Montag, 8. Oktober 2012

Aldous Huxley / Schöne Neue Welt


Verlag: Fischer (Tb.), Frankfurt
Sonderausgabe 2012. Gebunden, 11,00 €
Miniausgabe, Seitenzahl: 352
ISBN 978-3-596-51228-7


Klappentext
Aldous Huxleys Schöne neue Welt ist einer der berühmtesten Zukunftsromane des 20. Jahrhunderts. Im Unterschied zu George Orwells 1984 besteht das Totalitäre bei Huxley nicht in der brutalen Unterdrückung eines Überwachungsstaates, sondern im genormten Wohlfühlglück einer hoch entwickelten Gesellschaft, in der alle Menschen am Luxus teilhaben, in der Unruhe, Elend und Krankheit überwunden, in der aber auch individuelle Freiheit, Kunst und Solidarität auf der Strecke geblieben sind. "Damals", schrieb Huxley selbst über seinen Roman, "verlegte ich diese Utopie sechshundert Jahre in die Zukunft. Heute scheint es durchaus möglich, daß uns dieser Schrecken binnen eines einzigen Jahrhunderts auf den Hals kommt."
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.


Autorenportrait im Klappentext
Aldous Huxley wurde 1894 in Godalming / Surrey geboren. Er wurde in Eton erzogen und studierte in Oxford. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er als Journalist und Kunstkritiker. Unter dem Einfluß der buddhistischen Lehre und der politischen Ereignisse in Europa entwickelte er sich in den dreißiger Jahren vom amüsiert beobachtenden Satiriker zum leidenschaftlichen Reformator, der die Welt durch eine universale mystische Religion zu heilen versucht. Huxley starb im Jahre 1963.
Sowohl das Buch als auch der Autor sind mir unbekannt und habe es in Frankfurt in der Bahnhofsbuchhandlung entdeckt. Habe gestern Abend ein paar Seiten gelesen, das Vorwort, kann aber noch keine Eindrücke nennen. Möchte mich heute richtig reinlesen. Diese Lektüre soll mich die Woche über begleiten (Werktagslektüre).






Sonntag, 7. Oktober 2012

Valentin Senger / Kaiserhofstraße 12 (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g, Lektüre

Ich habe das Buch nun durch und wenn ich nicht wüsste, dass das Buch als eine Autobiografie vor mir liegen würde, so würde ich glauben, dass der Inhalt ein wenig realitätsfern geschrieben sei.

Wie die Familie Senger den Nationalsozialismus in Frankfurt Main überlebte, ohne irgendwo untergetaucht zu sein, grenzt für mich an ein Wunder, auch wenn Autor und der Verfasser des Nachworts eine andere Auffassung von Wunder haben.

Valentin Senger ist gebürtigter Frankfurter, seine Eltern waren aus Russland geflohen, bevor die Kinder zur Welt kamen. Valentin Senger ist ein falscher Name. Der Vater hieß in Russland Moissee Rabisanowitsch und flüchtete 1905 als Revolutionär und wegen politischer Unruhen aus Russland. Seine Mutter hieß ursprünglich Olga Sudakowitsch. Nach der Flucht 1905 begaben sie sich in die Illegalität, reisten in die Schweiz, ließen sich dort falsche Ausweispapiere ausstellen und nur durch ein Zufall wurde der falsche Name Senger mit  e geschrieben, statt a mit Umlaut. Moissee kannte den Buchstaben ä nicht. Mit den falschen Ausweispapieren emigrierten sie nach Deutschland und wurden dort als staatenlose Ausländer registriert. Senger mit einem ä geschrieben, so wäre es leichter gewesen, die falsche Identität im Nationalsozialismus aufzuspüren. Auch hier hatten sie durch puren Zufall einfach nur Glück.

Die Familie wohnte in einem Mehrfamilienhaus in der Kaiserhofstraße Frankfurts. Man hat es diesmal nicht mit gutbetuchten Juden zu tun. In dem Mietshaus wohnten Familien aus der einfachen Gesellschaftsschicht. Auch wenn Moissee Rabisanowitsch in Russland an der Universität eingeschrieben war, so brach er sein Studium ab, um sich politisch zu betätigen.

In Frankfurt Main hatte mehr die Mutter von Valentin die Fäden in der Hand. Als Hitler Reichskanzler wurde, achtete die Mutter streng darauf, in der Gesellschaft nicht aufzufallen und so erzog sie ihre Kinder zu Gehorsam, zum Duckmäusertum, zu Schwindeleien. Die Kinder waren gefangen in einem Netz voller Lügen und es kostete enorme Kraft, diese Lügen aufrechtzuerhalten. Auch wenn Valentin seiner Mutter diese schlechten Tugenden vorwarf, so hatten gerade diese Lügen sie bis zum Ende des Krieges durchgebracht. Leider erlebte die Mutter als Herzkranke das Ende des Krieges nicht mehr. Aber nur an diese Tugenden hat das Überleben des Nationalsozialismus alleine nicht gelegen. Sie hatten wiederholt auch wahnsinnig Glück gehabt.

Im Stillen warf Valentin aber der Mutter vor:
"Deine Absichten mögen gut gewesen sein, aber du konntest nicht voraussehen, was Du damit angerichtet hast, diese seelischen  Verwachsungen, die aus einem Jahrzehntelang Selbstverleugnen entstehen mussten, und die zu überwinden mich noch einmal Jahrzehnte kostete, bis ich endlich ohne Zittern in der Stimme sagen konnte:"Ich bin ich, der Sohn von Moissee Rabinsanowitsch aus Nikolajew und Olga Moisejewna Sudakowitsch aus Otschakow, ein Ostjude, in Frankfurt geboren und aufgewachsen, und durch tausend Zufälle den Häschern des Hitlerfaschismus entgangen."
Valentin wünschte sich mehr Mut, und verachtete diese Feigheit. Auch den Juden warf er Feigheit vor, die ohne Widerstand in den Tod sich haben treiben lassen. Sein Motto: Lieber kämpfend  als duckmäuserisch sterben. Nun haben aber sie überlebt, Valentin, der Vater und die Schwester. Der Bruder fiel im Krieg.

In Russland werden die Juden nicht als Russen bezeichnet, sondern werden noch heute behandelt als gehörten sie einer anderen Nationalität an. 

Als Hitler an die Macht kam, waren sich viele Menschen sicher, dass er sich an der Regierungsspitze nicht lange halten würde. Die Mutter von Valentin glaubte an ein "Totgeborenes Kind". 

In der Schule wurde Rassenkunde gelehrt und üble, erfundene Geschichten über Juden verbreitet. (Nun, das ist ja nichts Neues, dennoch erstaunen mich solche Berichte immer wieder auf´´s Neue):
Und dann die Geschichte von dem Juden, der die Schlechtigkeit seiner Rasse und seiner Religion nicht mehr mitmachen wollte, sich mit dem Verstand dagegen auflehnte und eines Tages zum Christentum konvertierter. Aber das Blut! Judentum ist keine Sache des Glaubens, des Verstehens oder des Gefühls. Die ganze Verderbtheit der jüdischen Rasse ist im Blut enthalten. Kein Jude kann ihr entfliehen. Und so ist klar, dass der zum Christentum Übergetretene kein besserer Mensch werden konnte. Denn da war das Blut. Er wurde rückfällig und trat dann auch folgerichtig wieder aus der christlichen Kirche aus. (…) Jud bleibt Jud, da hilft kein Weihwasser und kein Kreuze schlagen."
Ich denke dabei an Edith Stein... .

