Samstag, 15. März 2014

Lizzi Doron / Das Schweigen meiner Mutter (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch war mir ein wenig zu trocken … Habe es soeben durchgelesen. Der Schreibstil der Autorin ist nach meinem Geschmack gut gelungen und fantasievoll. Trotzdem weiß ich nicht, woran es gelesen haben könnte, dass mich das Buch nicht wirklich gefesselt hat.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Auf der Suche nach dem verlorenen Vater ein Foto. Ein Garten, Tel Aviv, 50er- Jahre. Im Vordergrund ein kräftiges kleines Mädchen, den Blick in die Kamera gerichtet, einen zweifelnden oder auch verzweifelten Blick, vielleicht blendet aber auch nur die Sonne. Im Hintergrund ein Gebüsch, und dort, eingerahmt von einem kleinen weißen Kreis, ein weiteres Gesicht. Fast unkenntlich, winzig und fern. Ist das der Vater, den das Mädchen nicht kannte? Nach dem es wieder und wieder vergeblich fragte und dann - längst erwachsen - zu forschen begann? Eine atemlose Suche nach Sinn und Begründung eines, wie sich zeigen wird, wahnwitzigen Geheimnisses.

Die Icherzählerin heißt Alisa.

Alisa erweist sich schon im Kleinkindalter zu einem fragenden Kind. Sie stellt viele, viele Fragen an die Erwachsenen, an sich, an ihre FreundInnen, an die Welt, sodass das Kind ein gefürchtetes Kind wurde. Alle hatten Angst vor ihren Fragen. Vor allem die Mutter, die es schaffte, die Fragen mit einem eisigen Schweigen zu umgehen.
Ich war wütend auf meine Freundin Dorit und auf meine Mutter, auf sie und auf alle, die geschwiegen hatten. Der Schweiß brannte auf meiner Haut, und all die wehen Stellen meiner Kindheit schmerzten, der Trost, die Küsse und Umarmungen, die mir nie zuteilgeworden waren.Plötzlich, nach Jahren, war es wieder da, dieses Wirken in der Kehle. Was habt ihr mir eigentlich ersparen wollen? Warum habt ihr mir nichts gesagt? Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass er lebt? Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass er gestorben ist? Was war da? Gab es vielleicht noch etwas anderes, ein dunkles Geheimnis, irgendeinen Wahnsinn? Das fragte ich Dorit, das fragte ich meine tote Mutter, das fragte ich auch mich selbst. Ich hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren. (110)
Diese Fragen ziehen sich bis zum Ende des Buches hin.

Die Episoden reichen bis in die dritte Generation hinein. Ein Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit findet statt. Ein wenig gewöhnungsbedürftig.

Ich schreibe mir ein paar Szenen und Gedanken heraus, die mir besonders gut gefallen haben.

Alisa wird zum Flötenunterricht angemeldet, doch der Musiklehrer möchte sie im Unterricht nicht haben, da sie rhythmisch nicht mithalten konnte.
„Ich kann so nicht unterrichten“, sagte der Lehrer zornig.Meine Mutter warf ihm einen hochmütigen Blick zu."Mögen Sie sich ein langes Leben verdienen", sagte sie höflich und beendete damit die Unterredung. Dann nahm sie mich am Arm und führte mich hinaus. Ich war bestürzt.„Warum hast du ihm ein langes Leben gewünscht?", fragte ich wütend.„Damit er noch sieht, wie erfolgreich du sein wirst, und sich die Zähne daran ausreißen kann, bis er alt und grau ist, bis hundertzwanzig", antwortete sie mit einem Lächeln, und bei dieser Gelegenheit versprach sie mir, sie würde meine Flötenlehrerin werden.“ (71)
Diese Szene hat mir besonders gut gefallen. Hier bekommt man eine Mutter mit, die sich für ihr Kind einsetzt, und sie an die Fähigkeiten ihrer Tochter glaubt.

Die Mutter, eine Frau, die viel im Leben erlebt hat, und die alleinerziehend ist. Alisa ist ein Nachkriegskind. Es ist die Mutter, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat. Sie sind jüdischer Abstammung.

Alisa kennt ihren Vater nicht …
Wer ist er?? Wo ist er geblieben? Die kleine Alisa reißt vom Kindergarten aus, um ihn zu suchen.

