Mittwoch, 18. Juli 2012

Wajidi Mouawad / Verbrennungen (1)



 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Theaterstück habe ich gestern Abend zu Ende gelesen und es hat mir recht gut gefallen. Sagen wir mal so, es hat mich recht betroffen gemacht... .

Das Stück liest sich gar nicht wie ein Theaterstück, sondern wie ein Film. Total authentisch und lebendig geschrieben ist es. Es ist sehr ausdrucksstark geschrieben. Gewalt kennt  keine Grenzen... .

Daher ist der Inhalt recht heftig, stimmt traurig, ohnmächtig durch die Gewalt in jeglicher Form, Opfer-Täter - alles vertauscht..., Bürgerkrieg, Krieg unter den Zivilisten, selbst in Familien sind die Systeme oftmals korrupt... aber weggucken bringt auch nichts, und so habe mich angestrengt, den Inhalt geistig auszuhalten und mitzugehen mit den Figuren, mit den Menschen, die sich diese Welt nicht selbst ausgesucht haben und sie diese trotzdem life erleben müssen. Wenigstens möchte ich mich geistig mit diesen Menschen solidarisieren, die gegen solche Systeme sind, solidarisieren mit den Kindern, die zu Kriegsopfern gemacht werden, kaum dass sie geboren wurden... . Unschuldige Menschen, die keinen Ausweg aus dieser Welt finden, ständig müssen sie um ihr Leben bangen. Für diese habe ich Mitgefühl und möchte aus diesem Grunde nicht weggucken, sondern geistig mit ihnen gehen... .

Am Anfang geht es um ein junges Mädchen namens Nawal, die auch die Protagonistin des Stückes ist. Nawal wird mit vierzehn Jahren schwanger  und sowohl sie als auch ihr Geliebter wollen das Kind unbedingt zur Welt bringen. Die beiden jungen Menschen fühlen sich stark zueinander hingezogen und das Kind würde ein Kind der Liebe sein... . Doch die Mutter des Mädchens fordert von ihr, das Kind nach der Geburt sofort an die Hebamme abzugeben, oder aber sie solle auf der Stelle alle Kleider abwerfen, und nackt das Dorf verlassen. Die Nacktheit steht dafür, dass das Mädchen arm und besitzlos ist und macht die Abhängigkeit von den Eltern deutlich. Die Kleider sind Eigentum der Eltern... . 
Nawal war also gezwungen, bei den Eltern zu bleiben und das Kind nach der Geburt abzugeben. Wo hätte sie denn gehen können? Ihr Freund wurde des Landes vertrieben und sie als ein junges, schwangeres Mädchen hätte draußen keinerlei Überlebenschancen... . 

Das Mädchen hörte auf zu sprechen, nachdem sie das Kind geboren hatte und die Hebamme es weggetragen hat... . 

Irgendwann begibt sich Nawal auf die Suche nach ihrem Kind und erlebt auf ihrem Weg viel Gewalt, es herrscht noch immer Bürgerkrieg. Ihrer verstorbenen Großmutter Nazir hatte Nawal versprochen, Lesen, Schreiben, Rechnen und Denken zu lernen, da Bildung die stärkste Waffe sei, und mit Hilfe dieser den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen... . Die Großmutter war die einzige, die zu Nawal hielt, auch wenn sie die Wegnahme ihres Kindes nicht verhindern konnte... .

Es ist nicht klar, in welchem Land sich diese vielen Kriegsszenen abspielen, aber man ahnt, dass es ein arabisches Land ist, auch weil der Autor selbst aus einem arabischen Staat stammt, s. Autorenportrait im letzten Posting. 

Interessant finde ich die verschiedenen Erzählperspektiven... . Oftmals werden Gegenwart und gleichzeitig Vergangenheit in einem Satz dargestellt... . Man muss im Kopf viel verknüpfen und Parallelen schaffen sowohl zu den Figuren, die in verschiedenen Zeitabständen auftreten, als auch zum zeitlichen Geschehen, aber das macht es ja so interessant zu lesen. Eine völlig andere Schreib- und Erzählkultur... . 

Mal tritt Nawal als junges Mädchen auf, dann als eine reife Frau und mal wieder als eine alte Frau. Nawal hat zwei Zwillingkinder, ein Junge, Simon, und ein Mädchen, Jeanne, beide schon erwachsen und hadern nach dem Tod ihrer Mutter mit ihr, werfen ihr vor, sie habe sich nie für ihre Kinder interessiert. Nawal hüllte sich die meiste Zeit ihres Lebens in
 Schweigen. Als Nawal verstarb, bekommen die Zwillinge von dem Notar mehrere Umschläge ausgehändigt, die ihnen Aufgaben stellten. Die Kinder gehen auf Spurensuche, müssen das tun, wenn sie die Aufgaben der Umschläge einlösen wollen... . Sie reisten in das Land der Mutter, da eine der Aufgaben war, den Bruder, das war der Erstegeborene, den Nawal mit 15 Jahren zur Welt brachte, zu suchen. Die Zwillinge kamen zwanzig Jahre später auf die Welt... . Die andere Aufgabe war die, den Vater zu suchen... .

 Während der Suche erfuhren Jeanne und Simon, dass ihre Daten auf der Geburtsurkunde nicht richtig waren, und dass ihr Vater nicht der Vater war, der kurz nach ihrer Geburt heldenhaft gestorben sein soll, und auf dem sie so stolz waren, nein, deren Vater war ein ganz anderer. Jemand, den sie gar nicht kennen. Nawal täuschte ihnen eine andere Identität vor, um die Kinder mit ihrer Herkunft nicht zu belasten. Doch kurz vor dem Tod erkannte sie, dass man die Gewalt nur bekämpfen könne, wenn man sich der Vergangenheit und der Herkunft stellt, und alle Hintergründe ausforscht und erfährt. Und diese Bürde trug Nawal nun ihren Kindern auf. 


Jeanne und Simon finden, was sie suchen sollten. Sie finden die Wahrheit, mehrere grausame Wahrheiten, eine davon ist, dass ihr Bruder gleichzeitig ihr Vater ist... Nawal wurde in ein Kriegsgefängnis eingesperrt und gefoltert. Der Folterer war gleichzeitig ihr Vergewaltiger. Der Vergewaltiger war Nawals Sohn. Aber niemand von beiden, weder Mutter noch Sohn, wussten voneinander. Und so sind aus der Vergewaltigung Jeanne und Simon entstanden... .

Die Zwillinge erfuhren auch, dass sie zu einer völlig anderen Zeit geboren wurden, und man sie zu ertränken beabsichtigte, wie man dies dort mit vielen Säuglingen tat… . Simon verstand nun endlich, weshalb die Mutter sich in Schweigen hüllte. Es waren die vielen Traumata, die sie erlebte... .

Wiederholt bekunde ich meine geistige Solidarität mit Waisenkindern, die dort zu Kriegszwecken geplündert und in die Luft gesprengt wurden... . Solidarität mit den Frauen, die von ihren Familien ausgestoßen wurden... . Solidarität mit den Kindern, die ertränkt, obwohl sie aus Liebe gezeugt und geboren wurden... . Solidarität mit den Kindern, deren Väter sie unter der Vergewaltigung zeugten... . Solidarität mit all den Menschen, die sich nicht für die Gewalt und die brutale Ermordung ihrer Mitmenschen entschieden haben... . Solidarität mit jedem Widerstandskämpfer... ... . Solidarität mit allen Flüchtlingen... . Solidarität mit allen Menschenrechtskämpfer... . Solidarität mit allen Toten, die zu Unrecht gemordet wurden... . . Solidarität mit den übrigen Menschen, die ich noch vergessen habe... . 

