Samstag, 13. Februar 2021

Aktuell gelesene Bücher

 


Ich werde die Bücher wie alle Jahre auch, nicht alphabetisch sortieren, sondern in der Reihenfolge darstellen, wie ich sie gelesen habe, damit ich am Ende des Jahres sehen kann, mit welchem Buch ich begonnen und mit welchem ich geendet habe, und wie die Bewertung im Vergleich ausgefallen ist. Die Zahl in der Klammer ergibt die Vergabe von Punkten. Die Höchstzahl ist zwölf. Mit einem Obolus von zwei Zusatzpunkten sind es 14. Diese wären dann meine Highlights.


*** Abgebrochene Bücher in Klammern


2021


1. Sy Montgomery: Einfach Mensch sein - Von Tieren lernen (12 +2, 14)
2. Kim Thúy: Der Klang der Fremde (11)
3. Trutz Hardo: Das große Handbuch der Reinkarnation (12)
4. Ingrid Noll: Goldschatz (9)
5. Rolf Sellin: Wenn die Haut zu dünn ist (12 +2, 14)
6. Paula Stern: Tage des Aufbruchs (7)
7. Mohandas K. Gandhi: Mein Leben (12)
8. Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn (12 +2, 14)
9. Amélie Nothomb: Klopf an dein Herz (9)
10. Olli Jalonen: Die Himmelskugel (11)
11. Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus (12+2, 14)
12. Rainer Hagencord: Gott und die Tiere / Ein Perspektivenwechsel (*** für mich selbst keine neuen Kenntnisse. Schon zu viel darüber gelesen.)
13. Louise Brown: Was bleibt, wenn wir sterben (12)
14. Peter Hunt: Die Erfindung von Alice im Wunderland (12+2)
15. Agatha Christie: Der Tod auf dem Nil (10)
16. J. M. Coetzee: Schande (7)
17. Ryan Ellis: anamon (12)
18. Anthony Doerr: Wolkenkuckucksland (12+2, 14)



Freitag, 12. Februar 2021

Trutz Hardo / Das große Handbuch der Reinkarnation (1)

Bildquelle: Pixabay
 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Ein wundervolles Buch über die Praxis der Rückführung in andere Leben. Bestens auch als ein Nachschlagewerk bzw. als ein Arbeitsbuch zu betrachten für Menschen, die aus dieser Praxis kommen oder sich dahin verändern möchten.

Für andere könnte das Buch zu einer Überforderung führen. Ohne Vorkenntnisse wäre zu empfehlen, sich erst mal mit leichterer Lektüre einzudecken, die mehr Hintergrund bietet. Was sind die Lebensziele von Mensch zu Mensch? Wie lässt sich die Seele in ihrer Entstehung begreifen? Was ist unter Gott zu verstehen? Wie kommen die vielen unterschiedlichen Religionen  zustande? Haben Tiere überhaupt eine Seele? Ein Background zum Universum und zur Evolution wären auch noch einzubeziehen. Hintergründe zu allen Lebewesen unseres Planeten. Diese und andere Themen würde ich zusätzlich empfehlen.  

Da jedes Subjekt in dem Buch aufeinander aufbaut und ich sie nicht aus dem Zusammenhang reißen möchte, halte ich mich in dieser Buchbesprechung kurz. Am Ende gebe ich eine kleine Empfehlung zu weiteren Werken.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Für mich selbst sind in diesem Buch die theoretischen Hintergründe zu Psychologie und Psychiatrie und die gesamten Krankheitsbilder und deren möglichen Therapiefelder wie Verhaltenstherapie, Autogenes Training und Gruppentherapie durch meine eigene Berufspraxis vertraut. Diese Therapieformen werden mit der Rückführugstherapie über Vorteile und Nachteile miteinander verglichen. Bezüge werden auch durch die komplexen Zusammenhänge wie z. B. die Ausstattung des Gehirns - linke und rechte Gehirnhälfte, sowie die großen Namen wie z. B.  Siegmund Freud, der Vater der Psychoanalyse hergestellt.

Interessant wurde es für mich schließlich erst, wie eine Rückführung in der Praxis durchgeführt wird, z. B. über einen Alphazustand. Die Proband*innen / Klient*innen werden in sechs Tiefenzustände geführt, das heißt, sie werden sukzessiv in einen hypnotischen Schlaf versetzt.

Ich werde mit dieser Therapieform nicht arbeiten, da ich keine Ausbildung dazu habe. Rückführungstherapeut wird man nicht durch das Anlesen diverser Theorien aus Büchern, sondern man muss sich zusätzlich über langwierige Kurse qualifizieren. Mich hat lediglich die Berufspraxis in abstrahierender Form interessiert, ohne die Absicht zu verfolgen, selbst diese Praktiken ausüben zu wollen. Aber vielleicht kann ich mit dem angelesenen Wissen Menschen in Brückenform über eine solche Therapie begleiten. Vielleicht möchte ich selber an mir diese ausprobieren. Wäre doch spannend zu erfahren, wer man in den multiplen Vorleben so alles gewesen ist.

