Montag, 10. November 2014

Isabel Allende / Eva Luna (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite sehr ergreifend geschrieben. Allende schreibt keine gewöhnlichen Liebesgeschichten. Diese sind immer mit einem politischen Hintergrund behaftet, weshalb ich gerne ihre Bücher lese.
Trotzdem gibt es etwas hier zu bemängeln, was mir auch in ihrem Buch Amandas Suche aufgefallen ist. Isabel Allende scheint über ihr Land und über ihren Kontinent recht versiert schreiben zu können, aber über andere Länder äußert sie sich sehr undifferenziert und klischeehaft. Ein wenig enttäuschend ist das für mich schon gewesen, denn nichts bekommt man so leicht aus Menschen wieder heraus wie z.B. Vorurteile, Klischees und Stereotypen. Und wenn reflektierte AutorInnen wie Allende diese in ihren Geschichten noch forcieren, finde ich das recht schwach. Ich möchte nur ein Beispiel nennen:
In diesem vorliegenden Buch gibt es einen sehr gütigen Türken, der in Lateinamerika lebt. Allende bezeichnet diesen Türken als einen Araber, der mit einer jungen hübschen Türkin verheiratet ist. Und dieser Türke bekommt Besuch von seinem jungen Neffen aus der Türkei. Der junge Neffe habe in der Türkei erst sehr spät das Gesicht junger türkischer Mädchen unverschleiert gesehen. Er war sechzehn Jahre alt ...

So und nun mein Einwand. Die Türkei ist kein typisches arabisches Land. Nicht jede Frau trägt dort ein Kopftuch. Die Regierung verbietet sogar das Tragen eines Kopftuches in den Bildungseinrichtungen. Hier differenziert Allende die TürkInnen nicht. Alle AraberInnen scheinen in ihren Augen gleich zu sein. Und man bekommt das Gefühl, sie hat mal etwas über die AraberInnen gelesen, ohne aber sich näher damit befasst zu haben. In ihrem Buch Amandas Suche bezieht sie sich zu den SizilianerInnen ebenso recht einseitig. Sind es nicht die AutorInnen, die diese verzerrten Bilder zu Menschen anderer Länder in die Welt verstreuen? Wer nicht kritisch liest, nimmt diese Bilder ungefragt und unzensiert in sich auf ...

Auch mit verschiedenen Begriffen pflegt sie eine recht saloppe Umgangsweise. Psychiatrien werden von ihr als Irrenanstalten bezeichnet und für schwarze Menschen gebraucht sie noch immer den Begriff Neger

Ansonsten ist das Buch auf die Handlungen und die Figuren bezogen sehr facettenreich.

Nun komme ich zum Inhalt. Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Ihre Mutter hat sie Eva genannt, damit sie Lust aufs Leben habe; und weil ihr Vater, ein Indio mit gelben Augen, zum Stamm der Söhne des Mondes gehörte, heißt sie Eva Luna. Ihr Lebensweg führt sie aus dem Haus des exzentrischen Ausländers Professor Jones in die Unter- und Halbwelt einer lateinamerikanischen Hauptstadt in der Karibikküste. Turbulente Ereignisse katapultieren das junge Mädchen in ein entlegenes Nest in tropischer Stille, wo sie Frieden, bald aber auch sinnliche Unruhe erlebt. Obwohl sie sich, neben der Liebe, eigentlich nur zum Geschichtenerzählen berufen fühlt, wird sie schließlich lebhaft hineingezogen mitten in die Sphäre politischer Gewalt.
Isabel Allende ist eine richtige Geschichtenerzählerin und kreiert in Eva Luna eine weitere Geschichtenerzählerin. In dem Buch tauchen so viele unterschiedliche Geschichten auf, die mir alle recht gut gefallen haben. Und die Figuren sind alle ExzentrikerInnen.
Die Mutter von Eva Luna, namens Counsuelo, war ein Findelkind und wuchs bei den Mönchen auf. Consuelo konnte nie in Erfahrung bringen, woher sie tatsächlich stammt. Diese Biografie zu Consuelo fand ich gleich zu Beginn des Buches schon recht interessant.

Mit der Pubertät schickten die Mönche das junge Mädchen in die Stadt, um als Haushaltshilfe bei Professor Dr. Jones, ein Arzt, angestellt zu werden, damit sie selbst für ihren Unterhalt sorgen konnte. Dr. Jones war eine recht einsame und verschrobene Persönlichkeit, die sich lieber mit ausgestopften Tieren und mit Mumien befasst. Dazu ist er noch Wissenschaftler. Er forscht viel, macht es sich zur Leidenschaft, Tote einzubalsamieren und sie dadurch vor dem Verwesen zu bewahren.

Er ist sehr belesen, das gesamte Haus ist mit Büchern beschmückt:
Das Haus war ein riesiges Bücherlabyrinth. In den Regalen, die sich an den Wänden entlangzogen, waren vom Fußboden bis zur Decke die Wände angehäuft, dunkel eingebunden, nach Leder riechend, glatt und knisternd, wenn man mit der Hand darüber fuhr, mit ihrem Goldschnitt, ihrem feinen, durchschneidenden Papier, ihrem erlesenen Druck. Das kostbarste Gedankengut auf aller Welt fand sich in diesen Fächern, ohne ersichtliche Ordnung aufgereiht, aber der Professor erinnert sich genau, wo er jedes einzelne Buch zu suchen hatte. Shakespeares Werke lagen an der Seite des >>Kapitals<<, die Lebensregeln des Konfuzius standen gleich neben dem >>Leben der Robben<<, die Karten alter Seefahrer lagen neben nordischen Dichtungen und indischer Poesie. 
In so einem Haus würde ich mich auch sehr wohl fühlen.

Counsuelo war sehr angetan von den Büchern. Sie hatte Glück, denn die Mönche brachten ihr Lesen und Schreiben bei, sodass sie abends sich heimlich aus den Regalen immer ein Buch auslieh. Sie war von den Büchern wie verzaubert.
Die Welt des Professors endete am Gartengitter. Drinnen lief die Zeit nach launischen Regeln ab. In einer halben Stunde konnte ich sechsmal die Erdkugel umrunden, und der Glanz des Mondes im Patio konnte meine Gedanken eine ganze Woche ausfüllen. Licht und Schatten verwandelten die Natur der Dinge; die Bücher, tagsüber so reglos still, öffneten sich in der Nacht, damit die Gestalten heraustreten, durch die Zimmer streiften und ihre Abenteuer erlebten; die Einbalsamierten, so demütig und brav, wenn die Morgensonne durch die Fenster schien, wurden im Abenddämmer zu Steinen und wuchsen in der Dunkelheit ins Riesenhafte. Der Raum dehnte sich aus und zog sich zusammen, wie ich es wollte; in der Nische unter der Treppe wirbelte planetarisches System, und der Himmel, vom Rundfenster im Dach aus gesehen, war nur ein bleicher gläserner Kreis. Ein Wort von mir, und schon verwandelte sich die Wirklichkeit. 
Die Icherzählerin ist hier nicht Eva Lunas Mutter, nein, es ist Eva Luna selbst, die ohne dass es der Professor Jones gemerkt hatte, dort still und heimlich und mithilfe der Köchin zur Welt kam.
Im Gegensatz zur Mutter lernte Eva Luna in diesem Haus weder lesen noch schreiben. Doch die Faszination zu den Büchern konnte auch sie als Analphabetin erfassen.

Erst in der letzten Lebensphase nahm Professor Jones das Mädchen wahr, mit dem er sich anzufreunden wusste. Evas Mutter war schon lange nicht mehr am Leben, die Köchin war ihre Patin. Professor Jones verstarb, vermachte ihr zwar sein gesamtes Vermögen, dieses allerdings riss die Kirche an sich, denn der am Sterbebett betende Weihvater führte Professors Bitte nicht aus, Eva nach seinem Ableben das Vermögen zukommen zu lassen. Und Eva ahnte nichts um ihr betrogenes Erbe.
Eva wuchs trotz ihrer mittellosen Herkunft zu einem selbstbewussten und mutigen Mädchen heran. Im Laufe ihres jungen Lebens wechselte sie mehrere Haushalte und ihre Welt füllte sich mit biestischen und arroganten LebensgenossInnen, doch auch mit vielen, die es gut mir ihr meinten und ihr halfen, den richtigen Weg für sie zu finden.
Ich musste einmal sehr lachen. Sie war wieder als ein Dienstmädchen angestellt und diesmal bei einem Staatsminister in einem Haus, das über sanitäre Anlagen verfügte. Trotzdem musste Eva jeden Morgen den Nachttopf ihres Patrons leeren, da er zu bequem war, die Toilette zu benutzen.
Sein Geläut nervte mich. Also stieg ich hinauf, Schritt für Schritt, und bei jeder Stufe wurde ich wütender. Ich trat in das luxuriöse Zimmer, das nach Stall stank, beugte mich hinter dem Stuhl hinab und zog den Topf hervor. Ganz freudig, als täte ich das jeden Tag, hob ich ihn hoch und kippte den Inhalt dem Staatsminister über den Kopf - und schüttelte so mit einer einzigen Bewegung des Handgelenks die Demütigung ab. Er saß wie erstarrt, die Augen quollen ihm aus den Höhlen. 
Sie lernt den Straßenjungen Huberto Naranjo kennen, als sie beide noch Kinder waren. Beide wachsen heran. Nuranjo entwickelt sich zu einem politischen Aktivisten, zu einem Untergrundkämpfer, zählt zum Oberhaupt einer Guerilla-Bande. Er kämpft gegen die Korruption, kämpft für die soziale Gerechtigkeit von Menschen aller Hautfarben und sozialer Herkunft. Er kämpft für die Abschaffung der gesellschaftlichen und hierarchischen Rangordnung in der Form, dass alle Menschen gleichbehandelt werden und alle auf derselben Stufe stehen.

Wie nun die Geschichte für Eva Luna und ihre Helden weitergehen und ausgehen wird, das lest selbst. Das Buch ist zu facettenreich, als dass ich weiterschreiben könnte.

Eines sei noch gesagt, ihr werdet es mit vielen schönen Geschichten, mit vielen interessanten und bedeutenden Figuren zu tun bekommen. Aber auch mit Fieslingen ... 