Es gibt nur einen Planeten Erde, und jeder Mensch ist ein Nachbar... .

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

SuB:

Amin: Der Klang der Sehnsucht
Frank: Rücken an Rücken
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Obrecht: Die Tigerfrau
Osorio: Mein Name ist Luz
Pamuk: Istanbul
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs

Gelesene Bücher 2012: 52
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 16. Juli 2012

Wajidi Mouwad / Verbrennungen

124 Seiten
Verlag der Autoren
ISBN: 978-3-88661-299-4

                    10.00 €

Klappentext

 Mouawad erzählt, wie die Geschwister Jeanne und Simon die Vergangenheit ihrer Mutter Nawal erkunden, die vor dem Krieg im Nahen Osten in den sicheren Westen geflohen war. Nawals letzter Wille überträgt den Zwillingen die Aufgabe, zwei Briefe zu übermitteln: einen an ihre tot geglaubten Vater, den anderen an einen unbekannten Bruder. Widerwillig nehmen die Beiden die Reise in die Heimat ihrer Mutter auf sich. Die Suche nach den eigenen Wurzeln führt sie in die kollektive Tragödie des Krieges zurück.

Autorenportrait

 geboren 1968 in Deir-el-Kamar (Libanon), lebt in Montreal und Paris. Der Theatermacher und Schauspieler musste sein Heimatland mit acht Jahren verlassen, wuchs in Frankreich auf und emigrierte 1983 nach Kanada, weil ihm Frankreich das Bleiberecht verweigerte. Er gründete seine erste Theatergruppe Théâtre Ô Parleur, wurde 2000 künstlerischer Leiter des Théâtre de Quat’sous und rief die erste französisch-quebecianische Theatergruppe Abé carré cé carré/Au carré de l’hypothénuse ins Leben, mit der er seine eigenen Stücke entwickelte und inszenierte. Mouawad wies bereits ein umfangreiches dramatisches Werk auf, als 2006 zum ersten Mal ein Stück auf deutsch zu sehen war: VERBRENNUNGEN, ein Drama über die Suche nach Wahrheit und die Verstrickung in eine von Bürgerkrieg und sinnloser Gewalt geprägte Vergangenheit, hat innerhalb von zwei Jahren in 23 Inszenierungen die Großen Bühnen im deutschsprachigen Theater erobert. Seit 2007 ist Mouawad Künstlerischer Leiter des Französischen Theaters Ottawa und arbeitet auf beiden Seiten des Atlantiks an zahlreichen Theaterprojekten.

Viele Werke des Autors wurden mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet.

 Aufmerksam wurde ich auf das Stück durch den Literatursender im hr2.


Emma Donoghue / Raum (1)


Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Zu Beginn des Buches war ich arg irritiert von den vielen Schreibfehlern, doch später wurde mir klar, dass die Fehler von dem fünfjährigem Kind Jack,
der Ich-Erzähler, stammen, weil er nicht sozialisiert ist und dadurch das Sprechen nicht richtig gelernt hat. Seine Welt besteht tatsächlich nur aus dem neunzehn Quadratmeter großen Raum und die einzige Bezugsperson ist seine Mutter. Es gibt noch einen Schrank, einen Fernseher, Kochnische, Badewanne und Toilette, Kinderbücher... . Jack hat außer seine Mutter noch nie einen anderen Menschen zu Gesicht bekommen, mit Ausnahme der Fernsehfiguren... . Aber das ändert sich, bis er Old Nick kennenlernt, mit fünf Jahren erst, den er heimlich aus den Schlitzen des Schrankes beobachtet, als er eines Nachts nicht schlafen konnte... . Solche Beobachtungsnächte wiederholten sich in Folge... , doch von dem Missbrauch bekam er nichts mit. Old Nick kannte er nur aus den Erzählungen seiner Mutter, da dieser die ganzen Bestellungen entgegen nimmt, und auch einlöst... .

Der kleine Jack ist in dem Raum zur Welt gekommen. Der Täter, Old Nick,  ist ein Sexualverbrecher, der für die beiden, wie schon erwähnt, mit allem Lebensnotwendigen versorgt, er die Mutter aber fast jede Nacht sexuell nötigt. Damit der Kleine nichts von den sexuellen Praktiken mitbekommt, hat die Mutter ihn von Baby an daran gewöhnt, im Kleiderschrank zu schlafen, wo sie ihm ein Lager mit einer Kuscheldecke herrichtete... . Wenn der Täter nachts wieder das Zimmer verlässt, holt sich die Mutter den Jungen zu sich ins Bett...  . 

Ein wenig gewöhnungsbedürftig war für mich zu lesen,  als Jack im Alter von fünf Jahren noch immer von der Mutter gestillt wurde, aber im Nachhinein fand ich es doch existentiell wichtig, damit er mit den lebensnotwendigen Mineralien, wie z.B. mit Kalzium, versorgt werden konnte... . 

 Kaum hatte ich die Frage gestellt, wer der Vater / Erzeuger des Kindes ist, wurde sie auch schon eine Seite später beantwortet, obwohl man sich das ja auch denken konnte, wobei es ein wenig irritierend ist, dass es der Mutter gelang, Jack so sehr zu lieben, ohne das Kind mit dem Kidnapper genetisch in Verbindung zu bringen...  .

Dadurch, dass der Junge keine andere Welt  gesehen hat, als nur den Raum, leidet er auch nicht darunter, nein, er fühlt sich nicht einmal eingesperrt. Anders die Mutter, die manchmal zu Depressionen neigte... . Die Mutter versucht dem Kind zu erklären, woher sie komme und wie sie in den Raum verschleppt wurde... . Für den Jungen sind die Erzählungen alles nur ein Spiel und vergleicht sie mit den Abenteuern aus den Kinderbüchern von Alice im Wunderland... . Die Mutter hegt nun Fluchtabsichten und versucht Jack mit in ihre Pläne einzuweihen, und Jack zu einem praktischen Fluchtpartner trainiert... .

Zur Mitte des Buches hin erlebt man eine Wende, worüber ich echt froh war, denn ich hätte gar nicht die Nerven gehabt, so psychothrillerartig vierhundert Seiten lang aushalten zu müssen. Bin absolut kein Krimi Fan, das Buch ist aber auch kein Psychothriller, wenn sich das erst ein wenig so liest.

Eine Parallele zu ziehen mit Kasper Hauser war wohl nicht falsch. Da der Roman kein Psychothriller ist, geht es also auch viel darum, wie das Leben nach dem Gefängnis weiter verläuft und ob der kleine Jack Entwicklungsschäden davongetragen habe. Im Buch sind beide ein interessanter Fall für die Experten der Psychologie und der Psychiatrie... . Die Mutter erlebte durch das Kidnapping, mit 19 Jahren wurde sie "gestohlen", ein richtiges Trauma, anders dagegen Jack, der in dem Raum geboren und dort seine fünf Jahren verlebte. Die Mutter konnte die Entführung nur durch den Jungen verkraften und ertragen. Jack selbst erlebte absolut kein Trauma, im Gegensatz zu seiner Mutter fühlte er sich dort geborgen und sehnte sich nach der Befreiung nach dem Raum wieder zurück. Dort hatte er seine Mutter für sich alleine, die Welt war durchschaubar, und der Sexualverbrecher tat ihm nichts zu Leide, bekam ihn nicht einmal zu sehen, da Jack die Nächte teilweise im Schrank verlebte... . 

