Dienstag, 15. Juli 2014

Sonya Winterberg / Wir sind die Wolfskinder-Verlassen in Ostpreußen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch ging mir echt bis tief unter die Haut. Ich wollte es erst abbrechen, auch weil ich schon so viel über Hitlers Politik gelesen habe. Doch dieses Buch ist noch einmal eine Besonderheit. Hier geht es um Ostdeutsche, die bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg von den Russen verfolgt, vertrieben, misshandelt und massakriert wurden. Es ist heftig, aber für die Menschen, die diese Zeiten erlebt haben, und andere, die diese Zeiten nicht überleben konnten, für die muss man das Buch aushalten und bis zum Ende lesen. Denn ich erlebe diese Schreckensszenarien nur mental, während diese Menschen es live durchleben mussten. Sie konnten nicht weglaufen. Es ist gut, dass es solche Bücher gibt. Nun sind hier nicht die Juden die Opfer, sondern die Ostdeutschen, Menschen aus dem Osten Preußens. Auch dieses Buch zeigt, wie Kriege aus Menschen Monster machen; weil sie selbst bestialisch malträtiert wurden, und nichts anderes mehr im Sinn haben, als sich zu rächen.

Zur Erinnerung gebe ich nochmals den Klappentext rein:
»Niemand durfte uns weinen sehen ?« Ein Wolfskind aus KönigsbergHunderttausende Deutsche flohen Ende des Zweiten Weltkriegs vor der Roten Armee aus Ostpreußen und Königsberg. Immer wieder gingen Kinder auf der Flucht verloren oder erlebten die Ermordung der eigenen Familie. Andere mussten ohnmächtig mitansehen, wie ihre Geschwister verhungerten, die Großeltern aus Schwäche starben oder die Mutter einer Epidemie erlag. Auf sich allein gestellt, überlebten diese Kinder in den Wäldern des Baltikums. Man nannte sie »Wolfskinder«. Die Journalistin Sonya Winterberg hat die letzten Zeitzeugen dieser dramatischen Jahre besucht. Nach jahrzehntelangem Schweigen erzählen sie erstmals von der Angst, dem Hunger und der lebenslangen Einsamkeit. Aber auch von Menschen, die ihnen das Überleben ermöglichten und den Weg in die Zukunft wiesen.
Es ist kein Geschichtsbuch, und trotzdem ist es ein Buch, das narrativ und retrospektivisch über die Geschichte schreibt.

Ich zitierte aus dem Buch und zu dem Buch Hannah Arendt, deutsch-jüdische-amerikanische Publizistin:
Sofern es überhaupt ein >Bewältigen< der Vergangenheit gibt, besteht es in dem Nacherzählen dessen, was sich ereignet hat; aber auch dies Nacherzählen, das Geschichte formt, löst keine Probleme und beschwichtigt kein Leiden, es bewältigt nicht endgültig, es hilft aber, >die innere Wahrheit des Geschehens so transparent in Erscheinung< zu bringen, daß man sagen kann: Ja so ist es gewesen.
Ein Kollektivschicksal. Eine Kindheit hatten viele Kinder nicht, bzw. man hat sie ihnen genommen. Ein Wunder, dass es doch auch Kinder gab, die dieses Schicksal überlebt haben und erwachsen werden konnten. Ein Wunder, denn sie waren dabei, als deren Mütter von den Rotgardisten vergewaltigt wurden. Sie waren dabei, als die Großeltern erschossen oder erhängt wurden. Sie waren dabei, als die Familie an Hunger starb und sie als die einzigen Überlebenden übrig blieben. Kleinkinder, Kinder und Jugendliche. Der Krieg kennt keine Grenzen. Er kennt auch kein Pardon, nicht mal für die jüngsten Menschen dieser Erde. Viele elternlose Kinder waren in Arbeitslager nach Sibirien verschleppt. Andere in Waisenhäuser der damaligen DDR untergebracht. Über das Schicksal zu reden?, den Kindern wurde in den Waisenhäusern ein absolutes Redeverbot verhängt.

Zivilisten aus Ostpreußen wurden für die Politik Hitlers verantwortlich gemacht. Selbst als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, hörte das Leid noch lange nicht auf. Die Kriegsfolgen zogen sich noch weit hin bis in die späten 1950er Jahre. Die Russen waren nicht besser als Hitler es war, doch auch sie waren Verletzte Hitlers.

Viele elternlose Kinder mussten für sich selbst sorgen. Sie streunen durch die Wälder wie Wölfe es tun, deshalb der Titel Wir sind die Wolfskinder. Ostpreußen zählte nicht mehr zu Deutschland, der nördliche Teil ging an Russland, der südliche an Polen … Viele hatten dadurch keine Heimat mehr.
Für die Wolfskinder aber teilt sich das Leben weniger in Krieg und Nachkrieg als vielmehr in die Zeit mit der Familie und die Zeit ohne Angehörige. Bei manchen erfolgte der Verlust der familiären Geborgenheit jäh - meist durch plötzliche Trennung oder gewaltsamen Tod. Andere erleben das Erlöschen der ganzen Familie durch Hunger, Seuchen oder Krankheit als einen nicht enden wollenden qualvollen Prozess, bis sie als Einzige übrig bleiben. (88)
Viele Kinder gingen nach Litauen, entweder zu Fuß oder sie schmuggelten sich in Waggons ein. Litauen wurde bekannt als das Brot- und Kuchenland. In Litauen bekamen die Kinder zu Essen. Bettelnde Kinder wurden nicht ohne Lebensmittel wieder weggeschickt. Einige Kinder konnten in Litauen sogar eine neue Familie finden. Viele blieben in den neuen Familien, weil sie nicht wussten, wohin sie sonst noch gehen konnten. Manche rissen aus den Familien wieder aus, weil sie schlecht behandelt wurden. Vereinzelt gab es aber Kinder, die blieben, obwohl sie schlecht behandelt wurden. Aber insgesamt haben sie mit den Litauern überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Sie hätten sonst ohne deren Hilfe nicht überleben können. Es war allerdings den Litauern verboten, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Wer erwischt wurde, wurde nach Sibirien verbannt. Litauen hatte seine Unabhängigkeit verloren und gehörte seit 1940 Russland an. Viele Litauer gingen das Risiko ein, zeigten Zivilcourage und nahmen trotzdem die Kinder bei sich auf. Die deutschen Namen ließen sie russifizieren, damit die Kinder im Land unauffällig leben konnten. Viele wurden nicht in die Schule geschickt, damit sie geschützt bleiben konnten, und halfen eher zu Hause im Haushalt, auf dem Hof oder als Hirtenjunge auf der Weide …

Die Russen waren so grausam, dass Kinder, die um Essen bettelten, regelrecht erschossen wurden. Die russischen Soldaten folgten einer Hasspropaganda, die sich für das rächen wollten, was die Nazi-Deutschen ihren Familien angetan hatten.
Preußen als vermeintlicher Hort des Nationalsozialismus wurde gleichgesetzt mit Ostpreußen, Königsberg zum Synonym des Militarismus und Faschismus stilisiert. In den Köpfen der 1,67 Millionen Soldaten, die in Ostpreußen zum Einsatz kamen, hallten einzig die Worte ihres Oberbefehlshabers Marschall Schukow wider: Die Zeit ist gekommen, mit den deutsch-faschistischen Halunken abzurechnen. Groß und brennend ist unser Hass! Wir haben unsere niedergebrannten Städte und Dörfer nicht vergessen. Wir gedenken unserer Brüder und Schwestern, unserer Mütter und Väter, unserer Frauen und Kinder, die von den Deutschen zu Tode gequält wurden. Wir werden uns rächen für die in den Teufelsöfen Verbrannten, für die in den Gaskammern Erstickten, für die Erschossenen und Gemarterten. Wir werden uns rächen für alles! Doch die Rache traf weniger die Schuldigen des Krieges, die Naziverwaltung, die SS-Schergen und die Politikgrößen, die sich längst aus dem Staub gemacht hatten, sondern jenen Teil der Zivilbevölkerung, der am wenigsten mobil war: Greise, Frauen und Kinder. Für sie begann eine nicht enden wollende Nachkriegszeit. (85)
Viele Jahre nach dem Krieg begaben sich mehrere, mittlerweile Erwachsene, Wolfskinder auf Spurensuche, in der Hoffnung, Familienmitglieder wiederzufinden. Sie wandten sich an das Deutsche Rote Kreuz, und andere beantragten bei deutschen Politikern humanitäre Hilfe. Sie wollten auch wieder die deutsche Staatsbürgerschaft zurückerlangen, die sie durch den Krieg verloren hatten. Viele mussten ihre Muttersprache neu lernen. Hatten sie ein Anrecht auf eine deutsche Rente? Sie gingen weder zur Schule, noch konnten sie gut verdiente Arbeiten nachgehen, weil die Schulbildung dafür nicht ausreichte. Sie zahlten also nicht in die soziale Staatskasse ein. Verloren in der Kindheit? Verloren auch im Alter?

