Eine Buchbesprechung
zur o. g. Lektüre
Meine Meinung
Leider kommt dieses
Buch von Paolo Cognetti nicht an seinen Vorgänger Acht Berge ran. Dieser Band hat mich etwas gelangweilt und auch der
Stoff war sehr klischeehaft bearbeitet worden.
Aber es war nicht
alles schlecht. Meine Anfangsvermutung, dass es sich hier wieder um Armut und
um den katholischen Glauben dreht, hat sich nicht ganz bestätigen können.
Die Familie, um die es
hier geht, ist eine gutbürgerliche, italienische Durchschnittsfamilie aus
Mailand mit ihren eigenen Problemen.
Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten
Leseeindrücken und zu den Buchdaten.
Die Handlung
Man lernt hier eine mailändische Kleinfamilie kennen, die aus drei
Personen besteht. Als klassisches Modell von Vater, Mutter und Kind. Die Hauptperson
ist Sofia Muratore, 1978 geboren, die schon als kleines Mädchen gegen ihre
Eltern rebelliert, da sie sich unentwegt streiten, sie es aber nicht schaffen,
sich im schlimmsten Fall scheiden zu lassen, weil ihr Glaube es nicht zulässt. Die Mutter, Rosanna, ist Malerin ohne Universitätsabschluss,
der Vater, Roberto, ist Maschinenbauingenieur bei Alfa Romeo, und schafft es
nicht, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Rossanna leidet unter
schweren Depressionen, sehnt sich als Frau nach einem autonomen Leben, ist aber
wirtschaftlich völlig von ihrem Mann abhängig. Die Handlung spielt im
Lagobello, ein Vorort von Mailand, in den 1980er und 1990er Jahren. Sofia hat Angst, zu werden wie ihre Mutter und durchläuft im Laufe ihrer Jugend mehrere Identitätskrisen. Robertos
Schwester Marta hat sich gegen eine Ehegemeinschaft entschieden und lebt ein
Leben, von dem Rossanna nur träumen kann. Marta lehnt die Ehe als Institution
ab. Rossanna hatte ihr Studium an der Kunstakademie nicht abgeschlossen, da sie
schwanger wurde. Sie versuchte aber auch später nicht, ihr Studium nachträglich zu beenden,
und flüchtet stattdessen immer wieder in eine schwere Depression. Schon Virginia Woolf, die vom Autor zitiert wird, träumt als Frau von einem Zimmer für sich allein. Nur hat Viginia Woolf in einer anderen Zeit gelebt ... Roberto dagegen, der auch
unglücklich mit Rossanna ist, verliebt sich in seine Kollegin Emma und geht mit
ihr heimlich eine zweite Bindung ein. Auch Emma möchte gerne emanzipiert sein, und lehnt den Ehebund ab … Mehr möchte ich nun nicht verraten, vor allem auch
nicht, wie sich Sofia weiter entwickeln wird, und wie sie es schafft, aus ihrem
verhassten Elternhaus zu entrinnen ...
Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Dass Emma sich auf die Beziehung mit Roberto eingelassen hat, obwohl er
verheiratet und Familienvater ist. Und dass Roberto und Rossanna sich ihren Problemen ausgeliefert hatten, ohne etwas dagegen zu tun ... Immerhin gibt es die Möglichkeit zu einer Paartherapie ...
Welche Szenen haben mir besonders gut gefallen?
Sofia, 12 Jahre alt, sollte in der Schule einen Aufsatz über ihren Vater
schreiben. Sie schrieb, dass sie keinen habe, und überhaupt sei sie ein
adoptiertes Kind. Die Lehrerin stimmte dieser Aufsatz stutzig, kopierte ihn und
schickte das Exemplar an die Eltern. Als ihr Daddy den Aufsatz gelesen hatte,
war er schockiert. Durch den Aufsatz wird ihm bewusst, dass er durch seinen
Beruf zu wenig für sein Kind da sei. Wie oben schon gesagt, schafft er es
nicht, Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Was macht er? Er nimmt Sofia
mit in seine Firma, in der er der Chef ist. Er wollte Sofia zeigen, was er
beruflich macht und weshalb er so wenig zu Hause sei. Mir hat diese Szene sehr
gut gefallen.