In der Schule bekamen die Schüler die Hausaufgabe auf, einen Stammbaum zu zeichnen. Eine schwere Hürde, aber Valentins Mutter war mit einer großen Vorstellungskraft gesegnet und brachte einen Stammbaum zustande, den der Bio- Lehrer in der Schule ausgiebigst studierte und er ihn überzeugen konnte. Die Dummheit der Nazis an folgender Textstelle. Valentin berichtet aus einer Biostunde:
Als der Biolehrer einige Wochen später mit uns die verschiedenen arischen Rassen besprach, nahm er auch an einigen Schülern Schädelmessungen vor. Dazu benutzte er ein seltsames Instrument, das wie ein großer, an den Enden stark gekrümmter Zirkel aussah, mit einem verstellbaren Zapfen in der Mitte. Außerdem hatte er noch einige Schautafeln und Tabellen mitgebracht.
Mich holte er als ersten vor die Klasse. An mir wollte er seine Fähigkeiten in der Schädelbestimmung demonstrieren. Er drückte seinen krummen Zirkel an meinen Kopf, mal von vorne nach hinten, mal von links nach rechts, stellte jedes Mal den senkrechten Stift nach, schrieb Zahlen auf, und die Klasse folgte aufmerksam dem ungewöhnlichen Ton. Hierauf begann er zu rechnen und in den Tabellen nachzuschlagen, die er, eine nach der anderen, vom Katheder hoch nahm und dicht an seine dicken Brillengläser hielt. Schließlich drehte er sich zur Klasse und verkündete triumphierend:" Senger-dinarischer Typ mit ostichem Einschlag, eine kerngesunde arische Rasse." Der Biolehrer war mit sich und dem Ergebnis seiner ersten Schädelmessung vollauf zufrieden. Kein Wunder, er hatte Mamas Stammbaum gut studiert. 
Noch heute  gibt es Menschen, die glauben zu wissen, was äußerlich als typisch deutsch entspricht .
Deutsch blond, Südländer schwarz, dazwischen gibt es nichts, obwohl es auch im Süden viele Blonde, und Andersfarbige gibt und in Deutschland viele dunkle... Obwohl Hitlers Wissenschaft auf arisches Blut sich keineswegs bewahrheiten konnte, haben viele Menschen hier in Deutschland nicht wirklich etwas daraus gelernt. Die Menschen interessieren sich nicht wirklich, was richtig und falsch ist, sondern gestalten in ihrer Vorstellung die Menschen so, wie sie sie haben möchten... und machen sie passend, pressen die Menschen in ihre Schablonen, ähnlich wie der Bio-Lehrer.

Diese Dummheit wiederholt sich ein paar Seiten später im Liebeskontakt zwischen Valentin und einer Frau. Valentin versuchte herauszufinden, welche politische Ambitionen diese Frau pflegte und wie sie zu den Juden stand:
"Ob es arme oder reiche Juden sind, alte oder junge, Mann oder Frau, sie haben alle den gleichen intensiven unangenehmen Geruch, eben den typisch jüdischen Geruch. (…) Wenn Du eine so empfindliche Nase hast wie ich, kannst du einen Juden unter hundert Christen herausfinden."
Nun hat sie mit einem Juden im Bett gelegen und ähnlich wie der Bio - Lehrer keineswegs seine Religiosität gerochen... .  Es ist so wichtig, solche Zeitzeugen zu haben, die uns zeigen, wie verwerflich Theorien sein können, die sich auf Menschen beziehen.

Valentin hatte einen um fünf Jahre jüngeren Bruder, und beide wurden im Säuglingsalter beschnitten. Im Nationalsozialismus wurden Arztbesuche tunlichst gemieden... . Valentin erkrankte einmal so schwer, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als doch einen Arzt aufzusuchen. Auf der Liege zog der Arzt ihm die Hose runter und war erstaunt über den beschnittenen Penis. Er stellte Valentin zwar zur Rede und die Ausrede, die die Mutter sich hat einfallen lassen, wirkte hier nicht. Dennoch lieferte der Arzt Valentin nicht aus... . Bei der Einmusterung gelangten beide Brüder an einem Arzt, der diese beschnittenen Jungen nicht der Gestapo ausgeliefert hatte und tat so, als wären sie wie die anderen jungen Männer, eben unbeschnitten. Das waren wieder zwei Wunder... .
Moissee Rabiwanowitsch hatte Kontakt zu russischen Frauen, die in Deutschland auf Zeit arbeiteten. Er wandte sich wohlwollend, aber versteckt diesen Frauen zu. Er wurde denunziert. Die Gestapo nahm ihn fest, sperrte ihn ein, aber er wurde nach Wochen wieder entlassen. Ein erneutes Wunder. 

Der Vater sprach deutsch mit einem jüdischen Akzent. Aber da die meisten Deutschen den jüdischen Akzent nicht kannten, fiel er nicht weiter auf. Wenn er auf die Sprache aufmerksam gemacht wurde, so bezeichnete er sich, wie es im Stammbaum angegeben wurde, als ein Wolgadeutscher. Ein weiteres Wunder, dass man ihm glaubte.
Den erfundenen Stammbaum, auch ein Wunder... . Für mich viele Wunder, doch für Peter Härtling, der das Nachwort schrieb:
In diesem Buch erzählt ein Davongekommener von einem Wunder, ohne sich zu wundern. Er weiß nämlich, dass Wunder von Menschen gemacht werden. Und dass sie - was sie unfassbar werden lässt - mit dem Zufall verbündet sind. (…) Sicher haben die klugen Vertuschungen Mama Senger für alle Wunder gesorgt, nicht zuletzt die durch Pässe verbürgte Staatenlosigkeit und das fehlende lebensgefährliche J darin.
Fazit: Ich fand das Buch interessant zu lesen, hatte ich bisher noch nicht gehabt, dass Juden den Nationalsozialismus überlebten, ohne ins Ausland emigriert zu sein, und ohne in Deutschland unterzutauchen. Nein, sie lebten als Juden unter der deutschen Bevölkerung, viele davon waren HitleranhängerInnen. Mit einer Tarnung, die nie aufgeflogen ist, trotz wiederholter und mehrfacher Fehlverhalten von seiten der Familienmitglieder.

Wäre das Buch eine Fiktion gewesen, dann hätte ich es in die Ecke geschleudert, weil ich an so vielen guten Ausgängen aus dieser schwierigen Zeit nicht geglaubt hätte. Ich bin froh, eines Besseren belehrt worden zu sein. Es ist doch gut zu wissen, dass es auch solche Realitäten gibt, Menschen, die andere Menschen schützen.

In dem Buch sind viele Familienfotos hinzugefügt, auch das Mietshaus aus der Kaiserhofstraße wurde nachgezeichnet, da es Mitte der 1970er Jahre abgerissen wurde und auf der freigewordenen Fläche ein Parkhaus gebaut wurde. Ebenso befinden sich auch Fotos von Valentin Senger im Seniorenalter. Übrigens, der Name Valentin Senger wurde bis zu seinem Tod beibehalten.


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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 71
Gelesene Bücher 2011: 86



Donnerstag, 4. Oktober 2012

Valentin Senger / Kaiserhofstraße 12




Klappentext
 Es sind die dreißiger Jahre: In der Kaiserhofstraße in Frankfurt am Main leben Schauspieler, Transvestiten, Freudenmädchen, Burschenschaftler – und die Familie Senger. Als Kommunisten und Juden mussten sie aus dem zaristischen Russland fliehen und haben hier ein neues Zuhause gefunden – bis Adolf Hitler 1933 die Macht ergreift. Valentin Sengers Mutter Olga erkennt früh den Ernst der Lage: Mit gefälschten Papieren verschleiert sie die Spuren ihrer Herkunft ...

Autorenportrait
Valentin Senger, geboren 1918 in Frankfurt am Main, arbeitete nach einer Lehre zum Technischen Zeichner als Konstrukteur. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er Journalist und arbeitete zunächst für die Sozialistische Volkszeitung, später für den Hessischen Rundfunk. Valentin Senger starb 1997 in Frankfurt am Main.

Den Autor kenne ich nicht. Das Buch habe ich gebraucht von meiner Nachbarin geschenkt bekommen, da sie keine Bücher hordet, und schon keine Taschenbücher.
Ich habe es gerne entgegengenommen und freue mich auf das Lesen. 


William Makepeace Thackeray (1)


Eine kurze Buchbesprechung!

Ich habe beschlossen, das Buch nicht zu Ende zu lesen, da mir die Art und Weise wie mir all diese Snobs entgegengebracht werden einfach nicht passt. Es ist kein Roman, aber auch kein Fachbuch und doch haben die Figuren alle einen Namen. In dem Buch gibt es nur Snobs und mir ist das zu viel, mich über vierhundert Seiten lang nur mit Snobs befassen zu müssen.

Ich hatte es mir eher so vorgestellt, dass ich mir selbst Gedanken machen kann zu den verschiedenen Personen aber nein, das geht nicht, da der Autor dies für mich übernommen hat. Dennoch habe ich mir ein paar Zitate rausgeschrieben, damit nicht alles umsonst war, und die ich aber auch gut fand, teilweise sind sie recht humoristisch zu lesen:

Snobs sind zu erforschen wie andere Gegenstände der Naturwissenschaften, und sie sind ein Teil des SCHönen (mit großem SCH). Sie finden sich in allen Schichten. (…) Ich habe (…) ein Auge für den Snob. (…) Versnobtheit ist wie der Tod in einem Zitat von Horaz (...). " Er klopft mit gleichem Fuß gegen armer Menschen Türen, wie er gegen Portale von Kaisern tritt."
Das halte ich für ein so schönes Zitat, weil es auch etwas Tröstliches hat. Der Tod nimmt diesen Menschen die Macht. Thackeray unterscheidet verschiedene Arten von Snobs. Adel, Barone, Kaiser, Könige... seien alle reihum versnobt und die Gesellschaft verschärft diese noch, indem sie sich erniedrigt vor Menschen, die reich an Besitztümer sind.

