Mittwoch, 25. Juni 2014

Luigi Malerba / Römische Gespenster (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich inhaltlich nicht sonderlich angespornt. Wenn es vom Seitenumfang her dicker gewesen wäre als die 232 Seiten, dann hätte ich es garantiert abgebrochen. Lediglich die letzten dreißig Seiten haben mich gepackt, sodass ich schließlich doch für mein Durchhalten und für meine Geduld entschädigt wurde. Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein.
Ein großer Eheroman über unausgesprochene Gefühle, subtile Beziehungskämpfe, Liebe und Lebensweisheit. Sehr kurzweilig, mit Gusto! Dabei hat alles mit einem Witz begonnen.Clarissa kommt ihrem Mann auf die Schliche, weil sie aus dem Mund einer anderen einen Witz hört, den sie sofort wiedererkennt. Was tun? Die kluge Clarissa wartet erst einmal ab und schreitet dann zur Rache. Gesprochen wird in ihrer Ehe nicht, aber gelesen. Der Gatte Giano, Städteplaner und mit der Dekonstruktion in Großstädten beschäftigt, hat daher eine listige Idee: Er bringt die Affäre peu à peu zu Papier. Und natürlich lässt Giano die beschriebenen Seiten so in der Wohnung herumliegen, dass Clarissa sie finden und lesen muss …Luigi Malerba lässt diesmal seine Figuren unglaubliche Wechselbäder durchleben.Einmal erzählt er, einmal sie, sodass wir die gleichen Ereignisse aus dem Blickwinkel der Frau und des Mannes erleben. Ist es wirklich dieselbe Ehe?
Eigentlich gibt es nicht mehr zu sagen, als schon im Klappentext steht. Gelegentlich erfährt man neben den Eheproblemen auch etwas über das Weltbild der beiden Ehepartnern, über die politische Lage weltweit. Doch ich möchte trotzdem versuchen zu beschreiben, wie ich das Buch erlebt habe. Hauptsächlich Clarissa hat mich stark beschäftigt.

Was mir gut gefallen hat, ist, dass der Inhalt frei von Klischees ist. Die Probleme werden nicht hysterisch-emotional ausgetragen, sondern eher im Stillen und in verkopfter Form. Das fand ich gut, mal diese Art von Italiener in der Literatur zu erleben. Dies ist der Grund, weshalb ich lieber ausländische Literatur lese, die nicht vom deutschen Autor geschrieben ist. Denn dieser lässt Südländer eher so auftreten, wie sie seinen Vorstellungen entsprechen, in der Form, wie ein Südländer zu denken, zu fühlen und auszusehen hat. Mir fällt dabei die deutsche Fernsehwerbung ein, als eine schwarzhaarige italienische Frau in dem Streit mit ihrem Mann die Teller aus dem Fenster wirft. Auch in deutschen Büchern findet man ausschließlich schwarzhaarige und emotionsträchtige Italiener. Solche Bilder findet man hier in diesem Buch keineswegs. Es gibt viele Möglichkeiten, eine nicht funktionierende Ehe zu verarbeiten bzw. sich mit ihr auseinanderzusetzen. Da ich selber aus einer italienischen Familie stamme, kann ich bestätigen, dass es solche und solche Italiener gibt. Wobei ich gerade sehe, dass die Protagonisten auf dem Cover auch wieder als dunkelhaarig und dunkeläugig abgebildet sind. Und der Teint sieht aus, als hätten sie beide die Hepatitis, (lol). Deutsche Verlage erlauben eben keine hellen Südländer.

Warum aber hat mich das Buch nicht gepackt? Weil mich solche Themen, Themen wie Partnerschaft, problembeladene Partnerschaft, die sehr langwierig sein können, und so komplex noch dazu, mich letztendlich einfach langweilen. Was kümmern mich Partnerschaftsprobleme anderer Leute? Das ist auch der Grund, weshalb ich keine Liebesromane lese. 
Doch weshalb habe ich mir das Buch denn dann gekauft? Weil ich immer neugierig bin, wie ein ausländischer Autor sein Land und sein Leben darin beschreibt. Das allein hat mich neugierig gemacht.

Interessant fand ich die Idee, wie das Paar in dem Buch die Eheprobleme angeht. Schwer zu durchschauen und keineswegs nach so einem billigen Muster gemacht.

Giano, Universitätsprofessor, schreibt ein Buch. In dem Buch kommen alles Leute darin vor, mit denen er im wirklichen Leben zu tun hat. Allerdings stehen diese Figuren alle unter einem Pseudonym. In dem Buch tauchen hauptsächlich Sexpartner auf, die seiner Frau und seine eigenen. Beide, er und seine Frau Clarissa, lieben sich einerseits, andererseits scheinen sie in ihrer Ehe (sexuell) nicht ausgefüllt zu sein. Clarissa hat überhaupt keine Probleme, all die Figuren in dem Buch zu identifizieren. Auch sich selbst findet sie wieder. Das ist wohl Gianos Absicht, dass die Figuren leicht zu durchschauen sind. Seine Feder ist sein Speer.

Die Erzählperspektiven wechseln sich ab zwischen Giano und Clarissa in der Reihenfolge.

