Sonntag, 10. November 2019

Wo bleibt Prousts Erbe?

Quelle Geralt / Pixaby
Weiter geht es mit den Seiten von 349 – 359  

Auf den folgenden Seiten bekommt man es mit einem frustrierten Marcel Proust zu tun, dem es stinkt, dass sein Erbanteil seines Vaters an die Mutter angefallen ist. Proust bekommt aus bestimmten Gründen lediglich einen Monatsbetrag ausgezahlt.

Er spricht sich bei einem Freund aus, sagt ihm gleich zu Beginn des Briefes, dass er von traurigen Gedanken geplagt sei. Anne und mir waren die vielen Gedanken um das Geld definitiv zu langweilig. Wir beide mögen eigentlich keine Geldgespräche. Mal schauen, was ich hierbei zusammentragen kann.

Auf jeden Fall ist der Vater vermögend gestorben. Aber den Reichtum hat er aus eigener Kraft erworben.

An Louis d´Albufera
Anfang Dezember 1903, Marcel Proust ist hier 32 Jahre alt

Schon den ersten Satz finde ich ein wenig befremdlich.
Mon petit Albu, während Sie mit mir redeten, nagte an mir der fürchterlich traurige Gedanke, dass ich keinerlei Geld habe, das Ihren teuren Geist von allen Sorgen befreien könnte. (349)

Meine Frage: Hat der Freund ihn um Geld gebeten? Nun, jedenfalls nutzt Proust die Gelegenheit, seinem Freund vorzuheulen, wie wenig Geld er selber zur Verfügung hat, da der Vater ihn von dem Erbe wenig begünstigt hat.

Zu Lebzeiten erhielt Proust schon Geld vom Vater. Also ganz so mittellos war er nicht:
Papa zahlte mir jeden Monat 500 Francs aus, dazu vierteljährig 125 Francs. (350)

Anne und ich hatten uns immer schon gefragt, wie viel Geld Proust eigentlich zum Leben zur Verfügung hat. Ich denke, dass wir hier ein wenig schlauer werden, dass er mit seinen 32 Jahren neben seinen literarischen Einnahmen noch Unterstützung von den Eltern benötigt hat.
Papa und Mama hatten sich gegenseitig als Alleinerben ihres ganzen Vermögens eingesetzt, der Überlebende sollte der Erbe des anderen sein. (Ebd.)

Dies hat Proust nicht wirklich gepasst, grübelt, was die Eltern zu solch einem Verhalten bewogen hatte. Proust findet eine Antwort, die auch für mich und Anne plausibel zu sein scheint:
Ich glaube, dass dies nicht auf wechselseitiger Zuneigung gründete, sondern auch auf der absurden Vorstellung, die sie seit jeher hatten, ich sei ein Verschwender und würde, sobald ich nur zwei Sous in der Tasche hätte, diese sogleich zum Fenster hinauswerfen. (Ebd.)

Auch fühlt er sich seinem Bruder gegenüber benachteiligt. Zu Unrecht, wie ich finde.
Und da sie wussten, dass mein Bruder eine Frau geheiratet hatte, die auf ein immenses Vermögen wartet, und dass er im Übrigen selbst, wenn er nur will, ein irrsinniges Geld mit der Chirurgie verdienen kann, (…)., hatten sie in dieser Hinsicht keinerlei Bedenken und sagten sich, dass, solange einer von beiden, Papa oder Mama, das Vermögen zusammenhielte, es am besten für mich aufbewahrt und vor meiner Verschwendungssucht gesichert wäre! (Ebd.)

Ist etwas Neid auf den Bruder herauszuhören? Man mag als Chirurg viel Geld verdienen, aber geschenkt ist das Geld nicht, sondern hart verdiente Arbeit gepaart mit einer Masse an Verantwortung.

Achtung, nun schießt er gegen seine Mutter.

Allerdings erlaubt das Gesetz nicht, dass ein Ehemann alles seiner Frau vermacht. Und ich glaube, dass mein Bruder und ich jeweils Anspruch auf ein Viertel haben. (Ebd.)

Interessant wäre für uns hier zu wissen, ob im es im umgekehrten Fall zulässig wäre, dass eine Ehefrau alles seinem Ehemann vermacht, oder ob es dem Stammhalter, das wäre hier Marcel, zugeschrieben worden wäre.