Der Autor bezeichnet diese Leute als Speichellecker:

Wie oben schon durch das Zitat gesagt wurde, gibt es noch zahlreiche anderer Snobs, auch in den unteren Gesellschaftsschichten... .
Es gibt relative und absolute Snobs. Mit >absolutemn< meine ich solche Personen, die überall sind, in jeglicher Gesellschaft, vom Morgen bis in die Nacht, von der Jugend bis zum Grabe, da sie von der Natur mit Versnobtheit begabt wurden - und andere, die nur unter bestimmten Umständen und Lebensverhältnissen Snobs sind.
Ob Menschen von Natur aus damit gesegnet sind, glaube ich nicht. Es sind die Lebensumstände, die diese Menschen mit solchen Charakterzügen ausstattet.

Nebenbei: Da einige Leser von dumpfer Auffassungsgabe sind, darf ich ebenso gut sagen, was die Moral dieser Geschichte ist. Dies ist die Moral: Wenn die Gesellschaft gewisse Gepflogenheiten festgelegt hat, sind die Menschen verpflichtet, dem gesellschaftlichen Gesetz zu gehorchen und sich an seine harmlosen Anweisungen zu halten.
Somit beende ich hier meine Aufzeichnung, da ich nicht weiter gelesen habe. Ich werde das Buch zu einem günstigeren Zeitpunkt wieder hervorholen und ganz auslesen. 


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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 70
Gelesene Bücher 2011: 86

Mittwoch, 3. Oktober 2012

William Makepeace Thackeray / Das Buch der Snobs


Verlag: Manesse
Gebunden - Miniformat 2011, 22,95 €
Seitenzahl: 455
Manesse Bibliothek der Weltliteratur
ISBN-10: 3717523325



Klappentext
Er schläft in weißen Glacéhandschuhen, tischt auf bis zum Bankrott und kämpft erbittert um seine gesellschaftliche Stellung: der Snob. Heute in aller Munde, wurde der Typus des arroganten Selbstdarstellers überhaupt erst mit diesem Buch populär. Thackerays vergnügliche «Snobologie» liegt hier in einer neuen, erstmals vollständigen Übersetzung vor.
Wo die Roben rauschen und lässige Eleganz herrscht, sind die Snobs nicht weit. Mit Opportunismus gepaarte Überheblichkeit zeichnet sie ebenso aus wie die penible Kenntnis des Adelskalenders und eine Heidenangst, nicht mehr zur «High Society» gerechnet zu werden. Denn zu der gehört nur, wer ein Haus voller Lakaien sein Eigen nennt und die richtigen Verbindungen pflegt. Nach oben schmeicheln, nach unten «snobben», lautet völlig unverblümt die Devise. Einerlei, ob an der Universität, beim Militär oder in der Politik: Überall sonnen sich die Snobs, unbeleckt von jedwedem Selbstzweifel, im Glanz ihrer eigenen Großartigkeit. Und die Gesellschaft sieht staunend zu, wie diese Spezies Mensch ihre Räder schlägt.


Autorenportrait im Klappentext
William Makepeace Thackeray (1811-1863), in Kalkutta geborener Sohn eines Kolonialbeamten, wuchs nach dem frühen Tod des Vaters in England auf. Zweimal brach er das Jurastudium ab, bereiste Italien, Frankreich und Deutschland und wandte sich dann dem Journalismus zu. Die Gründung zweier erfolgloser Zeitschriften und seine Leidenschaft für Pferdewetten und Kartenspiel brachten Thackeray schnell um sein ererbtes Vermögen. Ab 1837 schrieb er regelmäßig für «Fraser's Magazine» und «Punch», wo in den folgenden Jahren seine Reiseberichte und Romane erschienen. Seinen Durchbruch feierte er 1847/48 mit «Vanity Fair», dem Roman, der ihn zum ernsthaften Konkurrenten des Publikumslieblings Charles Dickens machte, was die Freundschaft der beiden Autoren nachhaltig trübte.

Gelesen habe ich von dem Autor Jahrmarkt der Eitelkeit, und mir das Buch sehr gut gefallen hat und mich sein Schreibstil sehr an Charles Dickens erinnern ließ. Später hatte ich aus einer Dickens-Biografie entnommen, dass Thackery zu ihm freundschaftliche Nähe gesucht habe, Dickens diese allerdings ablehnte, weil er in ihm einen echten Konkurrenten gehen habe. 

Ich finde, dass der Autor einen schönen Begleitfamiliennamen trägt, Makepeace



Montag, 1. Oktober 2012

Thomas Mann / Tristan (1)

70 Seiten
Fischer Verlag Sonderausgabe
Gebundene Miniausgabe 10,00 €
 ISBN 978-3-596-51135-8


Eine Buchbesprechung der o.g. Lektüre

Die Novelle kam mir total bekannt vor und wusste erst nicht woher, da ich von Thomas Mann bisher nur wenige Erzählungen gelesen hatte. Zum Schluss erinnerte ich mich schließlich. Es gab mal eine Verfilmung.

Die Novelle kam mir total bekannt vor und wusste erst nicht woher, da ich von Thomas Mann bisher nur wenige Erzählungen gelesen hatte. Zum Schluss erinnerte ich mich schließlich. Es gab mal eine Verfilmung dazu, die ich gesehen habe, ist aber unendlich lange her.

Die Erzählung beinhaltet ein Sanatorium für Lungenkranke und so mache ich dort als Leserin die Bekanntschaft merkwürdiger Leute, was ja für Thomas Mann nicht untypisch ist. Zum einen gibt es die fünfzigjährige Pastorenfrau, die neunzehn Kinder geboren hatte. Das habe ich noch nie gehört, dass eine Frau so viele Kinder zur Welt gebracht hat. Das entspräche ja eine gesamte  Schulklasse :D. 
Das Sanatorium trug den Namen Einfried und steht für Einsamkeit (Rückzug) und Frieden.

Dann gibt es noch den Herrn Klöterjahn, der seine kranke Frau in das Sanatorium begleitet, bei der erst der Verdacht einer erkrankten Luftröhre bestand, es sich zum Schluss aber doch  als eine Lungenerkrankung erweist, der sie dann letztendlich erlag. Kurios ist ihr er Mann, der, als man ihn später zur weiteren Anreise riet wegen der ernsthaften Erkrankung seiner Frau, sich erst darüber aufregte und die Anreise als vergeudete Zeit betrachtet hatte, bis ihm schließlich der Ernst ihrer Erkrankung ins Bewusstsein geriet, so nach dem Motto, seine kranke Frau ist es nur wert besucht zu werden, bzw. die lange Anfahrtszeit in Kauf zu nehmen, wenn sie kurz vor dem Tod steht.
Kurios ist aber auch seine Frau, die sich gewisse Leidenschaften nicht erlaubt, weil der Arzt es ihr verboten hatte. Eine Leidenschaft davon bestand aus dem Klavierspiel.


Die nächste merkwürdige Figur ist der Romancier Spinell, der sich überaus wichtig nimmt.

Spinell, so denke ich, ist der Protagonist der Erzählung. Er begab sich ins Einfried, um Ruhe für seine schriftstellerische Tätigkeit zu finden.

Er suchte vermehrt die Gesellschaft der Frau Klöterjahn auf. Mit seiner Schrifttellerei nahm er sich recht wichtig, obwohl er nicht unbedingt zu den erfolgreichen Autoren zählt. 

Der Wahrheit die Ehre zu geben, so war dies mit dem >Zuströmen< ganz einfach nicht der Fall, und Gott wusste, aus was für eitlen Gründen Spinell es behauptete. Die Worte schienen ihm durchaus nicht zuzuströmen, für einen, dessen bürgerlicher Beruf das Schreiben ist, kam er jämmerlich langsam von der Stelle, und wer ihn sah, musste zu der Anschauung gelangt sein, dass ein Schriftsteller ein Mann ist, dem das Schreiben schwerer fällt, als allen anderen Leuten. :D.

Als das Sanatorium eine Freizeit plante, so lehnte Spinell die Teilnahme daran ab.


Herr Spinnell ließ wissen, dass er heute Nachmittag arbeiten wolle - er gebrauchte sehr gern das Wort >arbeiten< für seine zweifelhafte Tätigkeit. Übrigens beklagte sich keine Seele über sein Fortbleiben.
Auch Frau Klöterjahn blieb zurück, da sie von dem Arzt absolute Ruhe und Schonung verordnet bekommen hatte. Herr Spinell begibt sich in ihre Nähe, in einer Aula, in der ein Flügel steht. Er bittet Frau Klöterjahn, die übrigens sehr bescheiden über ihr musisches Talent spricht, für ihn auf dem Flügel zu spielen.  Nocturne von Frederique Shopin. Als sie weiterhin ablehnt, sie  macht den Arzt zu ihrer absoluten Autorität, und macht ihm auf das ärztl. Verbot aufmerksam, dass das Klavierspiel ihr schaden könne, erwidert schließlich Spinell:
 

"Nun bitte ich nicht mehr", sagte er endlich leise. Wenn sie fürchten, sich zu schaden, gnädige Frau, so lassen Sie die Schönheit tot und stumm, die unter ihren Fingern laut werden möchte.
Auch wenn mir Spinell nicht sonderlich sympathisch ist, so finde ich doch einen Kern der Wahrheit in dem Zitat.