Das Buch erhält von mir wegen der anfangs erwähnten Dementis sieben von zehn Punkten. Es wären sonst zehn geworden.
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Jedes Böse hat auch sein Gutes.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 76
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Freitag, 7. November 2014

Isabel Allende / Eva Luna

Klappentext
Ihre Mutter hat sie Eva genannt, damit sie Lust aufs Leben habe; und weil ihr Vater, ein Indio mit gelben Augen, zum Stamm der Söhne des Mondes gehörte, heißt sie Eva Luna. Ihr Lebensweg führt sie aus dem Haus des exzentrischen Ausländers Professor Jones in die unter- und Halbwelt einer lateinamerikanischen Hauptstadt in der Karibikküste. Turbulente Ereignisse katapultieren das junge Mädchen in ein entlegenes Nest in tropischer Stille, wo sie Frieden, bald aber auch sinnliche Unruhe erlebt. Obwohl sie sich, neben der Liebe, eigentlich nur zum Geschichtenerzählen berufen fühlt, wird sie schließlich lebhaft hineingezogen mitten in die Sphäre politischer Gewalt.

Autorenporträt
Isabel Allende wurde am 2. August 1942 in Lima/Peru geboren. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil. 1982 erschien ihr erster Roman La casa de los espíritus (dt. Das Geisterhaus, 1984), der zu einem Welterfolg wurde. Der dänische Regisseur Bille August verfilmte den Roman 1993. Allende arbeitete unter anderem als Fernseh-Moderatorin und war Herausgeberin verschiedener Zeitschriften. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. Ihr Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.

Gelesen habe ich von der Autorin:
  1. Amandas Suche 
  2. Das Geisterhaus
  3. Das Portrait aus Sepia
  4. Das Siegel der Tage
  5. Die Insel unter dem Meer
  6. Die Stadt der wilden Götter
  7. Fortunas Tochter
  8. Inés meines Herzens
  9. Mayas Tagebuch
Die Insel unter dem Meer hat mir persönlich am besten gefallen. Nun bin ich auf den hiesigen Band gespannt ... 




Donnerstag, 6. November 2014

Eva Menasse / Vienna

Abbruch

Ich habe das Buch abgebrochen, mir war es definitiv zu langatmig. Mich hat es nach hundertfünfundzwanzig Seiten regelrecht gelangweilt, obwohl mich der Anfang fasziniert hatte, als die Großmutter der Icherzählerin retrospektivisch während ihrer Spielsucht im Kaffeehaus ein Baby zur Welt bringt, das zweite Kind von ihr. Im Kaffeehaus ein Kind zur Welt zu bringen, weil sie aufgrund ihrer Spielsucht so abgelenkt war, dass sie ihre Wehen nicht rechtzeitig wahrnehmen konnte, das muss ja schon eine Kunst sein. Keine Ahnung, ob diese Szene der Wirklichkeit entspricht, oder ob arg übertrieben dargestellt ist, wenn ich mir das Kaffeehaus als Kreißsaal umfunktioniert vorstelle vor all den Leuten, hm. Interessant fand ich diese Szene aber trotzdem. Die Gebärende machte später dem Kindsvater große Vorwürfe, dass sie ihm diese Bälger zu verdanken habe. Hahaha ...

Später wurden die beiden Kinder, zwei Jungen, wegen des Nationalsozialismus von Wien aus nach England zu Pflegeeltern verschifft, um sie vor den Nazis zu schützen. Der Vater der Kinder, der Großvater der Icherzählerin, war Jude. Das fand ich auch noch interessant, aber später war mir das Thema schon recht schnell ausgereizt. Die Icherzählerin erzählt, erzählt und erzählt und für eine Erzählung ist das Ganze auf knapp sechshundert Seiten für meinen Geschmack definitiv zu lang. Verstehe nicht, weshalb das Buch als Roman deklariert wird und nicht als eine Erzählung. Wegen der vielen Seiten? In der Regel sind Erzählungen tatsächlich viel kürzer ...
Mir hat der Erzählstil nicht zugesagt.

Ich beginne heute mit einem weiteren Buch von Isabel Allende ...
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Wir Menschen sind alle gleich, doch wir sehen nicht alle gleich aus.
(Eva Menasse)

Gelesene Bücher 2014: 75
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86






Dienstag, 4. November 2014

Eva Menasse / Vienna

Klappentext
Ein großer Familienroman, der anekdotisch, lebendig und eindringlich vom Geschick eines jüdischen Familienclans in Wien erzählt. Sei es Königsbee, der noch jede Redewendung verballhornt hat, sei es die Mutter, die überm Kartenspiel beinahe die Geburt des Sohnes versäumt – die Lebensfäden der verschiedensten Menschen werden über räumliche Trennung hinweg, durch die Schrecken der Naziherrschaft und über die Familienstreitereien nach dem Krieg zusammengeführt im charmanten Wien der Kaffeehäuser.

Autorenporträt
Eva Menasse, geboren 1970 in Wien, begann als Journalistin beim österreichischen Nachrichtenmagazin »Profil«. Sie wurde Redakteurin der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und begleitete den Prozess um den Holocaust-Leugner David Irving in London. Nach einem Aufenthalt in Prag arbeitete sie als Kulturkorrespondentin in Wien. Sie lebt seit 2003 als Publizistin und freie Schriftstellerin in Berlin. Ihr Debütroman »Vienna« sowie ihr Erzählungsband »Lässliche Todsünden« waren bei Kritik und Lesern ein großer Erfolg. Für »Quasikristalle« wurde sie mit dem Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln ausgezeichnet.
Die Autorin ist mir unbekannt, betrete somit Neuland. Habe ein paar Seiten gelesen, und bin gespannt, ob sich meine Eindrücke bis zum Ende des Buches hin halten werden.




Montag, 3. November 2014

Hans Fallada / Der Alpdruck (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Lesen mit Anne ...

Das Buch habe ich nun durch. Ähnlich wie Anne war auch ich schnell in der Geschichte drin. Und auch in dieser Geschichte bin ich über so viel Unmenschlichkeit gestolpert, und es war die Unmenschlichkeit, die mich entsetzt hat. Diesmal schreibt Fallada über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit bis 1946. Anfangs war ich sehr gespannt, ob die beiden Protagonisten Herr Dr. Doll und seine Frau diese schweren Zeiten überleben werden. Ich war eifrig am Lesen und voller Erwartung, es mögen sich doch irgendwie bessere Zeiten auftun, da ja nun der Krieg vorbei war.

Fallada selbst war ein Morphinist, was sich auch in diesem Band widergespiegelt hat, wobei mir diese Szenen mit dem exzessiven Morphiumkonsum ein wenig verzerrt vorkamen, denn die Dosis war so hoch, das hätte ihnen in Wirklichkeit das Leben gekostet. Ich verweise auf das Buch ...

Nach meinem Geschmack war das jetzt nicht der beste Band, den ich von Fallada gelesen habe, vielleicht bin ich ja jetzt ein wenig von seinen Büchern resistent geworden, da die Themen immer mit denselben Symbolen besetzt sind und mich dadurch nichts mehr überraschen kann. Aber wie sollte Fallada anderes schreiben? Das genau waren ja die Themen seiner Zeit.

Fallada ist nur dreiundfünfzig Jahre alt geworden. Er starb an einer Herzschwäche, was mich nicht gewundert hat. Ein sehr sensibler Mensch und Autor, der am gebrochenen Herzen einfach sterben musste.

Ein paar Zitate habe ich mir wieder markiert, doch zuvor gebe ich zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Berlin, Stunde null – ein bedeutender Fallada April 1945: Der Krieg ist vorbei, doch nachts verfolgen den Schriftsteller Dr. Doll Träume vom Bombentrichter, der ihn nicht freigibt. Er will etwas tun gegen den Alpdruck der Mitschuld, doch er kann es niemandem recht machen als Bürgermeister einer Kleinstadt, eingesetzt von der Roten Armee. Er stiehlt sich fort und flüchtet in den Drogenrausch. Im Chaos des zerbombten, nur auf dem Schwarzmarkt funktionierenden Berlin entgleitet ihm seine junge, morphiumsüchtige Frau, und er hat, um zwei Leben zu kämpfen, als er zaghaft beginnt, wieder an eine Zukunft zu glauben.
Eine schwere Zeit, selbst dann noch, als der Zweite Weltkrieg vorbei war. Die Waffen schweigen, die Bomben schweigen, und die Panzer rücken ab. Man müsste sich darüber freuen. Das können die Menschen aber nicht. Die sozialen Nöte sind noch lange nicht überstanden. Armut, Wohnungsmangel, Lebensmittelknappheit, auch die Menschlichkeit ist den Menschen abhandengekommen. Und das alles in einer kalten und nassen Jahreszeit, sodass die Mängel nochmals potenziert erscheinen. Die einen sind mutig, und nehmen sich das Leben, die anderen sind auch mutig, indem sie sich entscheiden, am Leben zu bleiben …

Der Krieg und was danach kommt nimmt den Menschen die letzte Würde. Fallada schreibt am Schluss vom kranken Herzen Deutschlands, das wieder genesen müsse.

Selbst wenn der Krieg vorbei ist, sind die Ausmaße und die Wirrungen nicht mitbeendet. Der Nationalsozialismus ist längst nicht aus dem Inneren der Menschen verbannt. Viele trauern Hitler nach, der doch alles besser machen würde, wäre er doch nur noch am Leben.
Wie oft hörte Dr. Doll die Worte: "Ja unter dem Führer gab es dies und jenes viel reichlicher-!" Ihnen allen, und vielen darunter, die früher keine Nazis gewesen waren, schien plötzlich die Zeit unter der Hitler Tyrannei wie eine gelobte, wie eine gute Zeit. Die Schrecken des Krieges mit seinen Bombennächten, die in Blut und Tod gesandten Männer und Söhne, die Schändung Unschuldiger - all das war schon wieder vergessen. Sie rechneten nur, dass sie früher ein wenig mehr Brot oder Fleisch bekommen hatten. Sie schienen unverbesserlich, manchmal war es fast unerträglich, unter ihnen zu leben; (260). 
Ich dachte, mich verlesen zu haben, als Fallada den Begriff Nazismus nach dem Krieg bei den Leuten noch weiter gebrauchte. Meint Fallada wirklich den Nazismus? Oder doch eher Narzissmus? Aber der Begriff Narzissmus wäre hier fehlbesetzt. Nein, er meint tatsächlich den Nazismus. Hat nicht Hitler den Krieg begonnen und verloren? Können die Menschen noch immer in einem solchen falschen Irrglauben leben? Ja, doch, sie können ... Keine Reue, nur die Sehnsucht nach dem Führer ... 

