Sonntag, 3. Juni 2018

Nickolas Butler / Die Herzen der Männer (1)

 Lesen mit Sabine St.

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ein Buch über die inneren Abgründe der Männer; über deren Schwächen, Hemmungen und Nöte ... Ein Buch über Mobbing ...

Gestern Nacht habe ich endlich das Buch ausgelesen. Leider hat es nicht gehalten, was es in den ersten Abschnitten versprochen hat. Und das sehe nicht nur ich so. Da ich das Buch zusammen mit Sabine gelesen habe, habe ich unten ein paar unserer gemeinsamen  Eindrücke festgehalten. Sabine besitzt keinen Blog. Schade, denn Sabine kann sich wahnsinnig gut über ein gelesenes Buch ausdrücken, ähnlich wie auch meine Freundin Christina Sauer. Aber ich kann von Monerl, eine Lesefreundin aus meiner Heimatregion, die Rezension schon mal verlinken. Monerl hat das Buch letzte Woche gelesen, und sie hat mich gebeten, ihre Rezi noch nicht zu lesen, solange ich mit dem Buch zugange bin, damit ich nicht beeinflusst werde. Sie sei neugierig auf unsere Meinung. Am Ende dieser Besprechung kann man durch einen Klick auf Monerls Buchbesprechung zugreifen, die ich mittlerweile gelesen habe. 

Die Handlung
Der Held dieser Geschichte ist Nelson Clouthy. Er feiert im Sommer 1962 seinen 13. Geburtstag. Die Geschichte beginnt recht dramatisch. Nelson hat viele Jungs zu seinem Geburtstag eingeladen, die mit einer Ausnahme alle nicht erschienen sind. Sie wollen nichts mit Nelson zu tun haben. Nelson hat nicht genug Selbstvertrauen und dadurch auch keine Freunde, obwohl er in der Schule und bei den Pfadfindern erfolgreich ist. Er weint ganz entsetzlich. Die Mutter, Dorothy, nimmt seinen Jungen in den Arm, spricht tröstend auf den Jungen ein, während der Vater erst verbalaggressiv wird und anschließend den Jungen mit dem Gürtel schlägt, weil er die Tränen seines Sohnes nicht auszuhalten weiß. Gefühle werden hier vonseiten der Männer als Schwäche angeprangert. Nelson ist eine gutmütige Figur, die sensibel ist und keiner Fliege etwas zuleide tut.  Nelson befindet sich während der Sommermonate im Lager der Pfadfinder und muss auch dort viele Hürden überwinden. Hier sind nur Jungens unterwegs, aus denen richtige Männer herangezogen werden sollen, die z. B. fähig sein wollen, später in den Krieg zu ziehen ...
Im weiteren Ablauf bekommt man es mit weiteren männlichen Figuren zu tun, die ebenfalls grausam sind. Bis zum Schluss lernt man Männer kennen, die gewaltträchtig sind. In den letzten Episoden vergewaltigt ein Arzt eine Frau, nachdem er sie erst mit Schlaftabletten im Getränk narkotisiert hat … Dieser Arzt wurde schließlich wegen Vergewaltigung und wegen versuchten Mordes eingebuchtet …

Das Schreibkonzept
Der Ablauf der Geschichte besteht aus vier Teilen und aus 48 Kapiteln. Er beginnt historisch, Sommer 1962, und endet in der Gegenwart, Herbst 2019. Manchmal gibt es zwischen den unterschiedlichen Epochen Sprünge. Das heißt, wenn man sich in der Gegenwart befindet, wird man im nächsten Absatz plötzlich wieder in die Geschichte zurückversetzt. Der Schreibstil ist leicht und flüssig. Man kommt schnell in die Handlung rein. Man hat es hier mit drei Generationen zu tun.

