Samstag, 31. Oktober 2015

Magali Robathan / Die Frau von Shearwater Island (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich mit großem Interesse gelesen. Den Background, auf dem sich die Story abspielt, fand ich sehr schön. Ich konnte mich leicht in die Umgebung hineinversetzen. Das Meer, die Wellen, die Klippen, etc. Das hat mir geistig sehr gutgetan.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Alice lebt auf Shearwater Island, einer kleinen Insel vor der Küste Englands. Sie liebt die raue, wilde Schönheit der Landschaft, und sie schätzt die Abgeschiedenheit, in der sie sich in Sicherheit glaubt. Seit sie Zeugin eines brutalen Verbrechens war, vertraut sie niemandem mehr. Doch der Inselrat entscheidet, dass ein gefeierter Schriftsteller bei ihr einzieht: Patrick, der seinen nächsten Roman auf der Insel schreiben möchte. Der attraktive Londoner bringt Alice dazu, ihm die Geschichten der Insel zu erzählen. Von Rivalität und Neid, von Liebe und Eifersucht, von der Untreue ihrer Mutter – und von sich selbst. Alice

verliebt sich rückhaltlos in ihn. Doch das enge Zusammensein auf kleinem Raum und Alices Unsicherheit ihren eigenen Gefühlen gegenüber bringen ihre Welt zum Einstürzen.
Mich interessierten die Lebensweisen der InselbebewohnerInnen, ihre Komplexität an menschlicher Psyche in deren Denk- und Lebensweise, doch die Protagonistin Alice Fisher schien mir mit ihren sechsunddreißig Jahren merkwürdig naiv zu sein, auch wenn sie zum Schluss hin aus ihren Fehlern und aus den Fehlern ihrer Nachbarn lernt, und sie dabei ihr Leben kritisch hinterfragt und Pläne schmiedet, ihr Leben in eine andere Richtung zu lenken. Trotzdem nervte sie mich doch irgendwie. Der Schluss hatte mich mit ihr nicht aussöhnen lassen. Ihre Naivität ist mit der einer fünfzehnjährigen Pubertierenden zu vergleichen. Nicht nur für den Schriftsteller Patrick Fox war sie recht schnell zu durchschauen, nein, auch für mich als Leserin. Wie das Dornröschen wartete sie auf den Mann ihres Lebens, der sie von der langweiligen und öden Insel holen und wegbringen sollte. Es entstand nämlich in mir der Eindruck, Alice liege in einem langwierigen Schlummerschlaf und nur ein Mann könne es schaffen, sie davon zu erlösen. Gibt es heutzutage tatsächlich noch Frauen, die so naiv sein können? Nicht nur, dass sie Patrick innerhalb kürzester Zeit ihr ganzes Leben und das Leben ihrer Nachbarn offenlegt, nein, sie schläft auch mit ihm, so ganz ohne Prävention, und wird auch recht schnell schwanger. Und das alles innerhalb weniger Monate. Eine recht absurde Persönlichkeit. Mit sechsunddreißig Jahren sollte man sich auch mit Verhütungsmitteln auskennen ...  Eigentlich so rund um Alice als Hauptfigur eine recht primitive Geschichte, die wenig Tiefgang hat. Nun ja, die partnerschaftliche Liebe verhält sich oftmals in ihren emotionalen Facetten noch recht primitiv. Dieses Auf und Ab an Gefühlen ... Deshalb mag ich auch keine klassischen Liebesromane lesen.  Der emotional wenig entwickelte Mensch scheint sich noch immer auf der Stufe der Primaten zu befinden.

Richtige Tiefe hat, wie schon gesagt, diese Frau nicht. Am Schluss ist es indirekt doch wieder der Mann, der sie aus ihrer Not rettet, auch wenn es nicht Patrick selber ist. Friede, Freude Eierkuchen. So habe ich den Schluss erlebt. Ein wenig kitschig und rührselig. Deshalb fand ich den Schluss wenig realistisch und arg sentimental.

Interessant fand ich dagegen die beiden Figuren Cathy und Laurence.

