Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch habe ich schon letzten Donnerstag ausgelesen ...
Jede Menge geistige Ergüsse, von denen ich bis zur Hälfte
des Buches sehr angetan war. Es beschlich mich eine große Anfangseuphorie, bis
ich irgendwann müde wurde von zu vielen guten Gedanken, die immer mehr
inflatierten. Hat sich angefühlt wie ein Willemsen-Burn-out :-).
Das Buch umfasst 240 Seiten im Miniformat. Dicker hätte es
nicht sein dürfen. 240 Seiten Monologe, die aufgingen in Selbstreflexionen und Selbstgespräche. Natürlich galten diese
Gedanken, wie schon aus dem Klappentext hervorgeht, einem komatösen Liebhaber namens Rashid. Diese Gedanken wurden auf Kassette
gesprochen und dem Patienten aufgelegt, wenn Valerie, dessen Geliebte, nicht am Krankenbett sein konnte. Die
Kassetten sind aus meiner Sicht verseucht mit zu vielem
intellektuellen Bla, Bla, Bla …
Wäre ich dieser Patient, da wollte ich nicht wieder aufwachen, wenn ich
mit so vielen Gedanken erschlagen werden würde. Die Icherzählerin
Valerie sieht das aber anders, denn sie ist der Auffassung, dass die Gedanken über die Liebe ihrem Geliebten
guttun würden:
Ich habe dir nichts zu sagen, denkst du, oder immer dasselbe. Doch du
bist geduldig, du lässt die Schwestern die Kassetten einlegen, wieder und
wieder, hörst es
dir an, nicht wahr, es macht nichts, dass du es kennst, nicht wahr? Es sickert
in dich ein. Es springt dir
das Herz, langsam wie das Wasser, das in den Stein dringt.
Nun ja, wenn aber der komatöse Patient als eine Metapher zu
verstehen ist, s. S. 68, dann bezeichnet Valerie damit die Liebhaberinnen und Liebhaber, die körperlich,
geistig und seelisch zu taub sind für die
Liebe:
Also liegen alle
Geliebten immer im Koma - der
Gewohnheit, der Pflichterfüllung, der Abstumpfung. Ach,
ich weiß noch, wie ich weinen musste, als ich eines Morgens in der Zeitung den
Satz eines Selbstmörders,
geschrieben im Abschiedsbrief an seine Frau: >>Unsere Ehe war immer so
schön.<<
Ein bisschen makaber, denn weshalb hat der Suizident sich das Leben genommen, wenn die
Ehe so schön verlaufen wäre? Eine Ironie der Liebe …
Demnach galt für mich das Buch als eine Denkschrift über die
Liebe. Manchmal sehr empathisch und manchmal
intellektuell sehr geistreich.
Trotz der Überfrachtung an
Gedanken konnte sich Willemsen als Mann
sehr gut in die Protagonistin und Icherzählerin hineinversetzen. Es ist ihm
schon gelungen, sich in das Frauengeschlecht zu denken, indem er ihr die Stimme
verleiht. Die Gedanken, auch zur Sexualität, wirken sehr natürlich und passend.
Willemsen zählt für mich zu den wenigen männlichen Autoren, die wissen, was so
ungefähr im Innenleben einer Frau abgehen kann. Er konnte nur keinen Punkt
finden, und es beschleicht mich das Gefühl, er
dreht sich mit seinen Gedanken im Kreis.
Natürlich ist das Thema brisant und interessant, aber wenn
der Mensch zu viel über die Liebe spricht, wie
wird er sie genießen können?
Wie will er sie erfahren können? Es
haben sich schon ganz andere Köpfe darüber heiß geredet, ohne dass es
tatsächlich bei den Menschen etwas verändert hätte. Die Probleme sind
diesbezüglich immer dieselben. Ganz gleich, aus welchem Jahrhundert der Mensch
kommt. Sexuelle Gefühle können sehr primitiv sein,
überhaupt das emotionale Leben. Aus meiner Sicht sollte man die Liebe
nicht zerreden, man kann sie auch im Stillen genießen
… Man muss Liebe nicht erklären, und nicht intellektualisieren und sie muss das
bleiben, was sie ist. Ein Gefühl. Ein hohes Gefühl, ein niedriges Gefühl, ein
primitives Gefühl, kommt ganz auf die Person darauf an, auf welcher emotionalen
Entwicklungsstufe sie sich befindet …
Manchmal beginnt die Liebe einfach mit der
Lust auf die Liebe.Andererseits: Wie
viele Familien hat die Liebe ruiniert! Wie viele Lebensläufe haben ihren Knacks
bekommen durch die Liebe. Wenn dies so ist, kann ich gut darauf verzichten, das
hätte ich wissen sollen.
Ja, dem stimme ich auch zu ...