Lest selbst. Es gibt viele Wolfskinder, die alt geworden sind, und viele, die wieder zurück in ihre alte Heimat möchten.
Dieses Buch zu lesen, ohne erneuten Hass zu entwickeln, ist schon eine Herausforderung, deshalb zitiere ich zum Abschluss den Gedanken einer Betroffenen:
Ich denke heute, dass es jedem Menschen gegeben ist, Gutes oder Böses zu tun, je nachdem in welchen Umständen er sich befindet. Der absolute Wille zu leben und zu überleben lässt Menschen Dinge tun, die sie nie für möglich gehalten hätten. (211)
Das Lesen des Buches bedeutete für mich, sich mit den Opfern zu solidarisieren. Wer sind die Opfer? Solidarität mit allen Verwundeten, Solidarität mit allen Hingerichteten und Gefolterten, Solidarität mit allen Verhungerten, ohne sie in Nationen einzuteilen. 
______
Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

Gelesene Bücher 2014: 45
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86






Sonntag, 13. Juli 2014

Sonya Winterberg / Wir sind die Wolfskinder - Verlassen in Ostpreußen

Klappentext
»Niemand durfte uns weinen sehen ?« Ein Wolfskind aus KönigsbergHunderttausende Deutsche flohen Ende des Zweiten Weltkriegs vor der Roten Armee aus Ostpreußen und Königsberg. Immer wieder gingen Kinder auf der Flucht verloren oder erlebten die Ermordung der eigenen Familie. Andere mussten ohnmächtig mitansehen, wie ihre Geschwister verhungerten, die Großeltern aus Schwäche starben oder die Mutter einer Epidemie erlag. Auf sich allein gestellt, überlebten diese Kinder in den Wäldern des Baltikums. Man nannte sie »Wolfskinder«. Die Journalistin Sonya Winterberg hat die letzten Zeitzeugen dieser dramatischen Jahre besucht. Nach jahrzehntelangem Schweigen erzählen sie erstmals von der Angst, dem Hunger und der lebenslangen Einsamkeit. Aber auch von Menschen, die ihnen das Überleben ermöglichten und den Weg in die Zukunft wiesen.

Autorenporträt
Sonya Winterberg, geboren 1970, absolvierte ihren Master in European Media an der University of Portsmouth/UK. Sie lebt und arbeitet nach Stationen in Belgien und den USA als freie Journalistin in Berlin und ihrer finnischen Heimat. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Krieg und Trauma. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Drehbuchautor Yury Winterberg, schrieb sie »Kriegskinder – Erinnerungen einer Generation«, das als Taschenbuch erfolgreich im Piper Verlag erschien.
Das Buch habe ich gebunden und gut erhalten antiquarisch im Bücher-Oxfam erworben. Es wurde 2012 aufgelegt und mittlerweile ist es als Taschenbuch zu bekommen.

Habe ein paar Seiten gelesen. Ein Buch, das echt bis unter die Haut geht.





Freitag, 11. Juli 2014

Jojo Moyes / Weit weg und ganz nah (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es hat mich so sehr gefesselt, dass ich mit dem Lesen schwer aufhören konnte.

Die Charaktere der Figuren waren differenziert dargestellt, die Sprache hat mir auch gut gefallen und der Inhalt hat mich gepackt. Das Buch Ein ganzes halbes Jahr ist bei mir nicht so gut angekommen, wie das vorliegende Buch.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Einmal angenommen … … dein Mann hat sich aus dem Staub gemacht. Du schaffst es kaum, deine Familie über Wasser zu halten. Deine hochbegabte Tochter bekommt eine einmalige Chance. Und du bist zu arm, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Plötzlich liegt da ein Bündel Geldscheine. Du weißt, dass es falsch ist. Aber auf einen Schlag wäre dein Leben so viel einfacher … Und einmal angenommen, du strandest mitten in der Nacht mit deinen Kindern am Straßenrand – und genau der Mann, dem das Geld gehört, bietet an, euch mitzunehmen. Würdest du einsteigen? Würdest du ihm irgendwann während eures verrückten Roadtrips gestehen, was du getan hast? Und kann das gutgehen, wenn du dich ausgerechnet in diesen Mann verliebst?
Besonders inspiriert hat mich die Protagonistin Jessica Thomas, die mit siebzehn Jahren schon recht früh Mutter wurde, und sie dadurch ihre Schule abbrechen musste und ohne Abschluss ins eigene Familienleben gerät. Mittlerweile sind viele Jahre vergangen, ihre Tochter Tanzie ist zehn Jahre alt geworden. Die Familie bricht auseinander. Tanzies Vater verlässt das Haus und lässt ihren Stiefbruder Nicky zurück. Jess liebt Nicki wie ihr eigenes Kind und sorgt für ihn wie ihr eigenes Kind. Nicky ist 16 Jahre alt. Jess verlangt keinerlei Lebensunterhalt, weder für sich, noch für die Kinder, da ihr Mann Marty sowieso wenig Kohle hat, kann sich kaum selbst über Wasser halten. Die Rücksichtsnahme seiner Frau geht so lange gut, bis Jess plötzlich mit neuen Tatsachen konfrontiert wird, die Marty ihr verheimlicht hat.

Aber Jess zerbricht nicht an der Trennung, hält stark an ihren Idealen fest, so, als würde sie niemanden brauchen:
Das war der Grund, aus dem Jess nicht zusammengebrochen war, als Marty sie verließ. Warum sollte sie auch? Er konnte sie nicht verletzen. Das einzige, was Jess wirklich wichtig war, waren diese beiden Kinder. Und genauso wichtig war es, diese beiden Kinder spüren zu lassen, dass sie in Ordnung waren. Denn selbst wenn einen alle Welt fertigmachte, konnte einem das nichts anhaben, solange einem die Mutter den Rücken stärkte. Irgendein tief verwurzelter Teil wusste dann immer noch, dass man trotzdem o. k. war. Dass man es verdiente, geliebt zu werden. Jess hatte nicht viel im Leben getan, auf das sie stolz sein konnte, auf eines aber war sie sehr stolz: nämlich darauf, dass Tanzie das wusste. Sie war eine seltsame kleine Krabbe, aber Jess wusste, dass sie es wusste. An Nicky arbeitete sie noch. (235)
Bei ihren Freundinnen stößt Jess auf Unverständnis, dass sie ihren Stiefsohn Nicky auch noch bei sich aufgenommen hat, wo doch der Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter sowieso schon knapp ist, und hart dafür kämpfen muss. Sie muss tatsächlich jeden Cent dreimal umdrehen.

Eigentlich kommt Jess aus gutem Hause, die Mutter ist Lehrerin und Jess hätte studieren können, wenn sie nicht so früh Mutter geworden wäre.

Die Kinder, es sind besondere Kinder. Tanzie ist ein Mathematikgenie und Nicky ein besonders sensibler Jugendlicher, der sich gerne ab und zu mal schminkt, ohne sich als homosexuell zu bezeichnen. Beide Kinder fallen durch ihre Besonderheit in der Gesellschaft auf, denen das Leben schwer gemacht wird.

Jess lernt den wohlhabenden Programmierer Mr. Ed Nicholls kennen, der mit den Problemen dieser Familie konfrontiert wird, und einen Bezug zu sich selbst findet. Auch Mr. Nicholls war ein Mutmacher. Im nächsten Zitat folgen aufmunternde Worte, die er an Nicky richtet:
 Jeder Mensch, dessen Bekanntschaft mir etwas wert ist, war in der Schulzeit ein bisschen anders als die anderen. Du musst einfach noch deine Leute finden. (…) Man verbringt sein ganzes Leben mit dem Gefühl, nirgends richtig hinzupassen. Und dann betritt man eines Tages irgendeinen Raum, an der Uni, in einem Büro, einem Club oder sonst wo, und sagt sich: >Ah. Hier sind sie.< Und auf einmal fühlt man sich zu Hause. (205f)
Ich finde, dass das ein sehr schönes Zitat ist. Kenne das selbst auch aus meinem eigenen Leben, das Gefühl, nirgends richtig dazuzugehören, weil auch ich ein wenig anders war und mich kaum jemand verstand.

Mr. Ed Nicholls begleitet die vaterlose Familie nach Schottland, damit Tanzie an einem Mathematikwettbewerb teilnehmen kann, an dem alle Mathegenies eingeladen sind. Sie sind mehrere Tage unterwegs und Ed Nicholls hat dadurch genug Zeit, Jess und die Probleme ihrer Kinder kennenzulernen.

Jess legt auf die Erziehung ihrer Kinder sehr viel Wert. Sie versucht ihnen Werte zu vermitteln á la: Behandle andere immer so, wie du selbst auch behandelt werden möchtest.

Sie macht eine ernüchterne Erkenntnis:
Tja, es funktioniert nur, wenn sich alle dementsprechend verhalten. Und das macht kein Mensch mehr. Die Welt ist voller Leute, die sich einen Dreck um andere scheren. Die trampeln einfach über einen weg, wenn sie dadurch bekommen, was sie haben wollen. Sogar wenn es ihre eigenen Kinder sind, über die sie wegtrampeln. (340)
Nicholls erfährt über Jess und ihre Kinder auch einiges über sich. Auch er hat massive Probleme im Beruf und mit seiner Herkunftsfamilie. Statt die Probleme zu lösen, rennt er vor ihnen weg, wie Jess´Mann Marty es auch getan hat.
Denn in diesem einen Moment hatte Ed Nicholls erkannt, dass er mehr wie Marty und weniger wie Jess war. Auch er war ein Feigling gewesen und vor den Problemen in seinem Leben davongelaufen, statt sich ihnen zu stellen. Und das musste sich ändern. (348)
Jess gerät in Situationen, die ihr wie eine schwere Lebensprüfung erscheinen, denen sie nicht immer gewachsen war. Trotz ihrer Werte, die sie auch den Kindern vermittelt, handelt sie gesetzeswidrig, weil sie keinen anderen Ausweg findet.

Jess ist ein sehr belesener Mensch, und kauft sich immer abgegriffene gebrauchte Taschenbücher, weil sie nicht so teuer sind. In ihrem Haus befinden sich in jedem Raum Bücherregale, mit Ausnahme des Badezimmers, die alle mit Taschenbüchern gefüllt sind.