 Also, die späteren Themen, die sogenannten Themen nach dem Krimiteil, finde ich interessanter, wo Jack und seine Ma klinisch und psychiatrisch betreut werden. Die Gesellschaft reagiert zwar mitfühlend aber doch auch mit einer Sensationsgier und betrachtet die beiden als diejenige Opfer, als ob habe es in der Welt noch nie solch ein Verbrechen gegeben, was die Mutter auch verteidigt, und erinnert diese an die tagtäglichen Schlagzeilen, die auf Krieg, Gewalt, Isolation und Missbrauch hinführen, und sich bei diesen Schlagzeilen niemand aufregen würde... .  Die Mutter geht vor die Presse, damit die Paparazzis nicht irgendetwas in das Geschehen der beiden Opfer hineininterpretieren und das Ganze journalistisch nicht noch mehr aufputschen und erklärt sich bereit, ihre Erlebnisse öffentlich kundzutun. Die Menschen stellen teilweise stupide und spießige Fragen, die die Mutter am Ende so überfordern, dass sie nach dem Interview einen starken psychischen  Zusammenbruch erleidet... .

Schön fand ich am Ende des Buches, als die Autorin im hinteren Teil des Romans selbst von Kaspar Hauser spricht, der seine Gefangenschaft als ein kleines Verlies erlebt hat, und er dies erst erkennen konnte, als er befreit wurde und er Deutschland als das große Verlies bezeichnete...:D. 

So ähnlich ist es auch bei Jack. Die Gesellschaft brachte absolut nicht die notwendige Geduld mit dem Kind auf und hatte Schwierigkeiten, sich in ihn, in seine Welt hineinzuversetzen... , obwohl sie sehr bemüht war... . Es wird deutlich, dass der Mensch nicht nur die Mutter benötigt, um sich weiterzuentwickeln, sondern auch die Gesellschaft und die unterschiedlichen Institutionen, in denen er sozialisiert wird, um wichtige Entwicklungsstadien zu erreichen... . In den Studien der Soziologe weiß man das ja, aber hier wird es literarisch-empirisch nochmals deutlich und die Theorien werden bestätigt, ähnlich wie bei Kasper Hauser, der ja niemanden hatte, mit dem er interagieren konnte..., wobei Jack nicht gestört ist im eigentlichen Sinne. Er ist ein ganz normaler Junge, der in seiner Welt "normal" aufgewachsen ist. Auffällig wird er erst, als er die andere Welt betritt, die ihre eigenen Regeln und Normen besitzt, die für Jack fremd sind, so wie Jacks Welt für die anderen fremd ist. Demnach muss hier relativiert werden, und es stellt sich schon auch die Frage, was denn normal ist? Während Jack sich in der beengten Welt wohl fühlt, fliehen Menschen aus der äußeren Welt regelrecht davor, weil sie zu viel Nähe einfach nicht ertragen können... Ist das normal, dass Jack sich in beengten Räumen wohl fühlt, oder ist es normal, dass andere davor fliehen? Bezogen sind diese Fragen auch auf menschliche Beziehungen... .

Interessant ist auch zu lesen, wie Jack die Welt im TV erlebt hat. Als er die großen Berge sieht, sagt er zu seiner Mom, dass die Berge für die Welt draußen viel zu groß sein würden. Die würden dort nicht reinpassen :D. Die Mutter erzählte ihm, wieviel größer die Welt draußen wäre, doch Jack hatte trotzdem keine richtige Vorstellung von Raum und Zeit und konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die Berge kleiner als die Welt sei. 

Große Probleme zeigte Jack draußen, als er alles wortwörtlich nahm, was die Leute so sprachen. Seine Mutter begann einen Suizidversuch und die Großmutter teilte Jack später mit, dass sie mittlerweile über dem Berg sei. Jacks Reaktion: Wieso ist Mam hinter den Berg gegangen? Was macht sie dort? :D.

Ein anderer sagt: "Das haut mich aber um" und Jack wartet gespannt auf die Reaktion und als diese ausbleibt sagt er: "Ich sehe nichts nach ihm hauen."

Oder eine andere Person: "Das bringt deine Mutter um, wenn sie das hört", so gerät Jack voll in Panik, dass die Mutter getötet wird... . .

So, hier mache ich mal Schluss... .

Da ich ja gewöhnlich meine Buchbesprechungen mit Zitaten belege, ich aber auf fb mich schon so sehr über das Buch ausgelassen habe, scheint nun die Energie verpufft zu sein. Allerdings hatte ich versucht ein Teil des Interview zu zitieren, was mir nicht gelungen ist, da die Zitate zu sehr aus ihrem Zusammenhang herausgerissen werden würden. Bei solch einem Thema wie dieses muss man die Textstellen selber und im Zusammenhang lesen und habe die Zitate wieder herausgenommen... .

Da mir das Buch erst nach der Befreiung so richtig gefallen hat, habe es im Kopf als Teil II eingeteilt, so gebe ich dem Buch acht von zehn Punkten. Der erste Teil ist nicht wirklich authentisch geschrieben... Ein wenig unecht hat es auf mich gewirkt.

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

SuB:

Amin: Der Klang der Sehnsucht
Frank: Rücken an Rücken
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Obrecht: Die Tigerfrau
Osorio: Mein Name ist Luz
Pamuk: Istanbul
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs

Gelesene Bücher 2012: 51
Gelesene Bücher 2011: 86

Freitag, 13. Juli 2012

Emma Donoghue / Raum




PIPER-Verlag
Roman, erschienen 29.08.2011
416 Seiten
Gebunden, 19,99 €
ISBN-10: 3492054668



Klappentext

Für Jack ist Raum die ganze Welt. Dort essen, spielen und schlafen er und seine Ma. Jack liebt es fernzusehen, denn da sieht er seine »Freunde«, die Cartoonfiguren. Aber er weiß, dass die Dinge hinter der Mattscheibe nicht echt sind – echt sind nur Ma, er und die Dinge in Raum. Bis der Tag kommt, an dem Ma ihm erklärt, dass es noch eine Welt da draußen gibt und dass sie versuchen müssen, aus Raum zu fliehen


Autorenportrait im Klappentext

Emma Donoghue wurde 1969 als jüngstes von acht Kindern in Dublin geboren. Sie studierte in Dublin und Cambridge. Nach einem Aufenthalt in London zog sie 1998 nach Ontario in Kanada, wo sie mit ihrer Lebensgefährtin und ihren beiden Kindern lebt. Emma Donoghue ist Autorin zahlreicher Romane und Erzählungen. Die Übersetzungsrechte wurden in 29 Länder verkauft.
.
Auf das Buch bin ich aufmerksam geworden über andere erfahrene LeserInnen aus einem Literaturforum, die ihr Feedback hinterlegt haben mit einer recht positiven  Resonanz, so dass auch ich neugierig geworden bin… .



Donnerstag, 12. Juli 2012

Mark Twain / Das Tagebuch von Adam und Eva (1)


 Eine Buchbesprechung zur o.g. Lektüre

Ich habe das Buch nun gestern Abend zu Ende gelesen und es hat mir recht gut gefallen. Die Erzählperspektiven in der Ich-Form wechseln zwischen Adam und Evas Tagebüchern.

