Sonntag, 3. Februar 2019

Kent Haruf / Abendrot (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  
  
Seit dem letzten Sonntag bin ich mit dem Buch durch. Aus Zeitmangel habe ich meine Rezension noch nicht schreiben können. Ich musste mir durch den Stress eine kleine Auszeit nehmen. Aber ich hatte den ganzen letzten Sonntag gelesen, sodass ich es zeitig ausgelesen hatte ...

… denn es hat mich dermaßen fasziniert, hat mich gefangen genommen,  sodass ich unbedingt wissen wollte, welche Entwicklung diese Geschichte samt ihren Figuren bis zum Schluss eingeschlagen hat. Einige Persönlichkeiten sind mir durch die ersten beiden Bände vertraut gewesen, andere wiederum sind neu hinzugekommen.

In diesem Buchband werden mehrere Familien behandelt, die in ihrer Lebenswelt problematisch und konfliktbehaftet aufgefallen sind. Auch die innere und äußere Einsamkeit spielt hier bei vielen, bei Jung und Alt, eine große Rolle. Oftmals hat man hier den Eindruck, dass die Kinder seelisch stärker sind als die Erwachsenen, obwohl man ihnen die unbeschwerte Kindheit genommen hat. Die Auswirkung der verlorenen Kindheit bekommen sie aus meiner Sicht häufig erst später, wenn sie erwachsen sind, zu spüren.

Da wir dieses wunderbare Buch in der Leserunde auf Whatchareadin gelesen haben, werde ich mich hier kurzhalten.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Ich beginne mal mit der mir bekannten Personengruppe, mit der Wahlfamilie:

Victoria Roubideaux und die McPheron-Brüder
Das sind die auf der Farm lebenden McPheron-Brüder, Harold und Raymond. Victoria Roubideaux und ihr Kleinkind Katie lebten noch bei ihnen. Die beiden Brüder haben sich sehr liebevoll um Victoria und Katie gekümmert. Victoria musste allerdings mit ihrer Tochter die Zelte abbrechen, um in Fort Collins ihr Studium anzutreten. Durch ein schweres Unglück eines der Brüder kommt Victoria mit ihrer Tochter wieder zurück auf die Farm, um für den zurückgebliebenen Bruder zu sorgen. Dieser tragische Unfall hat auch uns Leser*innen schwer getroffen. (Um die Spannung nicht zu nehmen, halte ich mich bedeckt, welcher McPheron verunglückt ist). Die beiden Brüder lebten von der Gesellschaft zurückgezogen und hatten nur einander. Seit dem 14. Lebensjahr lebten sie elternlos auf dieser Farm. Die Mutter verstarb recht früh, der Vater ist unbekannt. Eine eigene Familie haben beide Brüder nie gegründet ... 

Zur Erinnerung
... Bis ein junges Mädchen namens Victoria, vermittelt durch eine Bezugsperson, bei ihnen auftaucht. Die Brüder nahmen das Mädchen bei sich auf und gaben ihr bei ihnen ein neues Zuhause. Da die junge Victoria, damals noch schulpflichtig, schwanger war, wurde sie von der eigenen Mutter verstoßen und von den fremden alten Männern aber aufgenommen … 

Die sozialschwache Familie Wallace
Betty und Luther Wallace leben mit ihren beiden Kindern Richie und Joy Rae in einem Wohnwagen und werden regelmäßig von der Sozialarbeiterin Rose Tyler betreut. Beide Eltern sind kognitiv eingeschränkt und besonders Luther wirkt sehr naiv. Da die Familie nicht selbst für ihren Unterhalt aufkommen kann, bekommt sie vom Sozialamt Essensmarken ausgestellt. Die Eltern haben schon ein Kind an eine Pflegefamilie verloren. Das älteste Mädchen namens Donna wurde den Eltern aus der Familie genommen, da hier eine Kindeswohlgefährdung vorgelegen hat. Besonders die Mutter, die unter massiven psychosomatischen Beschwerden leidet, vermisst ihre Tochter schmerzlichst und sie versucht immer wieder, Kontakt zu ihr aufzunehmen, obwohl sie die Erlaubnis dazu nicht hat ...

