Sonntag, 3. Februar 2013

Ariel Denis / Stille in Montparnasse


Verlag: Atrium-Verlag, Hamburg

2007

Seitenzahl: 141

Mit Audio-CD, 17,90 €

ISBN-13: 9783855359813



Klappentext
Während dem Erzähler auf seinen Spaziergängen Menschen mit dröhnenden Kopfhörern begegnen, denkt er an den einzigen Verbündeten gegen den Krach der Welt. Mit seinem Freund Markus Berger besuchte er hochrangige Konzerte und führte musikalische Gespräche. Seine Gedanken wandern aber auch zu Hermann Prey, dessen Musik ihn in schwärmerische Ekstase versetzt und ihm, dem einsamen Flaneur, Trost bietet.



 Autorenportrait
Ariel Denis, 1945 in Lyon geboren, hat bereits diverse vom französischen Feuilleton hoch gelobte, anspruchsvolle und doch amüsante Romane veröffentlicht. Roland Barthes förderte und schätzte ihn. Ariel Denis ist Professor für Kulturwissenschaften an der Ècole des Beaux-Arts d'Angers. Er lebt in Paris.

Das Buch habe ich als Restseller bei Jokers  für nur 3,99 € erworben. Die Lektüre gibt es beim btb-Verlag in Hörbuchfassung für 13,95 €.

Der Autor ist mir unbekannt und bin auf eine neue Erfahrung gespannt. Ich mag sowohl  französische Filme, und meist auch französische Bücher.

Hat Anne aus meinem großen SuB für mich ausgesucht!



Eowyn, Ivey / Das Schnee Mädchen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich als recht originell erlebt, und teilweise hat es sich wie ein Märchen gelesen.
Von der Sprache her ist es einfach und flüssig geschrieben und trotzdem hat es einen literarischen Anspruch, einfach auch von der Idee her, ein Schneemädchen lebendig zu machen. Da wandert ein älteres Ehepaar in den hohen Norden Amerikas ein, um ein völlig neues Leben zu beginnen in der Wildnis Alaskas, ein Abenteuerleben, wo es heißt, Ärmel hochkrempeln und sich von Null an ein neues Heim als Farmer zu schaffen in einer Gegend, in der man größtenteils auf sich selbst gestellt ist. Kälte, Dürre und Einsamkeit bestimmen dort den Alltag und man muss sehr geschickt sein, dass ein Leben dort gelingt. Es gibt nicht einmal einen Arzt.

In dem Buch geht es auch um wahre Freundschaft.

Mabel und Jack sind die beiden Protagonisten, die als ein älteres Ehepaar eine neue Herausforderung suchen, da ihnen ihr Herzenswunsch, ein Kind zu bekommen, nicht in Erfüllung gegangen ist. Die Initiative ergriff dabei Mabel. Mabel, einst die Tochter eines Literaturprofessors, zeigte sich bereit, von ihrem Wohlstand und aus der hohen Gesellschaft auszusteigen, um woanders neu zu beginnen.

Originell fand ich, dass Mabel schon als Kind mit viel Fantasie ausgestattet war, auch gefördert durch ihren Vater, der ihr abends immer Geschichten vorlas. Dazu gehörte auch ein Buch, das genau das Leben beschreibt, das sie zusammen mit Jack in Alaska führen. Sowohl in dem Buch als auch in Wirklichkeit gab es dieses ältere Ehepaar, das aus der Sehnsucht heraus, ein Kind zu haben, ein Schneekind bauten.
" Es waren einmal ein alter Mann und eine alte Frau. Sie liebten einander sehr und waren ihres Lebens zufrieden. Nur eines erfüllte sie mit großer Traurigkeit: Nie war ihnen ein Kind geschenkt worden." 152
Das Schneekind bekam einen Schal, eine Mütze und Fäustlinge angezogen. Am nächsten Morgen war das Schneekind plattgedrückt und die Winterkleidungsstücke waren nicht mehr vorhanden.

Kurze Zeit danach lernten Mabel und Jack ein kleines Mädchen kennen, das die selben Wintersachen trug, mit denen das Schneekind bestückt war. Sie sahen sich beide recht ähnlich. Das Schneekind und das zugelaufene Kind. Das Mädchen lebte im Schnee und tief in dem Wald, hatte eine Beziehung zu einem Fuchs, den sie als Welpe kannte und ihn aufgezogen hatte.
Jack und Mabel fühlten sich zu dem Kind so stark hingezogen, als wäre es ihr eigenes Kind. Das Mädchen hieß Faina und spürte die Liebe dieses älteren Ehepaares, das ihnen aus Dankbarkeit immer ein paar Geschenke aus dem Wald mitbrachte:
"Als die Kleine an diesem Abend gegangen war, sagten sie immer wieder ihren Namen. Schließlich kam er ihnen leicht über die Lippen. Mabel gefiel es, wie er sich sprach, wie er in den Ohren klang: Hast du gesehen, wie Faina vor dem Essen den Kopf gesenkt hat? Ist Faina nicht ein schönes Mädchen? Was wird Faina bei Ihrem nächsten Besuch wohl mitbringen? Sie waren wie Kinder, die Mutter und Vater spielen, und Mabel war glücklich." 146
Faina war nicht festzuhalten. Sie wirkte recht scheu, schweigsam und zurückhaltend. Sie kehrte nach jedem Besuch von Mabel und Jack immer wieder in den Wald zurück. Wenn der Winter vorbei war, verließ sie die Gegend und zog hoch auf die Berge, auf denen das ganze Jahr über Schnee liegt. Faina ist ohne den Schnee nicht wirklich überlebensfähig. Eigentlich so ein wenig wie das Schneekind, das Mabel und Jack einst gebaut hatten, und wegschmilzt, wenn Tauwetter ist. Bald stellen Maibel und Jack fest, dass Faina kein gewöhnliches Kind ist und das man schwer erziehen kann. Mabel erinnerte sie an eine Elfe. Sie glaubte ganz feste daran, schon aus ihren Kindertagen hielt sie an ihrem Glauben fest:
"Mit acht Jahren war Mabel einmal fest davon überzeugt gewesen, eine Elfe gefangen zu haben. Sie hatte aus Zweigen eine Falle gebastelt und in die Eiche im Garten gehängt. Mitten in der Nacht sah sie vor ihrem Schlafzimmerfenster die Falle im Mondlicht hin und her schwanken, und als Mabel das Fenster öffnete, hörte sie ein hohes Gezwitscher - genauso stellte sie sich das Rufen einer gefangenen Elfe vor. (…) Sie weckte ihre Schwester Ada. Und Ada war aus dem Bett gestiegen, murrend und mit schlafverquollen Augen, sie waren barfuß und im Nachthemd zu der Eiche geschlichen. Doch als Mabel den kleinen Kasten vom Ast nahm und hineinblinzelte, sah sie keine Elfe, sondern einen angsterfüllt lebenden Singvogel. Sie öffnete das Türchen, aber der Vogel wollte einfach nicht heraus fliegen. Daraufhin schüttelte Ada das Kästchen, der Vogel fiel ins Gras, und Mabel erkannte, dass er beinahe tot war. Noch bevor sie ihm im Haus ein Nistkasten auspolstern konnten, war er gestorben." 178 f
Diese Idee, einer Elfe eine Falle zu stellen, um sie zu fangen, fand ich auch total originell.

Mabel, wie schon gesagt, hörte nie auf, an Elfen und Feen zu glauben. Mit der Bekanntschaft Fainas wurde ihr Kinderwunsch wieder lebendig und teilte Jack mit, dass sie in Faina eine Schneefee sehen würde. Jack reagierte darauf ein wenig echauffiert:

"Jeden Sommer zieht sie fort und kommt erst zurück, wenn es schneit. Verstehst du nicht? Sonst… würde sie schmelzen."  
"Großer Gott. Mabel, was redest du da?"
Sie schlug ein Bild auf; es zeigte den alten Mann und die alte Frau auf den Knien neben einem wunderschönen kleinen Mädchen, das bis zum Rumpf im Schnee stand und silberne Juwelen im Haar trug." Siehst du?" Sie sprach wie eine Krankenschwester am Bett eines Patienten, ruhig und einfühlsam. "Verstehst du?"
"Nein, Mabel. Ich verstehe rein gar nichts."  Er schlug das Buch zu und stand auf. "Bist ja nicht mehr bei Sinnen. Willst du mir ernsthaft erzählen, dieses kleine Kind, dieses kleine Mädchen sei eine Art Geist, so etwas wie eine Schneefee? Herr Gott. Herrgott noch Mal." 265
Dass Jack so reagierte, lag auch daran, dass er etwas über Fainas Herkunft in Erfahrung bringen konnte, er es ihr aber nicht weitersagen durfte. Jack hatte Faina sein Versprechen geben müssen.

Faina sorgte für sich selbst. Sie kannte sich in dem Wald aus, wie sonst keiner, nicht einmal ein Farmer kannte den Wald so gut wie sie. Sie war Meisterin im Jagen und im Zerlegen ihrer Beute. Außer dem Ehepaar wusste sonst niemand von ihrer Existenz. Mabel versuchte mit ihren Freunden über Faina zu reden, doch sie glaubten alle, dass Mabel sich das Kind einbilden würde, weil der Kinderwunsch so groß sei.

Das Farmerleben erwies sich als recht hart, aber Mabel und Jack hatten gute Nachbarn, in denen sie Freunde fanden, die ihnen in ihrer schweren Not behilflich waren. Jack kam schwerverletzt aus dem Wald, als er dort Faina suchte.
Als Jack nach längerer Zeit körperlich wieder hergestellt war, kümmerte er sich wieder um seine Farm, die noch immer Hürden aufwies, sie zu kultivieren. Jack schuftet auf der Farm, während Mabel mit der Hausarbeit stark beschäftigt ist:
"Wieder einmal kamen sie vor der großen Leere zu stehen, die zwischen Mabel und Jack lag - Die Leere, die ein Kind hätte füllen können. Ein Mädchen, das Mabel bei der Hausarbeit helfen sollte. Ein Junge für die Feldarbeit." 195
Die Wahrheit, wer Faina wirklich war und woher sie kam, erfuhr Mabel erst sehr viel später. Da ich nicht mehr verraten möchte, verweise ich auf das Buch und beende hier nun meine Notiz.

Das Buch ist noch lange nicht zu Ende!

