Montag, 29. Februar 2016

Haruki Murakami / Tanz mit dem Schafsmann (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Die zweite Chance, die ich dem Buch gegeben habe, hat sich gelohnt. Ich habe das Buch diesmal ausgelesen und das noch mit Spannung und großem Interesse.

Anfangs dachte ich, es ist wieder eine typische Murakami-Mond-Liebesgeschichte im Zweiergespann, aber diesmal war es eine Liebesgeschichte des Icherzählers, der mit mehreren Frauen schicksalshaft und sexuell verbunden war. Und sollte es nicht auch eine Mond-Liebesgeschichte werden? (s. u.)

Das Buch ist stark geprägt vom magischen Realismus, ähnlich wie viele andere Murakami-Bücher auch, aber dieses hier fand ich diesbezüglich noch schärfer, wenn auch manche Szenen ein wenig gewöhnungsbedürftig sind, wie z. B. das Verschwinden mancher Figuren durch die Wand. Murakami bezeichnet diese Abläufe als spirituell, der Übergang vom Diesseits ins Jenseits. Und die Figuren, die hinter der Wand verschwinden, bezeichnet er als Geister. Ich mag Bücher, in denen es mehrere Realitäten gibt und man nicht genau sagen kann, welche  nun die realere ist.

Der Schreibstil ist flüssig, poetisch und fantasievoll.

Das außergewöhnliche surreale Cover hat mich sehr angesprochen ...

Man darf allerdings dieses Murakami-Buch nicht mit anderen Murakami-Büchern vergleichen, sonst wird man dem nicht gerecht werden ...

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Im Hotel Delphin gibt es eine dunkle, gruselige Zwischenwelt, in der manchmal der Lift stecken bleibt. Dann kann man dem Schafsmann begegnen. Er ist Schatten und Schutzengel des Erzählers. Und seine Botschaft lautet: "Tanzen. Immer weiter tanzen, solange die Musik spielt." Traum? Realität? Bei Murakami sind sie nicht so genau zu trennen. Mit traumwandlerischer Sicherheit versteht es der japanische Bestsellerautor, erotische Sehnsüchte in seinen Romanen zum Leben zu erwecken. "Tanz mit dem Schafsmann" ist eine wunderbar fesselnde Liebesgeschichte, verführerisch leicht erzählt und mit einem überraschenden Ende. 
Der 34-jährige Protagonist, ein japanischer Journalist, dessen Namen die Leserin nicht erfährt, scheint unendlich viel Zeit zu haben ... Er macht die Bekanntschaft mit einer Frau namens Kiki. Kiki ist die Frau, die dem Journalisten den Tipp gegeben hat, er solle sich eine Mondfrau suchen und mit ihr Mondkinder zeugen. Hm. Wer war denn nun die Mondfrau? Es gab mehrere Frauen, die dafür in Frage hätten kommen können, doch Mondkinder hatte er keine gezeugt. Davon war später gar nicht mehr die Rede. Mich hat diese kurze Szene stark an die Bände IQ84 erinnert.

Am Anfang spielt sich alles in diesem Hotel ab. Der Wechsel der verschiedenen Welten …, bis sie zum Ende hin alle aufeinanderprallen, aber ohne Schaden zu nehmen.

Kiki verschwindet spurlos und der Journalist begibt sich auf die Suche nach ihr, da er in sie verliebt ist und sich stark zu ihr hingezogen fühlt. Erst in einem trivialen Liebesfilm namens unerwiderte Liebe, in dem sein ehemaliger Schulfreund Gotanda die Hauptrolle erhält, sieht er Kiki in einer Nebenrolle mitspielen ... Erneut begibt er sich auf   Spurensuche, nimmt Kontakt zu Gotanda auf, den er viele, viele Jahre zuvor nicht mehr gesehen hatte ...

Kiki, May und andere Figuren existieren als Traumfiguren. Einige davon sind ermordet worden …

In manchen Szenen fand ich dieselbe Düsternis vor, wie man sie von Kafka her kennt. Murakami beschreibt verwesende Körper, die von Maden gefressen werden, dass man nicht mehr erkennen könne, ob der Körper mal ein Mann oder eine  Frau gewesen sei. Sogar über den Verwesungsgestank, hüstl, hat er geschrieben, sodass ich mich fragen musste, weshalb der Autor auf solche perverse detaillierte Beschreibungen angewiesen war? Ist die eine Realität vergänglicher als die andere? Der Körper vergeht, während die Seele aus ihm herausgeschlüpft am Leben bleibt? Wir werden es nicht erfahren.