Doch zu Beginn befindet sich Adam noch alleine im Garten Eden und scheint mit allem zufrieden zu sein, bis schließlich Eva auftaucht, von der er sich regelrecht belästigt fühlt. Er protestiert ihre Existenz, und als Eva ihm weiszumachen versucht, dass sie von seiner eigenen Rippe abstamme, stößt sie erstrecht auf Unverständnis, da Adam keine Rippe vermissen würde... :D. Adam lästert ein wenig über Eva, die sich als recht redselig erweist, und sich ständig an die verbotenen Äpfel hermacht. Eva dagegen macht ihm Vorschriften, wie die Dinge und die Kreaturen zu heißen hätten. Die Wasserfälle im Garten Eden bezeichnet sie als Niagarafälle, auch hier zeigt Adam absolut kein Verständnis... . Also, alles andere als ein geheiligtes Liebespaar... . Liest sich ein wenig wie eine Komödie... .

Eva ist neugierig und an wissenschaftlichen Erklärungen interessiert, indem sie sich vielen Experimenten hingibt mit den Dingen, die ihr begegnen... . Sie verleiht den Dingen und den Tieren Namen, auch daran stört sich Adam gewaltig... . Adam kann gar nicht verstehen, weshalb Eva die Fische Fische nennt, da diese gar nicht auf den Namen Fische reagieren würden :D. Gelacht habe ich bei der Szene, als Eva die Fische aus dem Wasser holt, sie in ihr und in Adams Bett steckt, damit die Fische nicht frieren :D... . 

Adam bezeichnet Eva als recht eitel, als sie ihr Spiegelbild in einem Teich zum ersten Mal erblickt, und sich immer wieder darin betrachtet. Adam selbst scheint sich gegenüber eher gleichgültig zu sein, bringt nicht die Neugier auf, sich auch zu entdecken... . 

Der Garten Eden verändert sich, als Eva sich von einer Schlange verleiten lässt, von der verbotenen Frucht zu essen... . Sie und Adam werden aus dem Paradies verdrängt und sind dem mit dem späteren Alter dem Tode geweiht... und die Tiere beginnen nun, ihre Nächsten umzubringen und diese zu fressen... . 

Adam, der verglichen zu Eva doch recht langweilig wirkt, denkt über das Phänomen der Wasserfälle nach, wie das möglich sei, dass die Wassermasse so einfach von den Felsen herunterstürtze und ob es nicht besser wäre, wenn die Wassermassen statt herabzufallen den Felsen hinaufstürtzen würden :D. Über diesen Gedanken musste ich herzhaft lachen. Ich käme nie auf die Idee zu denken, dass ein Wasserfall nicht den Hang hinterstürtzen würde ... .

Nach zehn Jahren erst lernt Adam seine Eva zu schätzen und erkennt, dass er sich in sie getäuscht hat:  

Ich begreife nach all diesen Jahren, dass ich mich in Eva am Anfang getäuscht habe; außerhalb des Gartens mit ihr zu leben ist besser als im Garten ohne sie. Zuerst dachte ich, dass sie zu viel redet, jetzt wird es mir leidtun, wenn diese Stimme verstummte und nicht mehr Teil meines Lebens wäre. Gepriesen sei die Kastanie, die uns zusammengeführt und mich gelehrt hat, die Güte  ihres Herzens und die Anmut ihres Geistes zu erkennen!
 
Eva ist der Meinung, dass es nicht an dem Apfel gelegen habe, der sie aus dem Paradies geworfen habe, sondern die Kastanien. Näheres ist selbst aus dem Buch zu entnehmen.

Mittlerweile haben die beiden auch schon jede Menge Kinder gezeugt und geboren. Auf diese gehe ich aber auch nicht näher ein.

Es folgen nun weitere Textstellen, die mich recht amüsiert haben und ich sie wegen der Poesie sehr genießen konnte:

Eva liebt den Mond, und wundert sich, dass er auf einmal in der Nacht am Firmament nicht mehr zu sehen ist und vermutet, dass der Mond heruntergefallen sei. Ein Mond sei ihr zudem noch zu wenig, sie wünsche sich fünf, oder sechs Monde in dem nächtlichen Himmel... . Auch versucht sie nach den Sternen zu greifen, da sie so nah wirken und wollte sie als Haarschmuck verwenden. Schließlich holt sie sich eine Leiter, besteigt diese und die Sterne erweisen sich ihr noch immer als zu hoch. Doch Eva gibt nicht auf :D, holt sich eine lange Stange, doch auch hier muss sie erkennen, dass die Stange auch zu kurz war, um die Sterne herunterzuschlagen. Im vorletzten Versuch formt sie sich  Lehmbälle, um mit diesen nach den Sternen zu werfen, die heruntefallen müssten... . Arme Eva, die recht traurig über diese vielen Fehlschlägen ist und nach einer Pause einen letzten Versuch startet:

Also habe ich ein bisschen geweint, was für jemanden in meinem Alter ganz natürlich ist, nehme ich an. Und nachdem ich wieder ausgeruht war, holte ich mir einen Korb und machte mich auf den Weg zu einem Ort am äußersten Rand der Kreisscheibe, dorthin, wo die Sterne nah am Erdboden sind und ich sie mit der Hand erreichen würde, was ohnehin viel besser wäre, weil ich sie ganz sanft herunter pflücken könnte, ohne sie zu zerbrechen. Doch der Weg war länger, als ich dachte, und schließlich musste ich aufgeben.
im Gegensatz zu Eva, die selbst zugibt, dass sie sehr gerne redet, nimmt sie Adam als recht wortkarg wahr:

Er redet sehr wenig. Vielleicht weil er kein großer Kopf ist :D und ihm das wehtut :D und er es verbergen möchte. Es ist sehr schade, dass er so denkt, denn Geist allein ist nichts; es ist das Herz, indem die wahren Werte liegen. Ich wünschte, ich könnte ihm klarmachen, dass ein lebendes, gutes Herz Reichtum bedeutet, Reichtum genug, und dass ohne Herz Verstand nur Armut ist.

Welch ein Zufall, dass ich in letzter Zeit immer wieder an Bücher gerate, in denen die Wichtigkeit der Ballance von Herz und Verstand die Rede ist.

Eva widmet sich auch den Pflanzen und den Insekten. Vor allem von den Bienen und den Schmetterlingen ist sie sehr angetan.

Auch hat sie sich an den Blumen berauscht, an diesen wunderbaren Wesen, die Gottes Lächeln aus dem Himmel küssen und es bewahren!

Sie wundert sich dagegen über Adams Desinteresse der Natur gegenüber:

Er macht sich nichts (...) aus Blumen, er macht sich nichts aus dem Himmel, der am Abend in rotes Licht getaucht ist - gibt es überhaupt irgendetwas, aus dem er sich was macht, außer Hütten zu bauen, um sich vor dem schönen, klaren Regen zu verkriechen, Melonen aufzuschlagen, Trauben zu probieren und das Obst an den Bäumen zu befingern, um zu schauen, wie diese Besitztümer sich entwickeln?
Adam hat nur an Dingen Interesse, die einen praktischen und nützlichen Wert haben, dagegen Eva, es folgt nun ein Auszug aus Adams Tagebuch, andere Werte pflegt:

Ich sollte mich vielleicht daran erinnern, dass sie noch sehr jung ist, ein kleines Mädchen wohl noch, und nachsichtig sein. Sie ist ganz Neugier, Eifer, Heiterkeit, die Welt ist ihr ein Zauber, ein Wunder, ein Rätsel, eine Freude. Sie bringt vor lauter Entzücken kein Wort mehr heraus, wenn sie eine neue Blume entdeckt, sie muss sie hätscheln, streicheln, mit ihr reden und sie mit zärtlichen Namen überschütten. Und sie ist verrückt nach Farben: braune Felsen, gelber Sand, graues Moos, grünes Laub, blauer Himmel; Perlmuttschimmernde Morgendämmerung, purpurne Schatten auf Berghängen, goldene Inseln, die bei Sonnenuntergang durch karmesinrote Meere gleiten, ein bleicher Mond, der durch zerklüfte Wolkenmassen treibt, Sterndiamanten, die aus dem Nichts des unendlichen Raumes funkeln - nichts davon ist, so weit ich sehe, von irgend einem praktischen Wert, doch weil es Pracht und Farbe besitzt, reiche das völlig aus und sie verliert darüber ganz den Verstand.