Das übertriebene Befolgen ärztlicher Anordnung lässt mich zu der Frage kommen, ob überhaupt das Atmen noch erlaubt sei? Oder ist es die Frau selbst, die dem Arzt so viel Macht gibt, um sich mit ihrer Erkrankung wichtig zu machen?

Am Ende der Novelle wird Frau Klöterjahns Mann einbestellt wird, und er dort mit dem kleinen Sohn Anton einntrifft, sieht Spinell in dem kleinen Jungen nichts Besonderes. Er beobachtet das kindliche Verhalten und bezeichnet dies als triebhaft und animalisch, letztlich als dumm Spinell schreibt Klöterjahn einen Brief., der von Intrigen behaftet ist. Während Klöterjahns Frau mit dem Sterben beschäftigt ist, besucht ihr Mann den Romancier um ihn zu diskreditieren, statt sich um seine sterbenskranke Frau zu kümmern.Er, Klöterjahn, Kaufmann von Beruf, habe schließlich das Herz auf dem rechten Fleck und weist damit seine Anklagen durch den Dichter ab. 

Der Titel Tristan weist Prallelen auf zu Wagners Oper Tristan und Isolde.

Hier mache ich nun Schluss. Die Novelle hat mir abschließend recht gut gefallen.


Anmerkung der Autorin: Der Fettdruck im Zitat ist durch mich hervorgehoben.
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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Sonntag, 30. September 2012

Julia Franck / Rücken an Rücken (1)


Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Ein tragisches Schicksal zweier ehemaliger DDR-Kinder, die im zweiten Weltkrieg geboren wurden. Ella 1943 und ihr Bruder Thomas 1944. Eigentlich zwei Kinder, die durch  schwere politische Umstände gehen mussten. Im Nationalsozialismus waren sie zwar noch sehr klein, aber die Mutter Käthe war davon geprägt und gab das politische Erbe ihren Kindern mit der Muttermilch weiter, wenn auch beide Kinder unterschiedliche Auffassung haben, wie sie Geschichte begreifen und verarbeiten.

Die Mutter Käthe ist Bildhauerin, die ihren Kindern gegenüber alles andere als Muttergefühle entgegenbringt. Emotional recht kalt und abweisend:
Ich mache doch Muttersein nicht zu meinem Beruf,
ist ihre Auffassung bisher gewesen. Ihre Kinder wurden unehelich geboren und sie bezeichnet diese als Rassenschande. Der leibliche Vater verstarb recht früh, so dass die Kinder ihren Vater nemals haben kennengelernt und ihn idealisierten. Sie entwarfen von ihm ein Bild, das besser ausfiel als das Bild ihrer realen Mutter.
Dann gibt es noch zwei jüngere Zwillingskinder, die im Heim und in Pflegefamilien untergebracht waren, später kehrten sie in das Mutterhaus zurück.

Ella wird von der Mutter  als Diebin beschimpft, da des öfteren Lebensmittel fehlten, ohne Ella dabei ertappt zu haben. Die Diebstähle hätten auch die Untermieter begangen haben können... . Ella bekam zu ihrem Geburtstag von der Mutter einen riesen Berg Zucker geschenkt, den sie aufessen sollte. Ella bekam tagelang keine andere Nahrung, bis der Zuckerberg verzehrt wurde.
Thomas wundert sich und stellte an die Mutter die ironische Frage, dass sie im Kommunismus leben würden, in dem alles miteinander geteilt werden würde. Wie kann Ella dann eine Diebin sein?  Thomas nimmt recht sensibel die Widersprüche seiner Mutter wahr, aber ändern / überzeugen kann er sie nicht.

Käthe befindet sich auf Reisen. Am letzten Tag gaben sich Ella und Thomas alle Mühe, das Haus zu putzen und Ordnung reinzubringen und wollten damit ihre Mutter überraschen.
Doch der Mutter fiel die Fleißarbeit ihrer Kinder nicht auf und schalt sie stattdessen oder erteilte Befehle. Die Kinder hauen ab; es ist Winter und sie scheuten erst mehr der Mutter als die Kälte draußen. Sie begeben sich auf das Boot und kehrten schließlich nach drei Tagen wieder nach Hause zurück. Die Mutter hatte sie nicht mal vermisst:
Du hast uns nicht einen Abend, nicht einen Tag, keinen Augenblick hast du uns vermisst! Erst als wir tropfnass nach Hause kamen, warst du außer dir. Wir mussten dir sagen, dass wir drei Tage da draußen waren, bei null Grad auf dem Müggelsee. Und du hast uns nicht glauben wollen. Für dich existieren Menschen nur, wenn sie da sind. Sorgen kennst du nur um die Armen…
Ihr habt euch selbst eine schöne Lektion erteilt. Eigenverantwortung beginnt…
Ja, sie kümmerte sich um die Armen. Sie hatte ein ausgesprochen politisches Verständnis benachteiligter Menschen gegenüber, da sie geprägt war vom Faschismus.  Merkwürdig ist, dass sie den Nationalsozialismus nicht erwähnte. Ihr Freund, der Vater ihrer Kinder war Italiener. 
Sie favorisierte die Entwicklung der DDR und hoffte auf ein besseres Deutschland. In der DDR sollte alles besser werden. Ein Kollektiv, jeder steht für jeden ein. Es gibt keine Hitlerjugend mehr. Stattdessen die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Die Jugend sollte frei aufwachsen. Doch jeder hatte ein anderes Verständnis von Freiheit.
Häuser, Wohnung und Innenausstattungen waren Staatseigentum. Käthe wohnte mit den Kindern in einem Haus. In dem Haus hatte sie auch ihr Atelier.
 Käthe war äußerst bestrebt, im neuen Deutschland eine Gesellschaft zu mitgründen, in der Faschismus nicht mehr möglich wird und versucht ihren Kindern beizubringen, keine egoistischen Ansprüche zu stellen:
Das Maß entscheidet. Niemand habe ein Recht auf Liebe und Schutz. Sie wird ihrem Sohn nicht helfen, einen Studienplatz zu erhalten. Sie verabscheute die Elite, deren höhere Tochter sie selbst einmal gewesen war. Was zählte, war allein das, was der Mensch aus eigener Kraft schuf, für seine Gesellschaft. Ihre Kinder sollten das Arbeiten lernen wie alle anderen, das forderte sie, das erwartete sie.
(…) Wer die Gesellschaft ändern will, der fange  bei seinen eigenen Kindern an, (…). Weg mit den Studenten! Im Sozialismus soll die Sprache nicht mehr verraten, welchen Wert eine Arbeit hat. Wenn der Sohn vom berlinernden Koch Chemie studiert und der Sohn mit seiner Hochsprache Koch lernt, dann mischt sich unsere Gesellschaft neu, dann haben wir es geschafft. Jeder bringt seinen Beitrag. Mein Vater war Professor und icke  kloppe Steine.
Eigentlich ist ja die Grundidee keine falsche gewesen. Weg vom Faschismus und ein gerechter Umgang mit den Menschen, vor allem mit benachteiligten Menschengruppen. Gerechte Verteilung der Güter und der ideellen  Werte.
Das folgende Zitat hat es mir richtig angetan:
Es muss Mensch heißen. Es geht um das Verständnis dahinter. Den Faschismus aus dem Denken verbannen. Alles mit Augen, Fleisch und Beinen ist Mensch, egal, wie er spricht.
Doch leider entpuppte sich die DDR ganz anders, den Menschen hatte man ein ideales Bild von Deutschland versprochen, in dem alles anders und alles besser werden sollte als im Westen Deutschlands.Für Käthe war Gerechtigkeit das oberste Ziel.