Dazu fand ich den nächsten Abschnitt wiederum spannend, welche Erkrankungen mithilfe einer Rückführung behandelt werden könnten und was die jeweiligen Ursachen der Erkrankungen sind und wo sie ihren Ursprung haben. Ängste und Phobien jeglicher Art sowie Sexual- und Beziehungsstörungen, aber auch somatische Beschwerden, wie z. B. Haut- und Krebserkrankungen, Migräne,  Asthma ... Auch pränatale Entwicklungsstörungen können hier über eine Rückführung angegangen werden.

Aber Vorsicht, auch eine Rückführungstherapie hat ihre Grenzen, denn nicht jeder Mensch könne rückgeführt werden und nicht jede Krankheit sei heilbar.

Wovon ist das abhängig?
Weil nicht jeder Mensch in den Alphazustand gebracht werden könne. In dem Buch befindet sich zur besseren Orientierung für die / den Therapeut*in einen Test, den man zu Beginn der Therapie an der / dem Klient*in anwenden könne, um zu sehen, wie leicht oder schwer diese*r sich in einen Alphazustand versetzen lassen könne. Bei der Heilung der Erkrankung würde es auf das Ausmaß des Karmas, bzw. auf die Tiefe eines Lernprozesses, ankommen.

 Auch psychisch labilen Menschen wäre von dieser Therapieform abzuraten ... Viele Experten üben aus Überzeugung diesen Beruf aus, selbst Skeptiker unter ihnen. Denn …

Ein großes Plus der Rückführungstherapie besteht darin, dass weder Therapeut noch Klient an frühere Leben glauben müssen. Viele Therapeuten, die die Rückführungstherapie mit großem Erfolg ausüben, glaubten anfangs überhaupt nicht an die Existenz früherer Leben und erklärten ihren Klienten, die ebenfalls nicht an die Reinkarnation glaubten, z. B., dass aus ihrem Unterbewusstsein symbolische Bilder aus anderen Zeiten aufsteigen würden, die wichtige Aufschlüsse über den Heilungsprozess geben könnten. Jedoch gilt die Reinkarnation ab dem Jahr 1997 als bewiesen, dank der großartigen Pionierarbeit von Professor Ian Stevenson, (kanad. Psychiater, Anm. d. Verf.)

 Der Psychiater Brian Weiss schreibt: Weder Therapeut noch Patienten müssen an die Existenz früherer Leben bzw. an die Reinkarnationslehre glauben, um mit der Reinkarnationstherapie Erfolge zu erzielen. Der Beweis liegt in der Sache selbst. Schon mancher Kollege aus der Psychotherapie meinte zu mir: >Ich weiß noch immer nicht, ob ich an diese Sache mit dem früheren Leben glauben soll, aber ich arbeite damit, und es funktioniert.< (...) Mit der Zeit werden wohl alle Therapeuten, die diese Methode ausprobieren, von der Tatsächlichkeit der Reinkarnation überzeugt werden, da Klienten im Alphazustand historische und kulturgeschichtliche Fakten oder Daten nennen können, die ihnen im Wachzustand nicht bewusst sind (und die sich auch mit kryptomnesie nicht erklären lassen), deren Richtigkeit vom Therapeuten jedoch überprüft und bestätigt werden kann. (20f) 

Goethe war Pantheist und kein Atheist
Goethes Glaube war später gelöst sowohl von Konfessionen als auch von grauer Theorie und fand Gott in der Natur. Auch darin spiegelt Doktor Faust ohne Zugehörigkeit einer Religion die Sinn- und Glaubenssuche auf einer transzendenten- und einer präkognitiven Art: Was ist der Mensch, was ihn im Innersten zusammenhält? Goethe ist konfessionslos geworden, obwohl er eine protestantische Erziehung erworben hatte. Doch als Suchender hatte er sich von allen religiösen Vorstellungen gelöst, und sich aufgemacht, nach innen zu reisen, denn nur dort würde man, so Goethe, die Wahrheit finden. Suchen wir nur die eine Wahrheit? Es gibt unendlich viele Wahrheiten und jeder muss seine in sich finden, und wenn man hierfür ein ganzes Menschenleben benötigt. 

Goethe wurde später Pantheist statt Atheist. In seiner eigenen Suche musste er auch grenzüberschreitende Erfahrungen gemacht haben. Auch Ereignisse der Feinstofflichkeit waren im Faust zu beobachten; Wie werde ich die Geister wieder los, die ich einst rief? Wobei der Suchende, aus meiner Sicht, überall fündig werden kann, auch in Kreisen der Konfessionen.

Doch nicht nur Goethe, auch Hermann Hesse, Albert Einstein und viele andere Intellektuelle waren große Suchende in ähnlicher Form gewesen. 

Und nun wieder zurück zu Trutz Hardos Lesestoff. 

Ich fand es ganz spannend zu lesen, wie er zu dieser Thematik bzw. zu dieser Überzeugung hingefunden hat. Ähnlich wie sein Kollege Alexander Gosztonyi schreibt er aus seiner eigenen Berufspraxis heraus, denn auch Hardo ist Experte auf dem Gebiet der Rückführungstherapie:

Ich stütze mich bei diesen Ausführungen weniger auf indirektes Wissen (...), sondern vor allem auf direktes Wissen, also Erkenntnisse, die ich aus der praktischen Erfahrung in der Rückführungspraxis oder aus anderen >inneren< Quellen bezogen habe. So habe ich Hunderte von Aussagen von Menschen auswerten können, die ich in Einzel- und Gruppenrückführungen in den Zustand unmittelbar vor ihrem ersten Leben als Mensch versetzte und dann graduell weiter rückwärtsgehen ließ, bis sie am Ausgangspunkt ihres Seins angekommen waren. (27)

Sicherlich hat der Autor sich mit dem Wissen anderer Autoren wie z. B. dem Anthroposophen Rudolf Steiner befasst, aber er pflegte den Anspruch, schließlich sein eigenes Wissen zu finden. Ähnlich wie Goethe wollte er sich nicht mit der grauen Theorie zufriedengeben. 

