Mittwoch, 30. Januar 2013

Sam Savage / Firmin (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat schon literarischen Anspruch, aber so richtig gefallen hat es mir nicht, wobei die Idee mit der lesenden Ratte recht originell ist.
Wie aus dem Klappentext im unteren Post zu entnehmen ist, kommt die Ratte Firmin zusammen mit ihren Geschwistern unten im Keller einer Bostoner Buchhandlung zur Welt. Es ist ein Rattenjunges zu viel geboren, da nicht genug Zitzen zum Milchsaugen zur Verfügung stehen. Firmin scheint das schwächste Neugeborene zu sein, wird von seinen Geschwistern von dem Bauch der Mutter weggestoßen. Firmin lernt Außenseiter zu sein, der nur die Reste abbekommt. Erst wenn die anderen satt sind, versucht Firmin es erneut, an Milch dranzukommen. Firmin fraß in der Bibliothek oft die Buchseiten, bis er den Wert eines Buches zu erkennen und zu schätzen lernte.

Firmin wächst zu einer ganz persönlichen Rattenpersönlichkeit heran. Er erkundet alle Räume in dem Haus, geht auf Exkursionen innerhalb der Stadt, besucht sogar ein altes Theater mit dem Flair eines Showbusiness. Er begeistert sich für Literatur, und, nachdem er autodidaktisch Lesen gelernt hat, studiert er sämtliche Bücher in der Buchhandlung. Ein Buch von mehr als vierhundert Seiten liest Firmin an einem einzigen Tag. Er entdeckt die literarische Welt der Menschen, denn selten gibt es Bücher, in denen Ratten auftauchen, mit wenigen Ausnahme, wie z.B. das Buch von Albert Camus "Die Pest", oder das Buch, geschrieben eines noch unbekannten Autors namens Jack, der Ratten gerne mag, auch reell, wie man das auf den späteren Buchseiten mitbekommt. Andererseits mag Firmin gar keine Rattenliteratur:
Die einzige Literatur, die ich nicht ausstehen kann, ist Rattenliteratur einschließlich der Mäuseliteratur. Ich verabscheue die gutmütige alte Ratte In der Wind in den Weiden. Mickey Mouse und Stuart Little finde ich zum Kotzen. Lieb sind sie, nett, niedlich-und stecken mir im Hals wie Fischgräten. 57
Etwas später wird deutlich, weshalb Firmin Rattenliteratur gar nicht mag. Er mag sich noch nicht mal als Ratte... . Durch den Bücherkonsum gerät er in eine Identitätskrise und sehnt sich danach, Mensch zu sein, da die Menschenwelt wesentlich interessanter sei als die Welt der hässlichen Ratten.
Firming - der Schädling. Doch die Einzelheiten - kein Kinn, spitze Nase, gelbe Zähne usw. - waren nichts gegen den Gesamteindruck >hässlich<. Schon damals, als mein Schönheitsbegriff über Tenniels Illustrationen, zu Alice  im Wunderland noch nicht hinausreichte, wusste ich ganz genau, dass da war hässlich. (…) Von diesem Tag an tat ich alles, um meinem Spiegelbild auszuweichen. Es war leicht, sich von Spielen fernzuhalten, Fensterscheiben und verchromten Radkappen waren etwas anderes. Wann immer ich mich in einer reflektierenden Fläche entdeckte, war ich zutiefst erschrocken, als wäre ich einem Monster begegnet. Natürlich registrierte ich im nächsten Moment, dass dieses Monster ich selbst war, und eine unbeschreibliche Verzweiflung überkam mich. Ich versuchte es mit einem kleinen Trick. In dieser Situation dachte ich ich nicht mehr: das bin ich, und wollte in Tränen ausbrechen, sondern das ist er, und rannte weg.61
Über manche Begriffe bin ich gestolpert, zum Beispiel über den Begriff Biblio-Bulimie, lol.