Das einzige, was mir missfiel, war die ungenaue Altersangaben der beiden Eheleute. Mabel hatte vor zehn Jahren eine Totgeburt. Wie alt mochte sie gewesen sein? Dreißig? Fünfunddreißig? Dann wären Jack und Maibel über vierzig, sie aber wie richtige alte Leute zu beschreiben, als wären sei Greise, fand ich nicht wirklich passend.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 10
Gelesene Bücher 2012: 94
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Mittwoch, 30. Januar 2013

Eowyn Ivey / Das Schneemädchen


Kindler
Hardcover, 464 S.
21.09.2012
19,95 €
978-3-463-40621-3



Klappentext
Alaska, in den 1920er Jahren: Mabel und Jack konnten keine Kinder bekommen. Um den Schmerz und die Enttäuschung hinter sich zu lassen, haben sie an der Zivilisationsgrenze Alaskas ein neues, einfaches Leben als Farmer begonnen. Doch Trauer und der harte Überlebenskampf in der erbarmungslosen Natur schaffen zwischen den beiden, die sich innig lieben, eine scheinbar unüberbrückbare Distanz. Als der erste Schnee fällt, überkommt Mabel für kurze Zeit eine fast kindliche Leichtigkeit. Eine Schneeballschlacht mit Jack entspinnt sich, und sie bauen vor ihrer Hütte zusammen ein Kind aus Schnee. Am nächsten Tag entdecken sie zum ersten Mal das feenhafte blonde Mädchen in Begleitung eines Fuchses, das sie zwischen den Bäumen des Waldes hindurch beobachtet. Woher kommt das Kind? Wie kann es allein in der Wildnis überleben? Und was hat es mit den kleinen Fußspuren auf sich, die von Mabels und Jacks Blockhaus wegführen? «Dieses Buch ist pure Magie, von Deckel zu Deckel durchwoben mit der kalten Schönheit der Wildnis Alaskas. Eowyn Ivey erzählt mit der fesselnden Zartheit des Schneefalls, den sie so wunderbar beschreibt.» Ali Shaw



Autorenportrait
Eowyn Ivey wuchs in Alaska auf, wo sie noch heute mit ihrem Mann und zwei Töchtern lebt. Sie studierte Journalismus und kreatives Schreiben an der Western Washington University und der University of Alaska und arbeitete zehn Jahre lang als preisgekrönte Redakteurin beim Frontiersman Newspaper. Heute ist sie Buchhändlerin. "Das Schneemädchen" ist ihr erster Roman. Er wurde in elf Länder verkauft.

Das Buch gefällt mir sehr gut. Habe gestern Abend meine ersten fünfzig Seiten gelesen und freue mich auf weitere.


Und hier ein Video dazu:



Sam Savage / Firmin (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat schon literarischen Anspruch, aber so richtig gefallen hat es mir nicht, wobei die Idee mit der lesenden Ratte recht originell ist.
Wie aus dem Klappentext im unteren Post zu entnehmen ist, kommt die Ratte Firmin zusammen mit ihren Geschwistern unten im Keller einer Bostoner Buchhandlung zur Welt. Es ist ein Rattenjunges zu viel geboren, da nicht genug Zitzen zum Milchsaugen zur Verfügung stehen. Firmin scheint das schwächste Neugeborene zu sein, wird von seinen Geschwistern von dem Bauch der Mutter weggestoßen. Firmin lernt Außenseiter zu sein, der nur die Reste abbekommt. Erst wenn die anderen satt sind, versucht Firmin es erneut, an Milch dranzukommen. Firmin fraß in der Bibliothek oft die Buchseiten, bis er den Wert eines Buches zu erkennen und zu schätzen lernte.

Firmin wächst zu einer ganz persönlichen Rattenpersönlichkeit heran. Er erkundet alle Räume in dem Haus, geht auf Exkursionen innerhalb der Stadt, besucht sogar ein altes Theater mit dem Flair eines Showbusiness. Er begeistert sich für Literatur, und, nachdem er autodidaktisch Lesen gelernt hat, studiert er sämtliche Bücher in der Buchhandlung. Ein Buch von mehr als vierhundert Seiten liest Firmin an einem einzigen Tag. Er entdeckt die literarische Welt der Menschen, denn selten gibt es Bücher, in denen Ratten auftauchen, mit wenigen Ausnahme, wie z.B. das Buch von Albert Camus "Die Pest", oder das Buch, geschrieben eines noch unbekannten Autors namens Jack, der Ratten gerne mag, auch reell, wie man das auf den späteren Buchseiten mitbekommt. Andererseits mag Firmin gar keine Rattenliteratur:
Die einzige Literatur, die ich nicht ausstehen kann, ist Rattenliteratur einschließlich der Mäuseliteratur. Ich verabscheue die gutmütige alte Ratte In der Wind in den Weiden. Mickey Mouse und Stuart Little finde ich zum Kotzen. Lieb sind sie, nett, niedlich-und stecken mir im Hals wie Fischgräten. 57
Etwas später wird deutlich, weshalb Firmin Rattenliteratur gar nicht mag. Er mag sich noch nicht mal als Ratte... . Durch den Bücherkonsum gerät er in eine Identitätskrise und sehnt sich danach, Mensch zu sein, da die Menschenwelt wesentlich interessanter sei als die Welt der hässlichen Ratten.
Firming - der Schädling. Doch die Einzelheiten - kein Kinn, spitze Nase, gelbe Zähne usw. - waren nichts gegen den Gesamteindruck >hässlich<. Schon damals, als mein Schönheitsbegriff über Tenniels Illustrationen, zu Alice  im Wunderland noch nicht hinausreichte, wusste ich ganz genau, dass da war hässlich. (…) Von diesem Tag an tat ich alles, um meinem Spiegelbild auszuweichen. Es war leicht, sich von Spielen fernzuhalten, Fensterscheiben und verchromten Radkappen waren etwas anderes. Wann immer ich mich in einer reflektierenden Fläche entdeckte, war ich zutiefst erschrocken, als wäre ich einem Monster begegnet. Natürlich registrierte ich im nächsten Moment, dass dieses Monster ich selbst war, und eine unbeschreibliche Verzweiflung überkam mich. Ich versuchte es mit einem kleinen Trick. In dieser Situation dachte ich ich nicht mehr: das bin ich, und wollte in Tränen ausbrechen, sondern das ist er, und rannte weg.61
Über manche Begriffe bin ich gestolpert, zum Beispiel über den Begriff Biblio-Bulimie, lol.

Firmin wundert sich, weshalb es in dem Haus nicht noch andere Ratten leben und gibt sich folgende Erklärung:
Vielleicht war das ja der Grund, weshalb keine Ratten mehr da waren. Bevor der Laden eine Buchhandlung wurde, war er womöglich ein Lebensmittelgeschäft gewesen oder eine Bäckerei, jetzt war nur noch Papier im Angebot. Doch meine geduldige, allnächtlicher Erforschung dessen, was mir wie eine Kilometer lange Röhrenanlage vorkam, trug mir Belohnungen ein, die mir wesentlich lieber waren als Lebensmittel. 37
Während des Tagesgeschäfts hält sich Firmin versteckt im Laden auf, und beobachtet die vielen Kunden, die sich für die Bücher interessieren.
Sie nahm sich Zeit. Sie nannten das Stöbern, doch es erinnerte eher an Ausgrabungen oder den Bergbau. Mich wunderte, dass sie keine Schaufeln mitbrachten. Mit bloßen Händen wühlten sie nach Schätzen, versanken manchmal bis zu den Achselhöhlen. Fanden sie in einem Haufen Ramsch eine literarische Kostbarkeit, waren sie erheblich glücklicher, als wären sie nur kurz hereingekommen und hätten sie gekauft. 40
Diese Textstelle hat mir doch auch recht gut gefallen.  Sie nahm sich Zeit. Sie nannten das Stöbern, doch es erinnerte eher an Ausgrabungen oder den Bergbau. Mich wunderte, dass sie keine Schaufeln mitbrachten. Lol.

Während Firmin Bücher entdeckt und langsam aufgehört hat, an den Seiten zu nagen, weil er sonst nichts zu Essen hatte, nimmt man als LeserIn an der Entdeckungsfreude dieser Ratte teil. Die meisten Autoren, die Firmin findet und liest, sind mir bekannt gewesen. Firmin geht völlig auf in der Welt der Literatur auf, hat sie in sich schon quasi gespeichert.

Als die Rattenmutter nach ihrer Futtersuche wieder zurück zu ihren Kindern kam, hatte sie nicht viel Nahrung dabei. Das meiste hatte sie selber gefressen, und wenig für ihre Kinder übrig gelassen  Zumindest, dass es nicht für alle reichte. Für Firmin blieb gab es nur ein einziges Salatblatt, und es schmeckte ihm wie Jane Eyre. Lol.

Firmin findet eine Schreibmaschine und hält diese für ein Musikinstrument, (lol) und er war ziemlich überrascht. Als er herausfand, dass man mit der Maschine Wörter schreiben konnte, wurde er ziemlich aufgeregt, unruhig:
Obwohl nirgends eine Schreibmaschine stand, auf die ich meine Pfoten legen konnte, löste allein die Vorstellung eine wahre Bilderflut aus. Ich sah mich schon kluge, getippte Notizen im Laden verteilen, damit Normen sie fände und sich verstört nach der Herkunft fragen würde. In meinen Träumen entdeckte er sie, kratzte sich am Kopf und hinterließ kleine Botschaften als Antwort. 113
Wie man an seinem Traum erkennen kann, sehnt sich Frirmin danach, sich mit dem Bibliothekar Norman anzufreunden, damit sich ihm die Möglichkeit aufwies, mit Norman interessante Gespräche über Literatur zu führen. Einmal wurde Firmin von Norman ertappt, und Firmin war ganz aufgeregt und war sich sicher, dass Norman nichts gegen ihn haben würde und ihn als Mitglied seiner Buchhandlung akzeptieren würde. Doch die Ernüchterung kam kurze Zeit darauf. Norman besorgte Rattengift und stellte es in den Räumen auf. Er wusste nicht, dass Firmin lesen konnte. Und als Firmin den Sack mit Rattengift entdeckte, war er furchtbar enttäuscht. Norman wollte die Ratte vergiften, statt ihn zum Freund haben zu wollen.

Er findet einen anderen Freund, und zwar Jack, der noch unbekannte Schriftsteller, er nahm Firmin bei sich auf, als er sich an seinen Pfoten verletzt hatte. Jack wohnte im selben Haus der Buchhandlung, so dass Firmin weiterhin sich in der Buchhandlung aufhalten konnte, meist, wenn Jack nicht zu Hause war.

Ich hatte mir überlegt, welches Schicksal Firmin am Ende des Buches ereilt, als nämlich Jack lebensgefährlich erkrankt, und in Boston sämtliche alte Geschäfte heruntergerissen wurden, auch die Buchhandlung musste daran glauben und Firmin in eine Depression geriet, weil sie sich weigerte, so zu leben wie alle anderen Ratten lebten. Ich dachte, sie würde von einer Katze gejagt und aufgefressen werden, und dadurch ihr tristes Leben ein Ende setzen, da sie ja selbst auch Suizidgedanken hegte. .

Hier mache ich nun Schluss. Ich will ja nicht alles verraten.

