicht mal in der Lage sind. Die Lehrerin, die sich für Menschenrechte einsetzt, ihr aber nicht bewusst ist, dass sie die Schwarzen davon ausschließt... . Besonders Jem konnte schwer mit dieser Diskrepanz umgehen und versucht die Erfahrung mit seiner Lehrerin, die er sehr schätzte, zu verdrängen... . Das war seine Art, mit dieser Diskrepanz umzugehen... .

Zum Schluss noch etwas zu Radley, der die Kinder aus einer schweren Gefahr herausholte... . Danach haben die Kinder Arthur Radley nicht wieder gesehen. Dazu Scout:
"Atticus hatte recht. Er hatte einmal gesagt, man kenne einen anderen Menschen erst dann, wenn man in seine Haut steige und eine Weile darin herumgehe. Es genügte auch schon, auf Ragleys Veranda zu stehen."
Dem Buch gebe ich neun von zehn Punkten. Neun und nicht zehn, weil wenige Szenen noch etwas stärker hätten ausgebaut werden können. Neun und nicht weniger, weil der sprachliche, literarische Ausdruck anspruchsvoll war, und das Buch besaß viel kindlichen Humor und ist recht fantasievoll geschrieben.

Als ich heute in der Buchhandlung war, sah ich das Buch im Regal stehen. Ich wurde recht traurig, dass ich es zu Ende gelesen habe und freute mich gleichzeitig, dass ich in dem Buch drin gewesen war... . An dem ganzen Geschehen teilgenommen und Bekanntschaft mit den dortigen Menschen gemacht zu haben. Besonders von Atticus Fink war ich sehr angetan, der mir mit seiner menschlichen  Art als Vorbild diente. Doch auch Scott fand ich interessant, wie sie gegen die gesellschaftlichen Konventionen angeht und diese schon recht früh hinterfragt, speziell was der Versuch einer geschlechtlichen Erziehung zu einer Dame über ihre Tante betrifft. Jem war nicht weniger interesaant, der es seinem Vater gleichtun wollte, und bestrebt war, ein Gentleman zu werden. Dass auch er einmal Rechtsanwalt werden wird, ganz nach dem Vorbild seines Vaters, geht aus seinem starken Interesse hervor, Unverständnis gegenüber dem System zu entwickeln und gegen  gesellschaftliche und juristische Ungleichbehandlung mancher Menschen.

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)


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