Einige andere litten in ihrer Vergangenheitsbewältigung noch unter dem Trauma, das die Nazis verursacht hatten, dass sogar die Kinder in der Schule bespitzelt wurden, indem Lehrer sieben und achtjährigen Fragen stellten, wo z. B. die Eltern das Hitlerbild in der Wohnung aufgestellt haben?
„Wie macht es dein Vater am Morgen - sagt er Guten Morgen oder sagt er Heil Hitler? - Spricht euer Radioapparat nicht manchmal eine Sprache, die du nicht verstehst -?" (80)
Dr. Doll ist Schriftsteller. Er ist von dem Nationalsozialismus dermaßen geschockt, dass er es nicht schafft, wieder Bücher zu schreiben. Aber er wird zum Bürgermeister ernannt und findet erstmal darin eine Beschäftigung, einen Wiederbeginn im neuen Deutschland, das noch in Trümmern liegt.

 Viele Menschen wenden sich an ihn, verlangen Lebensmittel, Kleider, Wohnung …
Doch auch der Bürgermeister hatte auch nichts, aber er ging los. Er suchte, wo Parteigenossen großen Überfluss hatten, und gab von diesem Überfluss der Volksgenossin, nicht reichlich, aber ausreichend. Doch stand am folgenden Tage eine andere weinende Frau vor ihm, die Nachbarin der eben Neuversorgten, auch eine Mutter von Kindern, auch blutarm, und die eben Beschenkte, die eben Ausgestattete hatte der Nachbarin über Nacht die Wäschelumpen von der Leine gestohlen! Deutsche gegen Deutsche, jeder für sich allein, immer weiter gegen die ganze Welt und alle ankämpfen. (93)
Was die Kriegsfolgen aus Menschen machen, zeigte dieses Beispiel.

Dr. Doll selbst ist seelisch am Ende, rappelt sich aber immer wieder auf. Lebt für eine längere Zeit in einem Sanatorium, das ihm helfen soll, von dem Morphium wieder loszukommen. Um die Realität zu verkraften, konsumierten er und seine Frau das Zeug in Überdosis ... Er kommt von dem Zeug los, nur das Schreiben will nicht so gelingen. Sein Verleger Völger versucht, ihn zum Schreiben zu animieren, ihn neu aufzumuntern:
"Aber ich weiß nicht-ich habe bisher noch keine Möglichkeit entdeckt. Vielleicht schreibe ich nie wieder ein Buch. Es sieht alles so trostlos aus. Wer sind wir denn noch, wir Deutsche, in dieser durch uns zerstörten Welt-? Zu wem sollen wir sprechen, zu den Deutschen, die keine Lust haben, uns anzuhören, oder zum Ausland, das uns hasst-?" (225)
Die Bürokratie; die Bürokratie und die starre Einhaltung von Gesetzen sind wichtiger als der Mensch. Auch wichtiger als kranke Menschen, die dringendst ärztliche Hilfe benötigen. Frau Doll ist schwer krank, sie sucht zusammen mit ihrem Mann einen Arzt. Es ist Nacht und kalt draußen. Es herrscht Ausgangssperre. Doch die Dolls benötigen nicht nur einen Arzt, sondern auch ein Dach über dem Kopf, da ihre Wohnung an andere vom Ordnungsamt weitervermietet wurde, als sie so lange leerstand. Sie finden keinen Arzt und geben sich der Polizeistation hin. Sie sind sicher, dass die Polizei ihnen helfen wird:
"Was wollen Sie denn-?", fragte der Polizist barsch.
"Wir sind vor einer Weile von auswärts mit der Bahn gekommen, und meine Frau ist krank. Die Unfallstelle ist geschlossen. Erlauben Sie, dass wir bis sechs in Ihrer Wachstube ein bisschen sitzen und uns aufwärmen?"
"Das kann ich nicht erlauben, das ist verboten", antwortete der Polizist.Sie verlegten sich auf Bitten, aufs Betteln. Es geschehe doch niemanden ein Schaden dadurch, sie würden auch ganz still sitzen! Aber der Polizeibeamte blieb unerbittlich: "Was verboten ist, kann ich nicht erlauben! Und überhaupt, was machen Sie jetzt auf der Straße? Es ist doch Sperrstunde!"
"Nehmen Sie uns deswegen doch ein bisschen fest, Herr Wachtmeister!", bat die junge Frau. "Dann ist es nichts Verbotenes mehr, wenn wir drin sitzen!"Aber auch für diesen Vorschlag war der Polizist nicht zu haben, plötzlich schlug er die Tür zu, und die beiden standen wieder allein auf der dunklen Straße. (103) 
Dieses Zitat hat mich so ziemlich betroffen gestimmt. Ein bißchen festnehmen, lol. Eine Festnahme wäre hier das kleinere Übel. Sie säßen im Warmen und bekämen etwas zu Essen.

Die Szenen in dem Sanatorium, wie ich eingangs schon geschrieben habe, hatte mich auch ziemlich betroffen gestimmt. In dem Sanatorium wurden viele, viele Ärzte behandelt, die alle unter der Drogensucht litten und in der Heilanstalt sich dem Entzug stellten. Auch diese Ärzte waren Menschen, die schwer mit der Wirklichkeit leben konnten, da sie berufsbedingt die Kriegsleiden und die Kriegsgebrechen täglich vor Augen hatten. Doch im Sanatorium wurden sie anonym behandelt. Niemand durfte wissen, dass sie Morphinisten sind. Sie laufen Gefahr, ihre Approbation zu verlieren.

Der Schluss hat mir sehr gut gefallen.

Nachtrag 07.11.2014:

Leider ist meine Lesepartnerin Anne für eine längere Zeit erkrankt, so dass sie ihre Leseeindrücke vorübergehend nicht ins Netz übertragen kann und ich keine Verlinkung zu ihrer Buchbesprechung vorzunehmen in der Lage bin. Wir tauschen uns nun hauptsächlich telefonisch aus.

Anne war der selben Meinung wie ich, dass die Szene mit dem Morphiumkonsum nicht realistisch war. Fallada war zu dieser Zeit selber in einer Heileinrichtung untergebracht und ist wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, die Morphiumdosis richtig einzuschätzen.

In dem Buch existiert auch ein Kind, das seine Frau aus der ersten Ehe mitgebracht hat. Das Kind wurde nur zwei Mal erwähnt und fehlte völlig in den Familienzusammenhängen. Auch das ist untypisch für Fallada, der eigentlich präzise ist, Familien in ihren Nöten zu beschreiben. Auch dies ist wohl auf seinen Krankenzustand zurückzuführen.

Dieses Buch ist posthum herausgebracht worden und zählt zu Falladas letzten Werken. Und es könnte sein, dass gerade dieses Buch sehr viel autobiografisches Material bietet und verweise auf das Vorwort ...

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Ich konnte immer nur sehr wenige Menschen auf einmal gern haben.
(Ernest Hemingway)

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Samstag, 1. November 2014

Hans Fallada / Der Alpdruck

Lesen mit Anne ...

Es ist wieder soweit. Der erste des Monats und wir, Anne und ich, lesen wieder gemeinsam ein Buch. Diesmal war ich mit dem Auswählen dran und entschied mich wieder für Fallada, denn in meinem Bücherschrank befindet sich ein Fallada-SuB, den ich gerne auch abbauen möchte. Gute Bücher sollte man nämlich nicht allzulange ungelesen im Schrank aufbewahren.

Klappentext
Berlin, Stunde null – ein bedeutender Fallada
April 1945: Der Krieg ist vorbei, doch nachts verfolgen den Schriftsteller Dr. Doll Träume vom Bombentrichter, der ihn nicht freigibt. Er will etwas tun gegen den Alpdruck der Mitschuld, doch er kann es niemandem recht machen als Bürgermeister einer Kleinstadt, eingesetzt von der Roten Armee. Er stiehlt sich fort und flüchtet in den Drogenrausch. Im Chaos des zerbombten, nur auf dem Schwarzmarkt funktionierenden Berlin entgleitet ihm seine junge, morphiumsüchtige Frau, und er hat um zwei Leben zu kämpfen, als er zaghaft beginnt, wieder an eine Zukunft zu glauben.
Erst nachdem sich Fallada den "Alpdruck", die Geschichte des erkennbar eng aus seinem eigenen Erleben geschöpften Protagonisten Dr. Doll, von der Seele geschrieben hatte, konnte er sich der Arbeit an "Jeder stirbt für sich allein" stellen.
Mit einem Vorwort und Hintergrundmaterial.

Autorenporträt
RUDOLF DITZEN alias HANS FALLADA (1893–1947), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit "Der junge Goedeschal“. Der vielfach übersetzte Roman "Kleiner Mann – was nun?" (1932) machte Fallada weltberühmt. Sein letztes Buch, „Jeder stirbt für sich allein“ (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938).
»Alles in meinem Leben endet in einem Buch.«
Hans Fallada gehört zu meinen großen Lieblingen. Er schreibt sehr menschlich. Nein, ich sage lieber, Fallada ist auf dem Gebiet der Menschlichkeit ein großes Genie. Ich habe schon eine Reihe Bücher von ihm gelesen.

Gelesen habe ich von ihm:
  1. Damals bei uns daheim 
  2. Der eiserne Gustav 
  3. Der Trinker                                                   
  4. Ein Mann will nach oben                                                             
  5. Jeder stirbt für sich allein
  6. Kleiner Mann – großer Mann – alles vertauscht
  7. Kleiner Mann, was nun?
  8. Wer aus dem Blechnapf frißt 
  9. Wolf unter Wölfen
Dazu eine Biographie von Jenny Williams zu Fallada: Mehr Leben als eins

Lediglich Bauern, Bonzen und Bomben musste ich abbrechen, da mir die Welt darin schrecklich männlich vorkam. Das konnte ich nicht aushalten. Ich hatte zwei Mal versucht, das Buch zu lesen. Mittlerweile habe ich den Band aufgegeben. 