Meine Empfehlungen zum Abschluss, die aus drei Lesephasen bestehen.

Drei Phasen
Ich empfehle, wer sich mit dieser Thematik ernsthaft beschäftigen möchte, sich mit folgenden Büchern einzudecken:

Erste Phase 
Theoretisches Hintergrundwissen
Das Buch von Alexander Gosztonyi: Das große Buch der Seele

In diesem Buch habe ich alle meine weltlichen- und Sinnfragen, vor allem auch bezogen auf die Tierqualen, beantwortet bekommen.

Von demselben Autor: Betrachte dich mit den Augen der Liebe – Deine Seele ist kein unbeschriebenes Blatt. Auch geht es hier um sieben seelische Entwicklungsstufen, die der Mensch im Laufe der Reinkarnation über zahlreiche und unterschiedliche Lernaufgaben erlangen müsse, um letztendlich von der Wiedergeburt erlöst zu werden, um vollends ins ewige Licht und in die ewige Liebe zu gelangen.

Zweite Phase
Reinkarnation aus der Berufspraxis über die Rückführungspraxis. Hier eignet sich wunderbar das vorliegende Buch von Trutz Hardo, der tiefere Einblicke aus der Praxis mit Menschen, die eine oder mehrere Rückführungen mitgemacht haben, schenkt.

Dritte Phase 
Mit dieser Phase wäre der nächste Schritt, selbst in die Rückführung zu gehen, wer möchte. Dazu gibt es von demselben Autor reichlich Material oder man sucht sich einen realen Experten dafür aus.

Woher hat der Autor sein Wissen?
Ich habe hier noch zwei Bücher von dem Autor und seinem Kollegen Johannes  v. Buttlar liegen, die ich allerdings nicht rezensieren werde. Ihnen zufolge bezieht vor allem Buttlar sein Wissen nicht nur aus seiner beruflichen, therapeutischen Tätigkeit heraus, sondern er selbst würde reichlich über außerkörperliche Erfahrungen (Out-of-Body) verfügen. Er ist daher von der Reinkarnation nicht nur durch seine Klientel überzeugt. Auch er wurde durch seine langjährige Sinn- und Glaubenssuche, die mit 17 Jahren begonnen hatte, auf diesen Weg gebracht. 

Es hat mit Glauben nichts zu tun, sondern es ist meine Überzeugung, weil ich es aufgrund meiner vielen Erfahrungen weiß. (61)

Mit welchen Techniken diese Out-of-Body eingeleitet und ausgeführt werden, sind aus den jeweiligen Büchern der Autoren zu entnehmen. Eines davon habe ich unten im Fettdruck erwähnt.


Mein Fazit?
Das Buch hat mich angeregt, mich weiter mit dieser Thematik zu befassen und gehe in die dritte Phase und habe mir ein weiteres Buch von demselben Autor Trutz Hardo und Mitautor Johannes von Buttler bestellt Supersurfing / Reisen durch Raum und Zeit. Aber es gibt noch andere Bücher mit einer Rückführung - CD. Ich werde sehen, wie weit ich komme, bis mein Wissensdurst gestillt ist.

Zudem eignet sich das vorliegende Buch nach dem Lesen wunderbar auch als ein Nachschlagewerk, wie ich im Vorspann schon geschrieben habe. Also, kein Buch zum Wegstellen.

Meine Bewertung zum Sachbuch

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck und Verständlichkeit
2 Punkte: Sehr gute Umsetzung der Thematik
2 Punkte: Sehr gute aufklärerische  Verarbeitung
2 Punkte: Logischer Aufbau, Struktur und Gliederung vorhanden.
2 Punkte: Anregung zur Vertiefung, zum weiteren Erforschen und zur Erkundung
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

12 von 12 Punkte 

Eine klare Leseempfehlung nicht nur für Profis, sondern auch für andere aufgeschlossene und neugierige Menschen mit Vorkenntnissen.

Herzlichen Dank an den Silberschnurverlag für das Leseexemplar.

________________

Gelesene Bücher 2021: 03
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Aufhören gegen den 
eigenen Strom zu schwimmen.

Ich lese in meinem Tempo
mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen, Tiere und auch mich
besser zu verstehen.

 


Sonntag, 7. Februar 2021

Mein Jahresrückblick 2020

Foto: Pixabay
Mit nur 26 Büchern war 2020 das leseärmste Jahr der letzten neun Jahre. Was war los?

Gelesene Bücher 2020: 26
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Leseflaute?
Ich kann nicht sagen, dass ich unter einer Leseflaute leide. Ich bin eher frustriert, dass mir nicht mehr Zeit zur Verfügung gestanden hat. Aber was sind die eigentlichen Gründe, dass an meiner Lesestatistik seit den letzten Jahren solch ein sukzessiver Abfall zu beobachten ist? Häufig habe ich von Jahr zu Jahr mit meiner besten Freundin Anne darüber gesprochen, die mich gut kennt, und immer wieder habe ich die Gründe im Außen gesucht. Aber die wahren Gründe konnten nur in meinem Inneren gefunden werden. Denn zur Antwort hat mir schließlich hierbei der wunderbare Autor Stan Nadolny verholfen, in: Die Entdeckung der Langsamkeit. 

