Montag, 13. August 2018

Rafik Schami / Sophia oder Der Anfang aller Geschichten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre      

Das Buch hat mich sehr enttäuscht. Ich habe mehr von Rafik Schami erwartet. Ich war erstaunt über dieses Welt- und Menschenbild, das er in sein Buch verfrachtet hat. Ein Weltbild, das in Gut und Böse aufgeteilt ist, Facetten in Schwarz und Weiß. Schade um die Zeit, die ich für das Lesen dieses Buches aufgebracht habe.

Hier geht es zum Klappentext und zu den Buchdaten. 

Die Handlung
Man lernt hier den 75-jährigen Witwer Karim kennen, der eine neue Beziehung zu einer Frau namens Aida eingeht, die selbst auch Witwe und 55 Jahre alt ist. Beide sind ChristInnen und DamaszenerInnen. Karim entdeckt in seinem Alter noch einen Traum und möchte von Aida Oud beigebracht bekommen und Aida möchte von Karim Fahrradfahren lernen. Die Beziehung dieser beiden Menschen stößt bei ihren Nachbarn auf Unverständnis. Sie sind erfüllt von Neid und von anderen Widrigkeiten, doch Karim und Aida stehen drüber und gehen als eine neue Liebesbeziehung ihren Weg. Zwischen ihnen beiden finden häufig religiöse Gespräche statt. Karims Religion ist z. B. die Liebe, denn er glaubt an keinen Gott. In Damaskus findet man verschiedene Weltreligionen, viele davon sind allerdings in der breiten Bevölkerung nicht anerkannt ... Das Liebespaar stößt in der syrischen Gesellschaft auf Widerstand und Provokation, die hinter dem Rücken des Liebespaars ausgetragen werden. Karim hat eine Tochter Mahar, die einen komplizierten und für den Vater einen schwer verständlichen Weg einschlägt und zum Islam konvertiert. Zwischen ihnen beiden entstehen dadurch schwere Konflikte, die so leicht nicht auszutragen sind. Mahar kann den Vater nach dem islamischen Glauben nicht verstehen, dass er eine Beziehung mit einer anderen Frau eingegangen ist und Karim versteht Mahar nicht, dass sie zu einer anderen Religion konvertiert ist und seit dem Kopftuchträgerin geworden ist. Wie ich schon im Vorfeld vermutet habe, lässt der Autor Schami die islamische Beziehung dieser Tochter scheitern …

Parallel dazu bekommen wir es hier mit einem anderen Paar zu tun. Stella und Salman Baladi. Salman Baladi kam ursprünglich aus Syrien und exilierte in den 1970er Jahren nach Heidelberg und nahm dort als anerkannter Flüchtling die deutsche Staatsbürgerschaft an. Salman war zu der Zeit noch jung und nahm in Heidelberg ein Studium auf. Hier lernte er die Italienerin Stella kennen, die in Rom lebt. Nach dem Studium zieht Salman zusammen mit Stella nach Rom, nachdem die beiden geheiratet haben. Sie bekommen ein gemeinsames Kind, das den Namen Paolo erhält ... 

Es sind viele Jahre vergangen, und so treibt Salmans Sehnsucht nach mehr als vierzig Jahren Exil zurück nach Syrien, nach Damaskus, in die  Heimat seiner Kindheit. Er findet keine Ruhe, als er schließlich mit seiner Mutter in Damaskus Kontakt aufnimmt, um recherchieren zu lassen, ob er noch immer vom Geheimdienst gesucht wird. Elias, der Vetter von Salman, der als höherer Offizier im Geheimdienst tätig ist, verkündet der Mutter, dass Salmans Daten gelöscht seien und er nach Damaskus reisen könne. Diese Aktion hat der Mutter viel Geld gekostet und somit bekommt man etwas von der Korruption Syriens mit. Salmans Eltern hätten alles Geld gegeben, was sie hatten, um endlich ihren Sohn nach so vielen Jahren wieder in die Arme schließen zu können. Und das wusste Elias und spielte die Sehnsüchte dieser Familie aus. Salman operierte damals politisch im Untergrund und galt für lange Zeit als politisch verfolgt. Stella ist kritisch, hat Angst, ihren Mann ziehen zu lassen, während sie und das ca. fünfzehnjährige Kind in Rom zurückbleiben. Zu groß ist die Angst, in Damaskus festgehalten zu werden.