Käthe hatte genaue Vorstellungen, wie sich eine Gesellschaft zu entwickeln habe, damit sie auch funktioniere. Diese hohen Erwartungen übertrug sie auf ihre Kinder:
Die jungen Leute, schimpfte Käthe dann in Hörweite von Ella und Thomas, die müssen Verantwortung für sich übernehmen und lernen, den Mund für andere aufzumachen, sonst wird das nix mit dieser Gesellschaft. Gar nix. Duckmäuser und Mitläufer haben die hier genug, und noch ein paar trübe Tassen.
So anspruchsvoll hoch war ihr Bild von Mensch und Gesellschaft, so sehr übersah sie die Nöte in ihren eigenen vier Wänden.
Käthe hielt Untermieter, wovon sich zwei sexuell an die kleine Ella hermachten. Schutz von ihrer Mutter konnte Ella nicht erwarten und so musste sie den körperlichen und den seelischen Schmerz erleiden und für sich behalten. Thomas war ihr Bruder, mit dem sie eng verbunden stand und sie alles miteinander teilten. Rücken an Rücken wie der Titel schon sagt, gingen sie durch dick und dünn, stärkten sich gegenseitig, hielten fest zusammen. Trotzdem blieben in Ellas Innenleben Spuren haften, Verletzungen, die die psychosexuelle Entwicklung des Mädchens stark beeinträchtigte. Sie bittet ihren Bruder die Natur aufzuhalten, wobei der Bruder nicht verstand, was sie damit meinte:
Ja, halt sie auf. Halt alle Natur auf. Kommt, wir schwören, wir werden nie erwachsen, Ella hielt ihre Finger in die Luft, ihre Augen glänzten. Ich bleibe klein und werde niemandes Frau sein.
Das soll ich schwören? Dass ich niemandes Frau sein werde?
Du natürlich Mann, dass du niemandes Mann sein wirst…
Thomas ist von der Idee alles andere als begeistert und erwiderte seiner Schwester, dass er das nicht könne, ewig Kind bleiben. 

Ella stellte Thomas eine interessante Frage, die mich auch sehr nachdenklich gestimmt hat:
Was glaubst du, was ist schlimmer; nicht lieben zu können oder nicht geliebt zu werden?
Sicher beantwortet jeder diese Frage recht unterschiedlich. Ich habe für mich auch eine Antwort gefunden, die ich aber auch für mich behalten möchte.

Thomas ist ein Musterschüler und hat das Zeug für ein Studium. Doch dadurch, dass seine Mutter nicht zu den Arbeitern zählte, sonder zur Elite, ist ihm ein Studium nicht gewiss. Kthes Vater war Professor. Die Gesellschaft sollte sich neu mischen und Anspruch auf einen Studienplatz hatten vor allem Begabte aus den Arbeiterfamilien.
Thomas möchte Journalismus studieren, doch hierbei mischte sich Käthe ein und verbat ihm das Studium.
Pah, von wegen du könntest! Du willst, du willst, du bist ganz blind in deiner Schwärmerei. Keiner kann das. Und ich sag dir mal was: Es ist obszön, den Menschen von den Riesenschildkröten auf den Galapagosinseln zu erzählen, während sie hier in der Fabrik stehen und für dich die Schnürsenkel drehen.
Warum? Thomas sah sie an. Käthe runzelte die Augenbrauen. Ihr Michelangelo glaubte sie aus Florenz nach Ostberlin transportieren zu können, glaubte an das Bild vom Menschen, den Menschen selbst - nicht aber an ihren Sohn. Ihr Sohn sollte nichts wollen, nicht an ihr vorbei und bestimmt niemals etwas außerhalb ihres Koordinatensystems. Ihre Liebe war unbarmherzig, aber es war Liebe, daran mochte er nicht zweifeln. Grimmig verzog sie ihr schönes Gesicht: was weißt du schon von der Welt?
 Sie warf ihrem Sohn vor, dass er nichts von Journalismus wissen würde. (Nun, wenn das der Fall sein sollte, dann ist ja dafür ein Studium da, um diese Kenntnisse sich anzueignen.)
Hier gibt es eine Chance. Wenigstens das. Darauf kommt es an. Käthe atmete durch, sie schloss die Augen. Ungern ließ sie einem anderen das letzte Wort. Thomas soll ihr nur nicht die Welt erklären. Besessen wirkte sie von der Neugeburt einer Gesellschaft. Thomas glaubte nichts von dem, und er schämte sich, als er ihrer Hand auf seiner Schulter spürt.
Thomas entwickelte in der DDR ein anderes politisches Verständnis und denkt oft daran, auszureißen, dem neuen Deutschland mit den vielen Versprechen den Rücken zu kehren. Käthe kündigte Thomas  die Familienmitgliedschaft, sollte er seine Absichten wahr machen:
Dann trennen sich unsere Wege hier, klipp und klar. Und bilde dir nicht ein, dass du so ohne weiteres zurück kannst. Wer geht, ist feige, ist ein Verräter. Jedem steht es frei abzuhauen, drüben kann er bequem leben.
Auch Ella leidet unter dem System, allerdings auf ihre Art, anders als Thomas das tut. Sie litt unter unter dem mütterlichen System...und nennt dies Gefängnis im Mund, das Brennen.  Gefängnis im Mund bedeutet ja nichts anderes als eine Andeutung auf das Verbot von Meinungsfreiheit, auch im Mutterhaus. Doch Ella fühlt sich schon frei, wenn sie das Mutterhaus verlassen hat, ohne die Mauern um sich herum permanent ins Gedächtnis holen, während Thomas stark unter den Mauern leidet:

Die mittlerweile neunzehnjährige Ella hat eine Wohnung für sich bezogen und drückt somit ihre Freiheit aus, sie könne nun machen was sie wolle, während Thomas verständnislos erwidert:
Das nennst du frei sein? Ella interessierte sich nicht für die Mauer, sie war ein paar hundert Meter entfernt, nicht einmal in Sichtweite - was sie interessierte, war die Nähe, das Nächste.
Immer wieder überlegte Thomas sich einen Ausweg daraus:
Vielleicht gab es eine Lösung, die ein Onkel aus Amerika sehen konnte, während man hier, aus dem Inneren der Mauer, so, wie sie war, kaum noch die Sterne erkannte. Thomas` Entwürfe begann stets mit Fragesätzen. Nicht etwa nach seinem Befinden. Sondern solchen, die zu Klagen gerieten: Warum sieht die Welt uns zu? So lautete einer dieser Seite. Wie können ihr da draußen vorbeigehen und uns dabei zuschauen, wie wir auf-und abgehen am Gitter unseres sozialistischen Traumes?
Berechtigte Fragen, so finde ich. Wie konnte die Welt bei dem Judenverbrechen zuschauen?

Fragen, auf die es keine Antwort gibt, so finde ich. Zumindest keine befriedigende.

Ich mache nun hier Schluss, ohne das Ende zu verraten. Vor allem was Thomas und seine erste große Liebe mit Marie betrifft. Das Ende stimmt recht betroffen. Marie, auch eine schwierige Figur, die von ihrem Mann als sexuelles Schauobjekt für seine Kollegen benutzt wird und er sich dies bezahlen lässt. Marie hat eine kleine Tochter von zwei Jahren, die sich wegen ihrer Tochter nicht scheiden lassen möchte, da sonst das Sorgerecht auf den Vater fallen würde. Demgegenüber verstehe ich am Schluss ihr freiwilliges Ausscheiden aus dem Leben nicht, da das Kind nun erstrecht ohne Mutter aufwachsen wird.

Manche Szenen in dem Buch waren mir nicht wirklich authentisch dargestellt aber ich respektiere sie trotzdem, da die Kernbotschaft gut getroffen ist. 

Fettdruck: Durch mich hervorgehoben!


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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 70
Gelesene Bücher 2011: 86

Donnerstag, 27. September 2012

Julia Franck / Rücken an Rücken

Fischer Verlag Hardcover
Preis €  19,95
382 Seiten 
ISBN: 978-3-10-022605-1
Klappentext
Nach dem internationalen Erfolg von ›Die Mittagsfrau‹ erzählt Julia Franck in ihrem großen neuen Roman eine ergreifende Familiengeschichte im Deutschland der 50er und 60er Jahre.

Ostberlin, Ende der 50er Jahre. Die Geschwister Ella und Thomas wachsen auf sich allein gestellt im Haus der Bildhauerin Käthe auf. Sie sind einander Liebe und Gedächtnis, Rücken an Rücken loten sie ihr Erwachsenwerden aus. Ihre Unschuld und das Leben selbst stehen dabei auf dem Spiel.

Käthe, eine kraftvolle und schroffe Frau, hat sich für das kommunistische Deutschland entschieden. Leidenschaftlich vertritt sie die Erfindung einer neuen Gesellschaft, doch ihr Einsatz fordert Tribut. Im Schatten scheinbarer Liberalität setzen Kälte und Gewalt Ella zu. Während sie mal in Krankheit flieht und mal trotzig aufbegehrt, versucht Thomas sich zu fügen, doch nur schwer erträgt er die Erniedrigungen und flüchtet in die unglückliche Liebe zu Marie.

