Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch hat mir recht gut gefallen. Es ist eine
Autobiografie. Camus erlitt im Alter von 47 Jahren einen Autounfall mit
tödlichen Folgen. Im Auto befand sich noch das unvollendete Manuskript mit
Korrekturhinweisen.
Damit mir jeder glaubt, dass das vorliegende Buch auch
wirklich eine Autobiografie ist, denn die Namen der Figuren sind alle fiktive
Namen, so zitiere ich den vorderen Klappentext:
Gespielt in der Figur des Jacques Cormery, erzählt Camus von seiner Kindheit, die er mit seiner fast tauben, analphabetischen Mutter und einer dominanten Großmutter im Armenviertel Algier verbringt. Auf der Suche nach einer Vaterfigur beginnt er, über die eigene Herkunft zu reflektieren.
Camus´ Mutter ist Spanierin gewesen, der Vater war Franzose,
der kurz nach seiner Geburt im Ersten Weltkrieg in Frankreich tödlich verwundet
wurde. Sie lebten als Einwandererfamilie in Algerien. Frankreich bildete bis
1962 in Algerien eine französische Kolonie.
Damit ich mich nicht wiederhole, gebe ich noch einmal den
Klappentext rein, der recht ausführlich ist, wobei sich der Inhalt des Buches
hauptsächlich mit der Kindheit befasst.
Albert Camus wurde am 7. 11. 1913 bei Annaba (Algerien) als zweiter Sohn einer europäischen Einwandererfamilie geboren. Der Vater, ein Franzose, fiel 1914 im Krieg, die spanischstämmige Mutter musste die Kinder als Putzfrau ernähren und der dominanten Großmutter zur Erziehung überlassen. Camus wuchs in einem armen Stadtviertel Algiers auf. Dort besuchte er die Ecole primaire; 1924 konnte er als Stipendiat in das Lycée von Algier eintreten. 1930 Erkrankung an Lungentuberkulose. Nach dem Abitur Aufnahme eines Philosophiestudiums, das Camus durch Gelegenheitsarbeiten finanziert. Gleichzeitig erste schriftstellerische und künstlerische Versuche. 1934 erste Ehe, die 1940 geschieden wurde. 1938-1940 Arbeit als Journalist bei der progressiven Zeitung «Alger républicain» (später «Soir républicain»). Camus` Artikelfolge über das Elend der algerischen Landbevölkerung und das Verbot der Zeitung machten ihm eine weitere berufliche Betätigung in Algerien unmöglich. Daher 1940 Übersiedlung nach Frankreich. Mit seiner zweiten Frau, Francine Faure, kehrte er 1941 nach Algerien zurück, wo beide als Lehrer arbeiteten. 1942 Kuraufenthalt im französischen Bergland. Eine Anstellung als Lektor bei Gallimard und die Zugehörigkeit als Résistance - Camus übernahm 1944/45 die Leitung der Widerstandszeitung «Combat» - banden ihn zunehmend an Paris. Freundschaftliche Beziehungen zu Sartre und dessen existenzialistischem Kreis. 1946-1952 Reisen in die USA, nach Südamerika und mehrmals nach Algerien. An der mit Härte und Leidenschaft geführten Debatte um «Der Mensch in der Revolte» (1951) scheiterte die freundschaftliche Beziehung zu Sartre. 1958 begann er mit der Arbeit an dem erst 1994 postum veröffentlichten Roman «Der erste Mensch». Am 4. Januar 1960 verunglückte Camus bei einem Autounfall tödlich.
Ich gebrauche nun den fiktiven Namen Albert Camus´ und gehe über auf Jacques Cormery.