Von den anderen Bänden kann ich gar nicht sagen, welcher Titel mir am meisten zugesagt hat. Mir haben sie alle supergut gefallen. 

Ich freue mich, dass ich meiner Freundin Anne diese Fallada-Lust übertragen konnte, hihihi ... 

Auf ein Neues.

Zu Annes und Mirellas SuB



Freitag, 31. Oktober 2014

Hans-Peter Rodenberg / Ernest Hemingway (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Es ist das eingetroffen, was ich befürchtet habe, dass ich nach dieser Lektüre kein Fan mehr von Hemingway sein werde.

Gleich werdet ihr wissen, weshalb.

Beginne gleich mit meinem ersten Zitat:
Hemingway war Abenteurer, Großwildjäger, Hochseefischer, Stierkampfanhänger.
Mit Ausnahme der Katzen, die Ernest wohl abgöttisch geliebt haben muss, machte er andere Tiere zu seinen Rivalen. Er führte gerne Kämpfe gegen die Natur, um seine eigenen Kräfte an ihnen zu messen. Absurd, denn es ist bekannt, dass gegen Menschen kein anderes Lebewesen anzukommen weiß, wenn man bedenkt, mit welchen Waffen der Mensch ausgestattet ist.

Ernest ist nach Afrika gereist, um sich auf Abenteuer mit den Wildtieren einzulassen:
Ich möchte Elefanten sehen, egal ob wir sie schießen oder nicht-ich möchte auf jeden Fall Büffel und Löwen schießen. Ich nehme die 30.06er-10.75 Mauser-12er Schrotflinte und eine 6,5 Mannlicher mit, außerdem meinen 22er Woodeman Colt-vielleicht auch Degen und Muletar für Büffel (…).
Gejagt hatte er auch Löwen, Büffel, Antilopen und Nashörner ...
Dieser Trieb, Tiere zu jagen und zu töten, war ihm nicht angeboren, sondern über den Vater anerzogen worden. Ernest hätte die Wahl gehabt, sich dem Töten zu widersetzen, oder ihm zu folgen. Er hatte sich für das Jagen und Töten entschieden. 
Am Walloon Lake brachte der Vater Ed Hemingway seinem Sohn den Umgang mit Werkzeug und Waffen bei, hier lehrte er Ernest, wie man Wild ausweidete und zum Essen zubereitete, wie man mit den Fischen aus dem See umging. Es war eine männliche Welt, in der die Dinge einfach und unkompliziert schienen, jene Welt >>ohne Frauen<<, in die auch sein Sohn Ernest immer wieder zurückkehren, in die er sich immer wieder flüchten würde, wenn er sich bedrängt fühlte. 
Hemingways Vater ist von Beruf Mediziner gewesen, praktischer Arzt und Geburtshelfer, lebte aber parallel dazu streng religiös, und er, wiederum beeinflusst von seinem religiösen Vater, zelebrierte ziemlich exzentrisch religiöse Bräuche.

Sowohl der Großvater als auch der Vater hatten eine genaue Vorstellung davon, was unter Gut und Böse zu verstehen ist.
Für den Vater Ed Hemingway gab es keinen Zweifel daran, dass Gut und Böse klar erkennbare, genau fixierte Qualitäten waren, ohne Übergang zwischen ihnen. Luzifer lauerte überall.
Ernests Vater war eine schwierige und eine stark gestörte Persönlichkeit, die in der Welt nicht wirklich glücklich zu sein schien, obwohl er ein sehr verantwortungsbewusster und fürsorglicher beliebter Arzt gewesen sein soll. Doch in seiner Familie zeigte er ein anderes Auftreten:
Heute muss man mit Hemingways Biografen Kenneth Lynn sagen, dass Dr. Hemingway bei aller Energie, die er besaß, wahrscheinlich ein zutiefst unglücklicher Mann war, dass seine plötzlichen, grausamen Ausfälle bei kleinsten Verstößen seiner Kinder, die als religiöse Disziplinierung tarnte, seine fieberhafte Tätigkeit für die Gemeinde und seine sporadischen Nervenzusammenbrüche ein zusammenhängendes Muster manischer Depression ergeben. 
1928 suizidierte sich der Vater. Ernest war 27 Jahre alt. Die Kindheit hatte er also schon lange hinter sich, möchte damit ausdrücken, dass seine Kindheit von einem psychisch kranken Vater stark geprägt wurde.
Ernest, der Zweitgeborene, hatte noch fünf Geschwister, insgesamt waren es sechs Kinder. Die religiöse Erziehung hinterließ auch hier ihre Spuren:
Wenn eines der sechs Kinder sich ausfallend benahm, musste es unverzüglich auf den Knien Gott um Verzeihung bitten. Beherrschte der junge Ernest sich einmal nicht und rutschte ihm ein Schimpfwort heraus, war die Mindeststrafe, die er für diese unentschuldbar moralische Schwäche zu erwarten hatte, das Zähneputzen mit Toilettenseife. 
Interessant fand ich, dass Ernest 1918 in Italien zum Katholizismus konvertiert ist, das sicher die Folge seiner äußerlichen Negation des Religiösen war.

Doch nicht nur der Vater, sondern auch die Mutter Grace hatte einen großen und ungewöhnlichen Anteil an der Erziehung gehabt:

Sie hatte das Kleinkind Ernest mit Mädchenkleidchen bekleidet. Ernest hatte eine ältere Schwester namens Marcelline, und die Mutter kleidete die beiden Kinder wie Zwillingsmädchen: 
Einige der Ideen, die Grace hatte, waren allerdings im besten Fall ungewöhnlich zu nennen. Als Ernest neun Monate alt war, zog sie ihm ein rosa Baumwollkleidchen an und setzte ihm ein Blumenhäubchen auf, wie seiner achtzehn Monate älteren Schwester Marcelline. Nun war das Kleidchentragen bei Babys beiderlei Geschlechts um die Jahrhundertwende nichts Ungewöhnliches, bei Ernest hielt dieser Zustand jedoch an, bis er über zwei Jahre alt war. Auch die Haare wurden ihm wie bei einem Mädchen weit über das übliche Alter hinaus lang gelassen. Grace hatte sich in den Kopf gesetzt, Marcelline und ihn wie gleichgeschlechtliche Zwillinge aufzuziehen. Sie schulte Marcelline sogar ein Jahr später ein, damit beide in derselben Klasse sein konnten. 
Nach meiner Einschätzung, nachdem ich ein paar Biografien zu Ernest Hemingway gelesen habe, ist Ernest selbst auch eine labile Persönlichkeit. Auch er zeigte oft ein manisches, überdrehtes Verhalten und verfiel oftmals der Alkoholsucht. Auch Ernests Leben endete auf tragische Art und Weise, ähnlich wie das seines Vaters, auch wenn die Gründe andere waren …

Ernest liebte das Reisen. Er bereiste, wie ich oben schon geschrieben habe, nicht nur europäische Länder, nein, er bereiste auch Afrika. Er lernte, dieses Land zu lieben. Es existiert ein Foto, auf dem er mit zwei Gehörnern vom getöteten Kudu abgebildet ist.

Auch von Spanien war er angetan, wegen der Stierkämpfe. Er führte regelmäßig Tagebuch, das den Titel Tod am Nachmittag, trug. Grässlich kann ich nur sagen.

Nun ja, aus der Biografie gehen auch die vielen Beziehungen hervor, die Ernest mit Frauen hatte. Er war vier Mal verheiratet. Wer dazu mehr wissen möchte, so verweise ich auf das Buch.

Über das Schreiben als Autor? Ich denke, dass es allgemein bekannt ist, dass Hemingway sich auch als Journalist einen Namen gemacht hatte und er thematisch auf breitem Gebiet schriftstellerisch versiert und kundig war. Er war nicht nur Autor, er war auch Philosoph.

Ich beende nun hiermit meine Aufzeichnungen, auch wenn ich nicht alle Themen aus dem Buch mit aufgeführt habe.

Das war das letzte Buch, dass ich von und / oder über Hemingway gelesen habe.

______
Ich konnte immer nur sehr wenige Menschen auf einmal gern haben.
(Ernest Hemingway)

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Dienstag, 28. Oktober 2014

Hans-Peter Rodenberg / Ernest Hemingway


Klappentext
Ernest Hemingway ist immer noch einer der populärsten Autoren der klassischen Moderne, sein Bild oszillierend zwischen Metaphysiker, Macho und medialem Selbstdarsteller von hohen Graden. Ein erneuter, frischer Blick auf seine Romane und Kurzgeschichten zeigt einen sehr viel sensibleren, sehr viel weniger machistischen Hemingway, als die feministische Kritik herausgestellt hat. Den Hemingway’schen Held plagen weit mehr Widersprüche und Selbstzweifel, als diejenigen wahrhaben wollen, denen er als Projektionsfigur männlicher Idealbilder dient.


Autorenporträt
Hans-Peter Rodenberg, Jahrgang 1952, Studium an der Hochschule für Bildende Künste und an der Technischen Universität Braunschweig, dann an der University of California in Los Angeles. 1986-1994 Redakteur beim NDR-Fernsehen, Abteilung Kultur. Seit 1994 Professor für Film, Neue Medien, Populärkultur und Kulturgeschichte der USA an der Universität Hamburg.

Von Hemingway habe ich bisher gelesen:
  1. Hemingway, Ernest: Paris, ein Fest fürs Leben
  2. Hotchner, A. E.: Papa Hemingway     
  3. Der alte Mann und das Meer

Montag, 27. Oktober 2014

Adam Davies / Goodbye Lemon (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch von Davies hat mir so gut gefallen, dass ich mich gezwungen sah, mir einen weiteren Band von dem Autor anzuschaffen, der mit Froschkönig betitelt ist.

Schon der Klappentext spricht mich regelrecht an:
Ein tragischer Liebesroman für alle, die Liebesromane hassen. 
Der vorliegende Band hat mich von der ersten bis zur letzten Seite arg beschäftigt.

Leider passt das Cover nicht wirklich zu dem Inhalt. Wenn man sich dieses betrachtet, da bekommt man eher einen heiteren Eindruck zweier junger Menschen, die in das Wasser springen. Dem ist aber nicht so. Deshalb passt auch der englische Originaltitel auch nicht zum Inhalt:
Children jumping into the water. 
Das erlebe ich oft, dass die Figuren auf dem Cover nicht mit denen aus der Story übereinstimmen. Woran liegt das nur?