Eigenes Lese- und Lebetempo
Genau, daran liegt das. Ich habe mein eigenes Tempo. 

Sten Nadolny / Die Entdeckung der Langsamkeit
Zu viele neue Bücher verführen zu schnellem Lesen. Frühjahr- oder Sommerprogramme an Neuerscheinungen aller Verlage lassen an die Kleidermode erinnern. Lange habe ich die vielen Bücher im Sommer nicht mal ausgelesen, als schon die nächste Jahreszeit bzw. die neue Büchersaison angekündigt wurde. Manche Menschenseele kann so schnell nicht verarbeiten, wie der Kopf liest. Als ich zum Jahresabschluss Irvings Owen Meany gelesen habe, habe ich gemerkt, wie gut mir das langsame Lesen getan hat. Solche tiefgründige Gedanken haben sich mir aufgetan, die niemals entstanden wären, wenn ich ihn in einer schnelleren Geschwindigkeit abgelegt hätte. Wenn ich ein Buch geistig und seelisch erfassen möchte, und diesen Anspruch habe ich, dann geht das nur in meinem subjektiven Tempo.  

Man ist deshalb nicht verkehrt, weil man weniger Bücher schafft als andere. Diese unbewusste Einstellung ist zu revidieren, die Leseqauntität an der Lesequalität festmachen zu wollen. Irvings Owen Meany hat mir im Dezember gezeigt, dass mir viele Weisheiten aus dem Buch entgangen wären, hätte ich mir nicht die Zeit für ihn genommen. Und mit Prousts Briefen hatte meine Langsamkeit unbewusst schon längst begonnen, zu mir zurückzufließen, ohne dass mir das wirklich bewusst wurde. Ich las vor meiner Proust - Pause jedes Wochenende nicht mehr als zehn bis zwölf Seiten. Es hätte mich definitiv nicht befriedigt, wenn ich die Briefe einfach nur runtergelesen hätte. Dennoch bin ich gegen meinen eigenen Strom geschwommen, in dem ich versucht habe, dagegen anzukämpfen. Trotzdem habe ich nicht mehr geschafft, nur meine Unzufriedenheit hat noch weiter massiv zugenommen, wenn zur Mitte des Jahres hin eine schrumpfende Lesestatistik weiterhin zu beobachten war. 

Mit Sten Nadolny, der mich an die Vorteile der Langsamkeit erinnert, gehe ich also ins neue Lesejahr 2021. Ihn, nun in mein Herz eingelassen, möchte ich mich als eine langsame Leserin akzeptieren, dafür aber lese ich mit mehr Intensität und mit mehr Genuss. 

Viele meiner Bücherfreundinnen und meiner Besucher*innen melden mir zurück, dass ihnen an meinem Blog die Tiefe gefallen würde. Und ich verspreche, es wird mit meinem ursprünglichen Lesetempo noch tiefsinniger werden. 

Langsame Menschen können auch nicht so losplappern. Ähnlich wie bei 
John Franklin sprudeln auch bei mir die Worte nicht aus mir heraus, aber wenn ich durch einen Anpassungsdruck trotzdem rede und rede, kommen nur unreife Sachen hervor. Nicht anders erging es John Franklin, der auch das langsame Sprechen thematisiert hatte. Aber wenn diese Menschen Zeit bekommen, dann bekommen die Gedanken Blüten und aus den Blüten entstehen bei guter Pflege wunderschöne Pflanzen.

Doch nun etwas Statistik!

Meine Lesestatistik

Diese Bücher habe ich 2020 gelesen

Schwarz Fettgedruckt: Lesehighlight und die Blaugedruckten sind die abgebrochenen Bücher.

Das Jahr 2020 hatte gleich mit einem Lesehighlight begonnen und zum Ende hin hatte es sogar mit einem weiteren Leshighlight beendet. Beide Bücher sind aus dem Diogenes Verlag. 

Die Bücher werden unten in der Reihenfolge aufgezählt, wie sie auch über das Jahr verteilt gelesen wurden.

1. Ian McEwan: Die Kakerlake (12)
2. Ulrich Ladurner: Der Fall Italien (11)
3. Leena Gander: Die Gesichter des Meeres (***, nach 200 Seiten abgebrochen)
4. Charles Dickens: Dombey und Sohn BD 2 (11)
5. John Okada: No No Boy (12)
6. Ian McEwan: Liebeswahn (12)
7. Hasnaim Kazim: Auf sie mit Gebrüll (12)
8. Matthias A. K. Zimmermann: Kryonium (12)
9. John Kaag: Das Bücherhaus (***, nach 200 Seiten)
10. Hendrik Lambertus: Das Erbe der Altendiecks (12)
11. David Michie: Buddhismus für Mensch und Tier (12)
12. Saša Stanišić: Herkunft (12)
13. David Michie: Die Katze des Dalai Lama (***, nach 100 Seiten)
14. Dennis Lehane: Der Abgrund in dir (11)
15. Alexander Gosztonyi: Das große Buch der Seele (12)
16. Karmen Jurela: Rauschliebe (7)
17. Raffaella Romagnolo: Bella ciao (11)
18. Michael Rosenberger: Der Traum vom Frieden zwischen Mensch und Tier: (12)
19. Alexander Gosztonyi: Betrachte dich mit den Augen der Liebe (12)
20. Walter Moers (***) (338)
21. Oscar Wilde: Das Gespenst von Canterville (10)
22. Mahatma Gandhi: Es gibt keinen Weg zum Frieden, Frieden ist der Weg: (12)
23. Raffaella Romagnolo: Dieses eine Leben (8)
24. Stefano Mancuso: Die unglaubliche Reise der Pflanzen (12)
25. Michael Repkowsky / Hochensibel und glücklich (12)
26. John Irving: Owen Meany (12)