Autorenportrait im Klappentext

Julia Franck wurde 1970 in Berlin geboren. Sie studierte Altamerikanistik, Philosophie und Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin. 1997 erschien ihr Debüt ›Der neue Koch‹, danach ›Liebediener‹ (1999), ›Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen‹ (2000) und ›Lagerfeuer‹ (2003). Sie verbrachte das Jahr 2005 in der Villa Massimo in Rom. Für ihren Roman ›Die Mittagsfrau‹ erhielt Julia Franck den Deutschen Buchpreis 2007. Der Roman wurde in 34 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien der Roman ›Rücken an Rücken‹ (2011).
Im Oktober 2012 starten die Dreharbeiten für ›Lagerfeuer‹ unter der Regie von Christian Schwochow.

Von Julia Franck habe ich noch nichts gelesen. Der vorliegende Band wurde mir wärmstens empfohlen von einer Literaturfreundin aus dem Forum.
Insgesamt befinden sich von der Autorin noch zwei Bände in meiner Sammlung, die sich auf  dem großen SuB stapeln.
Die ersten fünfzehn Seiten habe ich schon probegelesen und die ersten Eindrücke fand ich vielversprechend.


Montag, 24. September 2012

Gaston Leroux / Das Phantom der Oper (1)


Eine kurze Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Das Buch, das ich soeben mit ein wenig Verzögerung durchbekommen habe, hat mir recht gut gefallen. Ich wollte es gestern Abend abschließen.

Mich hat der Inhalt ein wenig an den Glöckner erinnert, nur ist dieser viel schauriger. Ich weiß nicht, was ich zu dem Buch sagen kann. Es hat mir gefallen, aber die tiefere Bedeutung ist mir noch verschleiert  geblieben. Das Buch liest sich wie ein Märchen.

Was mir zu der tieferen Bedeutung einfalle könnte, wäre, dass ein menschliches Wesen, das nicht über viel körperliche Schönheit verfügt, trotzdem ein Herz und Gefühle hat. Auch das Phantom war in seinem Inneren ein fühlendes Wesen und hatte ein gutes Herz. Die Gesellschaft, zuallererst die Eltern, machten schließlich erst richtig das, was er geworden ist. Ein Wesen, das man der Gesellschaft nicht zumuten kann... .

Ähnlich wie beim Glöckner so hat auch diese schaurige Person, das Phantom namens Eric, sich in ein hübsches junges Mädchen verliebt und sie in seinen Fängen gehalten. Er trägt eine Maske, um sein skeletthaftes Gesicht zu verdecken. Eric hält sich in den untereren Gängen auf, man bekommt den Eindruck, er stammt aus der Unterwelt, aus dem Reich der Toten.

Das Phantom wurde in Rouen geboren, seine Eltern erschraken bei seiner Geburt. Sein Vater war Bauunternehmer und schämte sich für den Anblick seines Sohnes. Als Eric alt genug war, verließ er sein Elternhaus, da seine schreckliche Visage die Eltern immer mehr erschreckte und ihn verabscheuten. Er zog durch die Gegenden, wurde von Zirkusleuten aufgenommen und in die Arena gesteckt, wo er als lebenden Leichnam" auftrat, bis er schließlich ganz von der weltlichen Bühne verschwand, und sich nur noch in den Nächten an die Oberfläche drängt..

Das Buch beginnt mir einem Vorwort, aus dem die Pariser Oper hervorgeht, im Jahre 1877  und das Phantom vorgestellt wurde. Der Erzähler berichtete von dem Phantom, das es wirklich gegeben haben soll, auch wenn manche es als Schalartarnerie abtaten.

Das Phantom hatte viel Macht. Es besetzte auch die fünfte Loge in der Oper und setzte sich für die Gerechtigkeit ein.... . z.B. die Logenschließerin, die durch die beiden Theaterdirektoren schlecht bezahlt wird, bekommt ein sattes Gehalt, das sie dem Phantom zu verdanken hat.

Verliebt hat sich das Phantom in die hübsche Christine Daaé, die Opernsängeririn ist und die Grechtenstimme erhalten hat aus dem Faust. Zwischen Christine und dem Gretschen weisen aus meiner Sicht Parallelen auf... .

Christines wahrer Gefährte ist allerdings ihr Jugendfreund Raoul, die sich von Kindesbeinen an kannten und sie sich die ewige Liebe versprochen hatten. Später, im erwachsenen Alter, machte das Phantom  die Liebe zwischen den beiden jungen Leuten erst unmöglich. Das Märchen wird immer schauriger.

Raoul tut alles, um seine Geliebte aus der Unterwelt zu befreien, wobei er erst Schwierigkeiten hatte, an Dämonen und Geister zu glauben und tat dies anfangs als Aberglaube ab. Christine musste das Geheimnis mit dem Phantom für sich behalten und zeigte sich Raoul gegenüber abweisend, um ihn nicht zu gefährden. Raoul lässt nicht locker... , bis er in dieses Geheimnis eingeweiht wird, und beschließt, das Phantom zu suchen, um es zu töten... .

Ich mache hier Schluss und bin neugierig auf das Musical und auf die Verfilmung. Beide Produktionen habe ich mir heute bestellt.

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 68
Gelesene Bücher 2011: 86



Samstag, 22. September 2012

Gaston Leroux / Das Phantom der Oper

Verlag Butlers
Gebunden, 5,00 €
ISBN: 978-3-89479.687-7
248 Seiten


Klappentext

 Der Originalroman, auf dem das erfolgreichste Musical der Welt basiert.
In den Gewölben der Pariser Oper hält sich ein unsagbar hässlicher Mensch verborgen. Er hat zwei Leidenschaften: die Musik und die junge Sängerin Christine Daaé. Um sie zum Star der Oper zu machen, ist ihm jedes Mittel recht, und bald hat er das ehrwürdige Gebäude in ein Tollhaus verwandelt und Sänger und Personal in Angst und Schrecken versetzt. Christine erliegt zunächst seinem Werben, bis sie sich in einen Spielgefährten ihrer Kindheit, den Vicomte de Chagny, verliebt, und das Phantom rasend wird vor Eifersucht...

Autorenportrait nach Wikipedia

Gaston Louis Alfred Leroux (* 6. Mai 1868 in Paris; † 15. April 1927 in Nizza) war ein französischer Journalist und Schriftsteller. Weltbekannt ist er vor allem durch seinen Roman „Das Phantom der Oper“ (Le fantôme de l'opéra, 1910).

Der Autor ist mir völlig unbekannt. Aufmerksam wurde ich vielmehr durch die Werbung, die die Oper an mich herangetragen hat und ich noch gar nicht wusste, dass Leroux einen Roman darüber geschrieben hat, den ich zufällig bei Butlers entdeckt hatte.Eine Oper verbinde ich in der Regel nicht mit einem Roman, sondern eher mit einem Libretto.

Freitag, 21. September 2012

Michael Cunningham / Die Stunden (1)

Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre 
Ich habe das Buch gestern Abend zielgerecht durch bekommen. Für mich hat es sich wie eine Biografie gelesen, war mir aber erst nicht wirklich sicher darüber. Aufgrund diverser Recherchen im Internet konnte ich auf einer anderen Literaturseite entnehmen, dass das Buch eine Hommage sein sollte.
Das ist es sicher auch, aber eine Antwort auf meine Frage war es noch nicht.

Aber darauf komme ich später nochmals zu sprechen und möchte eher auf diesen Leseprozess eingehen, weshalb mich dieser Gedanke einer möglichen Biografie bis zum Schluss nicht mehr loslassen konnte.


Virginia Woolf hatte Stimmen gehört und stark darunter gelitten. Damit beginnt das Buch schon mal. Ihr Mann heißt Leonard, im Buch ebenso.

Und auf dem Cover ist Virginia Woolf abgebildet, da muss sich der Autor etwas dabei gedacht haben... . Viele Indizien, die mich darauf haben schließen lassen...

Mir ist dabei wieder Hemingway eingefallen, der gesagt haben soll:
"Alle guten Bücher haben eines gemeinsam: Sie sind wahrheitsgetreuer, als wenn es wirklich passiert wäre, und nachdem man eines gelesen hat, hat man das Gefühl, dass das alles passiert ist, und dann besitzt man es für alle Zeit: das Glück und das Unglück, das Gute und das Böse, die Ekstase und den Kummer, das Essen, den Wein, die Betten, die Menschen und das Wetter.(...) Sein Ziel hat man erreicht, wenn das Verhältnis zehn zu eins ist - d.h., wenn das, was man geschrieben hat, zehn mal wahrer und möglicher ist als die ursprüngliche Wirklichkeit, aus der man geschöpft hat."
  • Typisch für V. W. behandelten Themen z.B. waren, wie die Frau sich von der Sklaverei lösen kann, gefangen in Ehe und Kinderkriegen und Erziehung.
  • Innere Widersprüche ertragen, einerseits gerne eine Ehe eingehen wollen, aber andererseits die Unabhängigkeit wahren wollen, was oft in der Rolle als Frau, Ehefrau und Mutter sich schlecht vereinbaren lässt. Deutlich wird das bei Laura Brown.
  • Wenn Frau sich mehr für die Unabhängigkeit innerhalb der Familie einsetzt, dann muss sie mit starken Schuldgefühlen und innerer Zerrissenheit kämpfen. In allen diesen drei Frauen spiegelt sich in Teilen Virginia Woolf wieder, denn in all diesen Themen war sie ein Leben lang beschäftigt, nicht zu vergessen der Umgang mit der psychischen Erkrankung. Und der Umgang mit Leonard, von dem sie sich in übertriebenem Maße behütet gefühlt hat.
Die Sperlinge vor dem Fenster Virginias haben griechisch gesungen. Aus den Wänden dringen Stimmen, die ihr ins Gewissen reden. Das sind typische Symptome einer akustischen Halluzination. Und nur Menschen, die das aus dem eigenen Erleben heraus kennen, können darüber schreiben. Aber in dem Roman ist es ja nicht nur Virginia, die über akustische Phänomene klagt, nein, auch Clarissas Mann Richard. Demnach sind diese Leiden, die Virginia kannte, im Buch auf mehrere Personen verteilt.