Es folgt nun eine amüsante Szene, als Eva ihre erste Erfahrung mit dem Feuer macht. Sie war von dem Feuer so sehr angetan, von dessen Farben und dem Temperament, dass sie es nehmen und an ihre Brust pressen wollte. Sie ließ dann glücklicherweise schließlich doch davon ab... :D.

So, hier mache ich nun Schluss. Ich möchte nicht mehr verraten, wie es weiter gehen wird. Viel tut sich zwar nicht mehr, aber der Schluss hat etwas Besonderes, das ich nicht vorwegnehmen möchte... . 

Dem Buch gebe ich zehn von zehn Punkten, teils weil es so schön poetisch geschrieben ist, fantasievoll, humoristisch und weil Eva hier, stellvertretend für alle Frauen, so viel interessanter und klüger auftritt, denn wenn sie nicht gewesen wäre, würde Adam noch immer in seiner kleinen Welt, namens Garten Eden, verweilen. Gefahrlos zwar, aber recht monoton. Es ist Eva, die Leben in Adams Welt hinein bringt; es ist Eva, die viele Fragen stellt; es ist Eva, die Abenteuer riskiert und dadurch Abwechslung in deren kleinen Welt schafft; und es ist Eva, die Sinn für all das Schöne, das Ästhetische zeigt. Eva, die die Welt verändert... .

(Fettdruck hervorgehoben durch M. P.)

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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Gelesene Bücher 2012: 50
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Mittwoch, 11. Juli 2012

Mark Twain / Das Tagebuch von Adam und Eva

2011, 94 Seiten, Gebunden, Deutsch
Aus d. Engl. neu übers. v. Kim Landgraf Anaconda
bei Jokers für 4,99 €
ISBN-10: 3866475993
19:22

Klappentext

 Liebe auf den ersten Blick war es weiß Gott nicht. So lässt sich der Beginn der Romanze zwischen Adam und Eva beschreiben, wenn wir uns nicht auf die Genesis, sondern auf die Tagebücher berufen. Die hat Mark Twain (1835 - 1910) seinen biblischen Protagonisten in die Federn diktiert. Der weltberühmte amerikanische Autor seziert hier die keineswegs paradiesischen Unzulänglichkeiten der Geschlechter am Beispiel des ersten Traumpaars der Geschichte: mit ebenso humor- wie liebevoller Nachsicht. Dass die beiden schließlich doch noch zueinanderfinden, ist ein seltenes Glück für die Menschheit und für den Leser!
Von Mark Twain habe ich schon verschiedene Werke gelesen... . 
Aber der vorliegende Band scheint ja ein völlig anderes Genre von ihm zu sein. 



Bin neugierig!





 

Anna Seghers: Jans muss sterben (1)



Eine Buchbesprechung zur o. g.  Lektüre!

Das Buch habe ich gestern Abend zu Ende gelesen und es hat mir recht gut gefallen. Eine Szene, auf die später zu sprechen komme, war mir nicht unbedingt verständlich was die Verhaltensart der Eltern des Protagonisten namens Jans Jansen betrifft.

Die Erzählung behandelt das Leben einer  jungen dreiköpfigen Proleatarierfamilie, die in einem Wohnblock lebt. Die Häuser sind ein wenig heruntergekommen, im Hof stinkt es nach Müll… . Vater Jansen arbeitet in einer Fabrik, seine Frau Marie ist Hausfrau.
Der kleine Jans ist sieben Jahre alt, als er schwer erkrankt.

Die Eltern des Jungen sprechen kaum etwas miteinander. Besonders der Vater ist recht schweigsam und hat seine Art, seine Liebe dem Kinder und seiner Frau entgegenzubringen. Wobei die Ehe der beiden fast schon ausgelebt wirkt, und alles, woran sich die Eltern noch erfreuen können, das ist der Junge Jans.

Als Jans eines Tages von der Schule heimkommt, wirkt er recht auffällig. Er sah kränklich aus, die Mutter dies aber nicht sofort wahrnahm und erst beim Abendessen fiel dem Vater auf, dass Jans etwas fehlt, er es aber nicht zur Sprache brachte. Bis Jans plötzlich völlig geschwächt sich an die Rockschürze seiner Mutter hält und zu weinen anfängt. Erst jetzt reagiert die Mutter, und bringt den Jungen ins Bett… .

Am nä. Morgen glühte Jans Körper wie auf heißen Kohlen gelegen… . Der Vater, der bei dem Jungen Nachtwache geschoben hatte, drückt Jans wortlos an sich, als er schließlich zur Arbeit in die Fabrik geht. Zwischen ihm und seiner Frau wird kein Wort gewechselt. Nichts wird kommuniziert. Jeder trägt den Kummer allein für sich… .

Der Morgen ließ sich an wie gewöhnlich. Die Sonne brannte auf dem Hof, und Nachbarsfrauen hingen die Wäsche auf. Marie wollte ans Fenster, ihr Unglück herunter rufen. Aber plötzlich schüttelte sie den Kopf. Es war eine Schande, dass Jans, ihr schönes glänzendes Kind, krank war, es war eine Schande, Fremden zu zeigen, dass ihr Glück Flecken und Sprünge bekommen hatte. Da war es schon besser, seine Schande allein zu tragen, und sie nahm Jans kleine zerschmilzende dürre Hand in die ihre.

Etwas später tritt der Arzt ein, und dies fand ich ein wenig merkwürdig, dass die Eltern nicht schon längst reagiert haben, vor allem die Mutter, die nicht wusste, dass Jansen den Arzt schickte… .
Jans wird gepflegt und gut behütet, kommt vorläufig wieder auf die Beine... Welch eine Erkrankung das Kind ergriff, wird nur angedeutet. Der Junge klagte über Schwindel und Übelkeit, später spuckte er reichlich Blut… .

Die Erzählung hatte gerade mal fünfzig Seiten und das Ende fand ich ein wenig traurig, auch wenn die Eltern einen neuen Trost gefunden haben. Mehr möchte ich aber nicht verraten.
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

SuB:

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Muawad: Verbrennungen
Obrecht: Die Tigerfrau
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Thackeray: Das Buch der Snobs

Gelesene Bücher 2012: 49
Gelesene Bücher 2011: 86

Dienstag, 10. Juli 2012

Anna Seghers / Jans muss sterben

Jans muß sterben

ISBN-10: 3763251650 

Verlag: Büchergilde Gutenberg 

4,99 € statt 11,50 

70 Seiten

 

Klappentext

 "Martin und Marie Jansen - er ruhig und gutmütig, sie kräftig und lebhaft - haben längst ihre Zärtlichkeit und Liebe füreinander verbraucht. All ihre Hoffnungen und verzweifelten Erwartung knüpfen sie an Jan, ihr Kind, unfähig, die Heftigkeit ihrer Gefühle auszudrücken, die sie fast zerreißt. Aber dann geschieht das Unglück: der kleine Körper zerfällt in einer unerklärlichen Krankheit."