Punktevergabe gelesener Bücher

12 Punkte: 15 Bücher
11 Punkte: 04 Bücher
10 Punkte: 01 Buch
  8 Punkte: 01 Buch
  7 Punkte: 01 Buch

Das ist doch ein guter Schnitt. Dass von den bewerteten Büchern kein schlechtes zur Hand war. Sie entwickelten sich für mich alle zu einem überdurchschnittlichen Potenzial. 

An die Autor*innen, die es nicht bis zur 12 geschafft haben. Bitte nicht traurig sein, ich versuche wirklich ganz ehrlich meine Punkte zu vergeben, und es fällt mir selbst auch nicht immer leicht, ein Werk schlechter zu bewerten als ein anderes. In unserer leistungsbezogenen Gesellschaft glaubt man immer die "Höchstpunktzahl" erwerben zu müssen, weil man zu den Besten zählen muss, um dadurch etwas Besonderes  zu sein. Nein, das muss man aber nicht. Mit sieben Punkten und weniger kann man durchaus auch ein ganz besonderer Mensch und Autor*in sein. Mir ist bewusst, dass eure Bücher eure Babys sind, mit denen ihr lange Zeit schwanger gegangen seid, bis ihr sie auf dem Papier ausgetragen habt. Das allein verdient schon große Wertschätzung und Anerkennung. 

Abgebrochene Bücher:

An die Autor*innen der abgebrochenen Bücher. Die Chemie zwischen uns hat partout nicht gestimmt. Ich konnte mit eurer Welt nicht warm werden, befinde mich in meiner Entwicklung auf einer völlig anderen Stufe, was das Welt- und Menschenbild betrifft.

Wenn ich jedem Buch die gleiche Anerkennung zolle, kann ich nicht mehr authentisch sein und büße dadurch auch vor mir selbst meine Glaubwürdigkeit ein.

Aber wie kommen Abbrüche zustande?

Dafür gibt es für mich zwei Kategorien.

Kategorie 1: Unterschiedliches Wissen

Zu einseitiges Weltbild

Dieser Punkt ist auch abhängig davon, wie ich ein Buch innerlich bewerte. Manches Wissen von Autor*innen ist für mich regelrecht überholt, bin damit längst durch, weshalb es zu den Abbrüchen mancher Bücher kommen konnte. Undifferenzierte Charaktere, einseitige Lebensstile befriedigen mich nun mal nicht. Die Welt draußen ist überall bunt und überall auf der Welt gibt es facettenreiche Menschen, gute und böse. Selbst im "schlechtesten" Menschen sind positive Anteile behaftet. Wenn solche Bücher noch in einer populistischen Sprache verfasst wurden, dann können wir partout nicht zusammen kommen.

Kategorie 2: Zu kühle Sprache
Eine zu kühle und eine zu technisierte literarische Sprache findet in meiner Seele keinen Anklang, denn ich halte es wie Benedict Wells. Auch ich mag keine "intellektuellen Dünkel". Auch ich möchte alle lesende Menschen hier für willkommen heißen, niemanden ausschließen, wobei die Experten unter uns, die sog. Literaturwissenschaftler*innen, sich häufig selbst abkabseln, viele pflegen den Austausch in ihren eigenen Nischen, da wir, die Nichtprofis, ihnen sicherlich zu profan erscheinen. Wells möchte mit seinen Büchern auch keinen Menschen ausschließen. Solche Autor*innen mache ich zu meinen Vorbildner*innen, wenn sie mir so richtig aus der Seele sprechen. 

Wie kommen die Lesehiglights zustande?
Ich habe ja viele Bücher mit 12 Punkten votiert, bei sieben fanden ganz besondere innere Erlebnisse statt.

Welche waren das? Sechs Kriterien

1.   1. Neue Wissensvermittlung 
 2. Versetzung in einen tranceähnlichen Zustand
 3. Unvorhersehbare Ereignisse und Ausgänge
 4. Wenn ein belletristisches Buch viele Fragen aufwirft und die hypothetischen Antworten
     dazu irregeleitet waren
 5. Überraschungen und Aha-Erlebnisse
 6. Die Balance eines ausgewogenen Schreibstils zwischen Kognition und Empathie

Rezensionsexemplare
Im Jahr 2019 hatte ich es als ziemlich bedrückend erlebt, meine Rezensionsexemplare nicht zeitnah besprochen zu haben. Teilweise mussten die Verlage bis zu einem Jahr auf meine Buchbesprechung warten. Das tat mir sehr leid, deshalb habe ich mir für das Jahr 2020 ganz fest vorgenommen, nicht mehr so viele Leseexemplare anzufragen und das ist mir in diesem Jahr gelungen. Nur noch einzeln habe ich die Bücher beantragt und konnte sie dadurch auch zeitnah besprechen.