Was die drei Frauen gemeinsam haben, meine Hypothese, zählt man alle drei zusammen, so ergeben sie für mich eine Virginia. Sie alle streben nach Unabhängigkeit, möchten sich emanzipieren, vor allem Laura ist bemüht, ein Mutter-Ich zu entwickelt, und eine gute Hausfrau zu sein, und gleichzeitig sehnt sie sich nach mehr Souveränität, nach mehr Zeit für sich selbst. Sie gerät in Selbstzweifeln, als sie das Buch Mrs. Dalloway liest, und ihr die Augen über ihre Frauenrolle aufzugehen scheinen. Sie bewundert ihren Mann, der, wenn er von der Arbeit kommt, sich an den gedeckten Tisch setzen kann und eine wohlwollende Wohnstruktur auffindet, wofür er nicht einen Finger gerührt hat. Er wird für seine Arbeit bezahlt, und wird zusätzlich von seiner Frau belohnt, die den Haushalt u.a.m. führt, für den sie keine Anerkennung in materieller Form erhält.


Alle drei Frauen führen ein unterschiedliches Leben, und haben trotzdem einiges gemeinsam. Die immer währende Suche nach sich selbst, im Widerspruch zur Rolle, die die Gesellschaft von ihnen erwartet.

Wenn man bedenkt, dass es viele Frauen gibt, die einfach stolz sind, Mutter zu sein, kann man das von diesen drei Damen nicht wirklich behaupten. Ich identifiziere mich vom Denkinhalt her mit diesen drei Damen, vor allem mit Clarissa, zweiundfünfzig Jahre alt und Mutter einer erwachsenen Tochter namens Julia.

Laura, schwanger und Mutter eines dreijährigen  Sohnes, fand ich klasse, dass sie den Mut hatte, den Geburtstag ihres Mannes einfach sausen zu lassen, indem sie sich einfach für vierundzwanzig Stunden. in ein Hotel einquartiert, um ganz für sich zu sein. Einen Raum ganz für sich alleine, auch um weiter in ihrem Buch Mrs. Delloway zu lesen, ohne gestört oder an ihren Pflichten erinnert zu werden.
Ich muss sagen, dass der Autor in dem Buch viele Bücher von Virginia Woolf reingepackt hat. Laura passt zu dem Buch "Ein Zimmer für sich allein" oder so ähnlich lautend. Das Zimmer ist ein Symbol für Unabhängigkeit und eigene Freiräume  und steht für Autonomie.

Laura konnte leider nicht durchhalten und hat den Geburtstag ihres Mannen mit zusammengebissenen Zähnen gefeiert.. Ähnlich wie Virginia, so ist auch sie von Schuldgefühlen und von massiven Versagensängsten geplagt, ob sie eine gute Mutter, Ehe- und Hausfrau werden könne. Macht sich viele Gedanken über die Geburtstagsvorbereitung via geglückte Geburtstagstorte versus missglückte Geburtstagstorte ...

Versagensängste, wie ich eingangs schon geschrieben habe, hatte Virginia weiterhin, die ihre Schreibfähigkeit als zu unperfekt empfindet.Clarissa ist diejenige, die sich viel über das Alter einer Frau  Gedanken macht, ob sie noch wertvoll genug sei, wenn die Schönheit später verwelkt und stellt dabei viele Vergleiche an gegenüber jüngerer Frauen... . Und sie macht sich viele Gedanken über den Tod, impliziert damit auch die Suche nach dem Sinn im Leben:
Wir führen unser Leben, verrichten unsere Tätigkeiten, und dann schlafen wir - so einfach und so gewöhnlich ist das. Ein paar springen aus dem Fenster, ertränken sich oder nehmen Tabletten; ein paar mehr sterben bei Unfällen; und die meisten von uns, die breite Masse, werden langsam von irgendeiner Krankheit verzehrt, oder, wenn wir großes Glück haben, vom Zahn der Zeit. Und es gibt diesen einen Trost: Eine Stunde hie und da, in der es uns wider aller Wahrscheinlichkeit und Erwartung so vorkommt, als schäume unser Leben über und schenke uns alles, was wir uns vorgestellt haben, obgleich jeder,  (…) weiß, dass auf diese Stunden unausweichlich andere folgen werden, die weitaus dunkler sind und schwerer. Dennoch ergötzen wir uns an der Stadt, dem Morgen; wir erhoffen uns, vor allem anderen, mir davon.
Weiß der Himmel, wieso wir das Leben so lieben.
 Diese Textstelle hat mich besonders angesprochen, weil auch mir fast täglich solche Gedanken durch den Kopf gehen. Was ist es, was uns am Leben hält, trotz der vielen Widrigkeiten?

Und nun zum Schluss, den Faden wieder hervorgeholt, ob das Buch als Biografie durchgehen kann oder nicht, so bediene ich mich eines Zitates des Autors, der mir im Schlusswort auf der letzten Seite diese Frage beantwortet hat:

Zitat des Autors:

"Virginia Woolf, Leonhard Woolf, Vanessa Bell, Nelly Boxsaal und andere Menschen, die einst tatsächlich gelebt haben, treten in diesem Buch zwar als Romanfiguren auf, doch habe ich versucht, die Ereignisse, wie sie sich an einem von mir frei erfundenen Tag im Jahr 1923 zugetragen haben könnten, so wahrheitsgetreu wie möglich wiederzugeben. Ich war dabei auf zahlreiche Quellen angewiesen, allen voran zwei hervorragende, ausgewogene und aufschlussreiche Biografien (…)."

Nichts anderes hat auch Tolstoi, Fallada und Hemingway gemacht, aus dessen (Auto) Biografie ich viel gelernt habe. Sie packen in Erfundenes biografisches Material hinein, demnach war es gut, bei meiner Meinung geblieben zu sein, dass das Buch biografisch gelesen werden kann. 

 
Ich freue mich sehr über dieses Ergebnis und ich kann jedem empfehlen, den eigenen Gedanken  und den eigenen literarischen Beobachtungen zu vertrauen..., ganz gleich, was andere LeserInnen für eine Meinung haben!
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)


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Montag, 17. September 2012

Michael Cunningham / Die Stunden


Verlag: Btb 2012
Sonderausg.Seitenzahl: 313
Gebunden Kleinformat 9,99 €
ISBN-13: 9783442744398
Klappentext
Ein Tag im Leben dreier Frauen: Clarissa Vaughan im New York der neunziger Jahre bereitet eine Party für ihren Jugendfreund vor; von ihm hat sie den Spitznamen »Mrs. Dalloway«, weil sie ihn an die Heldin in Virginia Woolfs gleichnamigem Roman erinnert. Laura Brown, Hausfrau und Mutter in einem Vorort von Los Angeles im Jahr 1949, entflieht ihrem Alltag und liest »Mrs. Dalloway«. Und schließlich Virginia Woolf in Richmond im Jahr 1929; sie vermisst die Großstadt London, obwohl sie weiß, dass das Leben auf dem Land ihrer angeschlagenen Gesundheit guttut, und sie ringt um den ersten Satz ihres Romans »Mrs. Dalloway«. Ein überwältigend schöner und bewegender Roman über Freundschaft und Liebe, über die Suche nach Anerkennung und Lebensglück. Ausgezeichnet mit dem Pulitzerpreis.

Autorenportrait im Klappentext

 Michael Cunningham wurde 1952 in Chinchinnati, Ohio, geboren und lebt heute in New York City und Provincetown. Sein Roman Die Stunden wurde unter anderem mit dem Pulitzerpreis und dem PEN / Faulkner Award ausgezeichnet und in 22 Sprachen übersetzt.