Wie ich mir schon gedacht habe, kommt Salman in Damaskus in Schwierigkeiten. Sein Vetter Elias hat ihn verraten ... Salman muss flüchten, taucht unter und so versucht er mithilfe verschiedener Menschen an falschen Papieren dranzukommen, um wieder nach Europa zu fliehen. Den Kontakt zu den Eltern musste er apbrupt abbrechen. Salman wird steckbrieflich gesucht und als gemeingefährlich eingestuft. Ihm wird ein Mord angehängt  

Das Schreibkonzept
Das Schreibkonzept hat mir sehr gut gefallen was die Zusammenführung beider Geschichten und die Erzählperspektiven betreffen. Beide Geschichten wechseln sich in der Erzählform ab und im späteren Ablauf des Romans werden beide miteinander verbunden, weil die Figuren, die erst parallel laufen, später zueinanderfinden. Jedes neue Kapitel startet mit einem Spruch eines bekannten Dichters, die mir alle gefallen haben. 

Sophia oder Der Anfang aller GeschichtenCover und Buchtitel?
Das Cover ist mir zu blumig. Für diese ernste Thematik im Buch ist es nicht ganz so passend. Und der Titel? Sophia oder Der Anfang aller Geschichten dagegen hat gepasst. Man lernt hier viele Geschichten verschiedener Menschen kennen, und wie sie alle begonnen haben ... Sophia ist Salmans Mutter, die so viel Charakterstärke besitzt, dass sie fähig ist, für ihren Sohn zu kämpfen. Gefallen hat mir, als sie Elias als einen gemeinen Verräter … bezichtigt hat und ihn aus der Wohnung geworfen hat. Außerdem war sie als junges Mädchen in Karim verliebt, es aber zu keiner echten Beziehung kam. Auch Karim wurde in seinen jungen Jahren politisch verfolgt und so war es Sophia, die ihm das Leben rettete. Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen. 

Identifikationsfigur
Keine

Meine Meinung
Ich glaube, dass Rafik Schami in seinem Buch teilweise autobiografische Elemente hat einfließen lassen. Eine direkte Verbindung sehe ich zu dem Protagonisten Salman Baladi. Es gibt zumindest recht viele Parallelen zwischen Schami und Baladi, was die Jahreszahl und die Flucht nach Deutschland, Heidelberg, betrifft.

Doch bot das Buch für mich keinerlei Überraschungseffekte in der Handlung und auch was die Gedanken vor allem von Salman betreffen, sie waren für mich immer vorhersehbar. Mir ist es gelungen, in seinen Kopf zu schauen, denn durch die frühe kritische Auseinandersetzung mit meiner eigenen Herkunft, später weiter im Studium und durch meinen Beruf weiß ich, wie Menschen mit klischeebehafteten Bildern im Kopf ticken ... Ich bin mit diesen Klischees hier in Deutschland aufgewachsen und kann sie mittlerweile nicht mehr hören. Von Rafik Schami habe ich höherwertige Literatur erwartet. Dies ist mein erstes und letztes Buch von ihm. 

Rafik Schami vermischt Italiener mit Arabern. Das habe ich noch nie gehört und noch nie wäre ich auf die Idee gekommen, Rom, Italien mit den Ländern Arabiens zu verlgeichen, denn mir fallen eher die Unterschiede ein; geografisch, politisch, kulturell, gesellschaftlich , geschichtlich u.v.m. Wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass im alten Rom viele Handelsleute aus aller Welt kamen ... Da müsste man mal die Geschichtsbücher aufschlagen. Und zu den äußerlichen Merkmalen, wie Italiener aussehen, habe ich weiter unten ein paar Gedanken dazu geäußert ... 

Unterschiede:
1. Italienerinnen tragen keine Vollverschleierung, keine Burka und auch keine Kopftücher 
2. Italienerinnen und Italiener suchen sich ihre Partner*innen selber aus.
3. Männer und Frauen wählen demokratisch
4. Männer und Frauen haben gleichermaßen ein Recht auf Bildung. Jungen und Mädchen werden in der Schule nicht getrennt. 
5. Wer hier Frauen mordet oder vergewaltigt, wird vor Gericht gestellt und ins Gefängnis gesteckt.
6. Außerdem sind Kirche und Staat politisch getrennt. 
 Und viele andere Punkte mehr ...

