Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch hat sich für mich als starker Tobak erwiesen. Meine
Freundin hatte recht. Es ist emotional recht lastig. Nicht, dass mir das neu
wäre. Ich habe schon ganz andere Bücher hinter mich gebracht, aber trotzdem.
Die Sprache und die Bilder sind sehr mächtig, sehr mächtig. Philip Roth
schreibt über eine Familie, die 1968 auseinandergebrochen ist ...
Und wieder befinden sich jede Menge Zettelchen zwischen den Buchseiten. Viel zu viele, sodass ich beschlossen
habe, sie auf den Seiten ruhen zu lassen.
Vielleicht für ein späteres Gespräch …
Von all den Büchern, die ich bisher von Philip Roth gelesen
habe, ist das vorliegende Buch das wuchtigste Buch. Nach meinem Geschmack auch
das beste Buch. Meine Freundin sieht es
ähnlich …
Gestern Abend habe ich mit ihr telefonisch gesprochen und
habe sie in ihrem Urteil zu dem Werk auch bestätigt. S.
dazu das Posting
Buchvorstellung.
Sie wird nun das Buch auch weiter lesen. Mal schauen, ob sie
bis zum Schluss durchhalten wird …
Das Buch umfasst 575 Seiten und etwa die letzten 70 Seiten
haben sich ein wenig gezogen … Der Autor führt in seinem Werk zu den Levovs von
der ersten bis zur dritten Generation eine intensive Familienanalyse durch und
zieht auch die amerikanische Gesellschaft mit in Betracht. Niemand bleibt davor
verschont. Damit bekommt man auch ein wenig amerikanische Geschichte gezeigt.
Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Für
«Amerikanisches Idyll» erhielt Philip Roth den Pulitzer-Preis. Philip Roth legt
hier einen unvergleichlichen Roman vor, eine Klage über die in diesem
Jahrhundert gegebenen und gebrochenen Versprechen von Wohlstand, öffentlicher
Ordnung und häuslichem Glück. Die Hauptfigur ist Swede Levov, ein legendärer
Sportler an der Highschool in Newark, der in den boomenden Nachkriegsjahren aufwächst,
eine ehemalige Miss New Jersey heiratet, die Handschuhfabrik seines Vaters erbt
und in ein Haus im idyllischen Dörfchen Old Rimrock zieht. Und dann verlässt
ihn eines Tages im Jahr 1968 sein amerikanisches Glück. Über Nacht wird Swede
aus dem ersehnten Idyll gerissen und in eine uramerikanische Raserei geworfen.
Den Titel habe ich mit dem Hintergrund, der mir nun zur
Verfügung steht, ein wenig zynisch aufgefasst. Von einem rundum harmonischen, idyllischen Familienleben
folgt der Verfall in ein absolutes irreparables Familienchaos.
Sehr betroffen hat mich das Schicksal dieser Familie
gestimmt. Swede Levov und seine Frau waren sehr bemüht, ihr einziges Kind
namens Merry eine glückliche Kindheit zu verschaffen, die leider missraten ist
und sich der Vater den Kopf zermartert, was
sie als Eltern nur an der Erziehung falsch gemacht haben? Die Mutter verkraftet
die terroristische
Entwicklung ihrer Tochter nicht und wird
sowohl stationär als auch ambulant
psychiatrisch behandelt. Später lässt sie sich liften, damit man ihre Sorgen im
Gesicht nicht mehr zu erkennen weiß ... Das Liften scheint in Amerika unter den
Wohlhabenden Usus zu sein … Dies zeigt mir, dass
menschliche Schwächen in der amerikanischen Gesellschaft nicht sein dürfen ...
Merry litt in der Vergangenheit ein wenig unter dem
Schönheitsideal ihrer Mutter. Sie wollte keinesfalls so werden wie sie. Aus Protest achtete sie nicht
auf ihre Linie und für ihr Alter war sie recht mollig. Sie wollte partout nicht wie die Mutter so zartbesaitet werden,
wobei die Mutter keineswegs übermächtig stolz auf ihre Schönheit war. Auch Merrys Stottern
scheint unbewusst die Folge einer Protestreaktion zu sein. Als sie politisch
aktiv wird, schafft sie es, sich fließend auszudrücken ...
Dem Vater gegenüber wirft sie indirekt vor, ein spießiges
und konservatives Leben zu führen. Er würde immer das tun, was sein Vater und die Gesellschaft von ihm erwarten. Merry fühlte sich von den Eltern regelrecht
angewidert, reißt von zu Hause aus und
entwickelt sich immer mehr zu einer gefährlichen
Terroristin. Für die Familie ist dies ein übler Traum, aus dem es kein
Erwachen gibt. Die süße kleine Merry, die in der Kindheit recht häufig mit dem
Vater kokettierte. Ich möchte, dass du
mich so küsst, wie du Mama küsst. Was würde Sigmund Freud wohl zu dieser Szene
sagen? Ein Ödipuskomplex, aus dem Merry nicht herausgewachsen ist?
