Dienstag, 17. Juni 2014

Eileen Chang / Das Reispflanzerlied (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich recht betroffen gestimmt, wobei mir die historischen Ereignisse Chinas nicht unbekannt waren. Trotzdem, diese Unmenschlichkeit in der Politik stimmt mich immer wieder aufs Neue betroffen und nachdenklich. Erstaunlich, zu welchem primitiven Verhalten das Volk getrieben wurde.  Menschlichkeit wurde ihnen mit rigiden Erziehungsmethoden ausgetrieben. Damit sind jetzt nicht nur die Kinder gemeint, auch erwachsene Menschen sind umerzogen worden. Die Menschen wurden einem verzweifelten Existenzkampf ausgesetzt.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein.
China, 50er Jahre: Der junge Bauer Jin'gen und seine Frau kämpfen ums Überleben, aber auch um ihre Hoffnung, die sie mit dem Aufbruch in den Kommunismus verbanden. Unversöhnlich prallen Staat und Individuum aufeinander, und es beginnt ein makabrer Totentanz. Eileen Chang erzählt einfühlsam und menschlich ein modernes Drama. Seit der Bodenreform ist der Bauer Jin'gen sein eigener Herr, doch die Ernte reicht kaum, um ihn und seine Familie zu ernähren. Als der Landbevölkerung eine Sonderabgabe zugunsten der heldenhaften Soldatenfamilien aufgezwungen wird, steht ihre Existenz auf dem Spiel: Die Bauern werden elendig verhungern, wenn sie der Partei folgen- jener Partei, von der sie sich so viel erhofft hatten. In ihrer Not wagen die Dorfbewohner das Unmögliche, den Aufstand gegen die Machthaber- mit katastrophalen Folgen. 
Im Anhang gibt es eine recht gute Dokumentation dazu zu lesen. 

Die Autorin verfügt über eine recht poetische, metaphorische Sprache, von der ich sehr angetan war.

Gleich auf der siebten Seite bekommt man eine Welt Chinas vorgestellt, die sehr ärmlich ist und in der die Sonne alt geworden sei. Die gealterte Sonne ist für mich ein Symbol dafür, dass das Volk schon recht lange unter seinen Problemen zu leiden hatte. Die Menschen befanden sich politisch zwischen dem Sozialismus und dem Kapitalismus. Konterrevolutionäre wurden hart bestraft.

Wenn ein Paar vermählt wurde, so mussten sie den Grund für die Wahl der Partnerschaft angeben. Die Antwort durfte niemals lauten, dass es eine Liebesheirat werden solle, sondern die Arbeit und die Tüchtigkeit des Partners, der Partnerin sollte im Vordergrund stehen.
„Weil er oder sie gut arbeitet." So hatte man es ihnen aufgetragen, denn jede andere Antwort hätte nur lästige Fragen und womöglich Unannehmlichkeiten zur Folge gehabt. (13)
Der Versuch, die Menschen kommunistisch zu leiten, ist vollends gescheitert und eigentlich eher eine böse Farce. Den Menschen wurden nur Versprechungen gemacht …

Im eigenen Land konnten die Menschen nicht reisen, wie sie wollten. Sie brauchten für alles eine Reisegenehmigung.

Die Menschen waren so arm, obwohl der Kommunismus versprochen hatte, z. B. alle Lebensmitteln mit anderen etc. zu teilen. Und wer nichts zu teilen hatte, vor allem an die Milizionäre, der wurde gezwungen, sich Güter und Bares zu leihen. Ziemlich makaber. Wobei das Teilen recht einseitig war. Z.B. die Milizionäre nahmen sich einfach, was sie brauchten. 
Im Folgenden ein kleiner Dialog einer Familie im Austausch über die Armut:
Ihr seid nicht die Einzigen, die zu leiden haben. Bei uns ist es noch viel schlimmer. Unser Schwein muss dran glauben. Und weil wir kein Geld haben, zwingt man uns, bei Verwandten zu borgen.
Jeder achtete auf den anderen. Es gab keine Privatsphäre mehr, jeder kontrollierte das Verhalten und den Besitz seines Nachbarn. Wer davor noch keine Paranoia hatte, der wird spätestens in solch einer Gesellschaft paranoid. Die Politik macht Menschen zu Unwesen. Selbst Angehörige lebten gegenüber ihren Verwandten arg misstrauisch. Es herrschte eine große Angst, sich mitzuteilen. Sie lebten nach dem chinesischen Sprichwort: Einen Flaschenhals kann man verkorken, aber einen Mund nicht. Jeder wurde dem anderen Feind statt Freund. Sie bezahlten im schlimmsten Fall mit dem Leben, sollten sie sich nicht an die Gesetze halten. Viele Menschen litten so stark an Hunger, dass sie, wenn möglich, versteckt gierig Nahrung zu sich nahmen. Sie mussten sogar á la Big Brother bei offener Tür wohnen, denn sonst hegte man den Verdacht, dass Besitz verheimlicht und versteckt gehalten wurde. Es ging sogar so weit, dass jeder in die Teller seiner Nachbarn blicken konnte. Wer mehr besaß, aber nichts abgab, wurde denunziert. Es gab Menschen, die über mehrere Lebensmittel verfügten, weil sie z.B. in der Stadt hart dafür gearbeitet hatten. Dennoch mussten sie sich ärmlich ernähren, sonst hätte man ihnen den Überschuss an Lebensmitteln weggenommen. Diese Leute mussten die Armut vortäuschen.
Im schlimmsten Fall würden sie Zigarettenkippen von der Straße auflesen, die sie zu neuen Zigaretten drehen konnten, würden Mülleimer nach Brauchbarem durchwühlen oder Fahrzeugen über die Steigung der Brücken hinweghelfen, vielleicht sogar betteln oder hin und wieder Lebensmittel aus Einkaufskörben stibitzen (54).
Es gab einen Lehrer namens Gu, der den Auftrag erhielt, eine Winterschule zu betreiben. Gu war ursprünglich Journalist. Ich gebe nun einen kleinen Dialog wieder, zwischen Gu und dem Kader Wang. Wang ist gegenüber dem einfachen Volk Kader und gegenüber dem Lehrer Genosse: 
„Genosse Wang, gibt es hier in der Nähe einen Damm?"
"Einen Damm?", wiederholte Wang überrascht, als der Bericht über seine Karriere als Zeitungsmann so unvermittelt abgewürgt wurde. "Nein, wieso? Möchtest du einen Damm besichtigen?" An dem plötzlichen Interesse und dem breiten Lächeln seines Gegenübers erkannte Gu, dass Wang misstrauisch geworden war. „Nein, ich dachte nur, dass ein Damm vielleicht helfen könnte, sommerlichen Überschwemmungen Einhalt zu gebieten."
"Der Fluss tritt nie über die Ufer."
"Aber eigentlich sollte er das", erklärte Gu. Ich überlege gerade, ob man daraus eine Geschichte entwickeln könnte."
"Ja, aber …"  Wang starrte ihn verwundert an. "Warum solltest du eine erfinden, wo es doch in diesen großartigen Zeiten überall reale Geschichten gibt?" (111f)
Muss man dazu noch was sagen?

Gute Autoren haben es im heutigen China noch immer schwer, sich als Schriftsteller zu etablieren. Viele leben bei sich zu Hause im Exil, indem sie Ausgangssperre aufgedrückt bekommen, andere flüchten ins Ausland.

Das Buch endet sehr tragisch.

Es erhält von mir zehn von zehn Punkten. 

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Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
 solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

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