Was Schamis Klischeebilder betreffen sind diese veraltet, antiquirt. Besonders diese positiven und negativen Vorurteile und die zugehörigen Stereotypen. Negative Vorurteile zu Italien, positive Vorurteile zu dem Rest der westlichen Welt. Ich fühle mich damit durch das Buch dermaßen erschlagen, dass ich meine Motivation verloren habe, hier in meinem Blog stärker darüber zu sprechen. Rafik Schami scheint zu denken, nur weil er ein paar belletristische Bücher zu verschiedenen Ländern gelesen hat, macht es ihn gleich zu einem Experten. Bestimmte Länder scheint er in seinem Kopf zurechtgeformt zu haben, bis sie schließlich in sein Schreibkonzept gepasst haben. Dieses Buch forciert sämtliche Vorurteile und Klischees Menschen bestimmter Länder und Nationen gegenüber, die auch hier in Deutschland weit verbreitet sind. Lediglich seinen arabischen Landsleuten gegenüber scheint er etwas mehr Differenz eingebracht zu haben, auch was Äußerlichkeiten wie z. B. Haarfarbe und Hautfarbe bettreffen. Während er alle ItalienerInnen mit Ausnahme der Figur Stella als schwarzhaarig und dunkelhäutig bezeichnet, werden seine arabischen Landsleute bunter dargestellt. Rote Haare, helle Haut, u.v.m. Stella wird hier als hellhäutig und blondhaarig als eine Ausnahme beschrieben, wobei ihre Vorfahren sogar aus Österreich kommen. Klar, mancher Mensch sieht in der Welt nur die Bilder, die er sehen will, die in seinem Konstrukt passen, damit er sich in seiner beschränkten Wahrnehmung bestätigt fühlen kann. Blonde und/oder hellhäutige ItalienerInnen gibt es in der deutschsprachigen Literatur nicht, denn die werden ausgeblendet, sowie es keine dunklen Schweden gibt, die auch ausgeblendet werden. Das sind die Bilder von Rafik Schami und von vielen anderen Menschen. Ich kenne z. B. überwiegend sonnengebräunte dunkle ItalienerInnen und jede Menge Blondhaarige in meiner eigenen Verwandtschaft und im dortigen Freundes- und Bekanntenkreis. Und dies auch im Süden Italiens.

Und überhaupt, was hat Schami gegen dunkelhäutige Menschen? Was sagt denn schon die Hautfarbe über den Charakter eines Menschen aus?

Vor lauter Arabisch ist Schami blind für das Italienische gewesen. In der Psychologie würde man sagen, eine Projektion seiner eigenen blinden Flecken, die er von sich auf ein anderes Land zu übertragen scheint. :-).

Ich habe mich viel mit meinen beiden Freundinnen Sabine St. und Monerl ausgetauscht, was mir gutgetan hat, weil ich mich verstanden gefühlt habe. Monerl hatte selbst das Buch gelesen und sie war genauso enttäuscht wie ich. Sabine hatte das Hörbuch, das sie abbrechen musste …  

Mich beschäftigte außerdem das Bild, das aufkommen lässt, bestimmte Länder als rückständig und als antiquirt zu bezeichnen, von denen auch hierzulande viele Menschen keinen Zweifel haben, dass es Länder gibt, die diese Bezeichnung verdient hätten. Und so hatte Sabine dazu einen schönen Gedanken geäußert, den ich gerne zitieren möchte:
Das hat nichts mit Rückständigkeit zu tun. Andere Länder haben andere Entwicklungen angenommen. Vor 200 Jahren war hier auch alles anders … Kulturunterschiede würde ich es nennen.

Wobei unsere deutsche Diktatur gerade Mal 73 Jahren zurückliegt und der italienische Faschismus ebenso. Und Menschen, die es wissen wollen, wissen, dass viele kulturelle Errungenschaften eines Landes wieder verloren gehen können, je nach dem, welche Regierung gebildet wird. Man bekommt in dem vorliegenden Buch Sichtweisen zu lesen, die mich stark an die Inhalte der AfD erinnern, auch wenn dies nicht die Absicht von Rafik Schami ist.

Dafür habe ich einen Link zu einem Video eingefügt, der meine Gedanken und meine Theorien bestätigen, weil ich mir schon immer viel Gedanken über die menschliche Herkunft und dessen Hautfarbe gemacht habe. Was wissen wir schon über die DNA eines Deutschen, eines Italieners, etc? Und es geht um die nationale und um die kulturelle Zuordnung von Menschen, das Wir und das Ihr-Gefühl. Denn auch Schami hat seine Raster, und für andere Menschen eine sogennante Schublade erfunden, ohne zu bedenken, dass wir durch die Völkerwanderung alle schon längst vermischt sind. 

