Sonntag, 12. November 2017

Ian McEwan / Abbitte (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Gleich vorneweg gesagt; was für ein schönes Buch. Ich habe es soeben beendet. Ich liebe Abläufe, die nicht vorhersehbar sind. Davon gibt es in diesem Buch jede Menge. Auch das Ende ist für mich nicht vorhersehbar gewesen. Den Anfang und das Ende hat der Autor sehr ideenreich und gekonnt zusammengefädelt. Viele AutorInnen bemühen sich um diesen Stil, ihre LeserInnen zu überraschen, doch bei den meisten ist der Stil leicht zu durchschauen, sodass das Unvorhersehbare doch vorhersehbar wird. Ganz anders bei McEwan …

Damit diese Überraschungseffekte auch für andere LeserInnen erlebbar bleiben, möchte ich aufpassen, dass ich meine Besprechung so gestalte, dass ich nicht zu viel verraten muss. Leider kann ich nicht alles bedeckt halten ... 

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Die Abgründe und die Macht der Leidenschaft und der Phantasie: An einem heißen Tag im Sommer 1935 spielt die dreizehnjährige Briony Tallis Schicksal und verändert dadurch für immer das Leben dreier Menschen.

Briony Tallis ist eine kleine Künstlerin, eine Dichterin, die schon mit zehn Jahren angefangen hat, erste fiktive Texte zu schreiben. Mit 13 Jahren verfasste sie ihr erstes Theaterstück, das den Titel Die Heimsuchung Arabellas bekam. Sogar Brionys Mutter Emily war von dem Theaterstück angetan gewesen …

Die Familie Tallis hatte Besuch. Für eine unbestimmte Zeit lebten drei Cousinen von Briony bei ihnen. Mit ihnen zusammen wollte sie das Theaterstück zu Hause vorführen, um damit den älteren und schon erwachsenen Bruder Leon, der nicht mehr zu Hause wohnt, für willkommen heißen. Leon sollte mit seinem Freund zu Besuch kommen ...

Die drei Cousinen, zwei zehnjährige Zwillinge namens Jackson und Pierrot und die fünfzehnjährige Lola, sollten mit dem Theaterstück vertraut gemacht werden. Dabei gab es Rollenkonflikte, sodass Briony das Theaterstück wieder abblasen ließ, und es somit nicht mehr aufgeführt werden konnte.

Im Klappentext steht, dass Briony das Schicksal dreier Menschen beeinflusst. Eine ganze Weile dachte ich, dass es das Schicksal ihrer Cousinen sei, das sie durch bestimmte Ereignisse in andere Bahnen lenken würde. Diese drei Cousinen hatten derzeit durch die Trennung ihrer Eltern eine seelische Erschütterung zu verwinden. Vor allem für die Zehnjährigen verlief der Aufenthalt bei der Verwandtschaft als recht schwierig, da sie sich nach dem Heim und nach ihren Eltern zurücksehnten.

Emily konnte sich auch nicht wirklich um ihre kleinen Neffen kümmern, da sie eigene Probleme psychosomatischer Art zu bewältigen hatte, denn auch ihr Mann Jack war mehr abwesend als anwesend. Es schien mir, dass selbst sie beiden in einer Ehekrise schwelgen, die allerdings verdrängt wird. Jack scheint sich in Arbeit zu stürzen, man aber auch den Verdacht hegt, dass er eine Affäre mit einer anderen Frau hat. Emily ahnt zwar etwas, aber sie möchte eigentlich die Wahrheit gar nicht wissen und entwickelt eben psychosomatische Symptome wie die Migräne und zieht sich dadurch auch ins Schlafzimmer zurück, um mit damit fertig zu werden.

Diese Szenen haben mich schon sehr tief berührt. Und auch welchen Umgang die Kinder ohne die Erwachsenen untereinander pflegen. Manches an Fragen hat aber der Autor auch offengelassen; hatte nun Jack eine Affäre oder nicht?, wenn ja, wie lange wollte Emily noch wegschauen und ihre Migränenanfälle noch weiter ertragen? … Dies waren alles nur Nebenrollen, trotzdem spannend …

Die fantasiebegabte Briony lebt manchmal in ihrer Fantasiewelt, sodass sie oftmals nicht merkt, wie sie das eine vom anderen nicht auseinanderzuhalten weiß …

Die eigentlichen Protagonisten waren Cecilia, Brionys ältere Schwester, die Cousinen Lola und Robbie Turner, der Sohn der Haushälterin der Tallis. Robbie war in Cecilias Alter. Sie besuchten gemeinsam dieselbe Schule und machten danach an der Uni denselben Abschluss in Literaturwissenschaft. Allerdings bestand der viel begabte Robbie mit Auszeichnung. Cecilia mochte Robbie nicht besonders. Vielleicht  deshalb nicht, weil Robbie so erfolgreich war. Er hegte noch weitere ehrgeizige Pläne. Er hatte vor, im Anschluss seines Literaturstudiums unbedingt noch Medizin zu studieren. Das Medizinstudium wollte Brionys Vater finanzieren, da seine alleinerziehende Mutter als Hauswirtschafterin dafür das Geld nicht zur Verfügung hatte. Es kann sein, dass Cecilia darauf neidisch war, weshalb sie auf Robbie nicht gut zu sprechen war. Trotzdem ließ sie sich in der Bibliothek ihres Vaters mit Robbie auf eine sexuelle Bindung ein. Briony wird in der dunklen Bibliothek heimliche Zeugin dieses sexuellen Aktes, reimt sich dazu ihre eigene Wahrheit, was fatale Folgen für drei Personen dieses Romans haben wird, über die ich leider nicht sprechen kann.


Mein Fazit?

Es gab schon auch Szenen, die ich hinterfragt habe, speziell was die juristischen Vorfälle betreffen, dass ein kriminalistischer Fall nicht ausreichend untersucht wurde, was zur Folge hat, einen unschuldigen Menschen einzusperren. Es gab nur einen Zeugen, und dieser Zeuge war ein Kind. Die Zeugenaussage dieses Kindes wurde nicht auf die Richtigkeit hin überprüft.
Das war für mich nicht wirklich glaubwürdig … Oder hat es vielleicht etwas mit dem sozialen Rassismus zu tun, weshalb weder ein Verteidiger noch ein Richter gewillt war, das Verbrechen ausreichend zu untersuchen, selbst dann nicht, als nach fünf Jahren die Zeugin ihre Aussage wieder rückgängig machen wollte?

Auf diese Frage werde ich wohl keine Antwort erhalten.  

Meine Bewertung?


2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein


Zwölf von zwölf Punkten.



Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Diogenes-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar bedanken.

Diogenes Taschenbuch 
544 Seiten 
erschienen am 26. März 2004 

978-3-257-23380-3 
€ (D) 13.00 / sFr 17.00* / € (A) 13.40 

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Diogenes.

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