So, ich beende hiermit die Buchbesprechung, da ich nicht zu viel verraten möchte.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten …

______
Mithilfe von Büchern eignen wir uns andere Erfahrungen an
 und lernen neue Lektionen (Nina Sankovitsch))

Gelesene Bücher 2014: 44
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86








Sonntag, 6. Juli 2014

Jojo Moyes / Weit weg und ganz nah

Klappentext
Einmal angenommen …
… dein Mann hat sich aus dem Staub gemacht. Du schaffst es kaum, deine Familie über Wasser zu halten. Deine hochbegabte Tochter bekommt eine einmalige Chance. Und du bist zu arm, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Plötzlich liegt da ein Bündel Geldscheine. Du weißt, dass es falsch ist. Aber auf einen Schlag wäre dein Leben so viel einfacher …
Und einmal angenommen, du strandest mitten in der Nacht mit deinen Kindern am Straßenrand – und genau der Mann, dem das Geld gehört, bietet an, euch mitzunehmen. Würdest du einsteigen? Würdest du ihm irgendwann während eures verrückten Roadtrips gestehen, was du getan hast?
Und kann das gutgehen, wenn du dich ausgerechnet in diesen Mann verliebst?



Autorenporträt
Jojo Moyes, geboren 1969, hat Journalistik studiert und für die «Sunday Morning Post» in Hongkong und den «Independent» in London gearbeitet. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern auf einer Farm in Essex.
Von der Autorin habe ich drei Bücher im Regal stehen, aber bis jetzt nur ein Buch gelesen. Die Bücher wurden in folgender Reihenfolge aufgelegt:
1. Ein ganzes halbes Jahr
2. Eine Hand voll Worte
3. Weit weg und ganz nah.
Buch Nr. 1 habe ich gelesen. Und nun habe ich mit BD 3 begonnen. Habe die ersten 65 Seiten durch und es scheint mir bis jetzt sogar noch besser zu gefallen als BD 1.

Der dritte Band wurde erst kürzlich aufgelegt. Ich freue mich sehr auf das Weiterlesen.

Jules Verne / Reise zum Mittelpunkt der Erde (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir ganz gut gefallen. Ein Science - Fiction Roman, der gar nicht so abwegig war. Man konnte die Reise mental gut mitverfolgen.
Es war recht spannend, wobei man den Ausgang der verschiedenen Gefahrensituationen dieses Abenteuers sehr gut schon vorausahnen konnte, da der Icherzähler Axel von den Ereignissen dieser Reise berichtet, und wäre er tödlich verwundet, könnte er nicht mehr erzählen.

Axel ist nämlich die Figur gewesen, die am meisten in lebensbedrohliche Gefahren geriet. Doch auch die beiden anderen Reisepartner waren Gefahren ausgeliefert. Axels Onkel, deutscher Professor Lidenbrock, ist ein waschechter Wissenschaftler, der bereit ist, für die Wissenschaft sein Leben aufs Spiel zu setzen, während Axel eher ängstlich und traurig war, seine Liebste, die Gretchen, zurückzulassen, wobei selbst Gretchen ihn für diese Reise ermuntert hat. Axel hatte keine andere Wahl. Wenn er vor seinem Mädchen und vor seinem Onkel nicht als Schwächling dastehen wollte, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu fügen und sich den wissenschaftlichen Reiseplänen seines Onkels anzuschließen.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Ein rätselhaftes Dokument, das besagt: „Steig hinab in den Krater des Sneffels Yocul, kühner Wanderer, und du wirst zum Mittelpunkt der Erde gelangen“, veranlassen Professor Lidenbrock und seinen Neffen Axel zu einer abenteuerlichen Reise in die Tiefen der Erde, wo zahlreiche Gefahren und Überraschungen warten.
Von Hamburg aus reisen sie in den Norden. Erst nach Dänemark, wo sie einen Gefährten treffen, der dem Professor und Axel sich eher als Führer und Begleitung zur Verfügung stellt. Von Dänemark aus geht die Reise weiter nach Island.

Was dann kommt, sind alles interessante Bilder, wo man als Leser eingeladen wird, sich die Innenwelt unserer Erde á la Jules Verne vorzustellen..
 ______
Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

Gelesene Bücher 2014: 43
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Donnerstag, 3. Juli 2014

Harper Lee / Wer die Nachtigall stört (1)


Mit dem Buch hatte ich letzten Donnerstag begonnen zu lesen und es hat mir recht gut gefallen, von der ersten bis zur letzten Seite und habe mir daraufhin heute die Verfilmung mit Gregory Peck bestellt, die in den 1960er Jahren gedreht wurde und einen Filmpreis erhielt. Ich habe das immer ganz gerne nach dem Buch den Film zu sehen, soweit es eine Verfilmung gibt und dann vergleiche ich den Inhalt miteinander. Scout, die Protagonistin des Buches, ist die Ich-Erzählerin und spricht aus der Kind-Ich-Perspektive... .

Atticus Fink, Rechtsanwalt von Beruf, und  alleinerziehender Vater zweier Kinder, Jem und Scout, vertritt einen Schwarzen. Er wird dadurch in der Stadt, im tiefsten Süden der Vereinigten Staaten, als Nigger-Freund verhasst, selbst seine Herkunftsfamilie verteufelt ihn. Scout, acht Jahre alt, hat damit besondere Probleme, als sie in der Schule wg. ihres Vaters gehänselt wird. Die Kinder gehen durch eine harte Schule... .

Atticus Fink, der von den Kindern auch mit dem Vornamen gerufen wird, ist ein richtiger Idealist und zeigt für alle menschlichen Schwächen Verständnis, auch dann, wenn ihm daraus Nachteile entstehen, was besonders für die kleine viel nachdenkende Scout unverständlich ist, die sich über das abfällige Verhalten des Nachbarn Cunningingham gegenüber ihren Vaters beschwert, erwidert er daraufhin:
Mr. Cunningham ist im Grunde ein guter Mann. Er hat lediglich seine schwachen Seiten, und die haben wir alle. 
Als Scout dagegen Einwände äußert, versucht der Vater sie bildlich zu überzeugen:
Man kann einen anderen nur richtig verstehen, wenn man die Dinge von seinem Gesichtspunkt aus betrachtet. (…) Ich meine, wenn man in seiner Haut steigt und darin herumläuft.
Der um vier Jahre ältere Bruder Jem verbringt viel Zeit mit seiner Schwester Scout und beide machen sich viele Gedanken über die Menschen in ihrem Umfeld. Besonders Arthur Radley beschäftigt sie, über den sie durch andere Leute jede Menge Schauermärchen zu hören bekommen haben, da die Radleys keine "gewöhnliche" Familie darstellen und sehr zurückgezogen von der Gesellschaft leben. Scout entwickelt eine besondere Beziehung zu der älteren Dame Miss Maudie, und sie durch Miss Maudie Informationen erhält  zu Arthur Radley, dessen Spitzname Bobo ist.
"Glauben Sie, dass er verrückt ist?"
Miss Maudie schüttelte den Kopf. "Ich würde mich aber nicht wundern, wenn er´s mittlerweile geworden wäre. Wir wissen ja nie genau, was mit den Menschen passiert. Was in den Häusern hinter verschlossenen Türen vorgeht, was für Geheimnisse…"
Die Kinder spielten viel um Radleys Haus, immer in der Hoffnung, Arthur zu begegnen. Aber sie kamen mit ihren Erkundungen nicht sehr weit.  Jem wurde sehr schweigsam, und seine Schwester versuchte ihn zu verstehen, indem sie den Rat ihres Vaters befolgte:
Ich versuchte, wie mein Vater Atticus mir einmal geraten hatte, in Jemes Haut zu steigen :D und darin herumzulaufen: Wenn ich um zwei Uhr nachts allein zum Raleys - Grundstück gegangen wäre, so hätte am nächsten Tag meine Beerdigung stattgefunden. So ließ ich ihn denn in Ruhe und stellte keine Fragen.
Arthur bleibt unsichtbar und doch scheint er die spielenden Kinder vor seinem Haus sehr wohl wahrzunehmen und tut im versteckten auch Gutes für sie. In dem Hohlraum eines Baumes verbirgt er Geschenke für die Kinder, bis der Hohlraum eines Tages zugemacht wird... .

Der Prozess mit dem schwarzen Angeklagten Tom Robinson spitzt sich immer weiter zu, so dass auch die Kinder immer mehr in die Konflikte hineingezogen werden, die an Gewalt grenzten. Dazu der Vater zu Scout:
"Du wirst vielleicht in der Schule heftig darüber reden hören, aber ich bitte dich um eines: Halte immer den Kopf hoch und lege die Fäuste auf den Rücken. Ganz gleich, was man dir sagt, lass dich nicht in Wut bringen. Versuche zur Abwechslung einmal mit dem Kopf zu kämpfen… er ist ganz gut beieinander, auch wenn er nicht lernen will."
Scout zeigt sich besorgt zu der Verteidigung Tom Robinsons und sowohl sie als auch ihr Bruder beschäftigen sich recht intensiv mit dem Strafgefangenen... .
Weshalb Tom vor Gericht sitzt lasse ich absichtlich offen... .