Hier ein Link, der zu einem Film auf youtube über die DNA Analyse verschiedener Menschen führt. Werbung bitte wegklicken. 

Was die Thematik Religion in diesem Buch betrifft, gibt mir Schami zu verstehen, dass Menschen, die gläubig sind, naive Menschen sind, die einen Hang zum Aberglauben haben. In seinem Buch spricht er über die Liebe als Religion. Was meint er damit? Jeder hat eine andere Vorstellung von Liebe, und nicht jede Vorstellung führt zu einem Frieden zu sich selbst, noch weniger führt diese Liebe zu einem Frieden zum Partner und noch weniger führt sie zu einem Weltfrieden. Andere Menschen verstehen unter Liebe nur die Ausübung sexueller triebhafter Gelüste ...  Wie dem auch sei, für die Liebe, wie Schami sie sich idealerweise ausgedacht hat, basierend auf Freiheit, Respekt ... dafür muss man sich aus psychologischer Sicht hinentwickeln, und nicht jeder Mensch befindet sich auf derselben Entwicklungsstufe, die abhängig ist von den vielen unterschiedlichen Erlebnissen eines Menschen. Mir scheint, dass Schami die Religion, den Glauben an Gott, verantwortlich für die Probleme eines Landes macht. Dabei wird die Religion in den ilamischen Ländern nur instrumentalisiert, und die Menschen, die die Religion instrumentalisieren, sind für mich keine Menschen, die religiös sind oder an Gott glauben. Sie glauben nur an die Macht und an die Herrschaft. Es gibt so viele Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Hinduisten … die so viel Weisheit besitzen, dass ich von jeder Religion unwahrscheinlich viel lernen konnte in einer Zeit, in der ich mich damals als junger und als einen fragenden Menschen selbst auf der Glaubenssuche befunden hatte und ich seitdem gelernt habe, Achtung vor jeder Religion zu haben. 

Eine Ambivalenz der Länder zwischen Abwertung und Aufwertung. Was weiß Schami schon von den Problemen in der westlichen Welt, die man nicht an Religiositäten festmachen kann? Hier werden diese Länder von ihm aufgewertet und idealisiert. Aber wer weiß, vielleicht weiß er darüber ganz viel, nur haben diese Kenntnisse nicht in sein Schreibkonzept gepasst. Auch weiß er sicher, dass viele Menschen aus der westlichen Welt nicht alles Atheisten sind und sonntags sogar die Kirche besuchen :-).

Mein Fazit?
Ich weiß, dass ich mit dieser Buchbesprechung gegen den Strom schwimme. Ja, ich wage es, Rafik Schami zu widersprechen, denn ich hatte mir sehr viel mehr von seinem Buch versprochen. Schade, wo ich anfangs Berührungsängste gehabt hatte, weil ich erst dachte, dass mir das Buch vom Verständnis her zu anspruchsvoll ausfallen könnte. Immerhin stand das Buch bei mir zwei Jahre ungelesen im Regal. Aber das war es dann doch nicht. Im Gegenteil, mir war das Buch viel zu seicht. Absolut nicht meine Wellenlänge.

Nachtrag, 16.08.2018
Da ich es jetzt richtig leid bin, immerzu Bücher über das klischeehafte Italien zu lesen, habe ich mir vorgenommen, ein Leseprojekt zu den Büchern italienischer AutorInnen zu starten. Da ich nicht in Italien groß geworden bin, muss ich selbst ein wenig aktiv werden und recherchieren, welche gute italienische AutorInnen es in diesem Land gibt und die ins Deutsche übersetzt sind.

Ich will nur gute italiensche Literatur lesen, denn auch dort gibt es jede Menge Bücher, die recht seicht und wenig differenziert geschrieben sind. Solche Bücher sind für mich ein absolutes No-Go. Mich interessiert das Italien mit seinen Stärken und seinen Schwächen. Vor allem mit seinen Stärken, die in deutschsprachigen Büchern viel zu kurz kommen, deshalb bin ich für einen Perspektivenwechsel.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
0 Punkte: Ein gut recherchiertes Buch
0  Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
1 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
5 von 12 Punkten.

Weitere Information zu dem Buch
_____________
Es ist leichter einen Atomkern zu spalten
als ein Vorurteil.
(Albert Einstein)

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