Cathy und Laurence sind vom Verwandtschaftsgrad her Cousine und Cousin. Cathys Mutter Isabella litt an einer starken Depression und nahm sich das Leben, als Cathy acht Jahre alt war. Sie wurde von ihrer Tante, Laurences Mutter namens Elsie, aufgezogen. Einen Vater gab es nicht. Elsie war die Schwester von Isabella. Dadurch, dass Cathy, verglichen mit Laurence, kaum Ansprüche an Elsie stellte, nahm sie, was sie bekam, da sie schon recht früh die Härte des Lebens erfahren durfte. Dadurch wurde sie von der Tante bevorzugt und Laurence vernachlässigt. Elsie wollte eigentlich kein Kind. Sie konnte keinerlei Muttergefühle in sich spüren und neidete Alices kinderloses Singleleben. Laurence, zwei Jahre jünger als Cathy, suchte permanent die Zuwendung seiner Mutter. Elsie fühlte sich durch ihn eingeengt. Dadurch, dass sie Cathy mehr Nähe zukommen ließ als ihrem Sohn, entwickelte sich zwischen den beiden Kindern eine tiefe Feindschaft, eine Rivalität, die noch Jahrzehnte später zu spüren war. Je mehr Laurence sich um die Liebe und die Aufmerksamkeit seiner Mutter bemühte, desto mehr wurde er benachteiligt und zurückgewiesen. Und Cathy nutzte das später, mit zunehmendem Alter, schamlos aus ... Cathy wird erwachsen und wandert nach Amerika aus. In Amerika erlangt sie allerdings nicht den Erfolg, den sie sich erwünscht hatte, und kommt Jahre später wieder nach England auf die Insel zurück. Ganz zum Leidtragen ihres Cousins.

Und im Folgenden dazu noch ein Ereignis, das mich mehr als betroffen gestimmt hat:
Cathy und Elsie zogen ihren Sonntagsstaat an und machten sich auf den Weg zur Kirche. Cathy sah aus, als wäre sie am liebsten unsichtbar; sie hatte die Schultern hochgezogen und hielt die Arme eng an den Körper gepresst. Als sie in der Frühlingssonne nebeneinander hergingen, legte Elsie den Arm um Cathy. Für einen Moment erstarrte die Kleine, dann lehnte sie sich an Elsie und Tränen rollten über ihre Wangen. Als sich Elsie noch einmal zum Haus hindrehte, sah sie Laurence oben am Fenster stehen, mit einem finsteren Ausdruck im Gesicht. Sie kamen erst in der Abenddämmerung nach Hause zurück. Laurence war verschwunden. Cathy ging nach oben in das Zimmer, das sie mit ihrem Cousin teilte. Elsie hörte einen schrecklichen Aufschrei und eilte zu ihr. Cathys sämtliche Kleidungsstücke waren auf ihrem Bett verstreut, alle zerrissen, und auf dem Boden lag ein zerbrochener Bilderrahmen. Cathy kniete zwischen den Scherben, in der Hand das Schwarzweißfoto, auf dem Isabella sie als Baby im Arm hielt.Elsie presste die Lippen zusammen und verließ wortlos das Haus. Drei Stunden lang suchte sie die gesamte Insel ab, bis sie Laurence in einer Scheune fand. Er fing an zu weinen, sobald er sie sah. >>Es tut mir leid<<, schluchzte er, die braunen Augen flehentlich aufgerissen. >>Mama, es tut mir so leid.<<
Elsie packte ihn am Arm und zerrte ihn nach Hause. Sie sagte kein Wort, außer >>sei still und hör auf zu flennen<<. Laurence wurde in dieser Nacht nicht bestraft (…).Als er (allerdings) am nächsten Tag herunterkam, war der Küchentisch leer, nur ein hölzernes Schmuckkästchen stand darauf. Laurence hatte es mithilfe seines Großvaters für seine Mutter zum Geburtstag gebastelt. Einen Monat lang hatte er jeden Abend hingebungsvoll daran gearbeitet. Die ersten beiden Versuche waren ihm nicht gut genug erschienen, und so hatte er Stunde um Stunde weiter gefeilt und geschliffen, poliert und lackiert. Er hatte die Scharniere sorgfältig geölt, damit sich der Deckel leicht öffnen und zuklappen ließ, und hatte seinen Großvater gebeten, Elsies Namen einzugravieren. Es war das Schönste, was er in seinem jungen Leben zustande gebracht hatte. >>Gestern hast du etwas Kostbares zerstört, was Cathy gehört hat<<, sagte sie zu ihm. >>Heute wirst du erleben, wie es sich anfühlt, wenn etwas zerstört wird, das dir viel bedeutet.<<Sie griff nach einem Hammer. Laurence wollte etwas sagen, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er das Gesicht seiner Mutter sah. Dann saß er schluchzend daneben, während sie auf das Kästchen einschlug, bis nur noch winzige Holzsplitter übrig waren.>>Jetzt entschuldige dich bei deiner Cousine und geh mir aus den Augen<<, befahl Elsie.

Das Buch erhält von mir acht von zehn Punkten.

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Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

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