Wie viele Punkte gebe ich dem Buch? Acht von zehn. Und für das, dass es mir nicht besonders gut gefallen hat, sind das recht viele Punkte. Mir ist der Anspruch an Literatur recht wichtig, und diesen Anspruch hat das Buch erfüllt. Dass es mir nicht sonderlich gut gefallen hat, ist ja nicht die Schuld des Autors.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 09
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 28. Januar 2013

Sam Savage / Firmin

  • Taschenbuch: 208 Seiten
  • Verlag: List Taschenbuch (9. September 2009)
  • Sprache: Deutsch, 8,95 €
  • ISBN-10: 354860921X



Klappentext
Firmin wächst im Keller einer Bostoner Buchhandlung auf und liest sich Buch für Buch durch die Weltliteratur. Er entdeckt, wie spannend das Leben der Menschen ist, und macht sich auf, ihre Freundschaft zu suchen. Sam Savage erzählt in diesem gefeierten Kultbuch die traurig-charmante Geschichte eines verkannten Außenseiters.


Autorenportrait
Sam Savage wurde in South Carolina geboren und lebt heute in Madison, Wisconsin. Er promovierte in Philosophie, unterrichtete auch kurzfristig, arbeitete als Tischler, Fischer, Drucker und reparierte Fahrräder. Dies ist sein erster Roman.

Das Buch, ei Debutroman, hat mir Sibylle aus meinem großen SuB zum Lesen ausgesucht, aufmerksam wurde ich durch Anne, die das Buch vor mir gelesen hatte, und mir ihre Eindrücke dazu recht gut gefallen haben. Anne allerdings ist durch Sibylle auf das Buch aufmerksam geworden. Hi, hi, wie klein unsere Welt doch ist.

Ich habe die ersten hundert Seiten schon durch. Bis jetzt kann ich noch nicht behaupten, dass mich das Buch fesselt. Aber manchmal weiß ich das erst nach ein paar Tagen, wenn ich ein Buch zu Ende gelesen habe.
Das Cover dagegen spricht mich voll an.



Freitag, 25. Januar 2013

Pascal Mercier / Lea (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

In dem vorliegenden Buch geht es um eine Erzählung, allerdings um eine durch und durch dramatische. Das ganze Buch ist recht traurig.
Es geht um Menschen, die, obwohl sie sich recht nahe sind, erkennen müssen, dass sie sich so ziemlich fremd sind, so dass man sich fragt: Wie ist das denn möglich, sich so fremd zu sein, obwohl man sich so nahe ist? obwohl mir dieser Gedanke keineswegs neu ist.

Zwei schweizer Wissenschaftler machen in der Provence einander Bekanntschaft. Der eine ist Arzt, der andere Universitätsprofessor. Beide haben eine Tochter. Die Professors Tochter heißt Lea und die des Arztes Lesli, doch hauptsächlich dreht es sich um die Tochter des Professors, der Mertijn van Vliet heißt. Martjin befindet sich in Trauer, da seine Tochter gestorben ist, und der Psychiater von Lea der Meinung sei, dass er eine Mitschuld an Leas Tod trägt. Dass Lea gestorben ist, das wird schon recht bald deutlich, indem van Vliet sich seinem neuen Bekannten zu öffnen beabsichtigt. Der Arzt allerdings nicht wirklich Lust hat, die Geschichte zu hören.

Schließlich findet er doch noch Geschmack und Interesse. Dabei stellte er Verknüpfungen an zu seiner eigenen Tochter, die in einem Internat groß geworden ist und er auf van Vliets Frage,  ob er nicht die Entwicklung  seiner Tochter verpasst habe? Wie z.B die erste Liebe u.v.m.

Beide Männer haben mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen. Adrian Herzog war einst mal ein phänomenaler Chirurg, der durch ein schlechtes Erlebnis sich in seiner Berufspraxis behindert sieht. Folgendes Zitat, das mir sehr gut gefallen hat, soll das noch unterstreichen:
Selbstvertrauen: warum ist es derart launisch? Warum ist es blind den Tatsachen gegenüber? Ein Leben lang haben wir uns angestrengt, es aufzubauen, zu sichern und zu befestigen, wir wissen, dass es das kostbarste Gut ist und unverzichtbar für Glück. Plötzlich dann und mit tückischer Lautlosigkeit öffnet sich eine Falltür, wir fallen ins Bodenlose, und alles, was war, wird zur Fata Morgana, 56
Lea, acht Jahre alt, hört gemeinsam mit ihrem Vater von weitem auf dem Bahnhof ein kleines Violinenkonzert und fühlt sich magisch von der Musik angezogen und zieht ihren Vater dort hin. Seit diesem Tag beginnt Lea, sich für das Instrument zu interessieren und beschließt, auch die Geige zu erlernen. Sie fragt ihren Vater, ob eine Geige teuer sei? Wie man auf den folgenden Seiten und recht früh erfährt, ist, dass ihr die Geige zum Verhängnis wird.

Auf Seite 80 hört man van Vliet sagen:
Ich habe mit einer Geige das Leben meiner Tochter zerstört. 
Lea ist ein Halbwaisenkind, da ihre Mutter dem Krebs erlag, und sie sich ganz in die Musik hingibt, um diese innere Leere, die Trauer, die sie seit dem Tod ihrer Mutter spürte, nicht weiter fühlen zu müssen. In der Musik findet Lea ein völlig neues Zuhause, in das sie nur sich und ihre Musiklehrerin hineinnässt.

Lea lernt schon mit vier Jahren Lesen und Schreiben, da der Bruder ihrer Mutter nicht nur Legastheniker war, sondern auch Schwächen im Rechnen aufzeigte. Leas Mutter machte sich Sorgen, dass diese Schwächen genetisch erbbar seien, und sich auf Lea übertagen könnten. Aus der Sorge heraus, und um dem entgegenzuwirken brachte die Mutter Lea schon sehr früh die Schriftsprache bei, so dass Lea im Alter von sechs Jahren schon Bücher von Agatha Christi verschlungen hatte.

Lea entwickelte schon mit acht Jahren einen besonderen Charakter. Sie wusste schon genau, was und wen sie brauchte, um eine außergewöhnliche talentierte Musikerin zu werden und so war sie in der Lage, sich eine ideale Musiklehrerin zu suchen, die sie auch in Marie fand. Zwischen der Schülerin und der Lehrerin entsteht ein inniges musikalisches Verhältnis, so dass die innere Mauer, gezogen um Lea, der Lehrerin und der Musik, immer höher wurde, hinter dieser nicht einmal ihr Vater Zutritt in diese Welt finden durfte. Ganz zum Leidwesen des Vaters, der ihr den ersten Platz in seinem Leben gab, einen Platz noch vor seinem Beruf, nachdem Beatrice gestorben war:
Wenn ich an späten Winternachmittagen manchmal vor Maries Haus stand und dem Schattenspiel hinter den Vorhängen zusah, das Marie und Lea aufführten, so fühlte ich mich ausgeschlossen und beneidete die beiden um den Kokon von Tönen, Worten und Gesten, in denen sie mir eingesponnen schienen und in dem es keine Reibung und keine Gereiztheit gab, wie sie im Institut immer häufiger vorkam, seit ich ohne viel Worte klargemacht hatte, dass es von nun an zuerst um Lea gehen würde, und dann noch einmal Lea und erst dann das Labor, 98.
Die Arbeitskollegen zeigten keinerlei Verständnis für sein neues Leben, da er aufhörte, an seine Karriere zu denken, um ganz für seine Tochter da zu sein. Und trotzdem zog sich seine Tochter von ihrem Vater immer mehr und mehr zurück und man sich fragt, wie das kommt.

Allerdings hatte sich Vater van Vliet in die Musiklerherin Marie verliebt, ohne dass es aber zu einer Konfrontation kommt, eingeschlossen in der väterlichen Fantasie:
Der erste Auftritt, von dem, ich ahnte es, so vieles abhing. Und just da bricht meine Fantasie aus und sucht sich eine Welt, eine Welt nur mit Marie. Kennen Sie das auch: dass die Fantasie im entscheidenden Augenblick appelliert und eigene, unbeherrschbare Wege geht, die verraten, dass man auch noch ein ganz anderer ist als der, für den man sich hielt? Gerade dann, wenn in der Seele alles geschehen darf, nur dieses eine nicht: Verrat durch die streunende Fantasie? 120 f.
Ohne, dass diese Verliebtheit von seiten des Vaters jemals Thema wird, scheint, so der Annahme des Erzählers, Lea diese Verliebtheit zu spüren und vermutlich sich gegen den Vater immer mehr  abgrenzt. In Marie sieht Lea unbewusst so etwas wie einen Mutterersatz, die sie ganz für sich alleine behalten möchte.

Lea wächst zu einer echten Virtuosin heran. Jede freie Minute widmet sie sich der Musik. Mit einer Ausnahme einzigen zeigt sie sich erfolgreich auf ihren öffentlichen Auftritten. Sie wird umjubelt, sie wird berühmt und erhält einen Namen.

Lea wirkt so zerbrechlich. Auch auf der Bühne, stets möchte sie die Beste sein und verzeiht sich den kleinsten Fehler nicht. Erste psychische Auffälligkeiten machen sich bemerkbar, die der Vater noch nicht wirklich wahrhaben möchte, sträubt sich, einen Experten aufzusuchen. Er sucht ihn auf, als es schon zu spät dafür ist und er von einem Psychiater ins Gewissen geredet bekommt:
"Ich will lieber üben", rief Lea aus, wenn der Vater mit ihr etwas unternehmen wollte.  Ich will lieber üben, Wort für Wort möchte ich diesen Satz in den dunklen Blick des Therapeuten hineinstoßen, um den Vorwurf, den ungeheuerlichen Vorwurf, dass ich dir die Jugend gestohlen und damit den Weg deiner Krankheit vorgezeichnet hätte, in seinen Augen immer weiter zurückzudrängen, immer weiter, bis er ganz hinten, dort, wo die Gedanken entstehen, in Bedrängnis gerieten und unter dem Gewicht der Tatsachen, die nur ich allein kenne ,schließlich erlöschen müsste. 84
Van Vliet gab sich sehr viel Mühe, eine Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen, und doch war sie ihm nicht greifbar genug. Er tat alles, um seiner Tochter nahe zu sein, doch er stellte wiederholt entsetzt fest, wie fremd sie ihm war. Er versuchte diese Fremdheit zu kompensieren, indem er ihr jeden  Wunsch von den Augen ablas. Statt sich ihr emotional zu nähern, kaufte er ihr eine Violine, die einst schon von einem Meister aus dem 18. Jahrhundert gespielt wurde. Die Violine kostete 1,8 Millionen Dollar. Natürlich hatte der Vater das Geld nicht. Und so veruntreute er Gelder aus den Projekten der Universität.