Jem und Scout wachsen ohne Mutter auf und damit aus Scout eine Dame wird, wird die spießige Tante Alexandra, väterlicherseits, zu ihnen ziehen, um sich der Erziehung des Mädchens anzunehmen. Scout zieht lieber Latzhosen statt Mädchenkleider an. Das ist das Schöne an dem Buch, dass so viele unterschiedliche Themen darin behandelt werden und so wird auch deutlich, wie sehr Jungen und Mädchen zu ihren Rollen hingeführt und erzogen werden... .
Tante Alexandra war, dass meine Kleidung betraf, eine Fanatikerin. Ihr zufolge bestand für mich keine Hoffnung, eine Dame zu werden, solange ich Hosen trug. Auf meinen Einwand, in einem Kleid könne ich nichts unternehmen, antwortete sie, ich solle auch nichts unternehmen, wozu man Hosen brauche. Wäre es nach Ihren Wünschen gegangen, so hätte ich artig mit Puppenöfchen und niedlichen Teegeschirr gespielt und das Perlenkettchen getragen, das sie mir bei meiner Geburt geschenkt hatte und das jedes Jahr um eine Perle verlängert wurde. Außerdem forderte sie, dass ich Sonne in meines Vaters einsames Leben brächte. Meiner Meinung nach ließe sich das genauso gut in Hosen bewerkstelligen, doch Tantchen sagte, man müsse sich auch wie ein Sonnenscheinchen benehmen.
Obwohl Rechtsanwalt Atticus Fink einem schwierigen Beruf nachgeht, sind die Kinder noch zu jung, um zu begreifen, welch hohe Verantwortung seine juristische Tätigkeit nach sich zieht. Die Kinder schätzen eher praktische Fertigkeiten:
Unser Vater tat gar nichts. Er arbeitet in einem Büro, nicht in einem Druckstore. Er fuhr keinen städtischen Müllwagen, er war weder Sheriff noch Bauer, noch Autoschlosser, kurzum, er tat nichts, was irgendwie Bewunderung hätte erregen können.
Erst durch Miss Maudie erfahren sie die besonderen Fähigkeiten ihres Vaters, der kein Durchschnittsmensch sei, und über vielerlei Talente verfügen würde wie zum Beispiel Mundharmonika und Dame spielen und in jungen Jahren war er Mister im Jagen und Schießen ... Doch schießen tut er als Gegner der Gewalt nicht mehr, sondern nur noch, wenn es unbedingt nötig ist.
Des weiteren ist euer Vater ein Mensch, der sich durch seine Herzensgüte auszeichnet. eigentlich sollte er doch stolz darauf sein, doch vernünftige Leute sieht nie stolz auf ihre Talente.
 Es wird hierbei die Metapher Nachtigall gebraucht und macht daran deutlich, wie sinnlos es ist, auf Menschen zu schießen, die in Wirklich keine Bedrohung sind... .
Es ist Sünde, auf eine Nachtigall zu schießen. Denn Nachtigallen erfreuen uns Menschen mit ihrem Gesang. Sie tun nichts Böses, sie picken weder die Saat auf dem Boden, noch nisten sie in Maisschuppen, sie singen sich nur für uns das Herz aus der Brust. Darum ist es Sünde, auf eine Nachtigall zuschießen...
 Nationalsozialismus, in Deutschland herrscht Hitler und die Amerikaner wundern sich über die Judenverfolgung im Land. Für sie zählen die Juden zum eines der edelsten Völker der Welt... . In den Schulen lernen die amerikanischen Kinder, dass in Deutschland die Diktatur und in Amerika die Demokratie herrsche. Demokratie, eine Regierungsform, in der alle Menschen gleiche Rechte haben und so machen sie sich über die Deutschen her, die Juden, und geistig kranke Menschen verfolgen, einsperren und töten. Nun ist den Amerikanern zu dieser Zeit aber nicht bewusst, dass Schwarze von der Demokratie ausgeschlossen sind, da sie nicht wirklich als Menschenrasse bezeichnet werden. Der Rassismus und der Sklavenhandel in Amerika ist ebenso ein großes Verbrechen an die Menschheit, und da muss der Amerikaner nicht mit dem Zeigefinger auf die Deutschen zeigen, was viele ja heute nach wie vor noch gerne tun, und sie die Deutschen noch immer mit Hitler assoziieren, der die Juden von der menschlichen Rasse ausgeschlossen hat... .

Die Kinder nehmen heimlich an dem Prozess teil und entwickeln dadurch Gerechtigkeitssinn gegenüber Tom Robinson. Sie begreifen schließlich den Rassismus, wozu selbst die Erwachsenen dazu nicht mal in der Lage sind. Die Lehrerin, die sich für Menschenrechte einsetzt, ihr aber nicht bewusst ist, dass sie die Schwarzen davon ausschließt... . Besonders Jem konnte schwer mit dieser Diskrepanz umgehen und versucht die Erfahrung mit seiner Lehrerin, die er sehr schätzte, zu verdrängen... . Das war seine Art, mit dieser Diskrepanz umzugehen... .

Zum Schluss noch etwas zu Radley, der die Kinder aus einer schweren Gefahr herausholte... . Danach haben die Kinder Arthur Radley nicht wieder gesehen. Dazu Scout:
"Atticus hatte recht. Er hatte einmal gesagt, man kenne einen anderen Menschen erst dann, wenn man in seine Haut steige und eine Weile darin herumgehe. Es genügte auch schon, auf Ragleys Veranda zu stehen."
Dem Buch gebe ich neun von zehn Punkten. Neun und nicht zehn, weil wenige Szenen noch etwas stärker hätten ausgebaut werden können. Neun und nicht weniger, weil der sprachliche, literarische Ausdruck anspruchsvoll war, und das Buch besaß viel kindlichen Humor und ist recht fantasievoll geschrieben.

Als ich heute in der Buchhandlung war, sah ich das Buch im Regal stehen. Ich wurde recht traurig, dass ich es zu Ende gelesen habe und freute mich gleichzeitig, dass ich in dem Buch drin gewesen war... . An dem ganzen Geschehen teilgenommen und Bekanntschaft mit den dortigen Menschen gemacht zu haben. Besonders von Atticus Fink war ich sehr angetan, der mir mit seiner menschlichen  Art als Vorbild diente. Doch auch Scott fand ich interessant, wie sie gegen die gesellschaftlichen Konventionen angeht und diese schon recht früh hinterfragt, speziell was der Versuch einer geschlechtlichen Erziehung zu einer Dame über ihre Tante betrifft. Jem war nicht weniger interesaant, der es seinem Vater gleichtun wollte, und bestrebt war, ein Gentleman zu werden. Dass auch er einmal Rechtsanwalt werden wird, ganz nach dem Vorbild seines Vaters, geht aus seinem starken Interesse hervor, Unverständnis gegenüber dem System zu entwickeln und gegen  gesellschaftliche und juristische Ungleichbehandlung mancher Menschen.

___________________
„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)


Gelesene Bücher 2012: 46
Gelesene Bücher 2011: 86


Dienstag, 1. Juli 2014

Jules Verne / Reise zum Mittelpunkt der Erde

Klappentext
Ein rätselhaftes Dokument, das besagt: „Steig hinab in den Krater des Sneffels Yocul, kühner Wanderer, und du wirst zum Mittelpunkt der Erde gelangen“, veranlassen Professor Lidenbrock und seinen Neffen Axel zu einer abenteuerlichen Reise in die Tiefen der Erde, wo zahlreiche Gefahren und Überraschungen warten.

Autorenporträt lt. Wikipedia
Jules-Gabriel Verne (* 8. Februar 1828 in Nantes; † 24. März 1905 in Amiens) war ein französischer Schriftsteller. Bekannt wurde er vor allem durch seine Romane Die Reise zum Mittelpunkt der Erde (1864), 20.000 Meilen unter dem Meer (1869–1870) sowie Reise um die Erde in 80 Tagen (1873). Neben Hugo Gernsback, Kurd Laßwitz und H. G. Wells gilt Jules Verne als einer der Begründer der Science-Fiction-Literatur.[1]
Wird mal Zeit, dass ich von dem Autor etwas lese. Habe die drei Standartwerke bei mir alle im Regal stehen. Noch ungelesen. Bin mehr als neugierig.






Montag, 30. Juni 2014

Albert Camus / Der erste Mensch (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Es ist eine Autobiografie. Camus erlitt im Alter von 47 Jahren einen Autounfall mit tödlichen Folgen. Im Auto befand sich noch das unvollendete Manuskript mit Korrekturhinweisen.

Damit mir jeder glaubt, dass das vorliegende Buch auch wirklich eine Autobiografie ist, denn die Namen der Figuren sind alle fiktive Namen, so zitiere ich den vorderen Klappentext:
Gespielt in der Figur des Jacques Cormery, erzählt Camus von seiner Kindheit, die er mit seiner fast tauben, analphabetischen Mutter und einer dominanten Großmutter im Armenviertel Algier verbringt. Auf der Suche nach einer Vaterfigur beginnt er, über die eigene Herkunft zu reflektieren.
Camus´ Mutter ist Spanierin gewesen, der Vater war Franzose, der kurz nach seiner Geburt im Ersten Weltkrieg in Frankreich tödlich verwundet wurde. Sie lebten als Einwandererfamilie in Algerien. Frankreich bildete bis 1962 in Algerien eine französische Kolonie.
Damit ich mich nicht wiederhole, gebe ich noch einmal den Klappentext rein, der recht ausführlich ist, wobei sich der Inhalt des Buches hauptsächlich mit der Kindheit befasst.
Albert Camus wurde am 7. 11. 1913 bei Annaba (Algerien) als zweiter Sohn einer europäischen Einwandererfamilie geboren. Der Vater, ein Franzose, fiel 1914 im Krieg, die spanischstämmige Mutter musste die Kinder als Putzfrau ernähren und der dominanten Großmutter zur Erziehung überlassen. Camus wuchs in einem armen Stadtviertel Algiers auf. Dort besuchte er die Ecole primaire; 1924 konnte er als Stipendiat in das Lycée von Algier eintreten. 1930 Erkrankung an Lungentuberkulose. Nach dem Abitur Aufnahme eines Philosophiestudiums, das Camus durch Gelegenheitsarbeiten finanziert. Gleichzeitig erste schriftstellerische und künstlerische Versuche. 1934 erste Ehe, die 1940 geschieden wurde. 1938-1940 Arbeit als Journalist bei der progressiven Zeitung «Alger républicain» (später «Soir républicain»). Camus` Artikelfolge über das Elend der algerischen Landbevölkerung und das Verbot der Zeitung machten ihm eine weitere berufliche Betätigung in Algerien unmöglich. Daher 1940 Übersiedlung nach Frankreich. Mit seiner zweiten Frau, Francine Faure, kehrte er 1941 nach Algerien zurück, wo beide als Lehrer arbeiteten. 1942 Kuraufenthalt im französischen Bergland. Eine Anstellung als Lektor bei Gallimard und die Zugehörigkeit als Résistance - Camus übernahm 1944/45 die Leitung der Widerstandszeitung «Combat» - banden ihn zunehmend an Paris. Freundschaftliche Beziehungen zu Sartre und dessen existenzialistischem Kreis. 1946-1952 Reisen in die USA, nach Südamerika und mehrmals nach Algerien. An der mit Härte und Leidenschaft geführten Debatte um «Der Mensch in der Revolte» (1951) scheiterte die freundschaftliche Beziehung zu Sartre. 1958 begann er mit der Arbeit an dem erst 1994 postum veröffentlichten Roman «Der erste Mensch». Am 4. Januar 1960 verunglückte Camus bei einem Autounfall tödlich.
Ich gebrauche nun den fiktiven Namen Albert Camus´ und gehe über auf Jacques Cormery.