Die Mutter gibt eine kleine Party, auf der viele Leute vertreten waren.
„Schau nur, wie sehr dich die Leute mögen", sagte meine Mutter aufgekratzt, als ihre Party zu Ende war.Ich konnte mich nicht beherrschen.
"Warum habe ich keinen Vater?"„Komm, ich frisiere dich auch." Sie tat, als hätte sie meine Frage nicht gehört. "Siehst aus wie Shirley Temple." Sie kämmt meine krausen Haaren, kämpfte gegen die verfilzten Knoten und die Locken."Warum habe ich keinen Vater?" Ich ließ nicht locker, bis ich spürte, wie sie die Kraft verlor, wie ihre Bewegungen mit dem Kamm immer schwächer wurden, wie die Nacht sie wieder niederzwang. (89)
Erst bekommt man Mitleid für die Kleine, doch später, wenn man mehr von der Mutters Vergangenheit erfährt, entwickelt man auch Mitgefühl für die Mutter, deren eisiges Schweigen nichts anderes war als Selbstschutz.

Alisa vergleicht die Mutter mit einem Safe. Alle Familiengeheimnisse trug sie darin verschlossen. (94)

Immer wieder tauchen Szenen auf, die mit dem Nationalsozialismus zu tun hatten, der die Juden innerlich verschlang. Alisa hat diese Zeit nicht miterlebt und doch hat sie eine Ahnung, wenn sie andere darüber erzählen hört. Alisa horcht heimlich an den Gesprächen der Erwachsenen:
Ich wusste, dass es auch heute, auch hier, ein geheimes Leben gab, Geheimnisse blühten im Eck.Das, was gewesen war, war das, was uns verband, dachte ich. Die Eltern, die Kindheit mit dem Stacheldraht um die Seelen, ein Stacheldraht zwischen uns und der Welt, zwischen uns und unseren Eltern. Was uns verband, hatte nichts mit Gemeinsamkeiten dieser Wesensart, der Interessen oder der Lebensweise zu tun.Ich spürte, dass das Zusammensein uns betrübte, die Erinnerungen uns belasteten. Ich wurde ungeduldig. (101)
Der Stacheldraht wird hier als Metapher gebraucht. Der Stacheldraht aus dem Nationalsozialismus. Kriegserlebnisse wirken bis weit in die dritte Generation hinein. Auch dann noch, wenn über die Erlebnisse nicht gesprochen wird, da sie innerlich stark traumatische Erlebnisse bergen.

Alisa wird erwachsen, und noch immer konnte sie nicht herausfinden, wer ihr Vater ist. Selbst ihre Freundinnen gaben keine Antworten auf ihre Fragen:
Deine Mutter wollte dir Leid und Schmerz ersparen. Sie hat jede Gefahr von dir ferngehalten, sie hat dir jede Information verschwiegen, die dich hätte traurig machen können. So hatte sie sich entschieden, das war ihre Art, dich zu schützen. Sie hat das ganze Leid und den ganzen Schmerz auf sich genommen." (210)
Das Kind hatte sich einen Vater ausgedacht. Sie dachte sich Geschichten über ihn aus. Ein Partisane soll er gewesen sein, der dann später nach Amerika emigrierte.

Den tieferen Grund, weshalb die Mutter sich so verhielt, werde ich nicht verraten. ….
Auch die Frage, weshalb das Kind ihren Vater vermisste und ihn nie kennenlernen durfte, verweise ich auf das Buch.

Mein Fazit: Vielleicht hätte mich das Buch mehr erreicht, wenn ich nicht so viel erzählt bekommen hätte, sondern mir selbst meine Gedanken hätte machen können. Obwohl das Buch nur knapp über zweihundert Seiten hat, so finde ich, ist zu viel erzählt worden und immer wieder kreiste man um dieselbe Frage. Auch der Klappentext ist viel zu ausführlich. Ich meine nicht den Klappentext, den ich hier rein gepostet habe, nein, der Klappentext ist auf jeder Seite des Schutzumschlags mit verschiedenen Informationen bedruckt. Das muss nicht sein, man hegt den Anspruch, sich selbst Gedanken zu machen.

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Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben- nicht wegen der Menschen, die Böses tun, sondern wegen der Menschen, die danebenstehen und sie gewähren lassen.
(Albert Einstein)

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