Das Buch habe ich bei Jokers sehr preisgünstig entdeckt, s. o. gebundene Ausgabe, wahrscheinlich noch eine Restauflage. Anna Seghers ist als eine anspruchsvolle Autorin recht bekannt. Dennoch ist es das erste Buch von ihr, das ich lesen werde... .

 

Autorinnenportrait

Die Autorin wurde 1900 in Mainz geboren, starb 1983 in Berlin. Dt. Schriftstellerin jüdischer Herkunft... .

Montag, 9. Juli 2012

Charles Dickens / Schwere Zeiten (1)



 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe heute das Buch zu Ende gelesen und ich muss sagen, ich bin erstaunt über den untypischen Schreibstil von Charles Dickens, was sicherlich mit der Thematik zusammenhängt. Der Schreiststil ist recht trocken, wenig fantasievoll, recht gefühlsarm, dafür keine Sentimentalitäten und keine Gefühlsduselei... In diesem Buch fließen fast keine Tränen... Die darin beschriebene Welt ist absolut auf Sachlichkeit und Tatsachen gebaut. 

Die Schule von M´Choakumchild war durchgehends Tatsache; die Zeichenschule sei durchgehendst Tatsache und die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer waren lauter Tatsachen. Alles war auch Tatsache, von der Entbindungsanstalt bis zum Kirchhof. Was man also nicht mit Zahlen beweisen dartun konnte, das auf dem billigsten Markt zu kaufen und auf dem teuersten zu verkaufen war, das hatte keine Existenzberechtigung, das sollte niemals sein, bis zu aller Welt Ende, Amen.

Es war verboten, Kindern Märchen und Geschichten zu erzählen.  Wenn Kinder von solchen Gestalten träumten oder gar erzählten, wurde ihnen diese sehr bald von ihren Lehrern ausgetrieben. Selbst bunte Blumenmuster auf Teppich und Tapeten wurde ihnen ausgeredet, da diese keine echten Blumen seien… .

"Hierin beruht die Springfeder der mechanischen Kunst und des Geheimnisses, die Vernunft zu erziehen, ohne sich zur Ausbildung der Gefühle und Neigungen herabzulassen. Man muss sich nie wundern! Bringe alle Sachen vermittels Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division in Ordnung und wundere dich nie. "Gibt mir ein Kind", sagt M`Choakumchild, "das wenigstens allein gehen kann, und ich werde es dahin bringen, dass es sich niemals mehr wundert!"

Menschen werden zu Maschinen erzogen, alles ist genau berechnet. Literatur, Poesie, Kunst... gibt es keine, da sie nicht erlaubt ist. Die Menschen haben keine Träume. Die Menschen sind alle gleich... . Die Welt in England beruft sich lediglich auf Zahlen und Statistiken. Die Kinder in der Schule werden nicht mit Namen aufgerufen, sondern mit Nummern... . Die Städte und Dörfer sind durch die vielen Fabriken voller Nebel, Dreck, die Luft voll Ruß.... Die Menschen sind keine Menschen, sondern lediglich Fabrikarbeiter, die den Dreck für die hohen Bosse, Fabrikanten,  Bankiers etc. tun und deren schwere Fabrikarbeit an lebensgefährlichen Maschinen gebunden ist... . 

Es gibt eine Romanfigur, die sich gegen das System auflehnt... . Stephen Blackpool, der eine Unterredung mit dem Fabrikanten Mr. Bounderby sucht:

" Sir, ich möchte mich niemals darüber auslassen, obwohl ich mein Teil mitgelitten habe. Wir stecken in der Tat in tiefer Bedrübnis, Sir. Blickt in der Stadt umher - so reich sie auch ist - und betrachtet die Zahl der Leute, die nur dazu geboren scheinen, um zu weben und Wolle zu krämpeln, und die das Leben alle in gleicher Weise fristen - von ihrer Wiege bis zu ihrem Grab. Seht doch, wie wir leben, wo wir leben und in welcher Anzahl, unter welchen Aussichten und mit welcher Gleichförmigkeit; seht nur, wie die Maschinen immerfort arbeiten und wie sie uns doch nie einem fernen Gegenstand näher bringen - außer stets dem Tod. Seht nur, wie ihr uns beurteilt und über uns schreibt und spricht und unseretwegen eure Deputationen zum Staatssekretär schickt, und ihr stets Recht habt und wir stets Unrecht, und wie wir kein Funken Verstand in uns haben, seitdem wir geboren wurden. Seht nur, wie das zugenommen hat, Sir, stärker und stärker, immer weiter und weiter und immer schwerer und schwerer, von Jahr zu Jahr, von Generation zu Generation. Wer kann das alles betrachten, Sir, und einem Mann kühn sagen, dass es kein trauriger Zustand ist?"

Doch nicht nur die Fabrikarbeiter sehnen sich nach mehr Menschlichkeit, nein, auch die Kinder der Bankiers leiden auf ihre Weise. Das Geschwisterpaar Tom und Luise Gradgrinds z.B., Kinder aus wohlhabendem Hause, versuchen sich gegenseitig beizustehen, wenn sie in familiäre, seelischen Nöte geraten. Ganz besonders Luise, die ältere von den beiden, kümmert sich mit viel Hingabe um ihren recht sorgenvollen Bruder, es ihr aber, ohne Ideale dastehend, an jugendlicher Weisheit fehlt:

"Sieh, Tom, da ich immer älter und größer werde, sitze ich oft da, mich wundern und nachdenken, wie unglücklich ich doch bin, dass ich dich mit unserem elterlichen Hause nicht besser versöhnen kann. Ich weiß nicht was andere Mädchen können. Ich kann dir nicht vorsingen oder vorspielen. Ich kann kein Gespräch mit dir führen, um deinen Geist zu erheitern; ich sehe nichts Unterhaltendes und ich lese keine unterhaltenden Bücher, dass es dir zum Vergnügen gereichen könnte, wenn ich mit dir darüber spreche, wenn du der Ausspannung bedürftig bist."

Und gerade diese Ödnis, durch den Mangel an Literatur und an Kunst, Mangel an Spiele und Freuden spürt man ganz deutlich in dem Buch, wie geistig eintönig die Menschen durch das System, das sich nur auf Tatsachen stützt, dort leben... .

Luise, zwanzig Jahre alt, wird mit einem um dreißig Jahre älteren Mann verheiratet, der sowohl Bankier als auch Fabrikant ist. Luise willigte der Vermählung nur aus Liebe zu ihrem Bruder Tom zu, der allzu verschuldet ist. Sie erkennt kurze Zeit darauf ihren groben Fehler, ihren Bruder, der immer mehr auf Abwegen gerät, konnte sie nicht retten, und hat sich zudem in einen jungen Mann verliebt. Sie reißt auf dieser Ehe heraus, flieht in ihr Vaterhaus und bittet um eine Unterredung. In dieser Unterredung bringt sie diplomatisch alles zur Sprache, was der Vater den Kindern in der Erziehung versäumt hat ihnen für das Erwachsenenleben mitzugeben. Mitunter wurde auch die unglückliche Ehe thematisiert, zu der Luise nicht mehr zurückzukehren beabsichtigte:

"Nun, mein Vater, der Vorzug, den sich Kinder untereinander zu geben pflegen und von dem ich selbst gehört habe, hat in meiner Brust nie einen unschuldigen Sitz aufgeschlagen. Sie sind so vorsichtig mit mir gewesen, dass ich nie das Herz eines Kindes besaß. Sie haben mich sowohl erzogen, dass ich niemals den Traum eines Kindes geträumt. Sie sind, mein Vater, von meiner Wiege bis zur gegenwärtigen Stunde so weise mit mir verfahren, dass ich niemals einen kindlichen Glauben oder eine kindliche Furcht empfand." 