Wie ich eingangs bei der Buchvorstellung schon erwähnt habe, ist, dass mir der literarische Ausdruck des Autors gut gefallen hat, und habe einges an Zitaten zu bieten, werde aber nur vereinzelt von diesen ausdrucksstarken Sätzen wiedergeben. Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Hätte Jack Tennants Familie einen Schlachtruf, es wäre gemeinsames jahrelanges Schweigen ... über ein tragisches Familiengeheimnis. Aber jetzt droht Jacks neue Liebe Hahva, ihn zu verlassen, wenn er sie nicht einweiht. Und sein verhasster, seit einem Schlaganfall stummer und gelähmter Vater droht das Geheimnis mit ins Grab zu nehmen; er ist der Einzige, der weiß, was damals wirklich geschehen ist. Jack muss handeln – und zwar schnell. Ein berührender, urkomischer und mit schwarzem Humor gespickter Roman über Trauer, Erinnern und Vergebung.Zu seiner Familie zurückkehren ist das Allerletzte, was Jack Tennant in seinem Leben tun wollte. Er hat andere Sorgen: Seine Hilfsstelle als Universitätsdozent wird eventuell nicht verlängert, gerade als er um die Hand seiner Freundin Hahva anhalten möchte. Soll er sein Auto gegen einen Diamantring tauschen? Trotzdem fährt der junge Universitätsdozent nach zwanzig Jahren nach Hause, denn sein despotischer Vater (Marineoffizier, Boxer, Industrieller) sitzt nach einem Schlaganfall im Rollstuhl und kann sich weder bewegen noch sprechen. Sprechen durfte man in der Familie allerdings schon lange nicht mehr, seit Jacks kleiner Bruder eines Nachts in den See sprang und ertrank. Jack, der trotzdem redete, wurde vom Vater grausam bestraft. Doch das weiß seine Freundin Hahva nicht, die unbedingt Jacks Familie kennenlernen will und nicht ahnt, dass diese nicht nur Schätze bei sich verborgen hält. Ein bewegender und gleichzeitig urkomischer Roman über Familie, Sprachlosigkeit und den langen Weg zur Versöhnung. Und darüber, dass man sich seine Familie nicht aussuchen kann, aber vielleicht doch sein Leben – und seine Liebe.
Ein recht langer Klappentext, aber zu dem Buch gibt es tatsächlich viel zu sagen.

Das Buch beginnt mit einem Prolog und der Ich-Erzähler nennt sich Jackson Tennant, der die LeserInnen in ein Familiendrama einweiht. Jacks mittlerer Bruder Dexter springt in einen See und ertrinkt. Dexter ist gerademal sechs Jahre alt. Jack hat noch einen Bruder namens Pressman, der ältere, der zehn Jahre alt war, als das Unglück geschah.

Jack berichtet nun von dem Vorfall noch immer in der Perspektive eines fünfjährigen Jungen, der er damals war. Die Wahrnehmung ist dadurch ziemlich verzerrt. Jack macht für den Unfall den Vater verantwortlich, doch auch er war voller Schuldgefühle, da er z.B. nicht in der Lage war, den Bruder, seinen Sohn, zu retten.

Dexter ist tot und Jack versucht seinen Bruder wieder lebendigzuschreiben.

Jacks Vaterbild ist arg verstört, zeigt keine postiven Erinnerungen zu ihm:

Sein Vater war Colonel und hieß Guilford Tennant:
Vater kam 1944 in New Haven zur Welt. Sohn von wem auch immer. Meines Wissens tauchte er in einer blauen Uniform aus dem Mutterleib auf und raunzte den Hebammen Befehle zu. 
Das fand ich ein recht starkes Bild. Aber der Junge muss den Vater so erlebt haben. Korrekt, ordnungsfanatisch, kopflastig und gefühlsarm.

Jack beschreibt seine Eltern immer ein wenig abfällig. Als die Mutter ihn umarmte, bekam er folgenden Eindruck:
Abgesehen von der Öffnung zwischen Nase und Kinn ist das Gesicht meiner Mutter beim Sprechen völlig falten- und fugenlos. Dann tritt sie vor, um mich zu umarmen. Es ist eine linkische Geste, etwa so, als würde man einen Weihnachtsbaum umarmen: die Arme weit ausgebreitet, das Gesicht abgewandt, nur die Hände nehmen Kontakt auf, die leicht tätschelnd nach oben streichen, als würde ein Mitglied der Bodenkontrolle einem Flugzeug seine Parkposition zuweisen. 
Man bekommt den Eindruck, dass die Kinder wenig emotionale Nähe erfahren haben. Jack beschreibt die Eltern, als würden sie mehr Zeit und Wert legen auf materielle Objekte, als diese mit den Kindern zu verbringen. Die Mutter, Aidar, sorgt für einen picobello Haushalt, der Vater ist in seiner Freizeit permanent mit seinem Auto beschäftigt gewesen.

Das könnten die Gründe sein, weshalb Jack als Kind ein so gestörtes Bild zu den Eltern aufgebaut hatte.
Jacksons Freundin heißt Hahva Finn, die in einem Obdachlosenheim als Sozialarbeiterin beschäftigt ist. Es nervt sie und es stimmt sie misstrauisch, dass Jack nichts von seiner Familie erzählt, bis er sich gezwungen sieht, ihr die Eltern vorzustellen, als sie ihm die Pistole auf die Brust setzt. Jack war viele Jahre nicht mehr zu Hause. Seine Flucht vor dem Elternhaus, seine Flucht vor dem dramatischen Ereignis, das für alle Familienmitglieder zu einem Tabu geworden ist. Den Unfall mit dem Bruder konnte er dadurch nicht verwinden und tief in sich sucht Jack nicht nur bei sich selbst die Schuld, nein, er macht auch den Vater für den Tod verantwortlich, da dieser z.B. seine Aufsichtspflicht verletzt habe …
Es mag kindisch sein, aber ich denke unwillkürlich - und voller Verbitterung; dass Dex deshalb starb: Weil wir meinem Vater zutiefst gleichgültig sind.Wir waren ihm nicht wichtig genug, als dass er Dex an jenem Abend am See im Auge behielt - und Dex starb.
Dass auch der Vater und Press voller Schuldgefühle sind, konnte der kleine Jack damals noch gar nicht wissen, denn sie alle behalten diese schwere Last für sich und finden ihre Art und Weise vor dem Ereignis zu flüchten, um nicht daran erinnert zu werden. Der Unfall wird einfach totgeschwiegen. Man gräbt sich mit diesem Erlebnis innerlich ein, und verwandelt sich zu einsamen Wesen. Jeder für sich. Aus meiner Sicht haben sie alle, besonders die Kinder, sich eine posttrauamtische Belastungsstörung hinzugezogen, die sie über drei Jahrzehnte begleitet hat. Das hat tiefe Auswirkungen auf das gegewärtige Leben von Jack, Press und von dem Vater. Jack entwickelt dazu noch Autoaggressionen, indem er sich, als er das Elternhaus mit dem kranken Vater neu betritt, wiederholte Male in die Handkante beißt, sodass das Fleisch sichtbar wird. Jack wird mit der Vergangenheit nicht fertig, und hält den Stress mit seinem Vater schlecht aus und reagiert sich durch Selbstverletzungen ab.
Er gefährdet auch die Beziehung zu Hahva.

Jack macht mir glauben, dass er und seine Geschwister von den Eltern nicht genug geliebt wurden, wie sie es eigentlich verdient hätten.

Interessant fand ich die Szene, als Jack die Flip-Flop seines Bruders, die er wohl im Wasser rausgefischt haben muss, als ein Andenken aufgehoben hatte. Dreißig lange Jahre und erst nach dreißig Jahren erfährt Jack durch Press, dass Dexter nicht mit den Flip-Flop ins Wasser gesprungen ist, sondern mit seinen Turnschuhen. Die Badelatschen gehörten einem anderen Kind, einem ganz fremden Kind.

Einen weiteren Schicksalsschlag muss die Familie hinnehmen. Der Vater erleidet einen Schlaganfall, und durch den Schlaganfall ändert der Vater sein Bewusstsein, und bekommt das Bedürfnis, den Todesfall seines Kindes zur Klärung mit der Familie nochmals neu aufzurollen. Ihm ist bewusst, dass Jack ihn als Mörder bezichtigt.

Der Vater ist zwar schwerst körperbehindert, aber sein Kopf funktioniert noch, so dass er mit Hilfe einer guten Fachkraft namens Bess mit Hilfsmitteln wie z.B. das Quija-Brett, lernt, sich zu artikulieren. Bess ist die einzige, die von dem Vater ein gutes Bild hat und versucht, die Familienmitglieder mit in die Krankenbehandlung einzubeziehen. Press hegt Fantasien, den Vater zu töten, da er sich nie um seine Kinder gekümmert habe. Die Instrumente bzw. die medizinischen Geräte absichtlich falsch einsetzen, sodass diese zum Tod führen und es nach einem Unfall aussehen ließe. Press versucht Jack von seinem Vorhaben zu überzeugen, in der Hoffnung, der Bruder würde sich an der Tötungsaktion beteiligen. 
"Glaubst du nicht, das würde als Entschuldigung genügen? Denk mal über dich nach, Jack. Denke darüber nach. Frage dich einfach mal, was gerecht ist. Hat er uns je etwas Gutes getan? Nein. Aber jetzt kann er etwas Gutes tun."
"Sterben?"
"Sterben ist korrekt. Und für seine beiden Kinder sorgen, die er bisher ignoriert hat. Teufel auch, wahrscheinlich wäre es eine Gnade. Wahrscheinlich wäre es das Einzige, was seine Seele retten könnte." (157)
Jack fühlt sich nicht wohl dabei, als der Bruder ihn in diese Überlegungen einweiht. Press denkt an sein Erbe, das nicht in die teure Behandlung verschwendet werden darf…

Jack macht es sich sehr einfach. Er muss einige Niederlagen in seinem Beruf wegstecken, und macht allein den Vater dafür verantwortlich, der sich nicht um ihn gekümmert hatte, wie er als Vater es hätte tun sollen.