Mich hat zudem recht stark Jacques Mutter interessiert, die als
Kind an Typhus erkrankte, der die Hörbehinderung mit sich brachte. Sie war
dadurch auch aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und zog sich immer
mehr in sich zurück. Für Jacques, der sich auf die Spuren seines Vaters begibt,
ist sie keine Hilfe. Sie kann kaum Auskunft über sich und über den Vater geben. Dazu war schon viel zu viel Zeit vergangen. Auch die Armut, in
der die Familie lebte, erschwerte das Leben der Cormerys zusätzlich. Jacques
konnte sich nicht auf die Antworten der Mutter verlassen:
Sie sagte ja, vielleicht war es nein, Jacques musste durch eine verfinsterte Erinnerung in der Zeit zurückgehen. Schon die Erinnerung der Armen wird weniger genährt als die der Reichen, sie hat weniger Anhaltspunkte im Raum, denn sie verlassen selten den Ort, an dem sie leben, auch weniger Anhaltspunkte in der Zeit eines eintönigen grauen Lebens. Gewiss, es gibt die Erinnerung des Herzens, von der es heißt, sie sei die sicherste, aber das Herz nutzt sich in Not und Arbeit ab, es vergisst unter der Last der Anstrengenden schneller. (108f)
Die Großmutter war mir nicht geheuer. Sie verprügelte
Jacques häufig mit einem Ochsenziemer. Auch wenn man es nur liest, trotzdem
zieht sich mir innerlich alles zusammen. Prügel waren zu der Zeit Usus.
Aber Jacques hatte auch gute Menschen um sich, die ihn mit
Liebe beschenkten. Ich will nicht sagen, dass die Großmutter keine gute Person
war. Wahrscheinlich versuchte sie nur, den Vater zu ersetzen. Aber wer es
schafft, ein Kind so zu verprügeln, der oder die muss das Herz für die
Prügelei in sich eingesperrt haben. Sein Onkel Ernest war jemand, der es wieder
gut machte, was die Großmutter ihm antat. Er liebkoste seinen Neffen recht
häufig. Jacques empfand seinem Onkel wie seiner Mutter gegenüber sehr viel Liebe. Vor seiner Großmutter fürchtete er sich nur.
Es folgt ein Zitat, das mir total gut gefallen hat:
„Nun, da bin ich", sagte Jacques. Und tatsächlich war er wieder da, bei den beiden, Onkel und Mutter, wie früher, konnte ihnen nichts sagen und hörte nie auf, an ihnen zu hängen, zumindest an ihnen, und liebte sie noch mehr dafür, dass sie es ihm ermöglichten zu lieben, wo er doch so oft versagt hatte, so viele Geschöpfe zu lieben, hier verdienten. (173)
Versagt zu lieben? Wie kann denn ein Kind an Liebe versagen?
Sind es nicht die Erwachsenen, die mit der Liebe zu ihren Kindern in Vorschuss
treten müssen, damit das Kind überhaupt lernen und empfinden kann, was Liebe
ist? Sind es nicht die Erwachsenen, die für die Kinder Vorbilder sind?
Die Mutter hat bei der Erziehung ihrer eigenen Kinder nicht
viel zu sagen, und so muss sie weggucken, wenn Jacques ausgepeitscht wird, oder
sie redet die Prügel schön, indem sie die Worte der Großmutter wiederholt.
Jacques hatte nochmals Glück. Er hatte einen Lehrer, der
ihn unterstützte. Der Lehrer empfand Mitleid für den Jungen, weil er seinen Vater im Krieg
verloren hatte. Auch der Lehrer versuchte Jacques ein wenig den Vater zu
ersetzen und er schaffte es, die Großmutter zu überzeugen, dass Jacques und
sein Bruder von der Begabung her auf die höhere Schule gehören. Die Großmutter
verweigerte erst, da sie sich kein Schulgeld leisten könne, bis schließlich der
Lehrer nach Hause kam und mit der Familie redete. Jacques wurde von den anderen
Klassenkameraden verspottet, da er der Liebling des Lehrers sei. Der Lehrer
stellte sich den Schülern:
„Ja, ich ziehe Cormery vor, rief er, wie all jene von euch, die ihren Vater im Krieg verloren haben. Ich habe mit ihren Vätern den Krieg mitgemacht, und ich lebe. Ich versuche hier wenigstens, meine toten Kameraden zu ersetzen. Und wenn jetzt noch jemand meint, ich hätte Lieblinge, soll er es sagen!" (204)
Ein Lehrer, den es nicht allzu häufig gibt in der Welt. Er
begleitete die Kinder bis zur höheren Schule und bot sich ihnen an, ihnen
nach der Schule zu helfen, sollten sie mit dem Stoff Probleme haben.
Wäre der Lehrer nicht gewesen, so wäre Jacques von der
Großmutter in die Lehre geschickt worden, um Geld zu verdienen.