Van Vliet hatte schon als junger Mensch Probleme gehabt, seine Gefühle zu äußern, sich ihnen zu öffnen. Von seiner Frau Cécile erhielt er dazu folgenden Ratschlag:
Du musst dich mehr öffnen, Martjin, sagte sie sie oft, du kannst nicht erwarten, dass die Leute hinter dir herlaufen, um dich in deinen Gefühlen zu erraten. Auch mir musst du dich mehr öffnen, sonst geht es schief mit uns, sagte sie. Gegen Ende sagte sie es besonders oft. Als ich bei meinem letzten Besuch durch den langen Krankenhausflur auf ihr Zimmer zuging, nahm ich mir fest vor, ihr zu sagen, wie viel sie mir bedeutete. Doch dann kamen jene Worte: "Du musst mir versprechen, dass du gut auf Lea... .Nun konnte ich nicht mehr, ich konnte einfach nicht. Merde. Wo hätte ich es auch lernen sollen? Meine Mutter war Tessinerin, es gab Wutausbrüche, aber die Sprache der Gefühle, die Fähigkeit zu sagen, wie es einem geht - das hat mir niemand gezeigt. 275 f.
Auch nach diesem Zitat wird deutlich, wo van Vliet mit seiner Tochter versagt hat. Alle diese Gefühle, die Lea einst so sehr vermisst hatte, kompensierte sie durch die Musik und, wie schon einmal gesagt, in der Beziehung zu ihrer Lehrerin. Van Vliet verarbeitet durch die Erzählung zu seinem Gefährten Herzog das Leben mit seiner Tochter, das ihn belastete. Van Vliet beherrschte das Schachspiel, darin ist er Profi und wünschte sich insgeheim, die Tochter für dieses Spiel zu gewinnen, um Gemeinsamkeiten verweisen zu können, wofür Lea keinerlei Interesse aufbringen konnte. Schach ist zudem auch ein Spiel, das Gefühle ausschließt und das nur die Ratio anregt.

Zurück zu den beiden Wisenschaftlern, beide erkennen, dass sie, was die Nähe und die Distanz betrifft, wie zwei Analphabeten sich geben, zwei Analphabeten der Vertrautheit und der Fremdheit.

Hier mache ich nun Schluss  Die Erzählung endet in mehrfacher Weise tragisch, möchte aber alles Weitere zum Selberlesen offen lassen. Auch gibt es noch verschiedene und spannende andere Szenen durch einen anderen Musikleherer, zu dem Lea eine ähnliche tiefe Beziehung aufbaut, wie einst zu ihrer Marie.

Das Buch hat mir recht gut gefallen, so dass ich neugierig geworden bin, weitere Bücher von dem Autor zu lesen. Ein Buch, Nachtzug nach Lissabon, steht noch ungelesen im Regal.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 07
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Sonntag, 20. Januar 2013

Pascal Mercier / Lea


Verlag: Btb 2009
Seitenzahl: 256
Gebundene Miniausgabe, 9,99 €
ISBN-13: 9783442737468





Klappentext
Die achtjährige Lea hat sich nach dem Tod der Mutter in eine eigene Welt zurückgezogen, zu der auch der Vater keinen Zutritt hat. Erst der Klang einer Geige holt sie ins Leben zurück. Lea erweist sich als außerordentliche musikalische Begabung, und schon bald liegen ihr Publikum und Musikwelt zu Füßen. Doch während Lea von Erfolg zu Erfolg eilt, treibt es ihren anfangs überglücklichen Vater Martijn van Vliet immer tiefer in die Einsamkeit. Bei dem verzweifelten Versuch, die Liebe und Nähe seiner Tochter zurückzugewinnen, verstrickt er sich in ein Verbrechen, das alles verändert ...


Autorenportrait im Klappentext
Pascal Mercier, geboren 1944 in Bern, heißt im richtigen Leben Peter Bieri und ist Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin. Ist ein Schweizer Schriftsteller.
Der Autor hat schon verschiedene Buchpreise erhalten. Mir ist der Autor fremd, habe aber noch einen Band von ihm ungelesen im Regal stehen, Nachtzug nach Lissabon, auf das ich mich auch schon freue. Wird im nächsten SuBspiel auch dabei sein.

Die ersten fünfzig Seiten habe ich nun durch und es gefällt mir recht gut. Bin neugierig, wie es weitergehen wird. Schön finde ich auch, dass die Musik mit  im Vordergrund steht. 



Alan Philipps John Lahutsky / Wolkengänger (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

In Russland gibt es mehrere staatliche Einrichtungen, die nicht nur elternlose Kinder beherbergen, sondern auch behinderte- und Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Es gibt das Babyhaus für Kinder bis zu fünf Jahren. In dem Babyhaus kommen alle Kinder hinein, die über eine körperliche und / oder geistige Beeinträchtigung verfügen und sei sie noch so gering.

Dann gibt es das Internat, ein viel zu schöner Begriff, geradezu euphemistisch verglichen zu dem, was es tatsächlich hergibt. In dem Internet kommen alles Kinder, die für das Babyhaus schon zu alt sind. In dem Buch wird es als eine Irrenanstalt für Erwachsene bezeichnet mit einer Kinderstation bis zu mehr als sechzig Kinder.

Dann gibt es das Kinderheim, in das gesunde Kinder eingewiesen werden, die aus einem schwachen gesellschaftlichen Milieu stammen, und die Eltern der Erziehung ihrer Kinder nicht mehr gewachsen sind. In diesem Buch allerdings geht es hauptsächlich um das Babyhaus und um das Internat.

Auf den ersten Seiten dachte ich erst, dass Mütter freiwillig ihre Kinder in die staatliche Obhut geben. Aber das ist so nicht. Eltern behinderter Kinder werden von den Ärzten überredet, ihre Kinder in eine Sondereinrichtung zu geben, da eine Sondererziehung sie überfordern würde. Russland schiebt behinderte Kinder ab, sie zählen nicht zur Gesellschaft dazu. Eine Körperbehinderung wird von einer geistigen Behinderung nicht unterschieden, wobei das ja egal  ist, da geistig behinderte Kinder auch förderungsfähig sind. Heute sind die Gesetze andere, kinderfreundlicher, dennoch können die Gesetze nicht eingehalten werden, da zu wenige Fördermittel in den jeweiligen Einrichtungen fließen und die Einrichtung nach wie vor unter einer permanenten chronischen personellen Unterbelegung leidet... . Auf sechzig Kleinstkinder kommt eine Betreuerin. Aber zumindest kann man heute die Einrichtung verklagen, was aber leider zu wenig geschieht.

In dem Buch ist Wanja der Held. Wanja kam 1989 zur Welt. In dieser Autobiografie versucht er sein tristes Dasein im Babyhaus, später in dem Internat, dann wie durch ein Wunder wieder zurückverlegt in das Babyhaus, zu verarbeiten. Wanja heißt heute John Lathusky, nach dem er von einer Amerikanerin, Schulpsychologin von Beruf, adoptiert wurde.
Doch bis es zu dieser Adoption kommt, vergehen viele Jahre. Und die Hürden der Bürokratie in Russland sind recht hoch und sehr kostenaufwendig... . Wenn ein Kind für eine Adoption in Frage kommt, dann wird es wie eine Ware behandelt... .

Das Internat hat KZ-Charakter. Die Kinder leben in einem großen Raum, und jedes Kind in einem Gitterbett, 24 Stunden lang. In dem Gitterbett leben sie wie Gefangene... .
Es gibt keine Förderung, nichts richtiges zu Essen, keine Kleider, und auch an die Luft wurden sie nicht gebracht. Gefangene Straftäter  haben es in einer Strafheilanstalt besser als diese Kinder. Die Kinder, voll traumatisiert und hospitalisiert, werden abgeschrieben. Sie werden nicht richtig gepflegt, kommen nicht regelmäßig auf die Toilette, so dass sie gezwungen sind, ins Bett zu machen. Sie verlassen selten das Kinderbett. Hier wie auch im Babyhaus bekommen die Kinder dunkle Gemüsebrühen, in Babyflachen abgefüllt, zugeführt, ganz gleich, wie alt die Kinder sind. Milch gibt es keine. Die meisten Kinder kommen nie mehr aus dieser Einrichtung raus.  Mir der Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs gehen sie auf die Station für Erwachsene. Doch die meisten werden nicht erwachsen, überleben ihre Kindheit nicht. Wie im KZ werden die Kinder gehalten und kahl geschoren.

Kinder, die doch erwachsen geworden sind und vereinzelt nach ihrer Volljährigkeit aus der Einrichtung entlassen werden, geraten entweder in die Prostitution, oder sie wählen den Weg der Kriminalität, oder sie konsumieren Drogen oder dealen damit. Diese Kinder sind in der Gesellschaft nicht wirklich lebensfähig.

Wanja verbringt viele Jahre im Babyhaus. Er ist weder dumm, noch geistig zurückgeblieben. Er kam als leicht gehbehindert auf die Welt, zwei Monate zu früh, beide Elternteile waren Alkoholiker und die Ärzte waren der Auffassung, dass das Kind wegen der besonderen Förderung ins Babyhaus eingewiesen werden solle.
Eltern, die sich dafür entscheiden, ihr behindertes Kind bei sich zu Hause zu behalten, erhielten keinerlei Unterstützung von Seiten des russischen Sozialsystems. Wanjas Zukunft lag im Ausland. (…) Wie widersinnig war das alles, schließlich hatte man Wanjas Mutter gesagt, dass sie ihren Sohn abgeben solle, dass sie nichts für ihn tun könne und er die erforderliche professionelle Betreuung nur in staatlichen Einrichtungen erhalten würde. 265
Die Mutter handelte aus Liebe zu ihrem Kind, sie wollte das Beste für ihr Kind, demnach stimmte sie der Einweisung ins Babyhaus zu. Sie hatte keine Ahnung, was den Kindern in diesen Einrichtungen erwartete.

Die Chefärztin des Hauses erkennt wohl die Missstände in ihrer Einrichtung, wagte aber nicht, daran etwas zu verändern:
Sie war eine sowjetische Funktionärin, gewohnt, Befehle von oben auszuführen, und nicht, sich dagegen aufzulehnen, selbst wenn sie wusste, dass ihre Vorgesetzten einen verhängnisvollen Fehler begingen. Mir wurde klar, dass Adela im stalinistischen Russland groß geworden war, um eigenes Gedankengut für sich behielt. 88
Wanja hat Glück, durch seine Aufgeschlossenheit nimmt er Kontakt zu seinen Betreuerinnen auf. Auf diese Weise werden viele erwachsene Menschen auf ihn aufmerksam und kämpfen um seine  Zukunft, um sein Leben. Diese Menschen habe ich sehr bewundert. Wie gut, dass es auch solche Menschen gibt, Menschen, denen das Anliegen der Kinder an erster Stelle steht und für deren Rechte kämpfen.