Mich hat zudem recht stark Jacques Mutter interessiert, die als Kind an Typhus erkrankte, der die Hörbehinderung mit sich brachte. Sie war dadurch auch aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und zog sich immer mehr in sich zurück. Für Jacques, der sich auf die Spuren seines Vaters begibt, ist sie keine Hilfe. Sie kann kaum Auskunft über sich und über den Vater geben. Dazu war schon viel zu viel Zeit vergangen. Auch die Armut, in der die Familie lebte, erschwerte das Leben der Cormerys zusätzlich. Jacques konnte sich nicht auf die Antworten der Mutter verlassen:
Sie sagte ja, vielleicht war es nein, Jacques musste durch eine verfinsterte Erinnerung in der Zeit zurückgehen. Schon die Erinnerung der Armen wird weniger genährt als die der Reichen, sie hat weniger Anhaltspunkte im Raum, denn sie verlassen selten den Ort, an dem sie leben, auch weniger Anhaltspunkte in der Zeit eines eintönigen grauen Lebens. Gewiss, es gibt die Erinnerung des Herzens, von der es heißt, sie sei die sicherste, aber das Herz nutzt sich in Not und Arbeit ab, es vergisst unter der Last der Anstrengenden schneller. (108f)
Die Großmutter war mir nicht geheuer. Sie verprügelte Jacques häufig mit einem Ochsenziemer. Auch wenn man es nur liest, trotzdem zieht sich mir innerlich alles zusammen. Prügel waren zu der Zeit Usus. 

Aber Jacques hatte auch gute Menschen um sich, die ihn mit Liebe beschenkten. Ich will nicht sagen, dass die Großmutter keine gute Person war. Wahrscheinlich versuchte sie nur, den Vater zu ersetzen. Aber wer es schafft, ein Kind so zu verprügeln, der oder die muss das Herz für die Prügelei in sich eingesperrt haben. Sein Onkel Ernest war jemand, der es wieder gut machte, was die Großmutter ihm antat. Er liebkoste seinen Neffen recht häufig. Jacques empfand seinem Onkel wie seiner Mutter gegenüber sehr viel Liebe. Vor seiner Großmutter fürchtete er sich nur.
Es folgt ein Zitat, das mir total gut gefallen hat:
„Nun, da bin ich", sagte Jacques. Und tatsächlich war er wieder da, bei den beiden, Onkel und Mutter, wie früher, konnte ihnen nichts sagen und hörte nie auf, an ihnen zu hängen, zumindest an ihnen, und liebte sie noch mehr dafür, dass sie es ihm ermöglichten zu lieben, wo er doch so oft versagt hatte, so viele Geschöpfe zu lieben, hier verdienten. (173)
Versagt zu lieben? Wie kann denn ein Kind an Liebe versagen? Sind es nicht die Erwachsenen, die mit der Liebe zu ihren Kindern in Vorschuss treten müssen, damit das Kind überhaupt lernen und empfinden kann, was Liebe ist? Sind es nicht die Erwachsenen, die für die Kinder Vorbilder sind?

Die Mutter hat bei der Erziehung ihrer eigenen Kinder nicht viel zu sagen, und so muss sie weggucken, wenn Jacques ausgepeitscht wird, oder sie redet die Prügel schön, indem sie die Worte der Großmutter wiederholt.

Jacques hatte nochmals Glück. Er hatte einen Lehrer, der ihn unterstützte. Der Lehrer empfand Mitleid für den Jungen, weil er seinen Vater im Krieg verloren hatte. Auch der Lehrer versuchte Jacques ein wenig den Vater zu ersetzen und er schaffte es, die Großmutter zu überzeugen, dass Jacques und sein Bruder von der Begabung her auf die höhere Schule gehören. Die Großmutter verweigerte erst, da sie sich kein Schulgeld leisten könne, bis schließlich der Lehrer nach Hause kam und mit der Familie redete. Jacques wurde von den anderen Klassenkameraden verspottet, da er der Liebling des Lehrers sei. Der Lehrer stellte sich den Schülern:
„Ja, ich ziehe Cormery vor, rief er, wie all jene von euch, die ihren Vater im Krieg verloren haben. Ich habe mit ihren Vätern den Krieg mitgemacht, und ich lebe. Ich versuche hier wenigstens, meine toten Kameraden zu ersetzen. Und wenn jetzt noch jemand meint, ich hätte Lieblinge, soll er es sagen!" (204)
Ein Lehrer, den es nicht allzu häufig gibt in der Welt. Er begleitete die Kinder bis zur höheren Schule und bot sich ihnen an, ihnen nach der Schule zu helfen, sollten sie mit dem Stoff Probleme haben.
Wäre der Lehrer nicht gewesen, so wäre Jacques von der Großmutter in die Lehre geschickt worden, um Geld zu verdienen.

Jacques gibt sich nach der Standpauke seines Lehrer nicht geschlagen. Er hat das Bedürfnis, sein Problem selbst zu lösen und so forderte er den Jungen in der Pause heraus, der über ihn gelästert hatte. Der Erkenntnis nach, die Jacques als der Sieger des Kampfes nach der Prügelei macht, sind die meisten Erwachsenen nicht mal in der Lage, folgende Gedanken zu hegen:
Berauscht von der Schnelligkeit eines Sieges, den er so vollständig nicht erwartete, vernahm Jacques kaum die Gratulation und bereits beschönigten Kampfberichte ringsum. Er wollte froh sein, war es auch irgendwo in seiner Eitelkeit, und doch, als er sich beim Verlassen des grünen Feldes nach seinem Schulkameraden Munoz umdrehte, legte sich ihm beim Anblick des fassungslosen Gesichts dessen, den er geschlagen hatte, plötzlich eine düstere Traurigkeit aufs Gemüt. Und so begriff er, dass der Krieg nicht gut ist, dass einen Menschen zu besiegen ebenso bitter ist, wie von ihm besiegt zu werden. (208f)
Interessant fand ich, als der erwachsene Jacques schließlich das Grab seines Vaters im bretonischen Frankreich aufsucht. Doch sehr viel mehr konnte er auch auf dem Friedhof nicht in Erfahrung bringen, als er den Friedhofswärter um Auskunft zu seinem toten Vater erbat. Der Wärter konnte ihm schließlich aus einem Buch das Grab benennen, wo der Vater begraben liegt. Mehr aber auch nicht:
Jacques dachte an den kleinen Friedhof von Saint-Brieuc, wo die Soldatengräber besser erhalten waren als die Gräber von Algier. „Das Mittelmeer trennte in mir zwei Welten, die eine, wo auf abgemessenen Flächen Erinnerungen und Namen konserviert waren, die andere, wo der Sandwind die Spuren der Menschen auf weiten Flächen auslöschte.“ Er hatte versucht, der Anonymität, dem Leben in Armut und eigensinniger Unwissenheit zu entrinnen, er hatte nicht auf der Ebene dieser blinden Geduld ohne Sätze, ohne anderes Vorhaben als das Unmittelbare, leben können. Er hatte sich in der Welt herumgetrieben, hat Wesen errichtet, erschaffen, verbrannt, seine Tage waren zum Bersten voll gewesen. Und doch wusste er jetzt im Grunde seines Herzens, dass Saint-Brieuc und das, was es repräsentierte, nie etwas für ihn bedeutet hatten, und er dachte an die verwitterten, grün gewordenen Steinplatten, von denen er gerade weggegangen war, und akzeptierte mit einer irgendwie seltsamen Freude, dass der Tod ihn in seine wahre Heimat zurückführte und sein unermessliches Vergessen über die Erinnerung an den monströsen und (banalen) Mann legte, der ohne Beistand und ohne Hilfe an einem glücklichen Gestade und im Licht der ersten Morgen der Welt in Armut groß geworden war und etwas aufgebaut hatte, um dann allein, ohne Erinnerung und ohne Glauben, in der Welt der Menschen seiner Zeit und ihrer schrecklichen, erregenden Geschichte zu landen. (261f)
Wie ich aus anderer Quelle mal entnommen habe, bekennt sich Camus zum Franzosen. Er hatte sich für das Vaterland seines Vaters entschieden, und die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Das geht auch aus dem obigen Zitat hervor. Er gehörte zu den Glücklichen, die sich die Nationalität aussuchen konnten.

Ich beende hiermit meine Zeilen. In dem Buch gibt es noch jede Menge anderer guter Gedanken und Ereignisse.
Das Buch liest sich gut, obwohl es ein Fragment ist, kein abgeschlossenes Werk.