Mir geht es hauptsächlich um Virginia Wollf, weshalb ich im Label, s. u. auch England  als Land angegeben habe, da der Autor Amerikaner ist und er über eine Engländerin schreibt.

Ich hatte gestern Abend ein Probelesen und freue mich sehr auf weitere Seiten.


A. E. Hotchner / Papa Hemingway (1)



Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Gestern Abend habe ich die Biografie zu Ende bekommen und der Schluss stimmte mich besonders traurig und nachdenklich.
Im hohen Alter von einundsechzig Jahren wird Hemingway von einer schweren psychischen Krise gepackt, aus der sich Hemingway nicht mehr erholte und diese ihn durch einen Suizid in den Tod trieb. Er litt unter einer depressiven-paranoiden Psychose. Hemingway befand sich wiederholt in den Händen von Experten plus Klinikeinweisungen, allerdings ohne sichtbaren therapeutischen und pharmakologischen Erfolg. Nun kann ich sein freiwilliges Ausscheiden aus dem Leben besser nachvollziehen als zu Beginn der Lektüre. Schon auf den ersten Seiten wird Hemingways Angriff gegen sich selbst beschrieben, ohne auf die Ursachen eingegangen zu sein. Wohl mit Absicht.

Seine größte Angst war damals, nie wieder schreiben zu können und ohne das Schreiben hat Hemingway sämtlichen Lebenssinn verloren, auch nachdem sein enger Freund Hotchner ihm alle Hobbys und Fähigkeiten aufzählte, die ihm das Schreiben ersetzen hätten können. Doch Hemingway blieb untröstlich:
"Was, glaubst du, passiert einem Menschen, der ins zweiundsechzigste geht, wenn er merkt, dass er nie wieder Bücher und Geschichten schreiben wird, die er sich selbst versprochen hat? Dass er auch alles andere, dass er sich in den guten Zeiten erhofft hat, nicht mehr durchführen kann? (…) Hotch, wenn ich nicht mehr unter meinen eigenen Bedingungen leben kann, dann ist für mich das Leben unmöglich. (…) So habe ich immer gelebt, so muss ich leben - oder nicht mehr leben."

Diese Textstelle, die am Schluss auftaucht und ich sie nun  an den Anfang setze, hat in mir eine echte Traurigkeit bewirkt, ich Hemingway aber durchaus auch zu verstehen in der Lage bin. Ich bewundere sogar seinen Entschluss und die Fähigkeit, über sein Leben selbstbestimmt zu entscheiden. Obwohl er noch so viele andere Fähigkeiten und Hobbys besaß, so konnte nichts sein Schreiben ersetzen, was ich wiederum auch äußerst schade fand.

Hemingway war viermal verheiratet, und selbst mit seiner vierten Frau, Mary, war er nicht wirklich glücklich, obwohl er sie sehr liebte. Eine vierte Scheidung habe Hemingway nicht vollzogen, fand sich zu alt, diese auch noch durchzustehen. Und er fürchtete die Konsequenzen, die Mary ihm zu spüren geben würde. Zum Schluss ist aber Mary diejenige gewesen, die ihm die Treue hielt und ihm während seiner schweren psychiatrischen Erkrankung an seiner Seite blieb. 

Hemingway war in meinen Augen in Multitalent. Ein  großer Kopf, nicht nur physisch gemeint.  Was er alles an einem einzigen Tag schaffte. Er stand morgens um sechs Uhr auf. Begann mit seiner Schreibarbeit, die er mittags um zwölf Uhr beendete. Er ging Abenteuer nach, las Bücher und jede Menge fremdsprachige Tageszeitungen. Er verfügte über zusätzliche Sprachen wie z.B. spanisch, italienisch, französisch... .

Was sein Schreiben anbelangt, so erinnerte mich Hemingway stark an Tolstoi. Ohne dass sie ihre Erfahrungen 1:1 wiedergeben, packen sie allerdings ihre Erlebnisse in ihre fiktiven Romane und Erzählungen, so dass die Wahrheit, was sie letztendlich sei, stückweit relativiert wird:

Alle guten Bücher haben eines gemeinsam: Sie sind wahrheitsgetreuer, als wenn es wirklich passiert wäre, und nachdem man eines gelesen hat, hat man das Gefühl, dass das alles passiert ist, und dann besitzt man es für alle Zeit: das Glück und das Unglück, das Gute und das Böse, die Ekstase und den Kummer, das Essen, den Wein, die Betten, die Menschen und das Wetter.(...) Sein Ziel hat man erreicht, wenn das Verhältnis zehn zu eins ist - d.h., wenn das, was man geschrieben hat, zehn mal wahrer und möglicher ist als die ursprüngliche Wirklichkeit, aus der man geschöpft hat.

Hemingway erhielt mehrere Nobelpreise, fühlte sich aber elend, dass er auf diese nicht verzichten konnte, ähnlich wie es der Existentialist Sartre getan hatte, der alle literarische Preise abgelehnt hatte. Hemingway befürchtete, durch die Preisverleihung den Verlust seiner Schreibqualität:

Keiner der Hurensöhne, die jeden Nobelpreis gewonnen haben, hat danach noch etwas lesenswertes geschrieben. (…) Wie oft sprach Ernest mit Neid von Jean-Paul Sartre, der in weiser Voraussicht den Nobelpreis abgelehnt hatte.

Hemingway verglich den Nobelpreis mit einer Hure, als er von Sartre mit Hotchner spricht:

"Ich glaube, Sartre hat gewusst, (…) dass dieser Preis eine Hure ist, die dich verführen und dir eine unheilbare Krankheit bringen kann. Früher wusste ich das auch, aber jetzt habe ich sie, und sie hat mich. Weißt du, wer sie ist, diese Hure namens >Ruhm<?  die kleine Schwester des Todes."

Ein interessanter Vergleich mit der Hure, was nichts anderes bedeutet, als sich selbst zu verkaufen, nur des Ruhmes wegen.

Doch Hemingway machte sich nicht allzu viel Druck, was das Versagen betrifft. Auch hier äußert er gegenüber seinem Freund Hotchner, der selbst schriftstellerisch tätig ist, einen interessanten Ratschlag, um mit Misserfolgen fertigzuwerden:

Hab keine Angst vor dem Versagen, und miss dem Erfolg nicht zu viel Bedeutung bei.
Das war ein Grundsatz, nach dem er gelebt hat, und ein Vermächtnis, das mir sehr wertvoll ist.

Hemingway ist am 21.07.1899 geboren, einen Tag vor meinem Geburtstag, vierundsechzig Jahre später. Auch Fallada wurde am 21.07.geboren, aber 1893, ein paar Jahre vor Hemingway.

Überaus sympathisch habe ich seine Maskottchen empfunden. Er konnte ohne Talismann nicht auskommen. Seine Glücksbringer waren keine Gegenstände von hohem Wert, nein, es waren Gegenstände aus der Natur, die er in seiner Tasche trug, wie z.B. eine Kastanie, die ihm auf dem Kopf gefallen ist. Seinen Freunden riet er, nie den Glauben zur Mystik zu verlieren. Obwohl  Heminggway kein Kirchgänger war, hatte er auch seinen ganz individuellen Glauben.

Hemingway ist bekannt für seine Liebe zu Katzen. Über zwanzig lebten bei ihm, so dass seine Frau Mary dies zu viel wurde, und sie extra für die Katzen einen Turm errichten ließ, und sie die Katzen dort untergebracht hatte. Der Turm wurde mit vielen schönen gemütlichen Ecken und Zimmern ausgeschmückt, so dass sie nicht vernachlässigt wirkten. Hemingway trieb auch Tierkommunikation,  was mir imponierte. Die Katzen wurden oft mit löblichen Worten angesprochen, andere Tiere, wie z.B. Bären, beleidigte er vielmehr:

Ernest fuhr fort, den Hals der braunen Katze zu kraulen, und erklärte ihr mit leiser, aufrichtiger Stimme, wie schön sie sei.

Das hatte mich so sehr berührt.

Hemingway war auch ein Abenteurer. Während er die Katzen so sehr liebte und seinen Hund Black Dog ebenso, gab es andere, in der Wildins lebende Tiere, die er jagte und tötete. Seine Tierliebe war demnach begrenzt, sie dehnte sich nicht aus auf alle Tiere. Auch Bären erlegte er, was zu seiner Zeit auch normal war. Und dass er Profi im Angeln war, das muss ich nicht extra erwähnen. Das liest sich ja schon aus seinem Roman Der alte Mann und das Meer heraus.


Ich beende nun hier meine Aufzeichnung mit einem kurzen Zitat von Hemingway, das sich auch auf sein Lebensende widerspiegelt und seine Sicht zu seinem Kräfteabbau:

Der Mensch ist nicht für die Niederlage geschaffen. Der Mensch kann vernichtet, aber nicht besiegt werden.

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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