Sonntag, 27. April 2014

Elizabeth Strout / Mit Blick aufs Meer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
In Crosby, einer kleinen Stadt an der Küste von Maine, ist nicht viel los. Doch sieht man genauer hin, ist jeder Mensch eine Geschichte und Crosby die ganze Welt. Und Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathelehrerin, sieht sehr genau hin. Sie kann stur und boshaft sein, dann wieder witzig, manchmal sogar eine Seele von Mensch. Auf jeden Fall kommt in Crosby keiner an ihr vorbei … Mit liebevoller Ironie und feinem Gespür für Zwischenmenschliches fügt die amerikanische Bestsellerautorin die Geschichten um Olive und Crosby zu einem unvergesslichen Roman.
Olive Kitteridge ist die Heldin dieses Romans. Sie ist Mathematiklehrerin an einer Highschool gewesen, und mittlerweile pensioniert und lässt kein gutes Haar an den Charakteren ihrer Mitmenschen. Ist sehr eigen und recht kritisch im Urteil zu anderen Leuten. Selbst ihr eigener Ehemann Henry, Apotheker von Beruf, und der recht diplomatisch auf ihre Launen zu sprechen war, konfrontierte sie einmal mit ihren Schwächen und fragte sie, ob sie sich erinnern könne, jemals einem Menschen um Verzeihung gebeten zu haben … Ja, Olive ist ein wenig eigen, hin und wieder ein wenig destruktiv im Urteil, dennoch war sie eine interessante Persönlichkeit.

Henry und Olive haben einen Sohn, Christopher, der recht schüchtern war, hauptsächlich geprägt durch seine dominante Mutter. Es vergingen Jahre, nachdem Chris erwachsen wurde, bis er schließlich eine Frau fand, die er auch heiratete. Olive und Henry hatten dem Sohn einst ein Haus gebaut, nah am Meer, und sich beide die Zukunft mit ihm, mit der angehenden Schwiegertochter und den Enkelkindern ausgemalt, doch der Sohn zog von der Ortschaft seiner Eltern fort. Christophers Ehe ging in die Brüche, doch er heiratete neu und in diesen Szenen erfährt man mehr über die marode Beziehung zwischen Chris und seiner Mutter und den Grund seines Fernbleibens seiner Heimatstadt. Da ich nicht zu viel vorwegnehmen möchte, halte ich mich hierin bedeckt.

Henry war verglichen mit seiner Frau Olive eine recht umgängliche und gutmütige Persönlichkeit und besaß eine wesentlich höhere Toleranzgrenze andersartigen Menschen gegenüber. Einem Bekannten, dessen Tochter homosexuell ist und er schwer daran zu knabbern hat, riet er, dass man die Kinder so nehmen müsse, wie sie sind. Doch als sein Sohn Christopher von der ersten Ehe geschieden wurde, erleidet Henry kurze Zeit darauf einen Schlaganfall, dem er kurze Zeit später erlag. Olive vermutete, dass er Christophers Scheidung nicht verkraftet habe.

In dem Buch treten nicht nur Familie Kitteridge auf, nein, jede Menge andere Persönlichkeiten nach jedem neuen Kapitel, die ebenfalls ihre Geschichten mitbringen und erzählen. Manchmal war mir das zu viel, die Gesichter von Kapitel zu Kapitel wieder fallen zu lassen, weil wieder neue hinzukamen, und alte nicht wieder aufgetreten sind. Die Zeitsprünge waren mir manchmal zu schnell. Hätte mich gerne noch ein wenig mit bestimmten Figuren befasst …

Olive durchlebt nach dem Tod ihres Mannes und der Ferne ihres Sohnes eine große Einsamkeit. Sie lernt einen Mann ihres Alters kennen, der ebenfalls Witwer ist:

Ein Zitat möchte ich dazu anbringen, ein Zitat, das mir am besten gefallen hat, Gedanken, die Olive zur Weisheit führten:
Was doch die Jungen alles nicht wussten, dachte Olive, als sie sich neben diesen Mann legte und er sie an der Schulter berührte, am Arm, oh, was die Jungen alles nicht wussten. Sie wussten nicht, dass unförmige, alte, Körper so hungrig waren wie ihre eigenen festen Leiber; dass Liebe nicht leichtsinnig abgewiesen werden durfte, als wäre sie ein Törtchen mit einem Teller voller Süßigkeiten, der immer wieder herumgereicht wird. Nein, wenn Liebe zu haben war, dann griff man entweder zu, oder man griff nicht zu. Und ihr Teller war randvoll gewesen von der Güte Henrys, aber sie hatte darüber die Nase gerümpft, hatte immer wieder entnervt ganze Brocken weggeworfen, alles nur, weil sie nicht begriff, was eigentlich jeder Mensch begreifen sollte: dass so Tag um Tag unter den Fingern zerrann.(…) Sie ließ die Augen zu, und durch ihr müdes Hirn rollten Wellen der Dankbarkeit - und der Trauer. Hinter ihren Lidern sah sie das sonnige Zimmer, die sonnenübergossene Mauer draußen, den Lorbeer. Ein Rätsel, diese Welt. Noch war sie nicht fertig mit ihr. (475f) 
Hier beende ich nun meine Aufzeichnung und das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten. Manche Szenen waren mir nicht einleuchtend genug, speziell der Überfall im Krankenhaus.
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

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