Für mich drei besondere aber fragwürdige Szenen
Vorsicht Spoiler

Erste Szene: Der Wettkampf
Die Pfadfinder entwickelten für einen Wettkampf zwei Mannschaften. Die Mannschaft, die den Wettkampf verloren hat, soll einen Nickel in die Latrine werfen. Ein Junge dieser Crew wird herausgepickt, der in die Latrine klettern soll, und in den Fäkalien nach dem Nickel suchen muss. Der Junge darf erst aus der Latrine herauskommen, wenn er den Nickel gefunden hat ... Mir war sofort klar, welche Mannschaft das Wettspiel verlieren, und welcher Junge auserkoren wird, in die Latrine zu steigen. Wollte der Autor uns mit dieser Szene schocken?

Zweite Szene: Die Ehefrau in der Selbstverteidigung
Nelsons Vater verliert seinen Job, angeblich, weil Nelson im Pfadfinderlager seine Kameraden wegen des gesetzeswidrigen Verhaltens an den Leiter des Lagers ausgeliefert hat. Als der Vater versucht, sich an seinen Sohn zu rächen und erneut gewalttätig wird, greift die Mutter ein, und sticht mit einer Gabel überall auf den Körper des Vaters ein und schmeißt ihn hochkant aus dem Haus. Dies war eine Szene, die mir eigentlich gut gefallen hat. Endlich wehrt sich mal eine Frau/Mutter gegen den fiesen Mann/Vater.

Dritte Szene: Das Versprechen
Nachdem Dorothy ihren Mann Glete aus dem Haus geworfen hat, muss sie schauen, wie sie alleine klarkommt. Nelson macht eine Ausbildung an der St. John Militärakademie ... Nach der Ausbildung kommt er wieder nach Hause. Als Nelson sich erneut aufmachen möchte, von zu Hause auszuziehen, um seinen eigenen Weg gehen zu können, muss er der Mutter zwei Versprechen abnehmen. Regelmäßig eine Karte schreiben, damit  sie weiß, dass ihr Sohn am Leben ist … Das zweite Versprechen bestand daraus,  jedes Jahr zu Weihnachten nach Hause zu kommen. Da Nelson die Mutter als sein bester Freund bezeichnet hat, geht man davon aus, dass er seine Versprechen halten wird. Tut er aber nicht. Nach seinem Auszug sieht er seine Mutter nicht mehr lebendig. Über ein Telegramm erfährt er viele Jahre später, dass die Mutter an einem Schlaganfall gestorben ist. Daraufhin fährt er zurück nach Hause, nimmt an der Beerdigung teil und macht eine Haushaltsauflösung, damit das Haus verkauft werden kann. In dem Kleiderschrank seiner Mutter findet Nelson alle Weihnachtsgeschenke, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben, die die Mutter für ihn gekauft hatte. Spätestens hier müsste Nelson vor dem schlechten Gewissen in den Boden versinken. Tat er aber nicht, es waren keine ausreichenden Gewissensbisse, und deshalb war uns diese Szene nicht glaubwürdig genug. Etwas von der guten Erziehung der Mutter hätte in Nelsons Herzen einen liebevollen Anklang finden müssen. Erstrecht, weil sie nach dem Rauswurf des Vaters alleine zu Hause war. Selbst von Nelson, der eigentlich ein guter und sensibler Junge war, entwickelte man als Leserin ihm gegenüber spätestens hier ein negatives Herzensbild. Wie lieblos muss man sein, um eine so gute Mutter, die sich schmerzlichst nach ihrem Sohn sehnt, für ihre restliche Lebenszeit alleine zu lassen?

Natürlich sind das nicht die einzigen Szenen, die Fragen aufwerfen und nachdenklich stimmen. Weitere sind dem Buch zu entnehmen. 

Welches Weltbild versucht der Autor uns LeserInnen aufzuzwingen?
Die Antwort hätte ich eigentlich lieber von dem Autor selbst gehört. Und weil ich den Autor nicht fragen kann, kann ich sie mir nur aus meiner Sicht versuchen zu geben ...
Ich habe echt ein Problem anzunehmen, dass es in den Herzen der Männer reihum, über Generationen hinweg, so grauenvoll ausschaut, wie der Autor uns mit seinem Buch weiszumachen versucht. Ich kenne viele gutmütige Männer und viele anstengende Männer, andersherum aber kenne ich auch Frauen, die in ihrem Herzen ähnlich hart sind wie die Männer in der hiesigen Männerwelt. Sie greifen sicher nicht nach einem Gürtel, tun aber andere Dinge, die nicht weniger harmlos sind. Frauen, die nicht das Herz am rechten Fleck haben. Doch hier im Buch werden die Frauen eher idealisiert, während der Mann global in seiner gesamten Rohheit dargestellt wird.