Obwohl das Buch ein Fragment ist, und man oft beim Lesen auf Textänderungen hingewiesen wird, hat es mir trotzdem gut gefallen, wenn man bedenkt, dass das Buch eigentlich noch gar nicht beendet war.

Unter dieser Berücksichtigung hat es seine zehn von zehn Punkten verdient. 
______
Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

Gelesene Bücher 2014: 42
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Freitag, 27. Juni 2014

Albert Camus / Der erste Mensch


Klappentext
«Inszeniert wie ein Roman, enthält ‹Der erste Mensch› eine bewegende Autobiographie der algerischen Kindheit Albert Camus´: das intimste Selbstzeugnis, dass der diskrete und scheue Autor hinterlassen hat.» (Der Spiegel) 
«Ein überwältigendes posthumes Comeback.» (FAZ)
Gespiegelt in der Figur Jacques Comery erzählt Camus von seiner Kindheit, die er mit seiner fast tauben, analphabetischen Mutter und einer dominanten Großmutter im Armenviertel Algiers verbringt. Auf der Suche nach einer Vaterfigur beginnt er, über die eigene Herkunft zu reflektieren.
[Das handgeschriebene Manuskript wurde bei dem tödlichen Autounfall Camus’ in seiner Mappe gefunden. Es erscheint hier, ohne dass an dem unkorrigierten Fragment Änderungen vorgenommen wurden.]

Autorenporträt
Albert Camus wurde am 7. 11. 1913 bei Annaba (Algerien) als zweiter Sohn einer europäischen Einwandererfamilie geboren. Der Vater, ein Franzose, fiel 1914 im Krieg, die spanischstämmige Mutter musste die Kinder als Putzfrau ernähren und der dominanten Großmutter zur Erziehung überlassen. Camus wuchs in einem armen Stadtviertel Algiers auf. Dort besuchte er die Ecole primaire; 1924 konnte er als Stipendiat in das Lycée von Algier eintreten. 1930 Erkrankung an Lungentuberkulose. Nach dem Abitur Aufnahme eines Philosophiestudiums, das Camus durch Gelegenheitsarbeiten finanziert. Gleichzeitig erste schriftstellerische und künstlerische Versuche. 1934 erste Ehe, die 1940 geschieden wurde. 1938-1940 Arbeit als Journalist bei der progressiven Zeitung «Alger républicain» (später «Soir républicain»). Camus` Artikelfolge über das Elend der algerischen Landbevölkerung und das Verbot der Zeitung machten ihm eine weitere berufliche Betätigung in Algerien unmöglich. Daher 1940 Übersiedlung nach Frankreich. Mit seiner zweiten Frau, Francine Faure, kehrte er 1941 nach Algerien zurück, wo beide als Lehrer arbeiteten. 1942 Kuraufenthalt im französischen Bergland. Eine Anstellung als Lektor bei Gallimard und die Zugehörigkeit als Résistance - Camus übernahm 1944/45 die Leitung der Widerstandszeitung «Combat» - banden ihn zunehmend an Paris. Freundschaftliche Beziehungen zu Sartre und dessen existenzialistischem Kreis. 1946-1952 Reisen in die USA, nach Südamerika und mehrmals nach Algerien. An der mit Härte und Leidenschaft geführten Debatte um «Der Mensch in der Revolte» (1951) scheiterte die freundschaftliche Beziehung zu Sartre. 1958 begann er mit der Arbeit an dem erst 1994 postum veröffentlichten Roman «Der erste Mensch». Am 4. Januar 1960 verunglückte Camus bei einem Autounfall tödlich.
Von Camus habe ich vor zig Jahren etliche Bücher gelesen. Die beiden besten Bücher, die mir gefallen hatten, waren Die Pest und Der Fall. Das vorliegende Buch scheint wohl eine Autobiografie zu sein. Habe schon ein paar Seiten gelesen und es gefällt mir recht gut.

Freue mich jetzt auf das Wochenende, da ich nun dazu kommen werde, am Stück viele Seiten zu lesen.




Mittwoch, 25. Juni 2014

Luigi Malerba / Römische Gespenster (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich inhaltlich nicht sonderlich angespornt. Wenn es vom Seitenumfang her dicker gewesen wäre als die 232 Seiten, dann hätte ich es garantiert abgebrochen. Lediglich die letzten dreißig Seiten haben mich gepackt, sodass ich schließlich doch für mein Durchhalten und für meine Geduld entschädigt wurde. Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein.
Ein großer Eheroman über unausgesprochene Gefühle, subtile Beziehungskämpfe, Liebe und Lebensweisheit. Sehr kurzweilig, mit Gusto! Dabei hat alles mit einem Witz begonnen.Clarissa kommt ihrem Mann auf die Schliche, weil sie aus dem Mund einer anderen einen Witz hört, den sie sofort wiedererkennt. Was tun? Die kluge Clarissa wartet erst einmal ab und schreitet dann zur Rache. Gesprochen wird in ihrer Ehe nicht, aber gelesen. Der Gatte Giano, Städteplaner und mit der Dekonstruktion in Großstädten beschäftigt, hat daher eine listige Idee: Er bringt die Affäre peu à peu zu Papier. Und natürlich lässt Giano die beschriebenen Seiten so in der Wohnung herumliegen, dass Clarissa sie finden und lesen muss …Luigi Malerba lässt diesmal seine Figuren unglaubliche Wechselbäder durchleben.Einmal erzählt er, einmal sie, sodass wir die gleichen Ereignisse aus dem Blickwinkel der Frau und des Mannes erleben. Ist es wirklich dieselbe Ehe?
Eigentlich gibt es nicht mehr zu sagen, als schon im Klappentext steht. Gelegentlich erfährt man neben den Eheproblemen auch etwas über das Weltbild der beiden Ehepartnern, über die politische Lage weltweit. Doch ich möchte trotzdem versuchen zu beschreiben, wie ich das Buch erlebt habe. Hauptsächlich Clarissa hat mich stark beschäftigt.

Was mir gut gefallen hat, ist, dass der Inhalt frei von Klischees ist. Die Probleme werden nicht hysterisch-emotional ausgetragen, sondern eher im Stillen und in verkopfter Form. Das fand ich gut, mal diese Art von Italiener in der Literatur zu erleben. Dies ist der Grund, weshalb ich lieber ausländische Literatur lese, die nicht vom deutschen Autor geschrieben ist. Denn dieser lässt Südländer eher so auftreten, wie sie seinen Vorstellungen entsprechen, in der Form, wie ein Südländer zu denken, zu fühlen und auszusehen hat. Mir fällt dabei die deutsche Fernsehwerbung ein, als eine schwarzhaarige italienische Frau in dem Streit mit ihrem Mann die Teller aus dem Fenster wirft. Auch in deutschen Büchern findet man ausschließlich schwarzhaarige und emotionsträchtige Italiener. Solche Bilder findet man hier in diesem Buch keineswegs. Es gibt viele Möglichkeiten, eine nicht funktionierende Ehe zu verarbeiten bzw. sich mit ihr auseinanderzusetzen. Da ich selber aus einer italienischen Familie stamme, kann ich bestätigen, dass es solche und solche Italiener gibt. Wobei ich gerade sehe, dass die Protagonisten auf dem Cover auch wieder als dunkelhaarig und dunkeläugig abgebildet sind. Und der Teint sieht aus, als hätten sie beide die Hepatitis, (lol). Deutsche Verlage erlauben eben keine hellen Südländer.

Warum aber hat mich das Buch nicht gepackt? Weil mich solche Themen, Themen wie Partnerschaft, problembeladene Partnerschaft, die sehr langwierig sein können, und so komplex noch dazu, mich letztendlich einfach langweilen. Was kümmern mich Partnerschaftsprobleme anderer Leute? Das ist auch der Grund, weshalb ich keine Liebesromane lese. 
Doch weshalb habe ich mir das Buch denn dann gekauft? Weil ich immer neugierig bin, wie ein ausländischer Autor sein Land und sein Leben darin beschreibt. Das allein hat mich neugierig gemacht.

Interessant fand ich die Idee, wie das Paar in dem Buch die Eheprobleme angeht. Schwer zu durchschauen und keineswegs nach so einem billigen Muster gemacht.

Giano, Universitätsprofessor, schreibt ein Buch. In dem Buch kommen alles Leute darin vor, mit denen er im wirklichen Leben zu tun hat. Allerdings stehen diese Figuren alle unter einem Pseudonym. In dem Buch tauchen hauptsächlich Sexpartner auf, die seiner Frau und seine eigenen. Beide, er und seine Frau Clarissa, lieben sich einerseits, andererseits scheinen sie in ihrer Ehe (sexuell) nicht ausgefüllt zu sein. Clarissa hat überhaupt keine Probleme, all die Figuren in dem Buch zu identifizieren. Auch sich selbst findet sie wieder. Das ist wohl Gianos Absicht, dass die Figuren leicht zu durchschauen sind. Seine Feder ist sein Speer.

Die Erzählperspektiven wechseln sich ab zwischen Giano und Clarissa in der Reihenfolge.