Wanja kommt in ein Krankenhaus, um an den Beinen operiert zu werden. Für die OP haben sich seine Wohltäterinnen stark gemacht, sonst wäre nie eine Operation zustande gekommen. Nach der OP wird Wanja für die Weiterbehandlung ins Zentrum für Heilpädagogik überwiesen und nimmt an der Physiotherapie teil. Zum Erstaunen seiner amerikanischen Wohltäterinnen steht auf einem Schild geschrieben, dass kein Kind bildungsunfähig ist. Das zeigt, dass nicht alle Heil- und Fördereinrichtungen in Russland so eingerichtet sind, wie man es von den Heimen her kennt. Zumal die wenigsten wirklich wissen, an welchen Misständen die Heime leiden, da sie Fremde kaum in ihre Institutionen einlassen. Den Eltern wird empfohlen, die Kinder nicht zu besuchen, weil das ihrer Entwicklung nicht förderlich wäre.

Die neue und ambulante Einrichtung attestierte Wanja, dass er geistig nicht behindert sei und erkundigte sich über bisher erfolgte therapeutische Maßnahmen:
Während ich der Beurteilung dieses ausgemergelten sechsjährigen Jungen mit den dürren Beinchen zusah, versuchte ich mir vorzustellen, wie ein Außenstehender, der nichts über die Unart der staatlichen Betreuung in Russland wusste, wohl reagieren würde, wenn er Wanja in dieser Verfassung antreffe. Er wäre überrascht, dass keiner der Anwesenden zum Telefon griff und der Polizei einen Fall von schwerer Kindesmisshandlung meldete. Doch jeder im Raum wusste, dass hier kein Gesetzesverstoß lag, da der Staat billigte, wie mit Wanja umgegangen wurde. 157
Wanja, sowie auch die anderen Kinder, waren stark vernachlässigt und misshandelt, so dass sie sich sowohl in emotionaler als auch in entwicklungspsychologischer Hinsicht nicht altersgemäß weiter entwickeln konnten. Wenn ein Kind für das Babyhaus zu alt geworden ist, kommt eine Kommission in die Einrichtung und beurteilt das Kind als oligophren, als kretin, oder es erhält die Diagnose Idiotie, wenn es auf Prüfungsfragen falsch antwortet. Mit diesen Diagnosen wird die Überweisung ins Internat legitimiert.  Die Kinder wurden nicht auf diese Prüfung vorbereitet, da sie als unheilbar abgestempelt wurden. Behinderung galt in Russland allgemein als ein rein irreparables Defizit. Und somit haben die Kinder keine Chance, die Einrichtung vom Babyhaus ins Internat zu umgehen.
Beinahe acht Jahre lang hatte Wanja ein Leben geführt wie Oliver Twist: gezwungen, unterwürfig das an Nahrung anzunehmen, was ihm gegeben wurde, ohne je um etwas bitten zu dürfen. 218
Wanja hatte viele Potenziale in sich, dass ihm das Überleben in diesen Einrichtungen möglich machte. Es ist sowohl ihm, als auch seinen inländischen und auch den ausländischen Fördererinnen zu verdanken, dass er lebend aus den Einrichtungen wieder herausgekommen ist. In den Heimen gibt es hin und wieder ehrenamtliche Kräfte, die ein ganz anderes Auftreten zeigen, als die bezahlten Betreuer der Einrichtung. Allerdings sind die Betreuer auch dermaßen überfordert, da auf sechzig Kleinstkinder eine Betreuerin fällt. Sie übten ihren Beruf so aus, als wären die Kinder Maschinen. Im Internat war es noch viel schlimmer. Die Kinder wurden in ihren Betten alleine gelassen, die Tür wurde hinter ihnen einfach abgeschlossen. Das Personal zeigte sich erst wieder, als es Essenszeit war. Die Kinder waren verhaltensgestört, aber nicht weil sie so geboren wurden, sondern weil die Einrichtung sie so werden ließ. Spielsachen befand sich unbenutzt in den Regalen. Die Kinder waren regelrecht hungrig nach Förderung... .

Im Anhang, es gab auch ein Epilog, habe ich eine Textstelle gefunden, die mir recht gut gefallen hat.
Dieses Buch soll Menschen nicht in Gut und Böse einteilen. Es soll vielmehr die verschiedenen Stufen von Menschlichkeit aufzeigen. Wenn dieses Buch nur ein paar Gleichgültige zum Mitfühlenden werden lässt, dann hatte es sein Ziel erreicht.335
Auf den letzten Seiten ist zu entnehmen, was sich bisher in Russland verändert hat und wo es noch große Probleme gibt, trotz der Gesetzesänderung. Eltern sollen mehr angehalten werden, ihre Kinder nicht in Heimen abzugeben und ambulante Hilfe in Anspruch zu nehmen, die es damals noch nicht gab, obwohl 1990, ein Jahr nach Wanjas Geburt, sich die Kinderrechtskonvention einmischte und dazu beitrug, die Gesetze in Russland zu verändern, das jedes Kind als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu betrachten sei. Wanja und den anderen Kinder kamen diese neuen Gesetze leider nicht zugute.

Man weiß, dass Papier geduldig ist, und wie schwer es ist, die Gesetze einzuhalten, solange es keinen Kläger gibt. Obwohl die Gesetze in Russland nach Wanjas Zeit zum Wohle des Kindes nochmals geändert wurde, tut sich das Land nach wie vor schwer damit, Fördermittel für diese Kinder bereitzustellen. Die Kinder werden größtenteils nach wie vor wie Kinder minderer Klasse behandelt.

Mich hat das Buch an Emma Donaughs Buch Raum erinnert, da die Kinder sowohl im Babyhaus als auch im Internat meist nur in einem Raum gehalten wurden. Die Kinder lernten nicht was eine Sonne ist, was Wasser, etc. ist, wobei das Kind im Raum mit mütterlicher Liebe umsorgt und gebildet wurde.
Auch an Kaspar Hauser hat mich das Buch erinnert. In allen beiden Geschichten findet eine Absonderung statt, wachsen ohne Liebe und Förderung auf.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

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Donnerstag, 17. Januar 2013

A. P. John Lahutski / Wolkengänger


Verlag: Kiepenheuer, 2010

 348 Seiten, gebunden

ISBN-10: 3378011084

Ein Restseller von 19,90 € auf 4,95 € reduziert






Klappentext

Er hatte keine Chance. Bis er aufstand. Und lief. Die ergreifende Geschichte eines Waisenjungen, dem niemand eine Chance geben will und der dennoch seinen Weg ins Leben findet. Als Wanja auf die Welt kommt, prognostizieren die Ärzte, dass er nie würde laufen können. Ihm droht ein Leben in den unmenschlichen Verhältnissen russischer Fürsorgeanstalten. Doch durch seinen Mut, seine Intelligenz und seinen unbändigen Willen entkommt er diesem Schicksal.Wanja kommt als Sohn einer Alkoholikerin verfrüht und mit nur einem Kilo Gewicht zur Welt. Als die Ärzte prognostizieren, dass er nie würde laufen können, gibt die ohnehin überforderte Mutter ihn in ein Waisenhaus. Da das russische Fürsorgesystem keinen Unterschied zwischen körperlichen und geistigen Behinderungen macht, überlässt man Wanja in einer Gruppe "hoffnungsloser Fälle" sich selbst. Es herrscht Mangel an allem: menschlicher Wärme, Kleidung, Nahrung, Spielzeug. In Gitterbetten angebunden, werden die Kinder mit Medikamenten ruhiggestellt. Doch Wanja geling es, sich selbst das Sprechen beizubringen und eine Gruppe ausländischer Hilfskräfte auf sich aufmerksam zu machen. Sie erkennen bald, dass viele der Kinder mit der richtigen Betreuung ein normales Leben führen könnten, und beschließen zu helfen. Doch die Rechtslage ist komplex und die russischen Behörden gleichgültig. Erst nach langwierigen Bemühungen gelingt es, Wanjas Adoption zu ermöglichen. Heute führt er als John Lahutsky ein völlig normales Leben - und er hat öaufen gelernt. Nur einen Wunsch hat der einstige Waisenjunge noch: das Ende der russischen Heime, in denen noch heute Tausende Kinder unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen leben müssen.


Autorenportrait

John Lahutsky lebt heute bei seiner Adoptivmutter Paula Lahutsky, einer Schulpsychologin, in Pennsylvania, USA, und besucht die High School.»Es ist zuvorderst die Authentizität mit der Philps und Lahutsky ihre Leser aufrütteln. ... Dokumentarisch belegt das Buch Schicksale von Kindern, denen mit einfachen Mitteln ein erträgliches Leben hätte geschenkt werden können.« Freie Presse über: »Wolkengänger«







Mittwoch, 16. Januar 2013

Christoph Schlingensief / So schön wie hier kanns im Himmel nicht sein

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen, weil es sehr authentisch geschrieben ist.
Da ich auch ein paar Erfahrungen mit der Sterbebegleitung habe, ist bei den meisten an Krebs erkrankten Menschen zu beobachten, dass bei ihnen, nach dem sie ihre Erkrankung realisiert und akzeptiert haben, ein großer optimistischer Lebenskampf losgeht. Das Bewusstsein, sterblich zu sein, kann nicht mehr unterdrückt werden. Es beginnt die direkte Auseinandersetzung mit Leben und Tod:
Ich will leben. Ich will auf alle Fälle leben. Aber nicht, um wieder in diesem blinden Trott zu verfallen, noch schneller, noch mehr, sondern ich will ein Leben leben, das einen Sinn ergibt und sich den Menschen nähert.
Auch Schlingensief fing an, intensiv über sein Leben nachzudenken, es zu reflektieren. Nicht nur sein eigenes Leben reflektierte er, nein, auch das Leben seiner Eltern, das Leben seiner Frau, das Leben seiner Freunde, es gibt nichts, was der Autor nicht unter die Lupe nimmt.
Es gab eben viele Momente, wo ich das Glück nicht zugelassen habe. 47 Jahre lang habe ich wirklich viel gemacht, viele Leute kennengelernt, viele Dinge erlebt. Ich hatte liebe Freunde. Ich durfte denken, habe viele Gedanken geschenkt bekommen, viele Glücksdinge. Ich habe auch viel Scheiße gebaut und mich sicherlich auch oft falsch verhalten. Aber das Schlimme ist, dass ich die Guten, die wichtigen Momente oft nicht richtig genießen konnte, dass ich nicht kapiert habe, was das gerade für ein Glück ist. 
Ich habe viele Gedanken geschenkt bekommen, lol, gefällt mir gut.

