Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre
Zu Beginn des Buches war ich arg irritiert von den vielen Schreibfehlern, doch später wurde mir klar, dass die Fehler von
dem fünfjährigem Kind Jack,
der Ich-Erzähler, stammen, weil er nicht
sozialisiert ist und dadurch das Sprechen nicht richtig gelernt hat.
Seine Welt besteht tatsächlich nur aus dem neunzehn Quadratmeter großen Raum und die einzige
Bezugsperson ist seine Mutter. Es gibt noch einen Schrank, einen Fernseher, Kochnische, Badewanne und Toilette, Kinderbücher... . Jack hat außer seine Mutter noch nie einen anderen Menschen zu
Gesicht bekommen, mit Ausnahme der Fernsehfiguren... . Aber das ändert sich, bis er Old Nick kennenlernt, mit fünf Jahren erst, den er heimlich aus den Schlitzen des Schrankes beobachtet, als er eines Nachts nicht schlafen konnte... . Solche Beobachtungsnächte wiederholten sich in Folge... , doch von dem Missbrauch bekam er nichts mit. Old Nick kannte er nur aus den Erzählungen seiner Mutter, da dieser die ganzen Bestellungen entgegen nimmt, und auch einlöst... .
Der kleine Jack ist in dem Raum zur Welt gekommen. Der Täter, Old Nick, ist ein Sexualverbrecher,
der für die beiden, wie schon erwähnt, mit allem Lebensnotwendigen versorgt, er die Mutter aber
fast jede Nacht sexuell nötigt. Damit der Kleine nichts von den sexuellen
Praktiken mitbekommt, hat die Mutter ihn von Baby an daran gewöhnt, im
Kleiderschrank zu schlafen, wo sie ihm ein Lager mit einer Kuscheldecke herrichtete... . Wenn
der Täter nachts wieder das Zimmer verlässt, holt sich die Mutter den
Jungen zu sich ins Bett... .
Ein wenig gewöhnungsbedürftig war für mich zu lesen, als Jack im Alter von fünf Jahren noch immer von der Mutter gestillt wurde, aber im Nachhinein fand ich es doch existentiell wichtig, damit er mit den lebensnotwendigen Mineralien, wie z.B. mit Kalzium, versorgt werden konnte... .
Kaum hatte ich die Frage
gestellt, wer der Vater / Erzeuger des Kindes ist, wurde sie auch schon
eine Seite später beantwortet, obwohl man sich das ja auch denken konnte, wobei es ein wenig irritierend ist, dass es der Mutter gelang, Jack so sehr zu lieben, ohne das Kind mit dem Kidnapper genetisch in Verbindung zu bringen... .
Dadurch, dass der
Junge keine andere Welt gesehen hat, als nur den Raum, leidet er
auch nicht darunter, nein, er fühlt sich nicht einmal eingesperrt. Anders
die Mutter, die manchmal zu Depressionen neigte... . Die Mutter versucht dem Kind zu erklären, woher sie komme und wie sie in
den Raum verschleppt wurde... . Für den Jungen sind die Erzählungen
alles nur ein Spiel und vergleicht sie mit den Abenteuern aus den
Kinderbüchern von Alice im Wunderland... . Die Mutter hegt nun Fluchtabsichten und versucht Jack
mit in ihre Pläne einzuweihen, und Jack zu einem praktischen Fluchtpartner trainiert... .
Zur Mitte des Buches hin erlebt
man eine Wende, worüber ich echt froh war, denn ich hätte gar nicht die
Nerven gehabt, so psychothrillerartig vierhundert Seiten lang aushalten zu müssen. Bin absolut kein Krimi Fan, das
Buch ist aber auch kein Psychothriller, wenn sich das erst ein wenig so
liest.
Eine Parallele zu ziehen mit
Kasper Hauser war wohl nicht falsch. Da der Roman kein Psychothriller
ist, geht es also auch viel darum, wie das Leben nach dem Gefängnis
weiter verläuft und ob der kleine Jack Entwicklungsschäden davongetragen habe. Im Buch sind beide ein interessanter Fall für die Experten der Psychologie und der Psychiatrie... . Die Mutter erlebte durch das Kidnapping, mit 19 Jahren wurde sie "gestohlen",
ein richtiges Trauma, anders dagegen Jack, der in dem Raum geboren
und dort seine fünf Jahren verlebte. Die Mutter konnte die Entführung
nur durch den Jungen verkraften und ertragen. Jack selbst erlebte
absolut kein Trauma, im Gegensatz zu seiner Mutter fühlte er sich dort
geborgen und sehnte sich nach der Befreiung nach dem Raum wieder zurück. Dort hatte er seine
Mutter für sich alleine, die Welt war durchschaubar, und der Sexualverbrecher tat ihm nichts zu Leide, bekam
ihn nicht einmal zu sehen, da Jack die Nächte teilweise im Schrank verlebte... .