Der Schafsmann, der in dem Hotel in einem Kabuff seine Bleibe hat, lebt in der anderen Art von Wirklichkeit, und nur bestimmte Menschen können den Schafsmann sehen. Der Schafsmann gab dem Journalisten ein paar Lebenshilfen, um sein düsteres Leben besser bewältigen zu können. Tanzen, tanzen, tanzen galt als das Lebenselixier, wobei ich mich damit wirklich schwer tat, diese permanente Tanzerei vorzustellen. An einigen Textstellen geht hervor, dass der Journalist selbst der Schafsmann ist. Zumindest ein Teil seines Ichs.

Die Charaktere jener Frauen kamen mir ein wenig abstrus vor. Sie wirkten auf mich alle psychisch recht instabil und kurios im Handlungsablauf. Auch die pädagogische Beziehung zu dem dreizehnjährigen Mädchen, das von den geschiedenen Eltern total vernachlässigt wird, und diese den Journalisten baten, sich gegen gute Bezahlung um die Tochter zu kümmern, während beide Elternteile ihren egoistischen Lebensgelüsten nachgingen. Der Vater des Mädchens organisierte ihm sogar eine Prostituierte, damit sein Sexualleben nicht zu kurz kommt.

Ein wenig Weisheit fand ich auch in diesem Buch. Der Tod wird hier mehrfach thematisiert. Viele Menschen neigen dazu, immerzu Schlechtes in anderen Menschen zu sehen, doch wenn ein Mensch stirbt, wandelt sich die Sicht zu dem Toten zum Guten, um das schlechte Gewissen zu beruhigen. Aus der Sicht des Protagonisten:
Menschen sterben oft unerwartet. Das Leben ist zerbrechlicher, als man meint. Darum sollte man mit anderen so umgehen, dass man später nichts bereuen muss-fair und, wenn möglich, aufrichtig. Ich kann Leute nicht ausstehen, die sich darum nicht bemühen und dann, wenn es zu spät ist, Tränen der Reue vergießen. Sie machen es sich zu einfach.

Mein Fazit?

Ich fand das Buch zwar recht düster, aber nicht hoffnungslos. Es zeigt zum Ende hin eine Wende, mit der ich gerechnet habe ...

Ich fand nun auch nicht, dass dieses Buch zu Murakamis Stärken zählt, aber es hatte doch etwas Anziehendes. Und wenn man die Werke nicht miteinander vergleicht, dann bleibt das Buch von der Idee her das, was es ist, ein Buch mit dem Titel Tanz mit dem Schafsmann. Allerdings würde ich jedem Murakami-Anfänger abraten, mit diesem Buch zu beginnen, und sich doch eher mit den Bänden IQ84 zu befassen.

Und was mir ein wenig komisch erschien, ist, dass der Autor immer wieder sexuelle Ideen in seinem Text hat einfließen lassen. Manche Szenen wirkten arg pornografisch. Manche Szenen wirken dadurch übertrieben gekünstelt und unnatürlich. Nicht, dass mich das gestört hätte, nein, es war nur zu viel von dieser Zutat. Ich stelle mir Murakami  in seinem Schreibprozess vor. Immer seine unterschwellige Sexualität vor Augen gehalten, ist nicht in der Lage, davon mal abzuschalten. Wenn z. B. eine Frau mal nicht gut drauf ist, dann liegt das daran, weil sie gerade wieder menstruiert. Oder das junge Mädchen, dreizehn Jahre alt, ernährt sich sehr einseitig und er rät ihr, sie solle sich ausgewogener ernähren, sonst habe sie später Probleme mit ihrer Periode ... Deshalb meine Frage, wie viel Murakami eigentlich von Frauen versteht?

Das Buch erhält von mir acht von zehn Punkten.
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Wer sich im Vertrauten verirrt
oder in der Fremde verloren geht,
braucht nur eine fürsprechende Seele,
um sich gerettet zu fühlen.
(Petra Oelker)


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