Die Hauptangst bestand darin, geistig nicht mehr denken zu können. Angst, im Gehirn haben sich Metastasen gebildet oder dass sich noch welche bilden könnten. Schlingensief hatte das Pech, an einem der aggressivsten Tumore erkrankt zu sein. Lungenkrebs, dazu noch als Nichtraucher, das war doppeltes Pech. Der Autor war als erfolgreicher Künstler / Schauspieler in der Oper / Theater engagiert.  Sein Leben war ständig in Bewegung, ständig auf Achse, körperlich wie auch geistig. Plötzlich wird er zum Nichtstun verurteilt, eine schwere Prüfung für den Betroffenen. Durch die Krankheit findet auch eine neue Selbsterfahrung statt, lernt nun allmählich, seine Grenzen zu zeigen, wenn er nicht mehr kann:
Ich möchte so lange wie möglich denken dürfen. Muss ich halt lernen, auf dem Sofa zu liegen und nichts anderes zu tun, als Gedanken zu denken. Vielleicht ist diese Krankheit ja sogar eine Belohnung. Jetzt kann ich endlich einmal Nein sagen lernen. Wenn irgendwelche Leute mir mal wieder erklären wollen, was ich jetzt tun soll, was jetzt wichtig ist, dann sage ich einfach: Tut mir leid, ich kann jetzt nicht. Ich muss denken.
Dieses Zitat hat mich so berührt, dass ich es unbedingt festhalten wollte. Aber traurig ist es schon, dass man erst schwer erkranken muss, um die eigenen Grenzen nach außen hin zu vertreten, und sich nicht immer und immer wieder fremd bestimmen zu lassen. Dass Schlingensief die Krankheit als eine Belohnung sieht, hat mir auch sehr imponiert.

Es ist klar, dass Schlingensief unbedingt am Leben bleiben möchte, und bereit ist, alles dafür zu tun. Dennoch schleichen sich immer wieder Gedanken um den Tod, Gedanken darüber, wie er bestattet werden möchte, nein, vielmehr wie er nicht bestattet werden möchte:
Aber eins steht fest. Ich will nicht in das Grab meiner Eltern. Ist vielleicht komisch, aber wenn das schon mit dem Alleinsein auf der Welt nicht klappen sollte, dann will ich wenigstens im Tod alleine sein.
Dieser Gedanke hat mir auch ganz gut gefallen. Jemand, der seine Familie nicht idealisiert, nur weil er sterben muss, nein, er möchte getrennt von ihnen sein.

Schlingensief liegt in der Klinik und wird von verschiedenen Ängsten ergriffen. Wie sich die Krankenschwester dem Patienten nähert, um ihm die Ängste zu nehmen, hat mir auch recht gut gefallen:
Da kam dann Schwester Doris, die sehr nett, fast mütterlich war. Sie sagte, denken Sie sich blaue Wolken, Schafe, Landschaften, denken Sie sich solche Sachen, das hilft Ihnen. Die Leute sagen jetzt vielleicht, das ist doch alles Kitsch - Wolken, Schafe- alles Kitsch. Ist auch Kitsch, aber es ist auch was dran. Ich hätte mir das Bild mit den Wolken und Schafen nicht unbedingt selbst gewählt. Das ist auch nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass die Schwester mir helfen wollte, als sie das gesagt hat. Das war Liebe: ich helfe dir jetzt gerade mal, kleiner Mann, kleiner Christoph. Das war wunderschön.
Das fand ich toll, dass er offen war für diese Art von menschlicher Liebe. Manchmal ist das Leben eben einfach oder kitschig. Und das gehört eben auch dazu.

Der Autor gewinnt in der Auseinandersetzung mit seinem neuen Leben recht viele Weisheiten, als er sich erneut über die Welt und über die Menschen Gedanken macht, auch religiöse Gedanken, die er hin und wieder hinterfragt und ihnen oft ambivalent gegenübersteht. Im folgenden aber scheint ein Prozess vollzogen zu sein, wo er sowohl die Emotionen als auch die Spiritualität als etwas Wertvolles zu betrachten gelernt hat.
Aino ist meine Frau, und ich erfahre hier nicht alleine eine Prüfung, sondern Aino erlebt gerade etwas, was sie reifer, erwachsener macht, vielleicht auch offener für religiöse oder spirituelle Momente.Das mag für viele Leute furchtbar klingen, aber ich kann nur sagen: wenn man in solchen Situation steckt, ist es das größte Glück, Momente der Emotionalität und Spiritualität zu erleben. Die ganzen Rationalisten, die behaupten, sie hätten damit nichts zu tun, sie fänden das alles albern - ich nehme ihnen das nicht ab.
Es muss ja jeder selbst erst mal in eine Krise geraten, damit ein Umdenken stattfinden kann, so sehe ich das, oder man verbittert... .

Schlingensief zitiert recht oft  Beuys, ein Bildhauer aus Düsseldorf, und einen Gedanken von ihm möchte ich hier auch gerne festhalten. Beuys ist der Meinung, man solle Menschen viel mehr loben als kritisieren.

Es sind noch viele, viele andere schöne Gedanken in dem Buch, der Lebenskampf, den Schlingensief aus meiner Sicht nicht verloren hat. Er konnte zwar nicht genesen, aber er konnte zum Schluss anerkennend akzeptieren, dass er sterben muss und sich darauf vorbereiten, auf die Todesstunde, die immer näher rückt. Aber man nimmt als LeserIn nicht an dem Tod teil. Man erfährt es im Klappentext, wann der Autor gestorben ist.

Es gibt Menschen, sie sterben in einem bitterem Kampf, zu diesen Sterbenden zählt Schlingensief nicht. Er hat viele Ideen, viele Gedanken gehabt, die ihm halfen, konstruktiv mit seinem noch Leben und mit seinem langsamen Sterben umzugehen. Mit 47 Jahren wollte er ein Kind zeugen, um das Gefühl zu haben, mit seinem Sterben, bzw. mit seinem Tod neues Leben zurück zu lassen. Dadurch bekäme er das Gefühl, durch das Kind weiter leben zu können und so den Tod zu überwinden. Natürlich ist das nur eine symbolische Betrachtung.

Ich komme nun zum Schluss und habe sehr viel Positives wiedergegeben. Nein, in dem Buch gehen auch sehr viele Kämpfe hervor, die verzweifeln ließen, Wut und Hader, was nicht ausbleibt und die Auseinandersetzung mit der Kirche und dem Katholizismus. Dennoch ist das Buch mit viel Witz und Humor geschrieben.

Mich hat das Buch aber auch auch recht traurig gestimmt. Aber das darf sein, es zeigt die Fähigkeit, trauern zu können. Ist ein merkwürdiges Gefühl, von jemandem ein Buch zu lesen, den es auf der Welt nicht mehr gibt. Ein Zeitgenosse, der noch leben könnte und der gerade mal drei Jahre älter als ich war.

So schön wie hier kanns im Himmel nicht sein, zeigt, dass Schlingensief gerne gelebt hat und zählte alle Vorteile auf, die es auf der Welt gibt, vor allem, Lebenskünstler zu sein. Er bezeichnete alle Menschen als Lebenskünstler. Er schätzte hauptsächlich die Freiheit.

Die größte Idee von Freiheit ist wahrscheinlich, dass man ein Problem lösen kann. Menschen, die das nicht können, dann nur, weil ihnen die Macht und die Freiheit dazu genommen wurde.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

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Sonntag, 13. Januar 2013

Christoph Schlingensief

So schön wie hier kann es im Himmel gar nicht sein





Verlag: Btb, 2010, 
Miniausgabe gebunden, 9, 99 €
Seitenzahl: 302
Deutsch
ISBN-10: 3442740703


Klappentext

 Wie weiterleben, wenn man von einem Moment auf den anderen aus der Lebensbahn geworfen wird, wenn der Tod plötzlich nahe rückt? Christoph Schlingensiefs bewegendes Protokoll einer Selbstbefragung ist ein Geschenk an uns alle, an Kranke wie Gesunde, denen allzu oft die Worte fehlen, wenn Krankheit und Tod in das Leben einbrechen. Eine Kur der Worte gegen das Verstummen - und nicht zuletzt eine Liebeserklärung an die Welt.

Autorenportrait


Christoph Schlingensief, 1960 in Oberhausen geboren, wurde einer größeren Öffentlichkeit als Filmregisseur mit seiner Deutschlandtrilogie (1989-1992)) bekannt. In den 90er Jahren wurde er Hausregisseur an der Volksbühne in Berlin. Anlässlich der Bundestagswahl 1998 gründete Schlingensief die Partei »Chance 2000«. Bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen 2004 inszenierte er mit »Parsifal« seine erste Oper, die hymnisch besprochen wurde, anschließend war er verstärkt auf dem Feld der Bildenden Kunst tätig. Im August 2010 starb Christoph Schlingensief an seiner Krebserkrankung. Bis zuletzt arbeitete er an zahlreichen Kunst- und Theaterprojekten.

Ich habe erst ein paar Seiten gelesen und das Buch liest sich gut. Der Autor schreibt recht authentisch. Wenn auch das Thema ein trauriges ist aber in den letzten Jahren habe ich so viele Menschen verloren, die an Krebs erkrankt waren. Zuletzt mein Onkel, der im Dezember 2012 verstarb. Der Tod ist allgegenwärtig und oft trifft er ein, wenn man ihn nicht erwartet. Wir können uns nicht oft genug mit dieser Thematik auseinandersetzen.

Walter Moers / Das Labyrinth der Träumenden Bücher (1)

Eine Buchbespreung zur o. g. Lektüre

Das Labyrinth der Träumenden Bücher hat mich so gar nicht angesprochen im Vergleich zum ersten Band, der mich so richtig fasziniert und gefesselt hatte. Ich muss aber auch sagen, dass ich nicht wirklich eine Fantasy-Leserin bin und finde es befremdet, solche inneren Bilder, die ein anderer kreiert hat, in mich hineinzulassen. Beim Lesen ist mir aufgefallen, dass ich körperlich ein wenig verkrampft war. Es ist mir schwer gefallen, mich den  fiktiven Romanfiguren zu öffnen, ohne dass da ein Bezug zur realen Welt da ist. Selbst die Weisheit vermisste ich. Das erlebte ich im ersten Band so gar nicht.

Ich werde demnach nur ein paar Auszüge schildern, die mir recht gut gefallen haben, aber das mache ich ja sowieso auch mit den anderen Büchern.

Erstaunt hat mich, als ich auf der Seite 293 eine fiktive Autorin kennenlerne, die einen ähnlichen Familiennamen trägt wie ich. Sie heißt Juhanna PIGNOZZI. Hihi, das würde mich jetzt mal interessieren, wie Moers zu diesem Namen kam. Zumal PAGNOZZI doch viel besser klingt und vom Schriftbild schöner aussieht, ich gebe zu, weil ich es nicht anders gewöhnt bin :-). .

Zurück zur Geschichte: Der Anfang war ganz passabel, da ich damals, als ich den ersten Band zu Ende gelesen hatte, neugierig auf den zweiten Band wurde, weil ich schon von der Neugier ergriffen wurde, wie es nun mit Buchhaim weitergehen werde, nachdem Hildegunst von Mythenmetz seinen Kampf mit dem Schattenkönig besiegt hatte und er nach der Schlacht Buchhaim verlassen hatte.