Soeben blättere ich durch meine vielen mit Zettelchen
behafteten Seiten und finde meinen Gedanken bestätigt:
Liebe muss glauben,
ahnen, tasten, irren, sie darf bloß nicht wissen, sonst fällt sie in sich
zusammen.
Ist das nicht ein schönes Bild? Und der Gedanke, dass Liebe
nicht wissen darf … finde ich passend ausgedrückt.
Ein Zitat folgt nun über das Verliebtsein:
Verliebtheit ist eine
Suchterscheinung, Suchtgefährdete leben anders, bedürftiger, im Grunde hilflos.
Und was für eine Sucht! Süchtig nicht nur nach Gesicht und Körper, Stimme und
Haltung, sondern danach, unvernünftig zu sein, gehört zu werden, jeden Moment
zu multiplizieren mit dem Liebsten, der Liebsten.
Wobei jeder Mensch auf seine Weise
liebt.
Massenhaft verblöden
Menschen, nur weil die Liebe sie dazu bringt, in der Schnulze zu leben, und
mitten darin fällt mir der Satz La Rochefoucaulds ein: >>Wer weiß, wie
viele Menschen nie verliebt gewesen wären, wenn sie nicht von der Liebe hätten
reden hören.<< Ja, und alle haben sich dieselbe Liebe dabei vorgestellt
und dabei ist sie dumm, stumpf und süßlich geworden.
Dabei denke ich an die schnulzigen
Schlagertexte ... Die Gefühle können reif sein, oder auch nicht. Je
reifer die Gefühle, desto reifer und freier
kann die Liebe aus meiner Sicht sein … Das hat
nichts mit dem Intellekt zu tun.
Es ist nicht neu, dass Liebe oftmals nicht selbstlos ist,
und dass sie Suchtpotenzial hat und voller Besitzansprüche sein kann. Nur hat
Willemsen eben diese Thematik in gute Gedanken
verpackt. So wirklich etwas Neues erfährt man dazu
allerdings nicht, wenn man diese Thematik aus der Verpackung schält.
Dass manche Frauen sich im Geschlechtsverkehr immer sehr anstrengen
müssen, ihn wie eine Leistung erleben kann, damit der Mann danach zufrieden und
ausgeglichen ist, ist eigentlich auch nichts Neues:
Das Vögeln war eine
Sache, bei der ich mir immer wieder Mühe geben musste, sie gut zu machen. Denn,
ist man nicht gut im Bett, sind Männer hinterher unleidlich, kritteln an allem
herum, wollen telefonieren oder etwas im Internet nachsehen und bringen es
fertig, sich nie wieder zu melden, so tief sitzt die Erinnerung an dieses
schlechte Vögeln, das sie nun mal nicht leiden können. Weißt du, es ist diese
Instant-Sex-Mentalität, von der ich selbst allmählich immer mehr angenommen
habe. Was erwartest du bei diesem Personal!
Auch kritische Gedanken zur Ehe sind in dem Text zu finden, die für mich sehr
einleuchtend sind. Dazu folgendes Zitat:
Es ist gut, dass die
Ehen vor die Hunde gehen. Dazu sind sie da. Niemand sollte denken, dass es
Sicherheiten gäbe. Niemand soll sich auf etwas anderes verlassen als auf sich.
Wenn überhaupt.
Heute schreibt größtenteils
keiner mehr Liebesbriefe, weder Mann noch Frau, doch wenn ein Mann Liebesbriefe
schreibt, lach, so würde er all die
Vokabeln melken, vor denen ihm immer bange ist.
So, und hier beende ich meine Buchbesprechung, habe selber
viel zu viel darüber intellektualisiert. Willemsen
hat mich eben angesteckt. Viele meiner Gedanken habe ich allerdings auch wieder
gelöscht.
Nichts destotrotz finde ich Willemsen eine sehr begabte
Persönlichkeit, die über sehr viel
Schreibtalent verfügt. Er schafft es gut, seine Gedanken in fantasievolle
Bilder zu kleiden, mit einer gut ausgewählten
Sprache ausschraffiert. Ich bin neugierig auf
die anderen Bücher von ihm.
Mein Fazit?
Ich tue mich schwer mit Büchern, die monologisieren. 240 Seiten Monologe fand ich auf Dauer monoton. Mir
hat die Abwechslung von Perspektiven über andere
Figuren einfach gefehlt. Es gab mir zu wenig
Reibungsfläche. Nur eine Sichtweise war mir zu wenig.
Außerdem habe ich jetzt von der Thematik her nichts wirklich Neues erfahren ...
Das Buch erhält daher von
mir nur neun von zehn Punkten.
___________
Wer sich im Vertrauten verirrt
oder in der Fremde verloren geht,
braucht nur eine fürsprechende Seele,
um sich gerettet zu fühlen.
(Petra Oelker)
Gelesene Bücher 2016: 11
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