Glaube und Furcht zählten auch nicht zu Tatsachen, sondern zu Erfindungen.

Luise, eine recht sensible junge Frau, mit einer ausgeprägten Intuition ausgestattet, spürt sehr wohl in sich, dass sie etwas ganz Wesentliches, etwas ganz Elementares vermisst, so bringt sie auch dies ihrem Vater zur Sprache:

"Wie konntest du mir Leben geben und mich alle meiner unschätzbaren Dinge berauben, die es über den Zustand bewussten Todes hinaufheben? Wo ist die anmutige Sicherheit meiner Seele? Wo sehen die Gefühle meines Herzens? Was hast du getan, o Vater, was hast du getan mit dem Garten, der einst hier in dieser großen Wildnis blühen sollte? (…) und dennoch, Vater, wenn ich stockblind gewesen wäre, wenn ich meinen Weg hätte tappend finden müssen und die Freiheit besessen hätte - da ich die äußere Form und die Oberfläche der Dinge kannte, meine Fantasie dabei als Richtschnur zu nehmen-, so würde ich jetzt um vieles weiser, glücklicher, liebevoller, unschuldiger unmenschlicher in jeder Beziehung gewesen sein, als ich jetzt mit meinen Augen bin. (…) Mit einem Hunger und Durst, Vater, die keinen Augenblick gestellt wurden - mit einem inbrünstigen Verlangen nach einer Region, wo Regeln, Zahlen und Definitionen nicht alles sind - bin ich aufgewachsen und habe mir meinen Lebenspfad Zoll für Zoll erkämpft."
Der Vater zeigt sich recht erstaunt über die Worte seiner Tochter. Sie stimmen ihn traurig und nachdenklich. Er bestätigt, dass es Menschen gibt, die davon reden, dass es sowohl eine Weisheit des Herzens als auch eine Weisheit des Kopfes gäbe. Er dagegen habe nur an die Weisheit des Kopfes geglaubt:

Wie kann ich diesen Morgen zu behaupten wagen, dass es so ist. Wenn die andere Art von Weisheit das sein sollte, was ich vernachlässigt habe, und der Instinkt, der vonnöten ist, dann Luise…".

(...)

So, Ich mache nun hier Schluss, da meine Buchbesprechungen nichts anderes als Fragmente sein sollen, auch, weil ich nicht alles verraten möchte. Mir geht es vielmehr um die vielen schönen Zitate, in denen so viel Weisheit steckt, die ich nicht nur lesen möchte, sondern versuchen, sie auch im Leben umzusetzen. Und am besten geht das, wenn man diese Textstellen immer wieder nachschlagen kann.
     
Zum Schluss wird es in dem Buch wieder dickerisch. Tränen sind reichlich geflossen, und nicht nur bei der Frau, bei Dickens weinen nämlich auch die Männer... . Ich habe vergessen zu erwähnen, dass es noch andere Merkmale in dem Buch gibt, die ich als typisch Charles Dickens bezeichnen würde. Eine junge Frau, Luise, s. o., die sich für ihren jüngeren Bruder aufopfert... . Das hat man oft in bei Dickens, aufopfernde junge Frauen, die von wohlhabenden Männern gerettet werden... . Des Weiteren taucht auch eine elternlose Figur auf, die von einem wohlbegüteten Vater von mehreren Kindern aufgenommen wird. Ich bin auf diese nicht eingegangen... und verweise auf das Buch, es selber zu lesen.

Das Fazit des Romans ist dieses, dass die Weisheit, die ausschließlich aus dem Kopf stammt, unmenschlich macht. Sie ist arm an Bildern, arm an Kreativität, und vor allem arm an Menschlichkeit. Nur eine Ballance zwischen der Weisheit des Kopfes und der Weisheit des Herzens macht den Menschen zu einem wahren und vollkommenen Wesen.

 _______________
„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

SuB:

Amin: Der Klang der Sehnsucht
Donoghue: Raum
Frank: Rücken an Rücken
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Obrecht: Die Tigerfrau
Osorio: Mein Name ist Luz
Pamuk: Istanbul
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs

Gelesene Bücher 2012: 48
Gelesene Bücher 2011: 86


Samstag, 7. Juli 2012

Charles Dickens / Schwere Zeiten


Umschlag: Paperback
1. Auflage 2011
elv -Verlag, 340 Seiten
ISBN/EAN: 9783862674985
Preis: 24,90 € (D, A)


Klappentext 

Charles Dickens (1812-1870), bedeutender Vertreter des literarischen Realismus, zählt noch heute zu den meistgelesenen Autoren überhaupt. In vielen seiner Werke übte er massive, oftmals satirisch zugespitzte Kritik an der Industrialisierung und deren sozialen Folgen. So auch im Roman »Schwere Zeiten« (1854), der in der fiktiven Industriestadt Coketown spielt und die elenden Arbeits- und Lebensbedingungen der englischen Fabrikarbeiter schildert. Durch seine radikale Entlarvung der von Profitgier getriebenen Mittel- und Oberschicht und der Ausbeutung der Armen ist der Roman noch immer eines der beeindruckendsten Beispiele sozialkritischer Literatur in Europa.

Gelesen habe ich von Dickens;

1. David Copperfield
2. Hohe Erwartungen
3. Eine Weihnachtsgeschichte
4. Der Raritätenladen
5. Nikolaus Nickleby

Dazu zwei Biografien... . 

Donnerstag, 5. Juli 2012

Stefan Zweig / Brennendes Geheimnis (1)

 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich nun durch und es hat mir sehr, sehr gut gefallen. Es hat mich wieder intensiv gepackt, ähnlich wie bei der Schachnovelle.
Stefan Zweig ist so sprachbegabt. Bei ihm, und das findet man nicht bei jedem Autor, ist sowohl der Intellekt als auch das Gefühl sehr ausgewogen. Und seine psychologischen Kenntnisse sind überragend... . Aus diesem Grunde gebe ich dem Buch zehn von zehn Punkten. Gute Gedanken in schöne Bilder gepackt.

Ich habe mir viele Textstellen angestrichen, und versuche sie hier verarbeitend zu platzieren... .

Der Erzähler in dem Buch ist diesmal keine Romanfigur, die im Geschehen mitagiert. Er ist ein objektiver Betrachter, der von einem Baron zu berichten beginnt, der ohne Begleitung verreist und in ein Hotel einkehrt, indem es keine Spielpartner gibt. Er beklagt seine einsame Situation und sehnt sich nach weiblichem Kontakt... . Schon auf den ersten Seiten bekommt man ein Bild von diesem Subjekt, das alles andere als sympathisch ist... . Den Namen des Barons erfährt man nicht.

Und keine Gereiztheit ist ärgerlicher als die des Spielers, der mit den Karten in der Hand im Bewusstsein seiner Überlegenheit vor dem grünen Tisch sitzt und vergeblich den Partner erwartet. Der Baron rief nach einer Zeitung. Würde ich diese die Blicke über die Zeilen rinnen, aber seine Gedanken waren lahm und stolperten wie betrunken den Worten nach.
Um seine Einsamkeit zu killen, begibt er sich auf die Suche nach weiblicher Gesellschaft.
Er war selber den Frauen nicht unähnlich, die erst die Gegenwart eines Mannes brauchen, um aus sich ihre ganze Gewalt herauszuholen. Erst ein sinnlicher Reiz spannte seine Energie zu voller Kraft. Der Jäger in ihm witterte hier eine Beute.
Eine hübsche Dame trat in das Hotel ein, gemeinsam mit ihrem zwölfjährigen Sohn, die aus Wien kamen. Der Sohn war sehr kränklich, und sie suchten in diesem Hotel viel Ruhe und Genesung, allerdings geht nicht hervor, wo sich das Hotel befindet.
Nun überlegt sich der Baron, wie er Bekanntschaft mit dieser schönen Dame machen kann.