Also, die späteren Themen,
die sogenannten Themen nach dem Krimiteil, finde ich interessanter, wo Jack und seine Ma klinisch und
psychiatrisch betreut werden. Die Gesellschaft reagiert zwar mitfühlend
aber doch auch mit einer Sensationsgier und betrachtet die beiden als diejenige Opfer, als ob habe es in der Welt noch nie solch ein Verbrechen gegeben, was die Mutter auch verteidigt, und erinnert diese an die tagtäglichen Schlagzeilen, die auf Krieg, Gewalt, Isolation und Missbrauch hinführen, und sich bei diesen Schlagzeilen niemand aufregen würde... . Die Mutter geht vor die Presse,
damit die Paparazzis nicht irgendetwas in das Geschehen der beiden
Opfer hineininterpretieren und das Ganze journalistisch nicht noch mehr aufputschen und erklärt sich bereit,
ihre Erlebnisse öffentlich kundzutun. Die Menschen stellen teilweise
stupide und spießige Fragen, die die Mutter am Ende so überfordern, dass sie nach dem Interview einen starken psychischen Zusammenbruch erleidet... .
Schön fand
ich am Ende des Buches, als die Autorin im hinteren Teil des Romans selbst von Kaspar
Hauser spricht, der seine Gefangenschaft als ein kleines Verlies erlebt
hat, und er dies erst erkennen konnte, als er befreit wurde und er
Deutschland als das große Verlies bezeichnete...:D.
So ähnlich ist es auch bei Jack. Die Gesellschaft brachte absolut nicht die notwendige Geduld mit dem Kind auf und hatte Schwierigkeiten, sich in ihn, in seine Welt hineinzuversetzen... , obwohl sie sehr bemüht war... . Es
wird deutlich, dass der
Mensch nicht nur die Mutter benötigt, um sich weiterzuentwickeln,
sondern auch die Gesellschaft und die unterschiedlichen Institutionen,
in denen er sozialisiert wird, um wichtige Entwicklungsstadien zu
erreichen... . In den Studien der Soziologe weiß man das ja, aber hier
wird es literarisch-empirisch nochmals deutlich und die Theorien werden
bestätigt, ähnlich wie bei Kasper Hauser, der ja niemanden hatte, mit
dem er interagieren konnte..., wobei Jack nicht gestört ist im
eigentlichen Sinne. Er ist ein ganz normaler Junge, der in seiner Welt
"normal" aufgewachsen ist. Auffällig wird er erst, als er die andere
Welt betritt, die ihre eigenen Regeln und Normen besitzt, die für Jack
fremd sind, so wie Jacks Welt für die anderen fremd ist. Demnach muss hier
relativiert werden, und es stellt sich schon auch die Frage, was denn normal ist?
Während Jack sich in der beengten Welt wohl fühlt, fliehen Menschen aus
der äußeren Welt regelrecht davor, weil sie zu viel Nähe einfach nicht
ertragen können... Ist das normal, dass Jack sich in beengten Räumen
wohl fühlt, oder ist es normal, dass andere davor fliehen? Bezogen
sind diese Fragen auch auf menschliche Beziehungen... .
Interessant ist auch zu lesen, wie Jack die Welt im TV erlebt hat. Als er die großen Berge sieht, sagt er zu seiner Mom, dass die Berge für die Welt draußen viel zu groß sein würden. Die würden dort nicht reinpassen :D. Die Mutter erzählte ihm, wieviel größer die Welt draußen wäre, doch Jack hatte trotzdem keine richtige Vorstellung von Raum und Zeit und konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die Berge kleiner als die Welt sei.
Große Probleme zeigte Jack draußen, als er alles wortwörtlich nahm, was die Leute so sprachen. Seine Mutter begann einen Suizidversuch und die Großmutter teilte Jack später mit, dass sie mittlerweile über dem Berg sei. Jacks Reaktion: Wieso ist Mam hinter den Berg gegangen? Was macht sie dort? :D.
Ein anderer sagt: "Das haut mich aber um" und Jack wartet gespannt auf die Reaktion und als diese ausbleibt sagt er: "Ich sehe nichts nach ihm hauen."
Oder eine andere Person: "Das bringt deine Mutter um, wenn sie das hört", so gerät Jack voll in Panik, dass die Mutter getötet wird... . .
So, hier mache ich mal Schluss... .
Da ich ja gewöhnlich meine Buchbesprechungen mit Zitaten belege, ich aber auf fb mich schon so sehr über das Buch ausgelassen habe, scheint nun die Energie verpufft zu sein. Allerdings hatte ich versucht ein Teil des Interview zu zitieren, was mir nicht gelungen ist, da die Zitate zu sehr aus ihrem Zusammenhang herausgerissen werden würden. Bei solch einem Thema wie dieses muss man die Textstellen selber und im Zusammenhang lesen und habe die Zitate wieder herausgenommen... .
Da mir das Buch erst nach der Befreiung so richtig gefallen hat, habe es im Kopf als Teil II eingeteilt, so gebe ich dem Buch acht von zehn Punkten. Der erste Teil ist nicht wirklich authentisch geschrieben... Ein wenig unecht hat es auf mich gewirkt.
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