Jack ist ein wenig irritiert, über das fürsorgliche Verhalten seiner Mutter dem Vater gegenüber. Er stellt sie zur Rede:
"Ich verstehe das nicht, Mom. So bist du früher nie gewesen. Noch nie, solange ich zurückdenken kann. Und jetzt, auf einmal, kümmerst du dich um ihn? Überall am Ärmel hast du Sabber. Dein Handtuch mit dem Fuchs drauf ist triefend nass von Spucke. Du berührst seine Hände. Du berührst sein Gesicht. Und glaub ja nicht, ich hätte nicht bemerkt, wie du ihm vorsingst, Mom." Das klingt wie ein Vorwurf. "Wie kommt das? Ganz plötzlich, wie soll man sagen, liebst du ihn?"
"Ich liebe ihn wirklich."
"Warum?" Sie zog zum dritten Mal in ihrem Leben mit den Schultern.
"Er hat mich noch nie so gebraucht." 
Interessant, dass die Mutter den Vater nur lieben kann, seit dieser auf ihre Hilfe angewiesen ist. Ist das wahre Liebe? 

An diesem Zitat wird noch einmal deutlich, wie emotionsarm die Kinder die Eltern erlebt haben mussten.

Da ich nicht alles verraten möchte, mache ich nun hier Schluss, denn besonders am Ende wurde ich völlig mit dem Ausgang überrascht, mit dem ich nicht gerechnet habe.

Da das Buch sehr facettenreich ist, solche Bücher liebe ich, gibt es noch so viel anderes, was hier in meiner Buchbesprechung keine Erwähnung gefunden hat. Das ist beabsichtigt und gut so, damit andere LeserInnen selber ihre Entdeckungen machen können.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.
Gut geschrieben, fantasievoller und humoristischer Stil, authentisches Auftreten und differenzierte Charaktere der einzelnen Figuren. Und ein nichtberechenbarer Ausgang. 
______
Kinder brauchen keine Analysen,
Kinder brauchen Liebe.
(Adam Davies)

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Samstag, 25. Oktober 2014

Adam Davies / Goodbye Lemon

Klappentext
Hätte Jack Tennants Familie einen Schlachtruf, es wäre gemeinsames jahrelanges Schweigen ... über ein tragisches Familiengeheimnis. Aber jetzt droht Jacks neue Liebe Hahva, ihn zu verlassen, wenn er sie nicht einweiht. Und sein verhasster, seit einem Schlaganfall stummer und gelähmter Vater droht das Geheimnis mit ins Grab zu nehmen; er ist der Einzige, der weiß, was damals wirklich geschehen ist. Jack muss handeln – und zwar schnell. Ein berührender, urkomischer und mit schwarzem Humor gespickter Roman über Trauer, Erinnern und Vergebung.Zu seiner Familie zurückkehren ist das Allerletzte, was Jack Tennant in seinem Leben tun wollte. Er hat andere Sorgen: Seine Hilfsstelle als Universitätsdozent wird eventuell nicht verlängert, gerade als er um die Hand seiner Freundin Hahva anhalten möchte. Soll er sein Auto gegen einen Diamantring tauschen? Trotzdem fährt der junge Universitätsdozent nach zwanzig Jahren nach Hause, denn sein despotischer Vater (Marineoffizier, Boxer, Industrieller) sitzt nach einem Schlaganfall im Rollstuhl und kann sich weder bewegen noch sprechen. Sprechen durfte man in der Familie allerdings schon lange nicht mehr, seit Jacks kleiner Bruder eines Nachts in den See sprang und ertrank. Jack, der trotzdem redete, wurde vom Vater grausam bestraft. Doch das weiß seine Freundin Hahva nicht, die unbedingt Jacks Familie kennenlernen will und nicht ahnt, dass diese nicht nur Schätze bei sich verborgen hält. Ein bewegender und gleichzeitig urkomischer Roman über Familie, Sprachlosigkeit und den langen Weg zur Versöhnung. Und darüber, dass man sich seine Familie nicht aussuchen kann, aber vielleicht doch sein Leben – und seine Liebe.

Autorenporträt
Adam Davies, geboren 1971 in Louisville, Kentucky, arbeitete nach dem Literaturstudium an der Syracuse University als Verlagsassistent in New York und danach als Dozent für Englische Literatur in Savannah/Georgia.
Das Buch hat eine starke Ausdrucksweise, die mich fasziniert. Gefällt mir sehr gut. Gibt für mich am Ende sicher wieder viel darüber zu schreiben.

Freitag, 24. Oktober 2014

Selma Lagerlöf / Marbacka (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mich hat das Buch nur enttäuscht. Eine Autobiographie? Hm, man hat wenig über Selma Lagerlöf erfahren. Die Autorin hat über alle möglichen Leute von Marbacka geredet, nur nicht über Selma. Mich bewegten eher Fragen, z.B. wie Selma aufgewachsen ist, und was hat sie zum Schreiben bewegt? Wie ist sie Schriftstellerin geworden?

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Selma Lagerlöf verbringt eine ereignisreiche und glückliche Kindheit auf dem elterlichen Gut Marbacka. Dort zieht sie auch den jungen Gänserich groß, der später in ihrem bekanntesten Buch "Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen" die Leser verzaubert. Im Mittelpunkt ihrer Erzählungen stehen ihre Familie und das Gut selbst, das immer wieder erweitert und verschönert wird. So bringt uns die berühmte Autorin das harte, aber auch idyllische Leben auf einem abgelegenen Gutshof im Schweden aus vergangenen Zeiten nahe.
Zu Beginn des Buches verfolgte ich den Inhalt mit großem Interesse. Selmas Familie hatte eine Kinderfrau namens Back-Kajsa, die nicht die beste Wahl war, aber weil auf Marbacka keine bessere Päadagogin zu finden war, wurde Back-Kajsa eingestellt. Back-Kajsa war im Haushalt recht fleißig und korrelt, doch in der Erziehung der Kinder war sie eher kühl und wortkarg. Selma war die zweitjüngste unter den vier Geschwistern. Selma allerdings schaffte es, das Herz von Back-Kajsa zu erobern ... Selma entwickelte körperliche Probleme, denn sie schaffte es nicht, ihre Beinchen zum Laufen zu bewegen. Die Eltern fuhren demnach mit den drei Kindern und der Kinderfrau an die See, das vierte Kind ließen sie zu Hause. Wie durch ein Wunder lernt Selma an dem Kurort tatsächlich zu laufen.
Mir kam diese Szene ein wenig unrealistisch vor. Aber es war eine Szene, in der Selma die Hauptrolle spielte, so wie ich es erwartet habe.
Später, nach dieser Szene, beschreibt die Autorin das Leben und die Charaktere der BewohnerInnen von Marbacka. Selma? Keine Rede mehr davon. Zum Schluss kam sie wieder mal ins Gespräch.

Viele Geschichten kamen mir zudem wie Schauermärchen vor ...

Demnach wuchs Selma in dem Buch nicht über ihre Kindheit hinaus. Viele meiner Fragen bleiben dadurch unbeantwortet ...

Das Buch erhält von mir drei von zehn Punkten. Selten, dass ich einem Buch so wenige Punkte vergeben habe.
______
Das einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

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Dienstag, 21. Oktober 2014

Selma Lagerlöf / Marbacka

Klappentext
Selma Lagerlöf verbringt eine ereignisreiche und glückliche Kindheit auf dem elterlichen Gut Marbacka. Dort zieht sie auch den jungen Gänserich groß, der später in ihrem bekanntesten Buch "Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen" die Leser verzaubert. Im Mittelpunkt ihrer Erzählungen stehen ihre Familie und das Gut selbst, das immer wieder erweitert und verschönert wird. So bringt uns die berühmte Autorin das harte, aber auch idyllische Leben auf einem abgelegenen Gutshof im Schweden aus vergangenen Zeiten nahe.

Autorenporträt
Selma Lagerlöf  geboren1858 auf Gut Mårbacka in der heutigen Gemeinde Sunne, Värmland, Schweden; † 16. März 1940 ebenda) war eine schwedische Schriftstellerin. Sie ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen des Landes und gehört zu den schwedischen Autoren, deren Werke zur Weltliteratur zählen. 1909 erhielt sie als erste Frau den Nobelpreis für Literatur und wurde 1914 als erste Frau in die Schwedische Akademie aufgenommen. Sie verfasste religiöse, fantasievolle und heimatverbundene Werke sowie Kinderbücher. Ein sehr bekanntes Werk Lagerlöfs ist Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen, das sie 1906 schrieb. (Wikipedia)
Bekannt ist mir die Autorin nicht durch ihre Bücher, sondern durch ihre Kinderfilme, wie z.B. Nils Holgersson, den ich mir als Kind angeschaut habe.




Montag, 20. Oktober 2014

Isabell Allende / Mein Leben, meine Geister (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich gestern Abend noch durch bekommen, und es hat mir sehr gut gefallen. Es  umfasste gerade Mal zweihundertsechzig Seiten und habe jede Menge Zettelchen darin haften, wegen der für mich vielen wichtigen Gedanken der Autorin und teilweise auch wegen der schönen Zitate.

Ich kann diese Lektüre jeder/m LeserIn empfehlen, die oder der sich näher mit Isabel Allendes Leben als Kind, als Mensch, als Feministin, als Ehefrau, als Mutter, Großmutter … und als Schriftstellerin befassen möchte. Sie geht auch viel auf ihre geschriebenen Bücher ein. Es finden zwischen ihr und ihrer Gesprächspartnerin Zapata viele und recht ausführliche Buchbesprechungen statt. Eine Kunst, so viele Themen auf so wenigen Seiten zustandezubringen. 