Der Baron begibt sich in die Nähe des Jungen namens Edgar und bietet ihm seine Freundschaft an. Edgar ist ein sehr einsames Kind und freut sich  über die Bekanntschaft mit dem Baron. Der Baron war nicht wirklich an dem Kind interessiert, nein, er benutzte es, 
(…) denn er wusste, ein paar Reisekinderhände bauten ihm die Brücke zu ihrem Herzen.
Sein Plan geht auf. Bald wusste der Baron alles über die Familie, dass sie jüdischer Herkunft sind, dass die Mutter mit einem Advokaten verheiratet ist und dass sie der Bourgeoisie angehören. Edgar war stolz nun einen erwachsenen Freund zu haben. Das war für ihn etwas ganz Besonderes und freute sich auf den Hund, den er von dem Baron versprochen bekommt. Der Junge ist völlig fasziniert von ihm und erzählt seiner Mutter über die Bekanntschaft seines neuen Freundes. Nun hat der Fisch angebissen... . 

Zwischen der Mutter und dem Baron knüpft sich der Kontakt und er scheint immer inniger zu werden und das Kind wird plötzlich unwichtig, landet auf den Abstellgleis. Es stimmt Edgar recht  betroffen und spürt sehr deutlich die veränderte Lage. Auch die Mutter behandelt ihn plötzlich so, als würde das Kind stören, so, als wäre er das fünfte Rad am Wagen. Edgar stellt den Baron zur Rede:
"Was habe ich Ihn getan, dass Sie nicht mehr auf mich achten? Warum sind Sie jetzt immer so mit mir? Und die Mama auch? Warum wollen Sie mich immer wegschicken? Bin ich Ihnen lästig, oder habe ich etwas getan?"
Wirklich viel hat diese Unterredung nicht gebracht.  Edgars Wesen verändert sich. Er lernt, sich zu beherrschen aber er lässt sich nicht mehr so einfach von dem Paar fortschicken, was nicht nur den Baron, sondern auch die Mutter verärgert. Aus dem lieben Knaben entwickelte sich ein Tyrann. Doch zu recht. Denn er hatte den Baron durchschaut,  mittlerweile wurde ihm bewusst, dass er ihn benutzte, um sich seiner Mutter zu nähern. Er wusste, dass der Baron schamlos lügen konnte. Aber nicht nur der Baron …, später stellten sich die Lügen auch bei der Mutter heraus, die ein Versprechen dem Kind gegenüber nicht halten konnte:
Dass seine Mutter log, wusste erst seit gestern. Aber dass sie so schamlos sein konnte, ein offenes Versprechen zu missachten, das zerriss ihm sein letztes Vertrauen. Er verstand das ganze Leben nicht mehr, seit er sah, dass die Worte, in der er die Wirklichkeit vermutet hatte, nur farbige Blasen waren, die sich blähten und in nichts  zersprangen. Aber was für ein furchtbares Geheimnis musste das sein, dass erwachsene Menschen so weit trieb, ihn, ein Kind, zu belügen, sich wegzustehen wie Verbrecher? In den Büchern, die er gelesen hatte, mordeten und betrogen die Menschen, um Geld zu gewinnen oder Macht oder Königreiche. Was aber hier die Ursache, was wollten diese beiden, warum versteckten sich vor ihm, was suchten sie unter hundert Lüge zu verhüllen? Er zermarterte  sein Gehirn. Dunkel spürte er, dass dieses Geheimnis der Riegel der Kindheit zeigt, dass, es erobert zu haben, bedeutete, erwachsen zu sein, endlich, endlich ein Mann.
Man merkt, dass Edgar noch zu jung war, um die Lage der beiden Erwachsenen zu durchschauen, denn sonst wüsste er, dass die beiden zueinander ein sexuelles Interesse verspürten und Edgar zu einem Störfaktor sich entpuppte... .

Es entstehen größerer Reibereien zwischen der Mutter und ihrem Sohn, der Interessenkonflikt nimmt immer mehr zu. Edgar lässt sich weiterhin nicht so leicht abwimmeln. Und einmal verliert der Zwölfjährige gegenüber dem Baron vor aller Leute im Hotel die Beherrschung und sagt ihm ordentlich die Meinung. Die Mutter schickt ihn aufs Zimmer zurück, nachdem Edgar sich weigerte, sich bei dem Baron zu entschuldigen.
" Ein Lügner ist er, ein falscher Mensch. Was er tut, ist Berechnung und Gemeinheit. Er hat dich kennenlernen wollen, deshalb war er freundlich zu mir und hat mir einen Hund versprochen. Ich weiß nicht, was er dir versprochen hat und warum er zu dir freundlich ist, aber auch von dir will er etwas, Mama, ganz bestimmt. Sonst wäre er nicht so höflich und freundlich. Er ist ein schlechter Mensch. Er lügt. Sieh ihn nur einmal an, wie falsch er immer schaut. Oh, ich hasse ihn, diesen erbärmlichen Lügner, diesen Schurken…"
Edgar fühlt sich in der Rolle als Kind nicht mehr wohl, er fühlt sich ausgeschlossen aus der Welt der Erwachsenen und wünschte sich nichts sehnlicher,  schnellstmöglich aus seiner Kindheit heraus zu wachsen, um der Erwachsenenwelt anzugehören:
Furchtbar, Kind zu sein, voll von Neugier und doch niemand fragen zu dürfen, immer lächerlich zu sein vor diesen Großen, als ob man etwas Dummes oder Nutzloses wäre.
Die Lage spitzt sich immer weiter zu, Edgar treibt es zu weit, seine Wutanfälle und Eifersucht beherrschen ihn, die starke  Konsequenzen von seiten der Mutter nach sich ziehen. Aber seine Wutanfälle, so finde ich, sind berechtigt. Schließlich ist er ein doppeltes Mal enttäuscht worden und immer ist er es, von dem Einsicht erwartet wird.

Edgar wird im Zimmer eingesperrt… und ich mag nun nicht weiter erzählen..., um nicht noch mehr verraten zu müssen... .

Aber der Fortlauf der Erzählung findet noch seinen Höhepunkt, als Edgar versucht die beiden Erwachsenen geschickt nachzuspionieren, die so geheimnisvoll tun, um ihr Geheimnis zu enthüllen...  Das Ende fand ich total schön, und so möchte ich zum Abschluss noch ein letztes Zitat anbringen:
Edgar war unfähig, an irgendetwas oder irgend jemanden mit Hass zu denken, er bereute nichts, und selbst für den Baron, den Verführer, seinen bittersten Feind, fand er ein neues Gefühl der Dankbarkeit, weil der ihm die Tür aufgetan hatte zu dieser Welt der ersten Gefühle.
Das fand ich auch total schön, dass Edgar, so jung wie er auch noch war, zu solchen tiefen Gedanken hineingefunden hat und er diese bittere Erfahrung als ein wichtiger Reifeprozess in das Erwachsenenalter zu verstehen lernte.
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

SuB:

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Dickens: Schwere Zeiten
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Muawad: Verbrennungen
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Pamuk: Istanbul
Senger: Kaiserhofstr. 12
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