Seit der Zeit sind nun mehr als zweihundert Jahre vergangen, und Hildegunst war nun ausgewachsen und lange keine jugendliche Echse mehr.
Die erneute Reise nach Buchheim war einem alten Freund namens Kibitzer zu verdanken, mit dem er einen regen literarischen, politische und philosophische Austausch pflegte. Doch leider zerstritten sich beide, so dass sie auf Abstand gingen und nichts mehr voneinander hörten, was beiden aber arg betrübte aber niemand von beiden seinen Stolz überwinden konnte, um auf dem Freund zuzugehen. Kibitzer wird schließlich krank, sterbenskrank, und schafft es durch Tricks, Hildegunst nach Buchhaim zu locken. Er sehnt sich nach seinem Freund, ihn ein letztes Mal zu sehen... .

Hildegunst erkennt Buchhaim nicht wirklich wieder. Einst lag es in Asche und musste neu aufgebaut werden. Auch manche Begriffe haben sich geändert, die Hildegunst alle fremd zu sein scheinen, wie z.B. der Begriff Biblionismus, die in seinen Ohren wie eine Krankheit klingt.
Folgende gesprochene Textstelle fand ich stellenweise recht lustig:
" Biblionismus?", fragte Hildegunst. "Klingt wie eine Krankheit, die man sich in öffentlichen Büchereien einfangen kann." (lol) "Du bist wirklich verdammt lange nicht mehr hier gewesen! Du hast ein paar wesentliche Dinge verpasst. Die ganze antiquarische Buchalchemie ist Schnee von gestern. Der Biblionismus ist die neue Sache! Alles Biblio! Bibliodies, Bibliodas! (…) Der Bibionimus ist keine Religion und auch kein Verein oder eine Partei. Er ist auch keine wirklich exakt Wissenschaft mit festen Regeln. Er ist der Geist des modernen Buchhaims."
Da ich beruflich auf dem Gebiet der Psychiatrie tätig bin, gibt es auch in Buchheim Bibliokrankheiten, von denen ich einige mit  psychischen Krankheiten assoziiere:

Es gibt einen Bibliophrener-Schizophrener, einen Biblioten-Idiot, einen Bibliopathen-Psychopath und außerhalb der psychischen Erkrankungen gibt es Biblionäre-Millionäre... . Im Buch werden die verschiedenen Bibliotypen erklärt. Zwei Typen möchte ich gerne aufschreiben:
Bibliomaten sind mechanische Leser, (…) die überhaupt keinen Unterschied darin machen, was sie lesen. Es ist ihnen wurscht. Sie lesen im Gehen, im Stehen, im Sitzen, im Liegen. Sie lesen beim Essen und beim Kaffeetrinken, während sie einkaufen oder in einer Warteschlange stehen - sie lesen einfach immer. Es ist ein zwanghaftes, freu - und fruchtloses Lesen, ohne jede erkennbare gefühlsmäßige Reaktion auf das Gelesene. So stelle ich mir die Lektüre von Ameisen vor! Wenn man einen Diplomaten fragt, was er gerade geschmökert hat, kann man ihn mächtig in Verlegenheit bringen. Sie vergessen es gleich wieder.  Die Bibliotie ist die größtmögliche Form der Ignoranz gegenüber Büchern. Biblioten lesen nicht nur grundsätzlich keine Bücher, sondern leugnen sogar schlankweg ihre Existenz! Und das sogar, während sie auf einem Bücherstapel stehen. 
Hildegunst musste seinem sterbenden Freund sein Versprechen geben, mit der Schreckse Inazea Anazazi das Theater zu besuchen. Welches Stück er sich ansehen sollte, das blieb bis zur Vorstellung geheim. Hildegunst weigerte sich erst, da es ihm schwer fällt, sich auf etwas einzulassen, ohne dass er weiß, um was es sich handelt. Als sie im Theater waren, wollte er auch schon gleich zu Beginn der Vorstellung wieder gehen, da ihm die Figuren zu widerlich waren. Inazea konnte ihn schließlich nur halten, indem sie ihm mitteilte, dass das Stück von sich selbst handelte.  Hildegunst von Mythenmetz bekam ein Theaterstück zu sehen, das sein Leben in Buchhaim darzustellen wusste und bekam alles wort-  und bildgetreu, wie sein Leben in "Der Stadt der träumenden Bücher" sich abspielte, zu sehen. Er bekam jedes Verhalten mit sich und den mit seinen Gefährten widergespiegelt. Alle Kämpfe, die er auszutragen hatte, um Buchhaim vor der Vernichtung zu retten.

Hier fing es für mich an, langweilig zu werden. Man bekam die ganze Geschichte nochmals erzählt und ich gehe jetzt auch nicht weiter darauf ein. Natürlich war Hildegunst von Mythenmetz im Gegensatz zu mir recht neugierig, an einem Theaterstück als Zuschauer teilzunehmen  indem er die Hauptrolle spielte... . Aus dem Theaterstück sollte er rückblickend eine Lehre ziehen... . Es traten recht skurrile Figuren in dem Stück auf. Lebendige Puppen, die erst wie Marionetten aussahen, und viele andere Puppenarten traten auf. Eigentlich war dort auf der Bühne alles lebendig, sogar sämtliche Musikinstrumente, die ohne ihre Spieler Musiktöne von sich gaben, indem sie mit ihren Fingern (lol) die Tasten oder Saiten bedienten. Da hört es bei mir auf, und ich mich mal fragen muss, wo Kitsch eigentlich anfängt? Wo hört er auf?

Wenn es sich um Bücher handelt, da bin ich recht wachsam und möchte auch hier eine Textstelle festhalten, die mir gut gefallen hat. Sie bringt in Erinnerung, welchen Weg ein Buch hinter sich bringen muss, bis es schließlich ein Buch geworden ist:
Denken Sie nur an die Bücher! Bücher sind aus Papier, Papier ist aus Holz, Holz ist aus Bäumen, Bäume wachsen in der Erde, Erde ist nur so fruchtbar, wenn sie von lebenden Wesen durchwühlt und gedüngt wird. Nicht nur die Bäume, die meisten Pflanzen verbergen ihren größten Teil im Erdreich. Eine Wurzel kann ohne Blüte überleben. Aber niemals eine Blüte ohne Wurzel! Benutzen nur einen geringen Bruchteil des Lebensraums, der uns gegeben ist. Und zwar nur, weil er eine irrationale Furcht vor dem Dunkeln haben.
 Die meisten ekeln sich vor den Insekten, aber den Insekten ist es zu verdanken, dass die Bäume wachsen, und aus den Bäumen im Endstadium zu Bücher werden.

Hildegunst galt als ein berühmter Dichter in Buchhaim. In einer Buchhandlung war sein Buch ausgestellt, der Name des Autors aber völlig falsch geschrieben. Obwohl Hildegunst nicht erkannt werden wollte, er trug eine Kapuzenjacke, betritt er den Laden, um sich des falsch geschriebenen Namens wegen zu beschweren. Doch als er im Laden noch eine Marionette sieht, die er darstellen sollte, aber die Puppe  furchtbar hässlich war, rastet Hildegunst ganz aus, reißt die Marionette runter und wirft sie auf die Verkaufstheke. Es kommt zu einem Skandal, als er sich dem Ladenbesitzer als Hildegunst von Mythenmetz zu erkennen gibt... . Nun, diese Szene fand ich noch interessant, aber was danach kam?

Einfach selber lesen.
Deshalb mache ich jetzt hier Schluss.

Ich möchte aber niemanden entmutigen. Wenn ich eine Fantasieleserin wäre, hätte ich das Buch sicher mit anderen Augen gelesen. Deshalb sollte jede selbst die Erfahrung mit dem Buch machen... .

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Donnerstag, 10. Januar 2013

Walter Moers / Das Labyrinth der träumenden Bücher



Verlag: Knaus
Gebundenes Buch, 432 Seiten
über 100 Illustrationen
ISBN: 978-3-8135-0393-7
€ 24,99 [D] | 


Klappentext
Hildegunst von Mythenmetz kehrt zurück in die »Stadt der Träumenden Bücher«Über zweihundert Jahre ist es her, seit Buchhaim, die Stadt der Träumenden Bücher, von einem verheerenden Feuersturm zerstört worden ist. Der Augenzeuge dieser Katastrophe, Hildegunst von Mythenmetz, ist inzwischen zum größten Schriftsteller Zamoniens avanciert und erholt sich auf der Lindwurmfeste von seinem monumentalen Erfolg. Er gefällt sich im täglichen Belobhudeltwerden, als ihn eine verstörende Botschaft erreicht, die seinem Dasein endlich wieder einen Sinn gibt. 


Autorenportrait aus WIKIPEDIA
 Walter Moers  (* 24. Mai 1957 in Mönchengladbach) ist ein deutscher Comic-Zeichner, Illustrator und Autor.

Von Walter Moers habe ich gelesen: Die Stadt der träumenden Bücher und Ense und Krete.



Erich Maria Remarque / Liebe Deinen Nächsten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Eine Herzensbildung, ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit, so habe ich es erlebt... .
Ich habe mir so viele Textstellen markiert und muss davon eine Auswahl treffen, sonst gibt es ein zweites Buch, und das habe ich nicht vor zu schreiben.

Bildung auf der Ebene der Menschlichkeit, weil es in dem Buch an Menschlichkeit fehlt und das Formale ganz oben steht und nicht die Person selbst. Das heißt, der Mensch auf dem Papier dominiert, und wer keine Papiere hat, der existiert schon mal gar nicht. In vielen Teilen von Europa wurden die Flüchtlinge von Grenze zu Grenze abgeschoben, niemand fühlte sich für ihre existentiellen Nöte verantwortlich, da war sich jeder selbst am nächsten...

(...) Und all das nur, weil ihnen und den gelangweilten Beamten hinter dem Schreibtisch ein Stück Papier trennte, Pass genannt. Ihr Blut hatte die gleiche Temperatur, die gleiche Farbe, ihre Augen hatten die gleiche Konstruktion, ihre Nerven reagierten auf die gleichen Reize, ihre Gedanken liefen in den gleichen Bahnen - und doch trennte sie ein Abgrund, nichts war gleich bei ihnen, das Behagen des einen war die Qual des andern, sie waren Besitzende und Ausgestoßene, und der Abgrund, der sie trennte, war nur ein kleines Stück Papier, auf dem nichts weiter stand als ein Name und ein paar belanglose Daten.

In dem Roman bekommen mehrere Figuren die Hauptrolle und im Anhang habe ich entnehmen können, dass Remarque selbst betroffen war, nicht als Jude aber als Intellektueller, der den Nationalismus nicht unterstützden konnte und dadurch in die Schweiz emigrierte, später in die USA. Von den Nationalsozialisten wurde er ausgebürgert. Als Exilant lernte er viele Flüchtlinge kennen, die ihm ihr Leid beklagten und Remarque neben seine eigenen Erfahrungen viele gehörte Geschichten in seine Bücher hat einfließen lassen. Remarque galt als ein geduldiger Zuhörer.