Eines Tages taucht Bettys Onkel auf, ein Versager auf allen Ebenen, verliert einen Job nach dem anderen, hat keinen festen Wohnsitz und säuft Alkohol was das Zeug hält und nistet sich in dem schon beengten Wohnwagen ein, und lebt auf den Kosten dieser armen Familie. Der Onkel ist zudem gewalttätig und gefährdet die Existenz von Richie und Joy Rae …

Familie Kephart
Der elfjährige Dj lebt bei seinem Großvater Walter Kephart. Auch Dj verlor seine Mutter recht früh, sodass er seitdem bei dem Großvater lebt, was Dj zu schätzen weiß. Er übernimmt sämtliche Verantwortung für den kränklichen Großvater, der rau wirkt und niemals ein liebes Wort für den Jungen übrighat. Neben der Schule schmeißt Dj den Haushalt, kocht, putzt und geht anderen Nebenjobs nach. Auch hier erlebt das Kind keine unbeschwerte Kindheit.

Familie Wells
Die mittlerweile alleinerziehende Mary Wells wurde von ihrem Mann verlassen, der in den hohen Norden gezogen ist. Mary hofft, dass ihr Mann wieder zurückkommt. Sie leidet psychisch massiv unter dem Verlust ihres Mannes. Eine neue Beziehung mit einem anderen Mann zog sie noch weiter in die Tiefe, da auch diese zum Scheitern verurteilt war …  Die beiden Mädchen Dena und Emma sind dadurch häufig auf sich allein gestellt …

Dies sind für mich die wichtigsten Figuren, wobei andere, die ich nun nicht erwähnt habe, auch bedeutend sind, siehe Diskussion aus der Leserunde.
 
Cover und Buchtitel
Gefällt mir gut, das Cover sieht wie ein Gemälde aus. Auf dem Bild könnte die Ranch von den McPheron-Brüdern abgebildet sein. Über den Buchtitel muss ich noch ein wenig nachdenken.

Zum Schreibkonzept
Eine Widmung auf der ersten Seite und ein religiöser Dichtvers auf der folgenden, geschrieben von Henry F. Lyte, der mir sehr gut gefallen hat. Hier bittet jemand um den Beistand Gottes für die Hilflosen. Passt wunderbar zu dem Buch.
Das Buch ist auf den 416 Seiten in vier Teilen gegliedert. Die Anzahl der Kapitel sind fortlaufend, insgesamt 46. Auf der letzten Seite befindet sich eine Danksagung.

Meine Meinung
Wie die beiden anderen Bände fand ich auch den vorliegenden sehr authentisch und sehr empathisch geschrieben. Kent Haruf schafft es immer wieder, sich seelisch und mental in seine Figuren hineinzufühlen und für sie zu sprechen. Er verurteilt niemand, er beschreibt die Dinge und die Menschen so wie sie sind. Das hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn man hier den Eindruck gewinnen kann, dass es zu viele Verlierer*innen gibt, so muss ich sagen, Nein, das tut es nicht, es gibt bei vielen der Figuren positive Wandlungen, die so wohltuend sind, weil der Autor auch an das Gute im Menschen glauben lässt. Demnach ist es auch ein Buch über Freundschaft.

Mein Fazit
Ein Autor, den ich gerne bei mir auf meinem Blog stehen habe. Leider ist Kent Haruf nicht mehr am Leben. Neue Bücher kann er daher keine mehr schreiben. Insgesamt aber hat er sechs Bücher geschrieben, drei davon sind im Diogenes Verlag erschienen, und ich hoffe, dass der Verlag die anderen drei Bände auch noch vom Amerikanischen ins Deutsche übersetzen wird. Dadurch, dass man schlecht aufhören kann zu lesen, hat dieses und die beiden anderen Bücher Lied der Weite und Unsere Seelen bei Nacht, absolutes Suchtpotenzial. 

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Sehr gute Übersetzung
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten

Hier geht es zur Leserunde von Whatchareadin.

Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars und auch an Whatchareadin ein großes Dankeschön für das Auswählen dieses wunderbaren Buches.
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

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