Montag, 3. September 2012

Siegfried Lenz / Schweigeminute (1)




 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich weiß nicht, was ich zu dieser Novelle noch mehr sagen kann, als schon im Klappentext steht. Es verliebt sich eine junge Englischlehrerin in ihren achtzehnjährigen gymnasialen Schüler Christian und die mit ihm privat auch eine freundschaftliche Beziehung knüpft, die so weit geht, dass man es schon als einen Liebeskontakt bezeichnen kann, ohne dass es allerdings tatsächlich zu einer wirklichen Liebesbeziehung ausreicht, denn dazu sind die Hürden zwischen Schüler und Lehrkörper zu groß.
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Hier wird ein Tabu gebrochen und ich war eigentlich neugierig darauf zu erfahren, wie die Lehrerin aus dieser verfahrenen Situation wieder herausfindet. Auch wenn der Schüler Christian schon volljährig ist, ist die Lehrerin die Hauptverantwortliche, denke ich. Christian war schon zu sehr drin in dieser Liebesromanze, und es nicht schaffte, auf ihre Grenzen zu pochen. Dazu war sie selbst viel zu stark darin verwickelt. Merkwürdig fand ich, dass die Lehrerin, bis natürlich auf die Liebesgestiken, recht offen sich mit dem Schüler privat im Umgang zeigte. Norddeutschland, Fischerdorf, nahe an der dänischen Grenze. In dieser kleinen Gegend kriegt doch eigentlich jeder mit, was der Nachbar tut und nicht tut. Merkwürdig fand ich, dass niemand diesen intensiven privaten Kontakt zwischen Schüler und Lehrerin Anstoß nimmt, bis auf eine Ausnahme; Christians Mutter wurde langsam misstrauisch, doch Christains Vater winkte leichtfertig ab, dass es in diesem Alter nichts Ungewöhnliches sei, dass junge Menschen ihre Lehrer verehren. 

Von Christian erwartet die Lehrerin die Einhaltung von professioneller Distanz, dabei ist sie es, die gewisse Grenzen nicht wahrt . Sie erlaubt ihm nicht, sich privat mit ihr über die Schule zu sprechen, da sie beide auf dem privaten Raum ein anderes Territorium betreten würden, aber sie erlaubt ihm, sie auf diesem Territorium zu lieben. Sie trennt zwischen Schule und Privat; in der Schule ist sie Lehrerin und er Schüler, privat sind sie Verliebte.

Bis dahin fand ich ja alles recht spannend, auch den Anfang fand ich gut, indem man als LeserIn Zeuge der Schweigeminute in der Schulaula wird, in der ein Altar errichtet wurde, auf dem ein Foto von der Englischlehrerin platziert steht, und sowohl ihre KollegInnen als auch alle SchülerInnen des Gymnasiums ihr mit letzten Worten gedenken. Man erfährt, dass sie verstorben ist, durch den Erzähler, der gleichzeitig auch der Schüler Christian ist und spricht aus der Ich-Perspektive. Dabei wurde ich auch neugierig, welches Schicksal der Lehrerin widerfahren ist, und ich neigte erst zu zu der Annahme, sie habe sich suizidiert, weil sie keinen Ausweg aus dieser Liebesaffaire finden konnte.

Zugegeben, ein wenig einfach gedacht, aber den Lösungsweg, den der Autor gewählt hat, fand ich auch nicht gerade brickelnd. Er hat es sich einfach gemacht, indem die Beziehung durch ein Naturereignis, ein Unfall im Meer, das Ganze somit beendete, indem sie in der Klinik aus der Bewusstlosigkeit nicht mehr erwachte, da sie eine recht schwere Kopfverletzung mit sich trug. Rührend die Schüler, die ihr im Krankenzimmer ein englisches Lied vorspielen :D, das sie von ihr gelernt haben. Würde doch kein Schüler freiwillig machen... .

Aus der Rede des Schuldirektor geht zwar kurz hervor, dass man für jedes Problem eine Lösung hätte finden können, so dass ich dachte, als ich noch nicht so fortgeschritten im Text war, dass alle über diese Liebesaffaire Bescheid wüssten und ich dadurch auf den Gedanken eines Suizids gekommen bin. Dies aber erwies sich nur als ein kurzer Einschub, mehr wurde darüber nicht geäußert, so dass ich diesen Einschub nicht wirklich für passend zu dem eigentlichen Geschehen halten konnte.

Christian trauert um seine Lehrerin, lässt Revue passieren, sucht im Geiste nochmals alle Orte auf, die sie gemeinsam betreten und belebt hatten. Er fand Trost in diesen Bildern, die in der Vergangenheit gebettet lagen, und die ihm keiner mehr nehmen konnte. Die Lehrerin wurde auf See bestattet, doch die Bilder der Erinnerung blieben in der Seele des Jungen zurück.

 Dies zu meinen Gedanken!

So richtig überzeugt hat mich die Novelle nicht wirklich!

Ich habe eigentlich schon öfter die Beobachtung bei Lenz gemacht, dass seine Themen nicht immer realitätsbezogen sind.  In dieser Novelle hätte es vor diesem Unfall schon längst ein Skandal geben müssen, so sehr wie sich Beziehungen zu Menschen wie Lauffeuer verbreiten und viele Menschen immer gerne zum Tratsch aufgelegt sind.

Demnach fand ich den Ausgang eigentlich eher banal, die Thematik aber an sich nicht uninteressant..

Ich gebe dem Buch sechs von zehn Punkten. Sechs und nicht mehr, weil aus den oben besagten Punkten. Sechs und nicht weniger, weil mich der Schreibstil sehr angesprochen ha und die Thematik an sich interessant begonnen hat.


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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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