Meine Meinung
Wie schon gesagt, waren die ersten 150 bis 200 Seiten vielversprechend. Doch nach und nach flauten meine Konzentration und mein Interesse immer mehr ab. Und die letzten 150 Seiten haben sich für mich lesetechnisch als schleppend erwiesen. Am liebsten hätte ich das Buch abgebrochen. Vom Niveau her hat mich dies an Elena Ferrantes Buch erinnert, das ich im ersten Band auch als recht einseitig und sehr klischeehaft erlebt hatte, wenn es darum ging, die Gesellschaft eines Landes literarisch widerzuspiegeln. Ferrantes Folgebände musste ich wegen dieser Einseitigkeit auslassen. Es hat sich an der Aggressivität dieser Gesellschaft nichts verändert ... Zurück zum Buch; mich hat außerdem gewundert, wie der sensible Jason es geschafft hat, sich zu einem Soldaten ausbilden zu lassen, um anschließend für den Vietnamkrieg eingezogen zu werden. 

Lesen mit Sabine St.
Dieses Buch hat für Sabine und für mich für viele Diskussionen gesorgt. Wir waren einer Meinung, dass das Buch wenig anspruchsvoll ist, die Handlungen nicht ausreichend glaubwürdig, und die ProtagonistInnen nicht wirklich authentisch, wenn man von den ersten Abschnitten absieht. Insgesamt psychologisch wenig fundiert. Enttäuscht waren wir auch von dem Verlag Klett-Cotta, der sonst recht anspruchsvolle Bücher auf den Markt bringt. Das Buch Die Herzen der Männer wäre besser in einem Verlag aufgehoben, der ausschließlich einfache Unterhaltungsliteratur produziert. Es hätte die LeserInnen erreicht, die sich von diesem Inhalt leichter beeindrucken lassen. Für anspruchsvolle Leserinnen, wie wir es sind, stellte sich diese Literatur als eine glatte Enttäuschung heraus. Dies ist aber nicht überheblich gemeint.

Buchtitel und Cover
Schon der Titel Die Herzen der Männer hätte mich nicht angesprochen, wenn das Buch von einem weniger anspruchsvollen Literaturverlag aufgesetzt worden wäre. Ich habe so meine Probleme mit Stereotypen. Sind denn wirklich alle Herzen der Männer gleich? Sicher gibt es in der Erziehung zwischen den Geschlechtern Unterschiede, auch heute noch, aber jedes Kind, das Gewalt in der Kindheit erfährt, wächst mit einer Störung auf, Mädchen sind davon nicht ausgenommen. 
Das Cover war ansprechend aber leicht austauschbar, wie man hier das Buch von Tilman Röhrig, Thoms Bericht, sehen kann. 

Sabine hat noch folgendes Buch gefunden:

Mein Fazit?
Das Buch war mir viel zu trivial, zu leicht durchschaubar, zu facettenarm. 

Ungeklärte Fragen
Ein Buch über Männer, ein Buch über Mobbing unter Männern, aber wer sind die LeserInnen? Welche Zielgruppe will man mit diesem Buch erreichen? Lesen auch Männer dieses Buch, oder sind es wieder mal hauptsächlich nur die Frauen die Interessentinnen? Dies würde mich wirklich interessieren.

Was hat mich zum Kauf dieses Buches veranlasst?
Aus persönlichen Gründen hat mich die Thematik gereizt.

Weitere Rezensionen:
Hier geht es zu Monerls Buchbesprechung.

Weitere Informationen zu dem Buch
·         Gebundene Ausgabe: 477 Seiten
·         Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 2. Druckaufl. (11. Februar 2018)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3608983139

Meine Bewertung?
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
0 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
0 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
1 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Schs von zwölf Punkten

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Gelesene Bücher 2018: 23
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