Im Jahr 2021 handhabe ich es ähnlich, allerdings mit einer kleinen Veränderung. Ich möchte nur noch die Bücher anfragen, auf die ich ganz besonders aufmerksam geworden bin. Ich suche nicht mehr gezielt.

Ein herzliches Dankeschön hierbei an allen Verlagen, vor allem auch dem Bloggerportal, für das dafür aufgebrachte Verständnis.

Auch möchte ich wieder vermehrt Bücher anfragen, die nicht jeder lesen möchte. Diese Bücher machen mir irgendwie mehr Freude, sie zu rezensieren. Bei den anderen, vor allem bei den behypten Büchern, lasse ich mir mit kleinen Ausnahmen gerne etwas Zeit, da sie schon überall auf den Blogs genug Raum einnehmen.  

Meine Lieblingsverlage

Diogenes und Suhrkamp
Noch immer der Diogenes Verlag, aber auch der Suhrkamp Verlag. Neben den interessanten Büchern findet man in den Leseexemplaren immer wundervolle Grußkarten von diesen beiden Verlagen. Aus Zeitgründen habe ich leider keine Leseexemplare mehr beim Suhrkamp beantragt, aber es ist für mich tröstlich zu wissen, dass ich mit meinem Anliegen laut der Pressereferentin mich jederzeit wieder an den Verlag wenden könne. 

Und der Diogenes Verlag?
Wenn man nur noch Bücher aus diesem Verlag lesen würde, kann ich dafür meine Hand ins Feuer legen; man wäre für den Rest seines Lebens durchgehend mit vielen verschiedenen anspruchsvollen Büchern versorgt. Auch für die jüngeren Leser*innen unter uns. Keine Übertreibung. Und bei den gebundenen Buchbänden ist der Diogenes Verlag weiterhin nicht um gute Sprüche verlegen. Immer mit dem Passenden dabei. Wenn ich ein Diogenes-Buch aus seiner äußeren Hülle entkleide, purzelt mir eine Postkarte aus dem Inneren entgegen. Alle diese Karten werden wie ein Schatz in eine schöne Kiste gelegt. Und damit die Sprüche nicht nur Sprüche bleiben, packe ich immer mal wieder einen aus und es kommt vor, dass dieser Spruch sogar einen Platz in meiner Küche erhält. Viele sind fein humoristisch nuanciert. Wer den Diogenes Verlag kennt, der versteht den Witz aus jedem Spruch herauszuziehen. 

  

Werden Sie ein besserer Mensch ... Doch auch dieser Spruch zauberte ein Lächeln auf meinen Lippen. Aber gleichzeitig drückt er für mich genau das aus, zu was Bücher mir verhelfen sollen. Oftmals holen Bücher mich auch zu mir selbst zurück ... 

Für eine tolle und für die ganz besondere Zusammenarbeit mit der Pressereferentin Susanne Bühler, die mit ihrem Einsatz auch virtuell wunderbar uns Buchblogger*innen auf eine besondere Art und Weise betreut, möchte ich mich hierfür recht herzlich bedanken.

Frankfurter Buchmesse 2020
Leider ist sie dieses Jahr der Pandemie wegen ausgefallen. (Zur Pandemie habe ich am Schluss ein paar Worte geschrieben.) Virtuelle Buchmesse? Das hat bei mir nicht funktioniert. Ein Sonntag ist mir gelungen, zwei Lesungen zu verfolgen, über die ich schreiben wollte. Ich habe mir Notizen gemacht, habe sie aber nicht auf meinem Blog übertragen. Mir hat definitiv das Buchmessen-Feeling gefehlt.

Bloggertreffen mit Diogenes
Diogenes Verlag / Bloggertreffen über Zoom. Auch hier hatte ich mir viele Notizen zu den Neuerscheinungen für das Frühjahr 2021 gemacht und habe sie noch nicht auf meinem Blog übertragen, wo ich eigentlich sonst so fix bin mit meinen Aktivitäten dieser Art.

Ein Trost: Die Notizen gehen mir nicht verloren und werde sicher damit noch arbeiten, wenn auch in einer anderen Form. Zumindest nehme ich sie mit ins neue Jahr 2021.

Was ist mir nicht gelungen?
Alle meine literarischen Reisen mussten bedingt der Pandemie ausfallen. Sowie auch die Bildungsreise nach Auschwitz.

Leseprojekt Italien
Ich bin mit diesem Projekt regelrecht gescheitert, sodass ich damit wegen der stereotypen Themen und der meist durchgehend einfachen Charaktere nicht fortsetzen möchte. Um dieses Land aber nicht ganz aufgeben zu müssen, möchte ich mit Biografien weiter machen, weil sie viel differenzierter und glaubwürdiger ausfallen. Nicht alle belletristischen Bücher waren schlecht, aber die Themen, die darin behandelt wurden, waren (fast) immer dieselben. 

