Montag, 10. November 2014

Isabel Allende / Eva Luna (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite sehr ergreifend geschrieben. Allende schreibt keine gewöhnlichen Liebesgeschichten. Diese sind immer mit einem politischen Hintergrund behaftet, weshalb ich gerne ihre Bücher lese.
Trotzdem gibt es etwas hier zu bemängeln, was mir auch in ihrem Buch Amandas Suche aufgefallen ist. Isabel Allende scheint über ihr Land und über ihren Kontinent recht versiert schreiben zu können, aber über andere Länder äußert sie sich sehr undifferenziert und klischeehaft. Ein wenig enttäuschend ist das für mich schon gewesen, denn nichts bekommt man so leicht aus Menschen wieder heraus wie z.B. Vorurteile, Klischees und Stereotypen. Und wenn reflektierte AutorInnen wie Allende diese in ihren Geschichten noch forcieren, finde ich das recht schwach. Ich möchte nur ein Beispiel nennen:
In diesem vorliegenden Buch gibt es einen sehr gütigen Türken, der in Lateinamerika lebt. Allende bezeichnet diesen Türken als einen Araber, der mit einer jungen hübschen Türkin verheiratet ist. Und dieser Türke bekommt Besuch von seinem jungen Neffen aus der Türkei. Der junge Neffe habe in der Türkei erst sehr spät das Gesicht junger türkischer Mädchen unverschleiert gesehen. Er war sechzehn Jahre alt ...

So und nun mein Einwand. Die Türkei ist kein typisches arabisches Land. Nicht jede Frau trägt dort ein Kopftuch. Die Regierung verbietet sogar das Tragen eines Kopftuches in den Bildungseinrichtungen. Hier differenziert Allende die TürkInnen nicht. Alle AraberInnen scheinen in ihren Augen gleich zu sein. Und man bekommt das Gefühl, sie hat mal etwas über die AraberInnen gelesen, ohne aber sich näher damit befasst zu haben. In ihrem Buch Amandas Suche bezieht sie sich zu den SizilianerInnen ebenso recht einseitig. Sind es nicht die AutorInnen, die diese verzerrten Bilder zu Menschen anderer Länder in die Welt verstreuen? Wer nicht kritisch liest, nimmt diese Bilder ungefragt und unzensiert in sich auf ...

Auch mit verschiedenen Begriffen pflegt sie eine recht saloppe Umgangsweise. Psychiatrien werden von ihr als Irrenanstalten bezeichnet und für schwarze Menschen gebraucht sie noch immer den Begriff Neger

Ansonsten ist das Buch auf die Handlungen und die Figuren bezogen sehr facettenreich.

Nun komme ich zum Inhalt. Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Ihre Mutter hat sie Eva genannt, damit sie Lust aufs Leben habe; und weil ihr Vater, ein Indio mit gelben Augen, zum Stamm der Söhne des Mondes gehörte, heißt sie Eva Luna. Ihr Lebensweg führt sie aus dem Haus des exzentrischen Ausländers Professor Jones in die Unter- und Halbwelt einer lateinamerikanischen Hauptstadt in der Karibikküste. Turbulente Ereignisse katapultieren das junge Mädchen in ein entlegenes Nest in tropischer Stille, wo sie Frieden, bald aber auch sinnliche Unruhe erlebt. Obwohl sie sich, neben der Liebe, eigentlich nur zum Geschichtenerzählen berufen fühlt, wird sie schließlich lebhaft hineingezogen mitten in die Sphäre politischer Gewalt.
Isabel Allende ist eine richtige Geschichtenerzählerin und kreiert in Eva Luna eine weitere Geschichtenerzählerin. In dem Buch tauchen so viele unterschiedliche Geschichten auf, die mir alle recht gut gefallen haben. Und die Figuren sind alle ExzentrikerInnen.
Die Mutter von Eva Luna, namens Counsuelo, war ein Findelkind und wuchs bei den Mönchen auf. Consuelo konnte nie in Erfahrung bringen, woher sie tatsächlich stammt. Diese Biografie zu Consuelo fand ich gleich zu Beginn des Buches schon recht interessant.

Mit der Pubertät schickten die Mönche das junge Mädchen in die Stadt, um als Haushaltshilfe bei Professor Dr. Jones, ein Arzt, angestellt zu werden, damit sie selbst für ihren Unterhalt sorgen konnte. Dr. Jones war eine recht einsame und verschrobene Persönlichkeit, die sich lieber mit ausgestopften Tieren und mit Mumien befasst. Dazu ist er noch Wissenschaftler. Er forscht viel, macht es sich zur Leidenschaft, Tote einzubalsamieren und sie dadurch vor dem Verwesen zu bewahren.

Er ist sehr belesen, das gesamte Haus ist mit Büchern beschmückt:
Das Haus war ein riesiges Bücherlabyrinth. In den Regalen, die sich an den Wänden entlangzogen, waren vom Fußboden bis zur Decke die Wände angehäuft, dunkel eingebunden, nach Leder riechend, glatt und knisternd, wenn man mit der Hand darüber fuhr, mit ihrem Goldschnitt, ihrem feinen, durchschneidenden Papier, ihrem erlesenen Druck. Das kostbarste Gedankengut auf aller Welt fand sich in diesen Fächern, ohne ersichtliche Ordnung aufgereiht, aber der Professor erinnert sich genau, wo er jedes einzelne Buch zu suchen hatte. Shakespeares Werke lagen an der Seite des >>Kapitals<<, die Lebensregeln des Konfuzius standen gleich neben dem >>Leben der Robben<<, die Karten alter Seefahrer lagen neben nordischen Dichtungen und indischer Poesie. 
In so einem Haus würde ich mich auch sehr wohl fühlen.