Ich hatte ziemlich viel Mitgefühl, vor allem mit dem Vater,
der seine Tochter über alles geliebt hat. Was
ist daran so verkehrt, ein angepasstes Leben zu führen? … Wie erzieht man ein Kind,
damit es keinen Schaden erleidet? Die Eltern haben
aus meiner Sicht ihr Bestes gegeben …
Merry schließt sich 1968 der Studentenrevolte an, obwohl sie
erst 16 Jahre alt ist. Sie kämpft gegen die Unterdrückung der Vietnamesen und
der Inder, kämpft gegen den Rassismus gegenüber der schwarzen Bevölkerung,
kämpft gegen den Faschismus. Sie setzt sich für die Arbeiterklasse ein, die in
Amerika für wenig Lohn beschäftigt waren. Sie rebelliert gegen die Raff- und
Besitzgier der Amerikaner und gegen deren Oberflächlichkeit ... Sie lehnt die
Wohlstandsgesellschaft ab, die häufig durch die Ausbeutung
niederer Klassen zu ihrem Reichtum geraten ...
Im Alter von elf Jahren entnimmt Merry aus den
TV-Nachrichten, wie buddhistische Mönche aus Protest sich selbst anzünden ...
Menschen stehen drum herum und beobachten neugierig
dieses Spektakel, ohne eingegriffen zu haben. Merry ist entsetzt, dass sich
niemand für diese Mönche einsetzt, um sie aus dem
Feuer zu reißen. Entsetzt, dass es einen Fotografen gibt, der diese
Aktion filmt. Über diese politischen Aktivisten wird in der Familie gesprochen,
damit Merry dies seelisch besser verkraften kann ...
Ziemlich nachdenklich stimmte mich auch die Art und Weise,
wie man in Amerika ein Stipendium für das Studium erwerben kann. Wer z. B. den Schönheitswettbewerb gewonnen hat,
bekommt ein Stipendium ... Auch das widerte Merry an. Mich
ehrlich gesagt auch.
Und dann die Bombe, die Merry angeblich selbst gebastelt
haben soll, die sie hochgehen ließ, mit der sie vier unschuldige Menschen getötet hat. Ein
krasser Widerspruch zu ihrer Forderung, für den Frieden Kriege einzustellen.
Später, fünf Jahre später,
schließt sich Merry einer reaktionären Sekte an.
Merry wird immer exzentrischer. Sie ist gegen jegliche
Gewalt. Durch den Beitritt jener Sekte lernt sie, keine Tiere, dann auch keine
Pflanzen mehr zu essen, und sogar die Körperpflege hat sie so nach und nach eingestellt,
da sie dem Wasser nicht wehtun möchte
… Das habe ich ja noch nie gehört, dass man Wasser Schmerzen zufügen kann, lol.
Was Richtig und
was Falsch, was Gut und was Böse ist, wird in
dem Buch von mehreren Figuren aus den höheren
Kreisen recht ausführlich diskutiert ...
Mein Fazit?
Kinder können seelisch erkranken, wenn sie von den Eltern
vernachlässigt werden. Kinder können seelisch erkranken, wenn sie zu viel Liebe
erfahren. Wo ist der Maßstab? Wer kann mit
Bestimmtheit schon sagen, was zu viel und was zu wenig ist? Und wer ist schon
fehlerfrei?
Sich für eine bessere Welt
einzusetzen ist an sich auch nichts Schlechtes. Sich gegen die Gewalt auflehnen
auch nicht. Die Art und Weise, mit welchen politischen Mitteln dies betrieben
wird, ist entscheidend. Man kann nicht gegen Gewalt sein, und gleichzeitig
selbst Gewalt anwenden. Das wäre für mich ein krasser Widerspruch ... Wie oft
sprach Merry von Gandhi, aber Gandhi hat ohne Waffen gekämpft …
Amerikanisches Idyll
ist ein Buch, das man keinesfalls alleine lesen sollte. Es gibt so viel darüber
zu sagen, und man
unmöglich alles schriftlich festhalten kann. Ein Buch, das mich sicher noch Tage danach beschäftigen wird, bis ich es ordentlich verdaut habe.
Das Buch regt sehr zum Nachdenken an. Es ist nichts für faule Denker :-).
Es erhält von
mir zehn von zehn Punkten.
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Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die
Sonne auf.
(Agatha Christie)
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