Giano und Clarissa reden nicht über ihre Eheprobleme, sondern sie versuchen, es mit sich alleine auszumachen. Beide sind zwar eifersüchtig, behalten es aber für sich. Giano lässt sein Buch offen liegen, als sei es Absicht. Er möchte, dass seine Frau darin liest und sie die Wahrheit über seinen Seitensprung mit Irina erfährt. In umgekehrter Folge zeigt er ihr, dass auch er Bescheid weiß über Clarissas Sexpartner Zandel, der von Beruf Architekt ist. Clarissa liest in dem Buch, aber sie behält es für sich und Giano fragt sich abends, ob Clarissa aus dem Buch gelesen hat? Was ist denn nun Fiktion und was ist Realität? Beides ist so miteinander verwoben, dass es schwierig ist, diese beiden Welten auseinanderzuhalten. Das wird Clarissa am Schluss zum Verhängnis. 
Wir werden nie wissen können, Giano und ich, an welchem Punkt wir mit unseren gegenseitigen Treuebrüchen sind, denn über dieses Thema gibt es keinen Dialog zwischen uns (…). Wir haben 20 Jahre in fester häuslicher Toleranz zusammengelebt und können nun nicht, nach so langer Zeit, damit beginnen, Selbstkritik zu üben und uns alles frei heraus ins Gesicht zu sagen, wie gewisse Freunde unserer Generation, die alle sehr schlecht geendet haben, mit Nervenkrisen und Rechtsanwälten. Auf Giano und mich weist man hin als ein vorbildliches Ehepaar und wir dürfen die Welt nicht enttäuschen. (210)
Giano macht hin und wieder mal den Versuch, das eine oder das andere auszusprechen, aber er bereut es schnell wieder:
Ich sage etwas und gleich dann bereue ich, es gesagt zu haben. Auch ich habe meine Verzweiflungsmomente und von Zeit zu Zeit verstecke ich mich im Badezimmer und Weine-ohne Tränen und ohne Worte. Die Worte dazu leiht mir ein alter italienischer Dichter in einem verblichenen Buch, das ich zufällig geöffnet habe, als ich die Bibliothek in Ordnung brachte. Der Dichter teilt seine Verzweiflung mit der ganzen Welt und sieht, wie die Sterne, der Mond und die nächtlichen Rufe den Tod seiner Liebsten beweinen. (215)
Welch ein Tau
Oder Weinen in jenen
Vom hellen Antlitz der Sterne,
Vom Mantel der Nacht versprühten Tränen?
Und warum groß
Der weiße Mond
Ein reines Gewölk kristallener Tropfen
Dem feuchten Gras in den Schoß?
Warum in dunkeler Luft wie Klage
Tönte, tönte es rings
Vom Wehen der Windel bis hin zum Tage?
Zeichen vielleicht, daß du
Dich wegbegeben,
O meines Lebens leben? (215) 
Giano ist also ein Mensch, der mit Hilfe von Literatur versucht, sich emotional zu reinigen.

Clarissas sexuelle Gefühle sind fast unersättlich. Sie versteht sich selbst nicht, und befürchtet, sich zu einer Nymphomanin zu entwickeln. Ihr sexueller Partner namens Zandel ist an Krebs erkrankt und liegt im Sterben. Sie flüchtet dadurch in eine andere sexuelle Beziehung, wie von Giano schon erwartet. Es ist ein junger Student ihres Mannes. Doch tief in ihr macht sich eine starke Trauer um den Verlust Zandels breit. Um die Trauer nicht zu spüren, wird sie richtig süchtig nach Sex, der ihr unbewusst helfen soll, negative Emotionen auszuleben, bzw. sie rauszulassen.

Sie weiß, dass es Zandel bald nicht mehr geben wird. An diesen Gedanken muss Clarissa sich langsam gewöhnen. Sie stellt fest, dass nur die echten Personen sterblich sind, während die fiktiven dagegen unsterblich. Im Folgenden ein Zitat aus der Sicht Clarissas, das mir sehr gut gefallen hat, weil es einfach auch der Tatsache entspricht.
Bekanntlich haben viele Schriftsteller sich für ihre Romane von wirklichen Personen anregen lassen. So kommt es auch, daß die erfundenen Personen sehr viel langlebiger sind als ihre leibhaftigen Modelle. Die menschlichen Modelle der Romane und Erzählungen etwa von Thomas Mann oder Italo Svevo-seit vielen Jahren sind sie nun bereits tot, während ihre jeweiligen literarischen Figuren sich auf den Buchseiten noch immer bester Gesundheit erfreuen. Ich weiß nicht, wie lange es Gianos Roman geben wird, aber wenn er wirklich gedruckt wird, hat das gedruckte Papier eine längere Lebenszeit als Zandel (…) aber vermutlich auch länger als wir, die wir eine normale Lebenserwartung haben. Armer Zandel und auch wir Armen, die wir weder einen Thomas Mann noch Italo Svevo haben, die uns bequem und auf längerer Dauer in irgendeinem schönen Buch unterbringen. Und du sollst ja nicht glauben, dass ich meinen Mann verachte, weil er nicht Thomas Mann oder Italo Svevo ist.
Diese neue Beziehung mit dem jungen Studenten durchschaut Giano ebenfalls und dichtet dieser Person eine epidemische Krankheit an, die zum Ende der Beziehung führt. Als Clarissa dies liest, wirft es sie dermaßen aus der Bahn, dass ich nun aufhören möchte, weiter darüber zu erzählen.

Das Ende fand ich richtig Klasse, wie Giano sein Buch zum Abschluss gebracht hat, und unter welchem Einfluss Clarissa dadurch stand.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Das Thema ist literarisch anspruchsvoll, es hat Tiefe, die Sprache ist recht fantasievoll und ist frei von Klischees. 
Dass mir die Thematik nicht so sehr auf dem Herzen gelegen hat, ist schließlich nicht die Schuld des Autors. 
______
Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

Gelesene Bücher 2014: 41
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Sonntag, 22. Juni 2014

Luigi Malerba / Römische Gespenster

Klappentext

Ein großer Eheroman über unausgesprochene Gefühle, subtile Beziehungskämpfe, Liebe und Lebensweisheit. Sehr kurzweilig, mit Gusto!
Dabei hat alles mit einem Witz begonnen.
Clarissa kommt ihrem Mann auf die Schliche, weil sie aus dem Mund einer anderen einen Witz hört, den sie sofort wiedererkennt. Was tun? Die kluge Clarissa wartet erst einmal ab und schreitet dann zur Rache.
Gesprochen wird in ihrer Ehe nicht, aber gelesen. Der Gatte Giano, Städteplaner und mit der Dekonstruktion in Großstädten beschäftigt, hat daher eine listige Idee: Er bringt die Affäre peu à peu zu Papier. Und natürlich lässt Giano die beschriebenen Seiten so in der Wohnung herumliegen, dass Clarissa sie finden und lesen muss …
Luigi Malerba lässt diesmal seine Figuren unglaubliche Wechselbäder durchleben.
Einmal erzählt er, einmal sie, so dass wir die gleichen Ereignisse aus dem Blickwinkel der Frau und des Mannes erleben. Ist es wirklich dieselbe Ehe?
Ein Meisterwerk an Erzählkunst und Gefühlsverwirrung!


Autorenporträt
Luigi Malerba wurde 1927 in Berceto bei Parma geboren. Er gehörte zu den Gründern des Gruppo 63, schrieb Theaterstücke, Drehbücher, Erzählungen und Romane. Der phantasievolle Geschichtenerzähler, der zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren Italiens zählt, starb 2008 in Rom.

Der Autor ist mir unbekannt. Entdeckt habe ich ihn antiquarisch bei Bücher-Oxfam. Nun bin ich gespannt.




Samstag, 21. Juni 2014

Carson McCullers / Frankie (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Wieder ein McCullers Buch, in dem es um Persönlichkeiten geht, die tief in der inneren Einsamkeit stecken.