Jacques gibt sich nach der Standpauke seines Lehrer nicht
geschlagen. Er hat das Bedürfnis, sein Problem selbst zu lösen und so forderte
er den Jungen in der Pause heraus, der über ihn gelästert hatte. Der Erkenntnis nach,
die Jacques als der Sieger des Kampfes nach der Prügelei macht, sind die
meisten Erwachsenen nicht mal in der Lage, folgende Gedanken zu hegen:
Berauscht von der Schnelligkeit eines Sieges, den er so vollständig nicht erwartete, vernahm Jacques kaum die Gratulation und bereits beschönigten Kampfberichte ringsum. Er wollte froh sein, war es auch irgendwo in seiner Eitelkeit, und doch, als er sich beim Verlassen des grünen Feldes nach seinem Schulkameraden Munoz umdrehte, legte sich ihm beim Anblick des fassungslosen Gesichts dessen, den er geschlagen hatte, plötzlich eine düstere Traurigkeit aufs Gemüt. Und so begriff er, dass der Krieg nicht gut ist, dass einen Menschen zu besiegen ebenso bitter ist, wie von ihm besiegt zu werden. (208f)
Interessant fand ich, als der erwachsene Jacques schließlich das Grab
seines Vaters im bretonischen Frankreich aufsucht. Doch sehr viel mehr konnte
er auch auf dem Friedhof nicht in Erfahrung bringen, als er den Friedhofswärter
um Auskunft zu seinem toten Vater erbat. Der Wärter konnte ihm schließlich
aus einem Buch das Grab benennen, wo der Vater begraben liegt. Mehr aber auch
nicht:
Jacques dachte an den kleinen Friedhof von Saint-Brieuc, wo die Soldatengräber besser erhalten waren als die Gräber von Algier. „Das Mittelmeer trennte in mir zwei Welten, die eine, wo auf abgemessenen Flächen Erinnerungen und Namen konserviert waren, die andere, wo der Sandwind die Spuren der Menschen auf weiten Flächen auslöschte.“ Er hatte versucht, der Anonymität, dem Leben in Armut und eigensinniger Unwissenheit zu entrinnen, er hatte nicht auf der Ebene dieser blinden Geduld ohne Sätze, ohne anderes Vorhaben als das Unmittelbare, leben können. Er hatte sich in der Welt herumgetrieben, hat Wesen errichtet, erschaffen, verbrannt, seine Tage waren zum Bersten voll gewesen. Und doch wusste er jetzt im Grunde seines Herzens, dass Saint-Brieuc und das, was es repräsentierte, nie etwas für ihn bedeutet hatten, und er dachte an die verwitterten, grün gewordenen Steinplatten, von denen er gerade weggegangen war, und akzeptierte mit einer irgendwie seltsamen Freude, dass der Tod ihn in seine wahre Heimat zurückführte und sein unermessliches Vergessen über die Erinnerung an den monströsen und (banalen) Mann legte, der ohne Beistand und ohne Hilfe an einem glücklichen Gestade und im Licht der ersten Morgen der Welt in Armut groß geworden war und etwas aufgebaut hatte, um dann allein, ohne Erinnerung und ohne Glauben, in der Welt der Menschen seiner Zeit und ihrer schrecklichen, erregenden Geschichte zu landen. (261f)
Wie ich aus anderer Quelle mal entnommen habe, bekennt sich
Camus zum Franzosen. Er hatte sich für das Vaterland seines Vaters entschieden, und
die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Das geht auch aus dem obigen
Zitat hervor. Er gehörte zu den Glücklichen, die sich die Nationalität
aussuchen konnten.
Ich beende hiermit meine Zeilen. In dem Buch gibt es noch jede
Menge anderer guter Gedanken und Ereignisse.
Das Buch liest sich gut, obwohl es ein Fragment ist, kein
abgeschlossenes Werk.
Obwohl das Buch ein Fragment ist, und man oft beim Lesen auf Textänderungen hingewiesen wird, hat es mir trotzdem gut gefallen, wenn man bedenkt, dass das Buch eigentlich noch gar nicht beendet war.
Unter dieser Berücksichtigung hat es seine zehn von zehn Punkten verdient.
Obwohl das Buch ein Fragment ist, und man oft beim Lesen auf Textänderungen hingewiesen wird, hat es mir trotzdem gut gefallen, wenn man bedenkt, dass das Buch eigentlich noch gar nicht beendet war.
Unter dieser Berücksichtigung hat es seine zehn von zehn Punkten verdient.
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Alle Religionen und alle
unterschiedlichen Kulturen
haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht
schaden. (M. P.)
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