Firmin wundert sich, weshalb es in dem Haus nicht noch andere Ratten leben und gibt sich folgende Erklärung:
Vielleicht war das ja der Grund, weshalb keine Ratten mehr da waren. Bevor der Laden eine Buchhandlung wurde, war er womöglich ein Lebensmittelgeschäft gewesen oder eine Bäckerei, jetzt war nur noch Papier im Angebot. Doch meine geduldige, allnächtlicher Erforschung dessen, was mir wie eine Kilometer lange Röhrenanlage vorkam, trug mir Belohnungen ein, die mir wesentlich lieber waren als Lebensmittel. 37
Während des Tagesgeschäfts hält sich Firmin versteckt im Laden auf, und beobachtet die vielen Kunden, die sich für die Bücher interessieren.
Sie nahm sich Zeit. Sie nannten das Stöbern, doch es erinnerte eher an Ausgrabungen oder den Bergbau. Mich wunderte, dass sie keine Schaufeln mitbrachten. Mit bloßen Händen wühlten sie nach Schätzen, versanken manchmal bis zu den Achselhöhlen. Fanden sie in einem Haufen Ramsch eine literarische Kostbarkeit, waren sie erheblich glücklicher, als wären sie nur kurz hereingekommen und hätten sie gekauft. 40
Diese Textstelle hat mir doch auch recht gut gefallen.  Sie nahm sich Zeit. Sie nannten das Stöbern, doch es erinnerte eher an Ausgrabungen oder den Bergbau. Mich wunderte, dass sie keine Schaufeln mitbrachten. Lol.

Während Firmin Bücher entdeckt und langsam aufgehört hat, an den Seiten zu nagen, weil er sonst nichts zu Essen hatte, nimmt man als LeserIn an der Entdeckungsfreude dieser Ratte teil. Die meisten Autoren, die Firmin findet und liest, sind mir bekannt gewesen. Firmin geht völlig auf in der Welt der Literatur auf, hat sie in sich schon quasi gespeichert.

Als die Rattenmutter nach ihrer Futtersuche wieder zurück zu ihren Kindern kam, hatte sie nicht viel Nahrung dabei. Das meiste hatte sie selber gefressen, und wenig für ihre Kinder übrig gelassen  Zumindest, dass es nicht für alle reichte. Für Firmin blieb gab es nur ein einziges Salatblatt, und es schmeckte ihm wie Jane Eyre. Lol.

Firmin findet eine Schreibmaschine und hält diese für ein Musikinstrument, (lol) und er war ziemlich überrascht. Als er herausfand, dass man mit der Maschine Wörter schreiben konnte, wurde er ziemlich aufgeregt, unruhig:
Obwohl nirgends eine Schreibmaschine stand, auf die ich meine Pfoten legen konnte, löste allein die Vorstellung eine wahre Bilderflut aus. Ich sah mich schon kluge, getippte Notizen im Laden verteilen, damit Normen sie fände und sich verstört nach der Herkunft fragen würde. In meinen Träumen entdeckte er sie, kratzte sich am Kopf und hinterließ kleine Botschaften als Antwort. 113
Wie man an seinem Traum erkennen kann, sehnt sich Frirmin danach, sich mit dem Bibliothekar Norman anzufreunden, damit sich ihm die Möglichkeit aufwies, mit Norman interessante Gespräche über Literatur zu führen. Einmal wurde Firmin von Norman ertappt, und Firmin war ganz aufgeregt und war sich sicher, dass Norman nichts gegen ihn haben würde und ihn als Mitglied seiner Buchhandlung akzeptieren würde. Doch die Ernüchterung kam kurze Zeit darauf. Norman besorgte Rattengift und stellte es in den Räumen auf. Er wusste nicht, dass Firmin lesen konnte. Und als Firmin den Sack mit Rattengift entdeckte, war er furchtbar enttäuscht. Norman wollte die Ratte vergiften, statt ihn zum Freund haben zu wollen.

Er findet einen anderen Freund, und zwar Jack, der noch unbekannte Schriftsteller, er nahm Firmin bei sich auf, als er sich an seinen Pfoten verletzt hatte. Jack wohnte im selben Haus der Buchhandlung, so dass Firmin weiterhin sich in der Buchhandlung aufhalten konnte, meist, wenn Jack nicht zu Hause war.

Ich hatte mir überlegt, welches Schicksal Firmin am Ende des Buches ereilt, als nämlich Jack lebensgefährlich erkrankt, und in Boston sämtliche alte Geschäfte heruntergerissen wurden, auch die Buchhandlung musste daran glauben und Firmin in eine Depression geriet, weil sie sich weigerte, so zu leben wie alle anderen Ratten lebten. Ich dachte, sie würde von einer Katze gejagt und aufgefressen werden, und dadurch ihr tristes Leben ein Ende setzen, da sie ja selbst auch Suizidgedanken hegte. .

Hier mache ich nun Schluss. Ich will ja nicht alles verraten.

Wie viele Punkte gebe ich dem Buch? Acht von zehn. Und für das, dass es mir nicht besonders gut gefallen hat, sind das recht viele Punkte. Mir ist der Anspruch an Literatur recht wichtig, und diesen Anspruch hat das Buch erfüllt. Dass es mir nicht sonderlich gut gefallen hat, ist ja nicht die Schuld des Autors.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

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