Zweite Szene: Rossanna bittet Marta bei der Wohnungssuche um Hilfe.
Eigentlich sucht sie ein Atelier, um für sich und für ihre Kunst alleine sein
zu können. Die Mieten sind allerdings überteuert, der Vermieter spürt, dass
Rossanna sich die Miete nicht leisten kann und betrachtet sie von oben herab.
Sowohl Rossanna als auch Marta sind sehr feinfühlig, nehmen die abwertende
Haltung des Vermieters wahr, und veräppeln ihn, in dem sie die Wohnung auf
Schwachstellen monierten. Sie gaben ich als reiche Leute aus, für die diese
Wohnung zu schade sei. Sie schaffen es, den Vermieter in eine andere Haltung zu
versetzen und so entschuldigte er sich bei den beiden Frauen. Als sie wieder
draußen auf der Straße waren, prusteten sie beide vor Lachen los.
Welche Figur war für mich Sympathieträger?
Ich stehe dieses Mal ziemlich neutral den Figuren gegenüber, da mir die tieferen psychologischen Hintergründe fehlen.
Welche Figur war mir antipathisch?
Robertos Geliebte Emma.
Meine Identifikationsfigur
Marta Muratore und Sofia als Kind und Jugendliche.
Cover und Buchtitel
Hat mir gut gefallen. Ein schönes Motiv auf dem Buch. Interessant fand
ich auch das italienische Cover, siehe oben. Dazu habe ich mir die Rezensionen der
italienischen Leser*innen durchgelesen. Viele machten dieselben Beobachtungen
und waren derselben Meinung wie ich, dass die Charaktere und die Thematik zu
oberflächig und zu klischeebehaftet waren ...
Der Buchtitel wird einem recht schnell klar, weshalb
Sofia immer schwarz trägt.
Zum Schreibkonzept
Auf den 234 Seiten wird die Geschichte in zehn Kapiteln gepackt. Hinten findet
man die Anmerkungen des Autors, anschließend folgt eine Seite zu den
Zitatnachweisen, und zum Schluss ist das Inhaltsverzeichnis mitabgedruckt.
Irritiert hat mich auf der ersten Seite das Gedicht von Sylvia Plath, in dem es
um das Sterben als eine Kunst geht. Auf den ersten Seiten der Geschichte konnte
ich das Gedicht noch gut in dem Kontext zuordnen, da der kleine Oscar keine
Eltern mehr zu haben scheint, zumal die Mutter an Krebs gestorben ist oder noch
sterben wird. Hier dachte ich, diese Thematik wird das ganze Buch füllen, war
aber nicht. Man verlor den Oscar wieder aus den Augen, und somit auch die
Thematik über das Sterben. Nun, wo ich die ganze Geschichte kenne, finde ich
den Vers von Sylvia Plath völlig deplatziert. Viele Seiten später stirbt zwar
eine weitere Bezugsperson, aber im Durchschnitt wird hier nicht mehr gestorben,
um den Vers erklärbar zu machen. Ein Vers über die Emanzipation eines
Ehepaares, speziell über die einer Ehefrau, wäre hier angebrachter gewesen.
Meine Meinung
Leider sind mir in dem Buch viel zu viele Klischees. Die Franzosen werden
hier idealisiert, obwohl auch sie ihre Ghettos
haben … Süditaliener werden durch das inszenierte Nord/Südgefälle abgewertet, werden als die ewigen Verlierer gebrandmarkt ...