Es gab Betroffene, die ihren Humor nicht verloren haben und versuchten ihre Lebenssituation von der besten Seite zu sehen. Ludwig Kern, Protestant und Jude zugleich, ist eine von den Hauptfiguren, die sich sagte, dass alles noch besser sei als der Tod. Josef Steiner war der Auffassung, dass alles besser sei als der Krieg und so versuchten sie ihre schwere Lebenslage in Relationen gesetzt zu akzeptieren... .

Viele flüchtende Menschen versuchten an falsche Papiere dran zu kommen, die von Profis für viel Geld illegal ausgestellt wurden. Und nicht jeder besaß dieses Geld... . Josef Steiner hatte das Glück, der in Österreich einen Pass bekommen hat von einem Verstorbenen namens Johann Huber:

Johann Huber! Arbeiter! Du bist tot und verfaulst irgendwo in der Erde von Graz - aber dein Pass lebt und ist gültig für die Behörden. Ich, Josef Steiner, lebe; aber ich bin ohne Pass tot für die Behörden. (…) Tauschen wir, Johann Huber! Gib mir dein papierenes Leben und nimm meinen papierlosen Tod! Wenn die Lebenden uns nicht helfen, müssen die Toten es tun.

Ich fand dieses Zitat total makaber, weshalb ich es mir aufschreiben musste.

Was sind denn im zweiten Weltkrieg noch die Werte gewesen? Auch dies fragen sich viele aus ihrer Heimat Vertriebenen:

Ein rauhes Zeitalter. Der Frieden wird mit Kanonen und Bombenflugzeugen stabilisiert, die Menschlichkeit mit Konzentrationslagern und Pogromen. Wir leben in einer Umkehrung aller Werte. Der Angreifer ist heute der Hüter des Friedens, der Verprügelte und Gehetzte der Störenfried der Welt. Und es gibt ganze Völkerstämme, die das glauben!

"Und es gibt ganze Völkerstämme, die das glauben!" (Das ist ja heute oftmals auch immer noch so. Zu schnell werden von Politiker Feindbilder geschaffen, die kaum einer hinterfragt).

Jeder musste um sein Überleben kämpfen, und sei es, dass Mittellose sich an Mittellose vergreifen. Der gutmütige Ludwig Kern lässt einen Bettler in sein Zimmer und überlässt ihm sein Bett, in dem er zu seiner Freundin ins Zimmer geht und sich zu ihr legt. Kern lässt seinen Koffer aber mit wenigen Habseligkeiten im Zimmer zurück, weil er dem Bettler nicht das Gefühl geben wolle, als misstraue er ihm. Seine paar Kröten waren in dem Koffer einer Tasche eingenäht, für andere nicht sichtbar... . Kern wurde ausgeraubt. Der Bettler schlief gar nicht in dem Bett, er war nur auf sein Geld aus. Und er hatte problemlos die eingenähte Geheimtasche finden können. Zwei Tage später trifft Kern den Dieb in einem Lokal und konfrontiert ihn mit dem Diebstahl, fordert sein Geld zurück. Ich gebe die "Philosophie" des Diebes wieder:

"Ich brauche das Geld selbst. Sie sind billig davon gekommen. Sie haben für vierzig Franken die größte Lehre empfangen, die es im Leben gibt: Nicht vertrauensselig zu sein."

Glücklicherweise gab es bei der Polizei einen Angestellte, der auf indirekte Art und Weise den gefassten Flüchtling zur Flucht verholfen hat. Mir hat es so gut gefallen, dass ich diese Textstelle auch unbedingt aufschreiben und festhalten möchte:

Es hat keinen Zweck! Zwar habe ich ein verstautes Bein und kann nicht hinter Ihnen herlaufen, aber ich würde sie sofort anrufen und dann meinen Revolver ziehen, wenn sie nicht stehen bleiben. (...) Das dauert natürlich seine Zeit. (…) Sie können mir vielleicht inzwischen entwichen, besonders an einer Stelle, an die wir gleich kommen werden, da sind allerhand Gässchen und Ecken und von Schießenkönnen ist da nicht viel die Rede. Wenn Sie da fliehen würden, könnte ich Sie tatsächlich nicht fangen. Ich müsste Ihnen höchstens vorher Handschellen anlegen.

Natürlich legte er ihm keine Handschellen an... .

Flüchtlinge galten und gelten heute noch immer als kriminell, wenn sie illegal in ein anderes Land einreisen. Das Gesetz machte sie zu Verbrechern. Sie waren Vertriebene und hatten keine andere Wahl, als zu flüchten, wenn sie ihr Leben retten wollten. Sie wurden regelrecht
 in die Illegalität getrieben. Die Grenzen wurden zur Heimat. Ein Bauer in der Schweiz wundert sich, dass Menschen von der Polizei gesucht werden, die nichts verbrochen haben. Ludwig Kern und seine Freundin Ruth suchen bei einem Bauer in der Schweiz Unterschlupf. Ludwig Kern macht dem Bauer ihre Situation deutlich:

Der Bauer schüttelte den Kopf. " Und Sie haben nichts getan? Nichts ausgefressen?"" Wir haben keine Pässe und können keine bekommen, das ist alles."" Das meine ich nicht. Sie haben nicht irgendwo etwas gestohlen oder jemand betrogen oder so etwas?"" Nein."" Und trotzdem jagt man hinter Ihnen her, als wäre ein Steckbrief auf Sie ausgeschrieben?"" Ja."Der Bauer spukte aus." Das verstehe, wer kann, ein einfacher Mann versteht es nicht."

Ludwig Kern wird immer mal wieder von der Polizei gefasst. Dem Richter versucht er deutlich zu machen, dass Menschen wie er nicht anderes können, als gegen das Gesetz zu verstoßen. Es sei schließlich das Gesetz, das sie zu Verbrechern machen würde. Andere Menschen, die in ihrer Heimat bleiben können, kommen erst nicht in diese Lage, das Gesetz zu brechen. Oftmals werden die gefassten Flüchtlinge sogar vorbestraft... .

Remarque beschreibt auch einen Flüchtling, der müde geworden ist, ständig auf der Flucht zu sein und wünscht sich nichts anderes mehr als den Knast. Er begeht in einem Juwelierladen absichtlich einen Diebstahl, damit er eingesperrt wird und nicht mehr flüchten muss. Auch muss er dann als Gefängnisinsasse nicht mehr hungern und nicht mehr frieren. Makaber so eine Handlung aber verständlich, wenn ein Mensch so getrieben wird.

Auch ein Richter denkt an nichts anderes, als an seine Pflicht, an seine berufliche Pflicht, sich an die Gesetze zu halten und Flüchtlinge ohne Papiere zu bestrafen. Kern bekommt von dem Richter ein paar persönliche Fragen gestellt, nach dem das Urteil von ihm ausgesprochen war:

"Glauben Sie noch an irgendetwas?""O ja; ich glaube an den heiligen Egoismus! An die Unbarmherzigkeit! An die Lüge! An die Trägheit des Herzens!"" Das habe ich befürchtet. Wie sollten Sie auch anders…""Es ist noch nicht alles", erwiderte Kern ruhig. "Ich glaube auch an Güte, an Kameradschaft, an Liebe und an Hilfsbereitschaft! Ich habe sie kennengelernt. Mehr vielleicht als mancher, dem es gut geht."

Ich möchte jetzt noch ein letztes Zitat einbringen, das mir auch gut gefallen hat, es geht noch einmal um die Werte, die nicht stark genug waren, den Nationalsozialismus zu besiegen:

Es lebe die Vernichtung des Individuums! Bei den alten Griechen war Denken eine Auszeichnung. Dann wurde es ein Glück. Später eine Krankheit. Heute ist es ein Verbrechen. Die Geschichte der Kultur ist die Leidensgeschichte derer, die sie schufen.

Ich bin jetzt nicht auf die einzelnen Schicksale der Protagonisten eingegangen, habe mich stattdessen ein wenig allgemein gehalten, weil mir die Kernbotschaft einzelner Zitate so wichtig waren.

Die Protagonisten in dem Buch werden nicht einfach mit der letzten gelesenen Seite stumm. Nein, denn sie lebten nicht nur im Nationalsozialismus, sie leben heute noch weiter, in anderen Kriegsländern und oder Krisenländern... oder ähnliches und immer noch werden Menschen aus den verschiedensten Gründen aus ihrer Heimat vertrieben und in die Illegalität getrieben und nach wie vor will niemand diese Menschen haben... . Deshalb ist das Buch nicht nur ein Appell an vergangene Zeiten, nein, der Appel zu mehr Nächstenliebe, zu mehr Menschlichkeit ist bis heute noch gültig, bis morgen, solange wie es an Menschlichkeit in unserer Welt mangelt.


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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 03
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86







Montag, 7. Januar 2013

Erich Maria Remarque / Liebe Deinen Nächsten


Verlag: Kiepenheuer & Witsch TB
2008, 8.95 €
4. Aufl.
Seitenzahl: 340
ISBN-10: 3462027301

Klappentext

Das Schicksal einer kleinen Gruppe politischer Flüchtlinge: Auf der Flucht vor den Nazis sind sie auch im benachbarten Ausland nicht vor Verfolgung sicher. Umgeben von Denunzianten, ohne Paß und Wohnung werden sie in die Illegalität getrieben. In Paris spitzt sich ihre Situation dramatisch zu... 



Autorenportait

Erich Maria Remarque, 1898 in Osnabrück geboren, besuchte das katholische Lehrerseminar. 1916 als Soldat eingezogen, wurde er nach dem Krieg zunächst Aushilfslehrer, später Gelegenheitsarbeiter, schließlich Redakteur in Hannover und Berlin. 1932 verließ Remarque Deutschland und lebte zunächst im Tessin/Schweiz. Seine Bücher “Im Westen nichts Neues” und “Der Weg zurück” wurden 1933 von den Nazis verbrannt, er selber wurde 1938 ausgebürgert. Ab 1941 lebte Remarque offiziell in den UsA und erlangte 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1970 starb er in seiner Wahlheimat Tessin.


Auch Remarque zählt zu meinen Lieblingen. Einige Bücher von ihm habe ich schon gelesen, aber einige auch noch nicht. Aus meiner Liste gelesener Bücher kann man entnehmen, welche Remarque . Bücher ich gelesen habe. Siehe hier:

http://mirella-pagnozzi.blogspot.de/search/label/Literaturliste%20gelesener%20B%C3%BCcher

Den vorliegenden Band hat meine Bücherfreundin Sibylle aus meinem großen SuB ausgewählt, den ich auch mit großer Neugier und Spannung lese, wie die anderen Bänden von Remarque auch.