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Mit jedem Wort, das ich schreibe, gebe ich mich zu erkennen", sagt Isabel Allende, und auch in diesem Interviewband zeigt sie sich so persönlich und unverstellt wie in ihren Büchern, in denen sie immer einen Teil ihrer eigenen Geschichte verarbeitet. Die Trauer um den Tod ihrer Tochter Paula, Chile, ihr Leben in Kalifornien, jugendlicher Übermut und politisches Engagement, ihre Romane und Erzählungen, aber auch der nicht immer einfache Alltag mit ihrem zweiten Mann Willi und der großen Familie unter einem Dach und natürlich ihre große Leidenschaft, die Literatur- über (fast) alles spricht Isabel Allende hier vertraut und offen mit ihrer Freundin, der Literaturprofessorin Celia Correas Zapata. Vom Geisterhaus bis zu Porträt in Sepia: Das Leben und die Innenansichten einer außergewöhnlichen Frau, die trotz vieler Schicksalsschläge nie den Humor verloren hat, und einer der meistgelesenen Schriftstellerinnen dieser Zeit, die in diesen Gesprächen tut, was sie am besten kann: erzählen - ernsthaft, aber immer mit einem Augenzwinkern.
Die Autorin schreibt, wie sie spricht. Ich sehe zwischen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache kaum einen Unterschied. Ihre Ausdrucksweise erlebe ich zudem als recht fantasievoll:
Schreiben ist ein langsamer, stiller und einsamer Prozess. Jedes Buch ist eine ins Meer geworfene Flaschenpost; ich weiß nicht, welche Ufer es erreicht und in wessen Hände es gelangt. Es ist immer eine wunderbare Überraschung, wenn ich Zuschriften von begeisterten Lesern bekomme, denn das bedeutet, dass jemand meine Seiten gelesen hat, dass sie nicht vom Meer verschluckt wurden. (15)
Ich habe mir die Frage gestellt, was die Autorin mit ihrem Schreiben bezwecken möchte und welche Ziele sie darin verfolgt? Möchte sie mit ihren Büchern die Welt verändern? Oder schreibt sie des Schreibens willen? Ich habe folgende Antwort erhalten:
Wenn ich schreibe, geht es mir nicht darum, grundlegende Erkenntnisse zu vermitteln, eine Botschaft zu verkünden oder die Geheimnisse des Universums zu erklären, ich versuche einfach nur, im Ton eines vertrauten Gespräch zu erzielen. Ich habe keine Antworten, nur Fragen, immer dieselben Fragen, die mich ständig verfolgen.
Isabel Allende war schon als Kind mit einer blühenden Fantasie ausgestattet. Sie verschlang ihre Bücher und "feierte" die Literaturfiguren wie echte Helden, die sich plötzlich aus den Büchern nach außen hin selbstständig machen. Sie las oft nachts unter der Decke mit einer Taschenlampe. Dazu Zapata:
Eine fantastische Welt nimmt Isabel gefangen, und sie entwickelt die Vorstellung, die Figuren aus den Büchern würden die Seiten verlassen und im Dunkeln durch das Haus wandern. Hexen, Piraten und allerlei andere Bösewichter schleichen um sie herum, und in den Spiegel erscheint der allgegenwärtige Teufel, sodass sie schneller an ihnen vorbeihuscht, um dem Bösen nicht ins Gesicht schauen zu müssen. (43)
I. A. verarbeitet in ihren Werken Teile ihres Lebens. Vieles davon ist Wirklichkeit, die in ein literarisches Muster verpackt ist, vieles ist aber auch Fiktion.
Alles, was ich schreibe, hat autobiografische Elemente. Wenn du Angst , Liebe, Traurigkeit, Leidenschaft, Verlangen und alles, was es sonst noch an Gefühlen gibt, nie selbst erlebt hast, wie willst du sie dann beschreiben? In meinen Liebesszenen fließen Dinge ein, die ich erlebt habe, aber häufig nur in meiner Fantasie. (155) 
Da Isabel als Südamerikanerin mit vielen verschiedenen ethnischen Gruppen zu tun hat, auch mit Menschen anderer Hautfarbe, hat sie sich in ihrem Leben und in ihren Büchern viel mit dem Menschenbild auseinandergesetzt. Gerade durch den Rassismus, der z.B. vermehrt auch in Amerika grassiert, war sie gewzungen, sich dieser Thematik zu stellen. Sie gebraucht leider oft den Begriff Rasse, der bei uns in Deutschland mittlerweile, bezogen auf Menschen, umstritten ist. Selbst im DUDEN wird darauf hingewiesen.

Sprachtipp:
Ob der biologische Begriff der Rasse auch auf Menschen Anwendung findet, ist inzwischen wissenschaftlich höchst umstritten. Wenn auf entsprechende Unterschiede Bezug genommen werden muss, sollten deshalb Ausweichformen wie Menschen anderer Hautfarbe gewählt werden.
© Duden - Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl. Mannheim 2010 [CD-ROM]

Zu welchen Erkenntnissen Allende kommt, fand ich interessant und plausibel, denn innerlich sind sowieso alle Menschen gleich und äußerlich sind alle Menschen  verschieden. Den Menschen auf die Hautfarbe zu reduzieren, das war nicht Allendes Stil.
Die Welt ist sehr groß, aber wir Menschen sind über allen mehr oder weniger gleich. Wir haben zwar versschiedene Kulturen, Sprachen, Traditionen und Hautfarben, empfinden aber Gefühle wie Angst, Liebe, Habgier oder Zärtlichkeit alle auf die gleiche Art und Weise. Ich habe gelernt, mich mit dieser großen Menschenmasse, von der ich nur ein winziges Teilchen bin, zu identifizieren. (49f)
Diesen Prozess der Identifikation mit allen Menschen der Erde habe ich auch mitgemacht, dadurch, dass ich ebenfalls mit mehreren unterschiedlichen Kulturen und Sprachen aufgewachsen bin. Und über diese Entwicklung bin ich sehr stolz, weil sie mich bereichert hat. Viele Menschen leiden unter Xenophobie, haben Angst, Fremde könnten ihnen etwas wegnehmen. Nun, noch mehr freut es mich, zu wissen, dass auch andere diesen Entwicklungsprozess durchlaufen sind, auch wenn es nicht sehr viele sind, die ich persönlich kenne. 

Isabel Allende wird weltweit gedruckt und gelesen. Es taucht die Frage auf, ob im Ausland die Verlage versucht hätten, das Manuskript zu kürzen?
Nein, aber meine finnischen Verleger haben mich einmal gefragt, ob sie fünfzehn Prozent des Buches streichen dürften, weil es in ihrer Sprache zu lang sei. Fünfzehn Prozent wovon? Von jedem Satz? Von jeder Seite? Ein Roman ist doch keine Salami. (83)
Hier musste ich so lachen. Das Buch mit einer Salami zu vergleichen …

I. A. hat recht spät ihr erstes Buch herausgebracht. Sie war Anfang vierzig, als Das Geisterhaus erschien. Was hat sie denn die Jahre davor gemacht?
Bis dahin hatte ich mich immer nur an der Peripherie der Literatur bewegt, ich hatte Zeitungsartikel, Kindergeschichten, Drehbücher, zwei in mehrere Sprachen übersetzte Romane und Millionen von Briefen geschrieben, fühlte mich aber noch nicht als Schriftstellerin. (99)
Dazu Zapata:
Neben ihrer Arbeit als Redakteurin und Fernsehmoderatorin schrieb Isabel Allende damals Kindergeschichten und Theaterstücke. Anfang der siebziger Jahre wurden außer dem Botschafter noch zwei musikalische Komödien aufgeführt, die viele Leute in Chile zum Lachen brachten. (90) 
Sie hatte Glück und jede Menge Fähigkeiten. Ohne ein politikwissenschaftliches Studium schlug sie die Journalistenlaufbahn ein. Aber sie unterrichtete auch an einer Schule. Es war ihr wichtig, finanziell unabhängig zu sein, und erst, als sie mit ihren Büchern leben konnte, gab sie den Lehrauftrag und weitere Neben- bzw. Hauptbeschäftigungen, die nichts mit Literatur zu tun hatten, auf.

Auch der Humor wurde thematisiert, sowohl in Allendes Büchern als auch im realen Leben. Isabels Gedanken haben mich recht nachdenklich gestimmt, denn Humor würde oft auf Kosten anderer gäußert werden:
Humor enthält immer auch eine Dosis Grausamkeit. Über irgendjemand oder irgendetwas muss man sich lustig machen … es gibt aber auch harmlosere Grausamkeiten. (58)
Dabei wird speziell auf das Buch Aphrodite eingegangen, das wohl seeeehr humoristisch sein soll, und sich von den anderen Werken dadurch ein wenig abheben würde. Da ich Aphrodite noch nicht gelesen habe, kann ich wenig dazu sagen.

I. A. setzt sich in ihren Romanen auch mit Gut und Böse auseinander. Ihre Ideen hierzu finde ich sehr schön:
Zapata: In allen deinen Büchern setzt du dich auf die eine oder andere Weise mit dem Guten und dem Bösen auseinander. Das Böse wird durch korrupte Systeme verkörpert; Macht korrumpiert, so deine Aussagen.
Allende: Es sieht so aus, als hätte ich mehr Sympathie für die Unterwelt als für die Obrigkeit. (113f) 
Allende hat nicht nur Achtung vor ihren Büchern, noch viel mehr hat sie Achtung vor ihren LeserInnen.
Was ist ein Buch, bevor es jemand aufschlägt und liest? Doch nur ein Stapel am Rand zusammengeleimter Blätter … es sind die Leser, die ihm Leben einhauchen.
Dieses Zitat finde ich wunderschön.

Der Umgang mit Literatur? Mit dem nachfolgenden Zitat fühle ich mich sehr bestätigt, denn es gibt nicht nur eine Weise, mit Büchern umzugehen, nein, es gibt mehrere verschiedene, auch wenn uns die LiteraturwissenschaftlerInnen weismachen möchten, dass nur die ihrige die richtige sei:
Jeder Leser wird meine Romane auf seine Weise lesen, und so unterschiedlich wie die verschiedenen Interpretationen ausfallen mögen, so unterschiedlich sind auch die Kritiken gewesen.
Auf meine Frage hin, was Allende denn mit Geistern und esoterischen Themen zu tun hat? Konnte ich kaum eine Antwort finden, außer, dass ihre Großmutter, die in  Das Geisterhaus als die Clara auftritt, sehr medial gewesen sein soll, und wohl wirklich Geister gesehen habe. Allendes Mutter legte Tarotkarten. Und sie selbst? Sie spricht davon, als wären die Geister das Selbstverständlichste von der Welt, ohne dass diese von Zapata in Frage gestellt werden. Mehr konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Wie so viele andere SchriftstellerInnen fechtet auch Isabel Allende oftmals innerhalb ihrer Geschichten einen Kampf mit ihren Figuren aus, mit denen so schwer fertig zu werden sei:
Ich musste diesen Geschöpfen viel von meinem eigenen Leben geben. Sie sind äußerst gefräßig: Sie verschlingen alles.
In dem Buch gibt es noch recht viel über ihr Leben und ihre Kindheit zu lesen, auch total interessant, selbst wenn ich diese Lebensphasen hier nicht erwähnt habe. Lest selbst.