Was ist mir gelungen?
Das Marcel Proust – Leseprojekt habe ich zusammen mit Anne regelmäßig weiter verfolgt. Allerdings ist Anne zum Jahresende ausgestiegen, was ich natürlich verstehen kann, da sie zu Proust nicht dieselbe Bindung hat wie ich. Dennoch ein herzliches Dankeschön an Anne, dass sie mich für eine längere Zeit begleitet hat. Der Austausch mit ihr war immer sehr schön und bereichernd.

Weitere Leseprojekte
Ein paar weitere Leseprojekte zu bestimmten von mir favorisierten Autor*nnen konnten fortgesetzt werden. Das waren Bücher von Charles Dickens, Ian McEwan und John Irving.

Neue Leseforen auf Facebook
Es gibt auf Facebook so viele tolle Lesegruppen, für die ich neben meinem Beruf leider nicht die Zeit habe, mich überall einzubringen. Ich habe auch nicht immer die Power, mich mit anderen auszutauschen. Oftmals genieße ich auch die Stille und das Ausbrüten diverser Gedanken im Alleingang. 

Lesedrachen
Durch das Kennenlernen einer weiteren Lesefreundin bin ich in diesem Forum, das noch heimelig klein ist, nach bestem Willen aktiv.

Diogenes Backlistenlesen
Hier bin ich schon seit ein paar Jahren Mitglied, meist in stiller Form. Aber wenn es passt, kann ich mich auch recht aktiv einbringen, wie ich es dieses Mal mit einem Irving erlebt habe. Auch in einem Alleinposting-Gang. Eine wunderbare Erfahrung durfte ich in diesem Forum auch zum Ende des Jahres machen und habe hierbei neue und sehr interessante Menschen kennenlernen dürfen. Diese zahlreichen Posts haben mir geholfen, mir Owen näher zu bringen, da ich gewisse Gedanken und Eindrücke nicht einfach geschluckt habe, sie stattdessen dort festhalten konnte.

Leseforum außerhalb von Facebook
  Mojoreads

Leider werde ich mit dieser Plattform nicht so richtig warm, das aber auch an mir liegt, weil ich evtl. durch meinen Zeitmangel zu wenig aktiv bin, was ich selbst bedauere.

Schade finde ich allerdings, dass das Konzept dieses Forums von vielen Mitglieder*innen ideell nicht wirklich geschätzt und im schlimmsten Fall sogar missbraucht wurde. Durch die Kreditvergabe wurden viele Rezensionen gepostet, aber es kam wenig Austausch zustande. Eine ideelle Sache hat sich in eine materielle entpuppt. Das war sicher nicht im Sinne des wirklich gut gemeinten Administrator Volker Oppmann, der nun sein Konzept verändert hat. Kredite gibt es jetzt nur noch bis zu einer bestimmten Grenze. Ganz verwerflich fand ich, dass viele Rezensionen von anderen Seiten sogar gestohlen bzw. plagaiert wurden, um an Kredits dranzukommen.

Dennoch bleibe ich dem Forum weiterhin treu und fülle dort nach und nach meine virtuelle Bibliothek mit neuen Büchern auf, sobald ich sie ausgelesen habe.

Warum schreibe ich, wie ich schreibe?
Zu dieser Antwort hat mir John Irving mit seinem Buch Owen Meany verholfen.

Eine reine technische Sprache, wie ich oben schon geschrieben habe, liegt mir nicht, nimmt mir die Kreativität zu eigenen Gedanken. Mir kommt es in einem Werk hauptsächlich auf die Zwischenmenschlichkeit an. Ich möchte auf zwei Ebenen verstehen können, was ein*e Autor*in schreibt. Auf der kognitiv - intellektuellen Ebene und auf der Ebene der Feinfühligkeit. Wie fühlt sich der Gedanke an, den ein*e Autor*in durch jenes Werk in meinem Kopf hat entstehen lassen? Und so versuche ich im zweiten Akt des Verstehens in einem Buch eine Verbindung zu beiden Ebenen herzustellen.

Besondere Rückmeldung von Autor*innen?
Ich hatte in diesem Jahr eine Rückmeldung in kryptischer Form. Der Autor schickt mir einfach zwei Smilies, wovon der eine für mich erst ohne Bedeutung war. Was soll ich denn damit?, hatte ich mich gefragt. Smilies ersetzen die verbale Sprache nicht, sie unterstreichen sie lediglich. Er hatte mir einen lachenden Smilie geschickt, den Link meiner Rezension und darunter war der umgekehrte Smilie abgedruckt. Ich wusste nicht, was dieser Smilie sollte. Da schreibt ein Mensch so ein tolles Buch, und schickt mir Smilies, weil er wahrscheinlich nicht weiß, wie er sich mir gegenüber ausdrücken soll. Und erst am nächsten Morgen kam mir das Aha-Erlebnis. Er hatte mich mit seinem Buch gefoppt und alle meine Hypothesen wurden am Ende des Buches auf den Kopf gestellt. 18 Kilometer zur Arbeit eBike fahren war für mich ein Gewinn, da ich viel Zeit hatte, ohne abgelenkt zu werden, über sein zweites Smilie nachzudenken. Und das wäre sehr schade gewesen, wenn ich seine Antwort nicht verstanden hätte. Danke hierfür an den Autor.