Auch wenn Cognetti selbst Italiener ist, scheint ihm vielleicht entgangen zu
sein, dass es im Süden Italiens die Drei- bis Vierkopffamilie gängig ist. Die
Geburtenrate Italiens ist seit über zehn Jahren stark zurückgegangen. 2016
wurden nur 1,35 Kinder im Durchschnitt geboren. Die wenigsten Kinder bekommen
Italienerinnen aus Sizilien und Sardinien. Das Argument, dass man sich durch
die desaströse Familienpolitik des Landes nicht mehr Kinder leisten könne, hinkt
meiner Meinung nach. Italien war nie besonders reich, trotzdem hatten sie
früher ihre Kinder bekommen. Auch in Spanien ist die Geburtenrate seit vielen
Jahren rückläufig. Beide Länder, Spanien und Italien, liegen noch vor
Deutschland, was der demografische Wandel betrifft, dass es mehr alte als junge
Menschen gibt. Beide Länder sind auf den Zuzug von Migrant*innen angewiesen, um
die Sozialkassen aufzufüllen. Cognetti aber stellt in seinem Buch die
Dreikopffamilie als besonders nordisch dar.
Hier geht es zu einem Artikel vom Neue
Züricher Zeitung über das klischeebehaftete kinderliebende Bambini-Land Italien. Erstens mal war Italien noch nie kinderliebender als andere Länder. Auch in diesem Land gab es eine Zeit, in der die Schwarze Pädagogik als Erziehungsstil dominierte. Und noch in den 1960er und
1970er Jahren hatten die Italienerinnen nicht mehr Geburten als hier in
Deutschland. In den 1960er Jahren zählte auch Deutschland zu den geburtsstarken Ländern. Und niemand würde einfallen, Deutschland als das Bambini-Land zu bezeichnen.
Gestört hat mich noch, dass Cognetti einen Süditaliener mit schwarzem Schnauzbart
mit einem sizilianischen Mafioso verglichen hatte. Von einem emanzipierten
Autor erwarte ich, sich frei zu machen von solchen rassistischen Zuschreibungen, die ihm sicher nicht bewusst sind und unbeabschtigt erfolgen, denn mir hat gefallen, als er eine Erklärung hat finden können, weshalb Italien eigentlich als ein reiches Land ständig in den Miesen steckt ...
Wer es noch nicht weiß, viele Italiener*innen betreiben Rassismus mit dem
eigenen Volk. Die italienischen Medien sind voll davon. Die Regierung spaltet den Norden mit dem Süden, spaltet in Arme
und Reiche, in hell und dunkel, was die Haut- und die Haarfarbe betreffen … Und
wenn man sich die Bücher anschaut, in denen Italien mit seinen Landsleuten
beschrieben werden, findet man immer wieder dieselben Themen, dieselben
Klischeebilder. Der Norden ist westlich, der Süden archaisch, man erfährt wenig
Neues, obwohl es auch dort Entwicklungen gegeben hat ...
Mein Fazit
Schade, dass mich das Buch nicht so packen und überzeugen konnte. Der
Autor hätte mehr daraus machen können. Außerdem wusste ich anfangs nicht, wohin
mich die Geschichte führen sollte. Wer war der kleine Oscar? Ich weiß schon gar
nicht mehr, ob seine Eltern tot sind oder ob die Mutter an Krebs erkrankt ist
und die Chemo abgebrochen hat? Später verliert man Oscar, er taucht nicht mehr
auf. Auch manche späteren Szenen fand ich nicht passend und aus dem
Zusammenhang herausgerissen. Außerdem hat es mir an psychologischer Tiefe
gefehlt. Die Charaktere waren mir nicht tiefgründig genug. Und die Struktur
etwas unsortiert.
Ich benötige jetzt eine Cognetti Pause, bin nun auf langer Sicht von ihm
gesättigt, vielleicht waren meine Erwartungen durch die Acht Berge zu weit nach oben geschraubt. Doch in dieser Lektüre
sagt mir sein Welt- und Menschenbild definitiv nicht zu.
Meine Bewertung
2 Punkte:
Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere, psychologischer Tiefgang 1 Punkte: Authentizität der Geschichte, Inhalt konnte überzeugen, roter Faden 0 Punkte: Literaturwissenschaftliches, gut recherchiertes Buch 0 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel
und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein
|
6 von 12 Punkten
Vielen herzlichen Dank an den Penguin-Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)
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