Wegen dieser Vielschichtigkeit an Themen und der klaren und fantasievollen Sprache erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.

Mit dem Hintergrund dieses Buches freue ich mich nun noch mehr auf die ungelesenen Werke, die ich mir peut á peut noch vornehmen werde.
______
Das Einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 70
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Freitag, 17. Oktober 2014

Isabel Allende / Mein Leben, meine Geister

Klappentext

Mit jedem Wort, das ich schreibe, gebe ich mich zu erkennen", sagt Isabel Allende, und auch in diesem Interviewband zeigt sie sich so persönlich und unverstellt wie in ihren Büchern, in denen sie immer einen Teil ihrer eigenen Geschichte verarbeitet. Die Trauer um den Tod ihrer Tochter Paula, Chile, ihr Leben in Kalifornien, jugendlicher Übermut und politisches Engagement, ihre Romane und Erzählungen, aber auch der nicht immer einfache Alltag mit ihrem zweiten Mann Willie und der großen Familie unter einem Dach und natürlich ihre große Leidenschaft, die Literatur - über (fast) alles spricht Isabel Allende hier vertraut und offen mit ihrer Freundin, der Literaturprofessorin Celia Correas Zapata. Vom Geisterhaus bis zu Porträt in Sepia: Das Leben und die Innenansichten einer außergewöhnlichen Frau, die trotz vieler Schicksalsschläge nie den Humor verloren hat, und einer der meistgelesenen Schriftstellerinnen dieser Zeit, die in diesen Gesprächen tut, was sie am besten kann: erzählen - ernsthaft, aber immer mit einem Augenzwinkern.

Autorenporträt
Isabel Allende wurde am 2. August 1942 in Lima/Peru geboren. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil. 1982 erschien ihr erster Roman La casa de los espíritus (dt. Das Geisterhaus, 1984), der zu einem Welterfolg wurde. Der dänische Regisseur Bille August verfilmte den Roman 1993. Allende arbeitete unter anderem als Fernseh-Moderatorin und war Herausgeberin verschiedener Zeitschriften. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. Ihr Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.
Habe mir von meinem Allende-Buch-Stapel obigen Titel ausgesucht, weil mich der Titel neugierig gestimmt hat, wobei ich nicht wirklich weiß, was mich erwartet.
... meine Geister? Alle Bücher von Allende, die ich bisher gelesen habe, sind auch mit esoterischen Themen besetzt. Diese Themen behandeln mediale Figuren, die übersinnliche Fähigkeiten besitzen. Was ist davon Fiktion? Was Wirklichkeit?

Nun war Allendes Großmutter tatsächlich jemand, die sehr hellsichtig gewesen sein soll. Und diese Großmutter taucht unter einem anderen Namen auch in ihrem Werk Das Geisterhaus auf.

Alle ihre Werke seien ein Gemisch zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Eigene Erlebnisse würde die Autorin in ihre Geschichten verpacken. Sie würde dadurch auch ihr Leben verarbeiten.

Das Buch enthält hauptsächlich Intervieuws von eine ihrer besten Freundinnen namens Celia Correas Zapata
Allende spricht so, wie sie schreibt. Ich höre ihr auch in diesem Buch so gerne zu. Und es beinhaltet so viel Weisheit. Ich bin wieder mal tief von ihr beeindruckt. 

Die schönen Zitate, die mich schon auf den ersten Seiten beglückt haben, hebe ich mir für später auf.

Folgende Bücher habe ich von der Autorin gelesen:

  1. Amandas Suche 
  2. Das Geisterhaus
  3. Das Portrait aus Sepia
  4. Das Siegel der Tage
  5. Die Insel unter dem Meer
  6. Die Stadt der wilden Götter
  7. Fortunas Tochter
  8. Inés meines Herzens
  9. Mayas Tagebuch

Lesen muss ich noch:
  1. Aphrodite
  2. Der unendliche Plan
  3. Eva Luna
  4. Mein erfundenes Land
  5. Mein Leben, meine Geister
  6. Paula
  7. Von Liebe und Schatten
Nr. 1, 2 und 7 müssen noch angeschafft werden.




Donnerstag, 16. Oktober 2014

Gail Tsukiyama / Die Straßen der tausend Blüten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich jetzt wenig darüber schreiben werde. Ich mache immer mehr die Erfahrung, dass es gute Bücher gibt, über die man fast unendlich lang schreiben möchte und andere gute, da genügt es, die Bücher nur gelesen zu haben. 

Ich gebe zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Tokio 1939. In der Straße der tausend Blüten wachsen zwei Brüder ohne ihre Eltern auf, liebevoll umsorgt von ihren Großeltern. Wie diese träumen sie von einer Zukunft, die fest in den Traditionen des alten Japan verankert ist. Doch bald bricht im Land eine neue Zeit an, in der es keinen Platz mehr für die alten Werte zu geben scheint. Werden Hiroshi und Kenji ihren Weg in einer veränderten Welt finden? 
Die Einen nennen den Krieg Zweiter Weltkrieg, die Anderen nennen ihn den Pazifikkrieg. Es ist abhängig davon, wo man sich zu dieser Zeit, 1939, gerade auf dem Globus befindet. Doch egal wie sich der Krieg nennt, die Kriege zeigen alle die selben Gesichter; es wird auf die zivile Bevölkerung keine Rücksicht genommen, geschossen wird auch auf Kinder; es gibt nicht genug zu Essen; die einen verhungern im Krieg, andere werden Opfer von Bombenanschlägen, um nur ein paar wenige Schlagwörter zu gebrauchen … Und die, die zu den Überlebenden zählen, erleiden viele Verluste; Schuldgefühle,  weil sie z.B. überlebt haben und andere nicht, machen sich in der Seele dieser Menschen breit. Im schlimmsten Fall erleiden einige eine posttraumatische Belastungsstörung, die selbst noch nach Jahren nicht überwunden ist und diese unbewusst auf die nächste Generation übertragen wird ... Die Lebensmittelknappheit herrscht selbst dann noch, als der Krieg schon längst zu Ende ist. Japan musste vor den Amerikanern kapitulieren ... Und Japan hat viele Jahre gebraucht, um sich von dem Krieg wieder zu erholen. Mich hat das Buch sehr nachdenklich gestimmt. Sich immer wieder die Szene vor Augen halten, wie Jugendliche nach dem Krieg Leichen von den Straßen bergen. Diese Szene hat mich tief berührt.

Man bekommt demnach viele Menschenschicksale mit, die eine ganze Nation erschüttern lassen.

Wie aus dem Klappentext hervorgeht, nennen sich die beiden Protagonisten Hiroshi und Kenji. Hiroshi ist zwei Jahre älter als Kenji. Beide wachsen unterschiedlich auf, beide geben unterschiedliche Persönlichkeiten ab, beide respektieren sich gegenseitig in ihrem Anderssein.

Im Gegensatz zu Hiroshi kann sich Kenji partout nicht an seine Eltern erinnern. Sie haben beide Elternteile durch ein Bootsunglück, verursacht durch ein menschliches Versagen über Dritte, verloren …
Es sind die Großeltern, auch ganz tolle Leute, die ihnen viele Geschichten zu den Eltern erzählen. Demnach haben die beiden Jungen schon recht früh erfahren müssen, was es bedeutet, Menschen zu verlieren, und auch noch die, die ihnen am nähesten standen. Verlusterlebnisse nehmen durch den Ausbruch des Pazifikkrieges immer mehr zu. Unzählige Kinder werden zu Waisen und leben auf der Straße …

Die Großeltern dieser beiden Jungen suchen oft das Grab der ertrunkenen Eltern auf. Sie bringen Lebensmittel mit; viele Schalen werden mit Reis gefüllt, mit Gemüse, Früchten, Kuchen, und diese auf das Grab gestellt; damit die Geister der Verstorbenen nicht hungern müssen.
Das fand ich recht interessant.

Die Kinder werden erwachsen, trotz des Krieges schaffen sie es, erwachsen zu werden. Der ganze Stolz gilt den Großeltern, die die kleinen Jungen zu Männern verholfen haben und nicht mal der Krieg es geschafft hat, ihnen das Leben zu nehmen. Natürlich hatten sie auch Glück ...

Hiroshi wird ein spiritueller Kämpfer des Sumo-Ringens und Kenji geht dem Beruf der Kunst nach und wird Maskenschnitzer, obwohl er ein Studium der Architektur absolviert hat.

Beide Jungen heiraten und erleben durch ihre Partnerinnen heftigste Schicksalsschläge.

Ich möchte nicht mehr verraten ...

Man bekommt viele interessante zwischenmenschliche Beziehungen mit, und man nimmt an vielen Geschichten teil. Protagonisten? Sie, die restlichen noch unerwähnten Figuren, sie sind alle auf ihre Weise Helden. Die Überlebenden, die die Fähigkeit, das Glück und den Mut hatten, zu überleben. Und andere, die den Mut hatten, sich das Leben zu nehmen, weil der seelische Leidensdruck ein zu großer war ... Wahre Geschichten und Fabelgeschichten ... Es gab nichts in dem Buch, das belanglos auf mich wirkte. Mich hat alles fasziniert. Von der ersten bis zur letzten Seite. Und nichts war übertrieben dargestellt. 

Würde es noch weitere Bücher von der Autorin geben, so würde ich sie mir alle anschaffen. Es ist schade, dass viele gute Bücher, aus welchen Gründen auch immer, so unauffällig vom Markt wieder verschwinden. Sicher sind die geringen Verkaufszahlen daran schuld. 

Ich habe mich hier wirklich in Japan versetzt gefühlt ...

Das Buch ist authentisch geschrieben. Es ist gut recherchiert. Die Sprache ist fantasievoll und recht flüssig gewählt. Die Figuren waren alle recht differenziert dargestellt.

Aus diesen Gründen erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.
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Manchmal geschehen die Dinge vielleicht auch,
 damit wir die Gelegenheit erhalten,
etwas über uns selbst zu erfahren.
(Gail Tsukiyama)

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