Die Protagonistin in dem Roman ist, wie der Buchtitel schon verrät, die zwölfjährige Frankie, die nun genug davon hat, Kind zu sein und sich nichts sehnlichster wünscht, als in die Welt der Erwachsenen einzutauchen. Frankie ist eine Halbwaise. Die Mutter starb bei ihrer Geburt. Der Vater,
Juwelier von Beruf, ist einundvierzig Jahre alt, der seit dem Tod seiner Frau eine farbige Köchin namens Berenice Sadie Brown eingestellt hat. Nebenbei ersetzte sie Frankie ein wenig die Mutterrolle. Dann gibt es noch den sechsjährigen Vetter John Henry West.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
›Frankie‹ ist die Geschichte eines Reifeprozesses und einer großen Sehnsucht, der Sehnsucht, dabei zu sein: beim Leben der Erwachsenen, hier bei der Hochzeit des Bruders, der von einer fremden Frau entführt wird. Frankies Ruf ›Nehmt mich mit!‹, der ungehört dem abreisenden Paar nachhallt, ist der verzweifelte Ruf, den jedes alleingelassene Kind kennt.
Die Geschichte spielt im Sommer des Zweiten Weltkriegs, in der Frankie in eine Identitätskrise gerät. Sie hat noch einen älteren Bruder, der in diesem Sommer die Absicht hat, zu heiraten. Frankie will indirekt mitgeheiratet werden. Sie erträgt die Einsamkeit nicht mehr. Mit dieser Mitheirat würde sich ihr ein Wir bilden.
Die beiden sind mein >Wir<. Gestern und während der ganzen zwölf Jahre ihres Lebens war sie nur Frankie gewesen. Sie war nur ein >Ich< und ging für sich allein herum und musste für sich selber handeln. Alle anderen hatten ein >Wir< - alle, nur sie nicht. Wenn Berenice >Wir< sagte, so meinte sie Anträge und die Großmutter, ihre Loge oder die Kirchengemeinde. Das >Wir< ihres Vaters war sein Laden. Alle Klubmitglieder haben ein >Wir<, zu dem sie gehören und von denen sie reden können. Die Soldaten in der Armee können >wir< sagen, sogar die Verbrecher, die man aneinanderkettet. Aber die alte Frankie hatte kein >Wir< gehabt, höchstens das >Wir< des schrecklichen Sommers, das aus ihr und Jean Henry und Berenice bestand; und das war das allerletzte >Wir<, das sie gewollt hatte. Das alles war nun plötzlich vorbei und ganz anders. Es gab ihren Bruder und seine Braut; und eigentlich hatte sie es schon gewusst, als sie die beiden das erste Mal sah: Die beiden sind mein >Wir<! (74)
Die Idee mit dem „Wir“ fand ich einen supergenialen Gedanken. Deutlicher kann der Kampf gegen die Einsamkeit gar nicht mehr ausgedrückt werden.
Sie stand in der Ecke des Brautzimmers und hätte gern gesagt: „Ich liebe euch beide so sehr. Ihr seid mein Wir. Bitte nehmt mich mit nach der Hochzeit, denn wir gehören zusammen."
In den späteren Zitaten folgen noch weitere geniale Beispiele. Frankie hatte einfach genug davon, sich selbst zu sein. Ein weiterer Gedanke folgt, der mich tief beeindruckt hat:
Das war der Sommer, als Frankie es satthatte, Frankie zu sein. Sie hasste sich, wusste nichts mit sich anzufangen, war zu nichts nütze und lungerte den ganzen Tag über in der Küche herum; schmutzig, gierig, gemein und traurig. Sie verdiente es wirklich nicht, auf der Welt zu sein, und außerdem war sie ein Verbrecher. Hätte das Gericht Bescheid gewusst, sie wäre verurteilt und ins Gefängnis gesperrt worden. Aber Frankie war nicht immer ein Verbrecher und Taugenichts gewesen. Bis zum April war sie ihr ganzes Leben lang wie die anderen Leute gewesen. Sie war Mitglied in einem Klub und hatte gute Zeugnisse nach Hause gebracht. Jeden Samstagvormittag half sie ihrem Vater bei der Arbeit, und Samstag Nachmittag ging sie ins Kino. (39f) 
Frankie war ein sehr fantasiebegabtes Kind. Die Fantasien waren wichtig, um durch diese schwierige Phase, die die Pubertät mit sich brachte, zu gehen. Ihre Gedanken waren nicht immer leicht, sie nachzuvollziehen. Sie hatte genaue Vorstellungen davon, wie sie die Welt gerne hätte. Sie ging zur Blutspende, damit ihr Blut in den Adern von Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten weiter zirkulieren konnte. Darin sah sie eine Verbindung zu den Menschen aus aller Welt. 
Sie beschloss, Blut zu spenden. Sie wollte dem Roten Kreuz wöchentlich einen Liter geben, dann würde ihr Blut in den Adern von Australiern, Franzosen und Chinesen über die ganze Welt verbreitet sein, und sie wäre mit all diesen Menschen verwandt. (42) 
An diesem Zitat wird noch einmal deutlich, wie sehr Frankie unter ihrer Einsamkeit litt und wie sehr sie sich nach anderen Menschen sehnte. Doch zu ihrem Missmut wurde sie aufgrund ihres so jungen Alters abgelehnt, was Frankie den Ärzten arg übel nahm.

Auch wünschte sich Frankie eine Insel, auf der Menschen so viele Kriege führen konnten, wie sie wollten. Nur kriegsenthusiastische  Menschen sollten auf dieser Insel leben.
Der Krieg und die Welt - alles war zu schnell, zu riesig und fremd. Wenn sie zu lange über die Welt nachdachte, bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie fürchtete sich nicht vor den Deutschen oder vor Bomben oder vor Japanern. Sie fürchtete sich, wenn man sie nicht mitmachen ließ in diesem Krieg und weil es ihr so vorkam, als habe sich die Welt irgendwie von ihr getrennt. (42f)
Frankie fehlte es an Mutterliebe. Sie klammerte sich stark an den Vater und schlief noch bis zum zwölften Lebensjahr mit ihm in einem Bett, bis der Vater schließlich Einhalt gebietet:
Als ihr Vater und sie eines Abends im April zu Bett gingen, sah er sie plötzlich an und sagte: "Wer ist denn diese zwölf Jahre alte, langbeinige Zikade, die immer noch bei ihrem alten Papa schlafen will?" Seitdem war sie zu alt, um noch länger mit ihrem Vater zusammen zu schlafen. Sie musste oben in ihrem Zimmer allein schlafen. Sie nahm es ihrem Vater übel, und die beiden sahen einander schief von der Seite an. Sie mochte nicht länger zu Hause bleiben. (44) 
Dieses Ausladen aus dem ehelichen Bett ihres Vaters verschärfte die Krise um einiges und so gibt sich Frankie gefährlichen Tagträumereien hin.

Frankie ist 1,67 m groß. Sie verzieh es sich nicht, dass sie so groß war und nannte sich selbst langer Lulatsch, der es nicht verdiente, auf der Welt zu sein. Von den Kindern wurde sie der Größe wegen verspottet. Sie bekam die Frage gestellt, ob es ihr dort oben nicht zu kühl sein würde? (Lol)

Der Hauptaufenthaltsort in diesem Buch ist die Küche. Frankie tauscht sich gerne mit der Köchin Berenice aus. Berenice bekommt sehr deutlich die schwermütigen Gedanken dieses jungen Menschen mit. Frankie würde den ganzen Tag nichts anderes tun, als zu denken und über ihre Gedanken zu sprechen.

Dass sich Frankie stark nach Liebe sehnt, und sie diese sich bei Berenice holt, fand ich folgendes Zitat ein wenig traurig, denn nicht nur Frankie will geliebt werden, sondern auch der kleine John Henry:
Frankie legte das Messer, mit dem sie spielte, auf den Tisch und setzte sich Berenice auf den Schoß und lehnte das Gesicht gegen ihren Hals. Ihr Gesicht war schweißnass, genau wie Berenices Hals, und beide rochen salzig und sauer. Ihr rechtes Bein lag über Berenices Knien und zitterte. Als sie den Fuß auf den Boden stellte, zitterte es nicht mehr. John Henry kam (…) angeschlürft und schmiegte sich eifersüchtig an Berenice. Er legte seinen Arm um ihren Hals und hielt sich an ihrem Ohr fest. Dann versuchte er, Frankie von ihrem Schoß zu schubsen, und kniff Frankie ins Bein.„Lass Frankie in Ruhe", sagte Berenice, „sie hat dir nichts getan."
„Ich bin krank", jammerte er. 
„Aber nein, das bist du nicht. Sei brav und gönn deiner Cousine das bisschen Liebe." (201)
Nun habe ich sehr viele Zitate eingebracht, weil mir die Textstellen so gut gefallen haben. Mit in die Hochzeit ihres Bruders eingezogen zu werden, und schließlich mit dem vermählten Paar mitzuziehen, wurde immer mehr zur Täuschung ihrer eigenen Einbildungskraft, die sie weiterhin in eine schwere Krise stürzte. Berenice hatte sie liebevoll davor gewarnt, dass ihr Bruder sie unmöglich ins neue Leben mitnehmen könne, doch sie wollte ihr nicht glauben. Sie hegte Suizidgedanken und die Absicht, sich mit dem Revolver ihres Vaters zu töten. Frankie packt eines späten Abends ihren kleinen Koffer, klaut dazu die Geldbörse ihres Vaters, und reißt aus. Sie will raus in die Welt, wenn sie auch noch nicht weiß, wie und wohin. Suizid oder nicht? Lest einfach selbst.

Ich mache hier nun Schluss, doch glaubt nicht, dass ich alle Szenen beschrieben habe. Es gibt noch andere, sehr interessante Begebenheiten zwischen Frankie und ihren Mitmenschen, zwischen dem kleinen John Henry und nicht zu vergessen zwischen Berenice und deren Leben mit den vielen Ehen und Scheidungen.

Und auch der Rassismus fand hier seinen Platz. Die schwarze Köchin Berenice sehnt sich nach einer Welt, in der es zwischen den Schwarzen und den Weißen eine Gleichbehandlung gibt und die frei ist von Diskriminierungen.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Es ist authentisch geschrieben, literarisch tiefgründig, anspruchsvoll und sehr fantasievoll.
______
Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

Gelesene Bücher 2014: 40
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Donnerstag, 19. Juni 2014

Carson McCullers / Frankie


Klappentext

›Frankie‹ ist die Geschichte eines Reifeprozesses und einer großen Sehnsucht, der Sehnsucht, dabeizusein: beim Leben der Erwachsenen, hier bei der Hochzeit des Bruders, der von einer fremden Frau entführt wird. Frankies Ruf ›Nehmt mich mit!‹, der ungehört dem abreisenden Paar nachhallt, ist der verzweifelte Ruf, den jedes alleingelassene Kind kennt.

Autorenporträt
Carson McCullers, geboren 1917 in Columbus (Georgia), gestorben 1967 in Nyack (New York), dort begraben. McCullers wollte eigentlich Pianistin werden. Mit 500 Dollar fuhr sie 18-jährig alleine nach New York, um an der renommierten Juilliard-Musikschule zu studieren. Das Geld verschwand auf mysteriöse Weise, doch sie blieb in New York, arbeitete als Sekretärin, Kellnerin, Barpianistin und beschloss, Schriftstellerin zu werden. Der Erfolg ihres Erstlings, ›Das Herz ist ein einsamer Jäger‹, machte die 23-Jährige zum literarischen ›Wunderkind‹. Mit 23 erlitt sie den ersten von drei Schlaganfällen, ihr Leben wurde bestimmt durch die Krankheit, der sie ihr Werk abrang, und durch Einsamkeit, besonders nach dem Selbstmord ihres Mannes 1953.
»Wie alle genialen Dichter überzeugt sie uns davon, daß wir im Leben etwas übersehen haben, was ganz offenkundig vorhanden ist. Sie hat das unerschrocken ›goldene Auge‹.«
Das vierte Buch, das ich von der Autorin lese.

Das Herz ist ein einsamer Jäger 
Uhr ohne Zeiger
Die Autobiografie

Und mir haben sie alle gut gefallen.