Giano und Clarissa reden nicht über ihre Eheprobleme, sondern sie versuchen, es mit sich alleine auszumachen. Beide sind zwar eifersüchtig, behalten es aber für sich. Giano lässt sein Buch offen liegen, als sei es Absicht. Er möchte, dass seine Frau darin liest und sie die Wahrheit über seinen Seitensprung mit Irina erfährt. In umgekehrter Folge zeigt er ihr, dass auch er Bescheid weiß über Clarissas Sexpartner Zandel, der von Beruf Architekt ist. Clarissa liest in dem Buch, aber sie behält es für sich und Giano fragt sich abends, ob Clarissa aus dem Buch gelesen hat? Was ist denn nun Fiktion und was ist Realität? Beides ist so miteinander verwoben, dass es schwierig ist, diese beiden Welten auseinanderzuhalten. Das wird Clarissa am Schluss zum Verhängnis. 
Wir werden nie wissen können, Giano und ich, an welchem Punkt wir mit unseren gegenseitigen Treuebrüchen sind, denn über dieses Thema gibt es keinen Dialog zwischen uns (…). Wir haben 20 Jahre in fester häuslicher Toleranz zusammengelebt und können nun nicht, nach so langer Zeit, damit beginnen, Selbstkritik zu üben und uns alles frei heraus ins Gesicht zu sagen, wie gewisse Freunde unserer Generation, die alle sehr schlecht geendet haben, mit Nervenkrisen und Rechtsanwälten. Auf Giano und mich weist man hin als ein vorbildliches Ehepaar und wir dürfen die Welt nicht enttäuschen. (210)
Giano macht hin und wieder mal den Versuch, das eine oder das andere auszusprechen, aber er bereut es schnell wieder:
Ich sage etwas und gleich dann bereue ich, es gesagt zu haben. Auch ich habe meine Verzweiflungsmomente und von Zeit zu Zeit verstecke ich mich im Badezimmer und Weine-ohne Tränen und ohne Worte. Die Worte dazu leiht mir ein alter italienischer Dichter in einem verblichenen Buch, das ich zufällig geöffnet habe, als ich die Bibliothek in Ordnung brachte. Der Dichter teilt seine Verzweiflung mit der ganzen Welt und sieht, wie die Sterne, der Mond und die nächtlichen Rufe den Tod seiner Liebsten beweinen. (215)
Welch ein Tau
Oder Weinen in jenen
Vom hellen Antlitz der Sterne,
Vom Mantel der Nacht versprühten Tränen?
Und warum groß
Der weiße Mond
Ein reines Gewölk kristallener Tropfen
Dem feuchten Gras in den Schoß?
Warum in dunkeler Luft wie Klage
Tönte, tönte es rings
Vom Wehen der Windel bis hin zum Tage?
Zeichen vielleicht, daß du
Dich wegbegeben,
O meines Lebens leben? (215) 
Giano ist also ein Mensch, der mit Hilfe von Literatur versucht, sich emotional zu reinigen.

Clarissas sexuelle Gefühle sind fast unersättlich. Sie versteht sich selbst nicht, und befürchtet, sich zu einer Nymphomanin zu entwickeln. Ihr sexueller Partner namens Zandel ist an Krebs erkrankt und liegt im Sterben. Sie flüchtet dadurch in eine andere sexuelle Beziehung, wie von Giano schon erwartet. Es ist ein junger Student ihres Mannes. Doch tief in ihr macht sich eine starke Trauer um den Verlust Zandels breit. Um die Trauer nicht zu spüren, wird sie richtig süchtig nach Sex, der ihr unbewusst helfen soll, negative Emotionen auszuleben, bzw. sie rauszulassen.

Sie weiß, dass es Zandel bald nicht mehr geben wird. An diesen Gedanken muss Clarissa sich langsam gewöhnen. Sie stellt fest, dass nur die echten Personen sterblich sind, während die fiktiven dagegen unsterblich. Im Folgenden ein Zitat aus der Sicht Clarissas, das mir sehr gut gefallen hat, weil es einfach auch der Tatsache entspricht.
Bekanntlich haben viele Schriftsteller sich für ihre Romane von wirklichen Personen anregen lassen. So kommt es auch, daß die erfundenen Personen sehr viel langlebiger sind als ihre leibhaftigen Modelle. Die menschlichen Modelle der Romane und Erzählungen etwa von Thomas Mann oder Italo Svevo-seit vielen Jahren sind sie nun bereits tot, während ihre jeweiligen literarischen Figuren sich auf den Buchseiten noch immer bester Gesundheit erfreuen. Ich weiß nicht, wie lange es Gianos Roman geben wird, aber wenn er wirklich gedruckt wird, hat das gedruckte Papier eine längere Lebenszeit als Zandel (…) aber vermutlich auch länger als wir, die wir eine normale Lebenserwartung haben. Armer Zandel und auch wir Armen, die wir weder einen Thomas Mann noch Italo Svevo haben, die uns bequem und auf längerer Dauer in irgendeinem schönen Buch unterbringen. Und du sollst ja nicht glauben, dass ich meinen Mann verachte, weil er nicht Thomas Mann oder Italo Svevo ist.
Diese neue Beziehung mit dem jungen Studenten durchschaut Giano ebenfalls und dichtet dieser Person eine epidemische Krankheit an, die zum Ende der Beziehung führt. Als Clarissa dies liest, wirft es sie dermaßen aus der Bahn, dass ich nun aufhören möchte, weiter darüber zu erzählen.

Das Ende fand ich richtig Klasse, wie Giano sein Buch zum Abschluss gebracht hat, und unter welchem Einfluss Clarissa dadurch stand.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Das Thema ist literarisch anspruchsvoll, es hat Tiefe, die Sprache ist recht fantasievoll und ist frei von Klischees. 
Dass mir die Thematik nicht so sehr auf dem Herzen gelegen hat, ist schließlich nicht die Schuld des Autors. 
______
Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

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