Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
In dem Buch liegen wieder jede Menge Zettelchen, obwohl ich
mir vorgenommen habe, meine Buchbesprechungen wegen des großen Zeitaufwandes
nicht mehr mit so vielen Zitaten zu bestücken. Wenn es passt, wollte ich mich
nur noch auf ein paar wenige Szenen aus den jeweiligen Büchern beschränken, und
über diese schreiben. Mit dem vorliegenden Buch geht das allerdings nicht, weil
die Thematik viel zu komplex ist. Habe mir trotzdem eine Szene gemerkt, die ich
hier vielleicht festhalten werde.
Die ersten hundert Seiten waren mir sehr befremdlich, bis
ich mich an den Stil gewöhnen konnte, doch bevor ich anfange darüber zu
schreiben, möchte ich zur Erinnerung erneut den Klappentext reingeben:
Nach über vierzig Jahren treffen sich die Zwillingsschwestern Anna und Lotte im belgischen Kurort Spa. Nach dem Tod der Eltern und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren sie auseinandergerissen worden. Und während die eine zu Verwandten nach Deutschland kommt, wächst die andere in den Niederlanden auf. Jetzt erst gelingt ihnen eine Annäherung.
Die
beiden zweieiigen Zwillingsschwestern Lotte und Anna begegnen sich durch Zufall nach so
vielen Jahrzehnten wieder in der Kur. Lotte wirkte unnatürlich kühl Anna
gegenüber. Anna dagegen war gleich Feuer und Flamme, als sie Lotte
wieder sah.
Lotte konnte mit so viel Temperament und Nähe ihrer Schwester allerdings schlecht umgehen
... Lotte war mir unsympathisch und zum Ende hin war mir auch Anna
unsympathisch.
Kurz
gesagt, mich hat das ganze Buch nicht wirklich überzeugt. Lotte stellt Anna als
die Stellvertreterin der deutschen Nation des Nationalsozialismus hin. Und Anna
bezeichnet in der Vergangenheitsbewältigung die Russen als grausam und gibt
sich blauäugig den Nazis gegenüber und Lotte ist ganz aus dem Schneider, indem
sie sich als Niederländerin sieht, die nichts mit den Nazis zu tun haben wollte. Sie weist alles
Deutsche von sich. Von der Annäherung der beiden Zwillingsschwestern, wie sie im Klappentext
beschrieben steht, konnte ich bis zum Schluss nichts spüren. Der Schluss
erwies sich mir auch merkwürdig künstlich.
Mich
hat genervt, dass Lotte in der Konversation mit Anne immer als ihr habt … vorgeworfen hat.
Als hätte Anna so viel Macht gehabt, den Nationalsozialismus zu verhindern ... Lotte schmeißt alle Deutschen zusammen mit Hitler in einen Topf. Als würde Anna zusammen
mit den Nazis
die ganzen Juden umgebracht haben. Anna hatte diese Macht nicht und sie war wie jeder andere auch
Opfer dieser Zeit. In einem Krieg, so meine Sicht, gibt es keine Gewinner … Anna stand
unter einem permanenten Rechtfertigungsdruck, obwohl Lotte keine
Rechtfertigungen hören wollte. Anna war so mit dem Überleben beschäftigt, dass sie nicht einmal
gemerkt hat, dass die Juden aus ihrem Land verschwunden sind. Diese nicht
wissenden, ahnungslosen Deutschen gab es wirklich, aber es gab auch andere aus
der Bevölkerung, die jeden Juden, der noch nicht gefasst wurde, der SS
denunziert hatte. Davon spricht Anna aber nicht.
Es
ist schwierig, in einem totalitären Staat, ohne sich Schuld aufzuladen, zu leben.
Anna
hatte kein einfaches Schicksal. Nach dem Tod der Eltern kam sie zu deutschen
Verwandten, die sie als deren Arbeitskraft in der Landwirtschaft missbrauchten. Den Kinderschuhen entwachsen, hatte Anna es allerdings
geschafft, sich von den Angehörigen zu lösen und strebte auf ein eigenes Leben zu, das sich allerdings auch nicht als einfach erwies, da sie
über viele Jahre in einem fremden Haus als Dienstmädchen fungierte. Nach dem "Heldentod" ihres Mannes ging sie ins
Lazarett, um verwundeten Soldaten zu helfen. So viel Leid auf ein paar
Quadratmetern hatte sie zuvor nicht gesehen und sie betrachtete die deutschen
Soldaten, darunter auch SS-Männer, als die großen Opfer.
Dass
Anna die Russen allerdings als grausam bezeichnet hat, konnte ich nicht
verstehen. Die Russen waren grausam, das ist wohl wahr,
allerdings waren sie grausam, weil Hitler grausam zu ihnen war
und viele Russen von den SS-Männern kaltblütig niedergemacht wurden. Ganze
Familien, Frauen und Kinder. Die Russen haben sich später gerächt, leider an den
Falschen.
Auch für die Amerikaner zeigte Anna keinerlei Sympathie …
Lotte
hatte es einfacher. Mit den Verwandten in den Niederlanden fand sie neue
Eltern, von denen sie geliebt wurde und sie sich im Laufe ihres Lebens eine
neue Identität hat aufbauen können ...
Und nun zu meiner Szene, die mich beschäftigt hat:
Anna ist zu Fuß unterwegs und hat einen kleinen Koffer bei sich, der mit Getreide
gefüllt ist. Eine wohl seltene Ware. Wie Anna an das Getreide gekommen ist, das
habe ich wieder vergessen. Anna malte sich schon im Kopf das leckere Brot aus,
das sie zu backen beabsichtigte. Ein Fahrradfahrer mit Anhänger fuhr ihr
entgegen und bot Anna seine Hilfe an, den Koffer, der sich wohl recht schwer
angefühlt haben muss, in seinen Anhänger zu legen, damit sie nicht so schwer zu
tragen habe. Anna nahm die Hilfe an. Sie lief neben dem Radfahrer, der sich Annas
Fußmarsch angepasst hatte. Doch ein paar Minuten später beschleunigte er sein
Tempo allmählich immer mehr, bis er mit dem Koffer davonradelte.
Eine Vermischung von Gut und Böse. Eine Vermischung von
Opfer und Täter.
Ansonsten hat mich dieses Buch nicht wirklich gefesselt und mich auch
nicht überzeugt und ich vergebe sechs von zehn Punkten.
_____
Auch nach der
schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha
Christie)
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