Ein Onkel der Familie, Vaters Bruder, gibt Proust folgende Ratschläge:
Deine Mutter lebt von einem Einkommen, das sich auf 80.000 Francs belief, sie hat jetzt nur noch 40.000 zur Verfügung. Dein Bruder und Du, Ihr müsst versuchen, ihr die Änderung ihrer Lage so wenig wie möglich spürbar zu machen, und auf Euer Pflichtteil verzichten, Robert, indem er sich mit dem zufriedengibt, was er schon hat, und Du, indem Du bei Deiner Mutter wohnen bleibst. (351)

Proust wartet nun ab, wie sich sein Bruder Robert verhalten wird. Dies teilt Proust alles seinem Freund mit. Weiter schreibt er:
Wenn sich diese Lösung durchsetzt, dann werde ich weiterhin kein Kapital besitzen, und auch wenn mir meine monatlichen 500 Francs erhalten bleiben, so werde ich davon womöglich eine kleine Unterhaltszahlung für verschiedene Ausgaben an meine Mutter zu leisten haben. (Ebd.)
Es stehen einige Ausgaben an, hinzu kommt noch der Umzug in eine kleinere Wohnung, sobald der Mietvertrag ablaufen werde. Wie man oben entnehmen kann, rechnet Proust damit, sich an den Kosten beteiligen zu müssen. In den späteren Zeilen ist zu entnehmen, dass Prousts Erbanteil in Aktien umgelegt wurde.
Dies alles, wenn ich es richtig ahne, immer in der Absicht, mich vor mir selbst zu schützen, wie auch der Vorschlag meines Onkels keinen anderen Zweck verfolgen dürfte.
Damit sich hier nicht alles nur ums Geld dreht, eine kurze Zusammenfassung aus dem Brief an Marie Nordlinger. Zur Erinnerung: Marie Nordlinger ist die Schwester von Robert de Montesquieou und ist Expertin in der englischen Sprache und greift Proust häufig unter die Arme, wenn er Probleme mit der Ruskin-Übersetzungsarbeit hat. Proust hat vor nichts eine Scheu, stellt der Briefpartnerin jede Menge Sinnfragen zu seiner Übersetzung.

Unsere Gedanken dazu
Ich hätte Proust nicht zugemutet, dass er sich so stark finanziell von den Eltern abhängig macht. Dass er keinen Stolz besitzt, sich auf eigene Füße zu begeben, entnehme ich aus diesen Zeilen. Ich erinnere mich noch an den kleinen Marcel, dass er schon in der Kindheit sich häufig Geld vom Großvater hat ausleihen müssen, weil er mit seinem Taschengeld nicht klar kam.

Wer bekommt schon in dem Alter jeden Monat von den Eltern 500 Frans ausgezahlt, was damals sehr viel Geld gewesen ist.

Wie viel der Vater an Vermögen hinterlassen hat, wird minutiös in der Fußnote gelistet. Wer genaue Angaben haben möchte, so verweisen wir auf das Buch. 

Dies war es für heute. Anne und ich hatten heute Morgen schon über diese Briefe gesprochen, sodass ein weiterer Austausch sich erübrigt hat, vor allem, weil wir uns bei den Zitaten einig waren, wobei Anne sehr pragmatische Fragen noch im Nachhinein gestellt hat, als wir nun soeben in einer anderen Proust- Sache doch noch telefoniert haben.

Anne hat sich im Nachhinein nicht zufriedengegeben, was Prousts Auslagen betreffen. Wie viel muss er von seinem Eltern-Gehalt für Arztkosten aufkommen? Wer bezahlt die Medikamente? Wie viel verdient Proust als Literat? Er hat jede Menge kürzere Geschichten verfasst und ein ganzes Buch mit dem Titel Santeuil schon geschrieben. Er hat dafür jeweils eine Gage bekommen, aber wie hoch sie war, darüber hat sich Proust in den Briefen noch nicht ausgelassen. Für seine Ruskin-Übersetzungsarbeit ist er auch ausbezahlt worden. Wahrscheinlich konnte er mit diesen scheinbar kleinen Honoraren nicht wirklich auskommen. Aber wie man oben aus den Briefen entnehmen kann, konnte Proust scheinbar nicht wirklich gut mit Geld umgehen. 

Anne ist erbost, denn mit welcher Selbstverständlichkeit Proust ohne eine Gegenleistung seine Hand aufhält. 

Je älter er wird, desto mehr verliert er bei mir an Sympathiepunkte.

Unser Fazit
Auch wenn Proust auf hohem Niveau klagt und weint, nicht genug zu bekommen, wissen Anne und ich nun, dass er nie Geldnot erleiden wird. Aus der Fußnote konnte entnommen werden, dass der Tod der Mutter auch nicht mehr lange auf sich warten lässt, sodass wir davon ausgehen, dass er und sein jüngerer Bruder Robert das gesamte Vermögen erben werden, da auch die Mutter viel Geld mit in die Ehe gebracht hat, und sie selbst durch ihre eigenen verstorbenen Eltern Geld geerbt hatte. Proust kann sich somit zurücklehnen. Für ihn ist gesorgt, sowohl zu Lebzeiten seiner Mutter, die ihm weiterhin jeden Monat Geld zusteckt als wäre es sein Gehalt, als auch nach ihrem Ableben.

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Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen, 
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
(Marcel Proust)

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