Counsuelo war sehr angetan von den Büchern. Sie hatte Glück, denn die Mönche brachten ihr Lesen und Schreiben bei, sodass sie abends sich heimlich aus den Regalen immer ein Buch auslieh. Sie war von den Büchern wie verzaubert.
Die Welt des Professors endete am Gartengitter. Drinnen lief die Zeit nach launischen Regeln ab. In einer halben Stunde konnte ich sechsmal die Erdkugel umrunden, und der Glanz des Mondes im Patio konnte meine Gedanken eine ganze Woche ausfüllen. Licht und Schatten verwandelten die Natur der Dinge; die Bücher, tagsüber so reglos still, öffneten sich in der Nacht, damit die Gestalten heraustreten, durch die Zimmer streiften und ihre Abenteuer erlebten; die Einbalsamierten, so demütig und brav, wenn die Morgensonne durch die Fenster schien, wurden im Abenddämmer zu Steinen und wuchsen in der Dunkelheit ins Riesenhafte. Der Raum dehnte sich aus und zog sich zusammen, wie ich es wollte; in der Nische unter der Treppe wirbelte planetarisches System, und der Himmel, vom Rundfenster im Dach aus gesehen, war nur ein bleicher gläserner Kreis. Ein Wort von mir, und schon verwandelte sich die Wirklichkeit. 
Die Icherzählerin ist hier nicht Eva Lunas Mutter, nein, es ist Eva Luna selbst, die ohne dass es der Professor Jones gemerkt hatte, dort still und heimlich und mithilfe der Köchin zur Welt kam.
Im Gegensatz zur Mutter lernte Eva Luna in diesem Haus weder lesen noch schreiben. Doch die Faszination zu den Büchern konnte auch sie als Analphabetin erfassen.

Erst in der letzten Lebensphase nahm Professor Jones das Mädchen wahr, mit dem er sich anzufreunden wusste. Evas Mutter war schon lange nicht mehr am Leben, die Köchin war ihre Patin. Professor Jones verstarb, vermachte ihr zwar sein gesamtes Vermögen, dieses allerdings riss die Kirche an sich, denn der am Sterbebett betende Weihvater führte Professors Bitte nicht aus, Eva nach seinem Ableben das Vermögen zukommen zu lassen. Und Eva ahnte nichts um ihr betrogenes Erbe.
Eva wuchs trotz ihrer mittellosen Herkunft zu einem selbstbewussten und mutigen Mädchen heran. Im Laufe ihres jungen Lebens wechselte sie mehrere Haushalte und ihre Welt füllte sich mit biestischen und arroganten LebensgenossInnen, doch auch mit vielen, die es gut mir ihr meinten und ihr halfen, den richtigen Weg für sie zu finden.
Ich musste einmal sehr lachen. Sie war wieder als ein Dienstmädchen angestellt und diesmal bei einem Staatsminister in einem Haus, das über sanitäre Anlagen verfügte. Trotzdem musste Eva jeden Morgen den Nachttopf ihres Patrons leeren, da er zu bequem war, die Toilette zu benutzen.
Sein Geläut nervte mich. Also stieg ich hinauf, Schritt für Schritt, und bei jeder Stufe wurde ich wütender. Ich trat in das luxuriöse Zimmer, das nach Stall stank, beugte mich hinter dem Stuhl hinab und zog den Topf hervor. Ganz freudig, als täte ich das jeden Tag, hob ich ihn hoch und kippte den Inhalt dem Staatsminister über den Kopf - und schüttelte so mit einer einzigen Bewegung des Handgelenks die Demütigung ab. Er saß wie erstarrt, die Augen quollen ihm aus den Höhlen. 
Sie lernt den Straßenjungen Huberto Naranjo kennen, als sie beide noch Kinder waren. Beide wachsen heran. Nuranjo entwickelt sich zu einem politischen Aktivisten, zu einem Untergrundkämpfer, zählt zum Oberhaupt einer Guerilla-Bande. Er kämpft gegen die Korruption, kämpft für die soziale Gerechtigkeit von Menschen aller Hautfarben und sozialer Herkunft. Er kämpft für die Abschaffung der gesellschaftlichen und hierarchischen Rangordnung in der Form, dass alle Menschen gleichbehandelt werden und alle auf derselben Stufe stehen.

Wie nun die Geschichte für Eva Luna und ihre Helden weitergehen und ausgehen wird, das lest selbst. Das Buch ist zu facettenreich, als dass ich weiterschreiben könnte.

Eines sei noch gesagt, ihr werdet es mit vielen schönen Geschichten, mit vielen interessanten und bedeutenden Figuren zu tun bekommen. Aber auch mit Fieslingen ... 

Das Buch erhält von mir wegen der anfangs erwähnten Dementis sieben von zehn Punkten. Es wären sonst zehn geworden.
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Jedes Böse hat auch sein Gutes.
(Isabel Allende)

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