Meine herausragende Freundschaft mit Anne-Marit Strandborg
Auch das Lesejahr 2020 war sehr schön mit Anne. Jede Menge buchige Themen haben wir telefonisch austauschen können. Leider befinden sich unsere Wohnorte zu weit auseinander. Aurich und Darmstadt  trennen fast 600 Kilometer. 

Zusammen haben wir die Proust - Briefe  gelesen, im Dezember eine Dickens-Weihnachtsgeschichte. Wir verfolgen zwar unterschiedliche Leseprojekte, auf die wir uns fokussieren, aber wir lernen trotzdem recht viel voneinander. Anne beschäftigt sich literarisch mit der ehemaligen DDR und aktuell ist sie seit Längerem mit Büchern über vergessene Autorinnen zugange. Anne habe ich vor zehn Jahren im Literaturforum kennengelernt, in dem auch ich sehr aktiv war, da ich noch keinen Blog hatte und auch Facebook war ich noch nicht beigetreten. Als ich das Forum aus bestimmten Gründen verlassen habe, baute ich mir vor acht Jahren meinen Blog auf, der im Mai 2021 neun Jahre alt wird. 

Liebe Anne,
ich danke Dir herzlichst für diese besondere Freundschaft. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg mit Deinen Leseprojekten und freue mich auf viele weitere Buchgespräche und über sonstige Themen, die auch das reale Leben uns bietet.  

Zum Abschluss ein paar Gedanken zur Pandemie, die unser aller Leben geprägt hat.
Auch die Buchbranche hat es stark getroffen
Fast überall wird nur noch über Covid 19 gesprochen. Dies hat sich schon auch zu einer Art Hype im Gesundheitswesen entwickelt. Die Sozialen Netzwerke sind voller Anfeindungen, auch die Journalisten bringen vielerorts nur noch recht einseitige Themenberichte. Daher halte ich mich in den Medien eher zurück, bevor man in eine rechte Schublade gesteckt wird. Ich möchte nur hier ein paar Zeilen darüber schreiben. Selbst viele Leseratten tauschen sich vermehrt darüber aus, wie ich heute von Anne mitgeteilt bekommen habe, die dieses Phänomen des Austauschs auch auf Twitter immer wieder beobachten würde. Die Buchthemen würden dadurch in den Hintergrund treten.

In so einer Phase ist es besonders wichtig, dass die Menschen zusammenhalten und sie sollen aufhören, sich gegenseitig anzufeinden. Corona ist besorgniserregend, ohne Frage, aber mit einer angstschürenden Politik kommt man auch nicht weiter, sie spaltet nur eine Gesellschaft und lenkt eher von den Ursachen der Problematik ab, und ich mich frage, ob das nicht auch gewollt ist? Klimawandel, gestörtes Ökosystem, Massentierhaltung, Abholzung von Regenwäldern, etc. Diese bereiten mir langfristig noch mehr Sorgen. Corona ist nicht die erste Pandemie. BSE, Vogelgrippe, Schweinegrippe ... Und jetzt der Ausbruch von Mutanten. Die Viren scheinen immer aggressiver zu werden. Wenn wir unsere gewohnte Lebensweise nicht hinterfragen und so weiter machen wie bisher, ist es sehr wahrscheinlich, dass bald mit neuen Erregern zu rechnen ist. Sorgen bereitet mir, wenn wir die Erlösung nur in die Impfungen setzen. Wir denken, der Impfstoff befreit uns von der Seuche. Das ist nur die eine Sichtweise. In Wahrheit müssen wir unser Leben ändern, denn die Natur wehrt sich, zeigt, wie krank sie durch uns geworden ist und sich die Krankheit auf uns überträgt. Eine Aufklärungskampagne dazu müsste gestartet werden. Welche Zukunft wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Eine verbrannte Erde? Es wird längst Zeit für einen inneren und äußeren Lebenswandel. Alle haben sie Angst vor Covid. Aber wo bleibt die Angst vor einem ausgeraubten Planeten? Immer mehr jüngere Menschen erkranken an Krebs und sterben daran. Darüber werden keine Statistiken gezeigt. Das finde ich sehr gruselig und besorgniserregend ... 

Wieder zurück zur Buchthematik: Bedingt durch die Pandemie fällt die Leipziger Buchmesse auch 2021 zum zweiten Mal aus und es ist abzusehen, dass es auch die Frankfurter Buchmesse treffen wird. 

Meine Ziele für 2021
Ich würde gerne meine Leseprojekte weiter intensivieren. Ansonsten habe ich keine Ziele, da durch die Pandemie alles noch offen ist. Ich möchte bescheiden bleiben, da im Jahr 2020 viele Vorhaben ausgefallen sind. Eigentlich habe ich vor, Benedict Wells, der ein Lesungskonzert in Darmstadt am vierten November 2021 in der Centralstation gibt, zu besuchen. 

Neues Bewertungssystem, kleine Abweichung
Im möchte im neuen Jahr 2021 für die Lesehighlights zwei Extrapunkte vergeben. Zwölf bleibt weiterhin die volle Punktzahl, doch dieser kleine Obolus von zwei Punkten zusätzlich macht diese Werke zu Besonderheiten, zu Leseh
ighlights. Ich hatte 2019 das Problem, dass ich jede Menge 12-er Bewertungen hatte, und ich mich für die Highlights nicht entscheiden konnte. Und das fand ich sehr schade, denn es gab vereinzelt 12-er Bewertungen, obwohl mir die Bücher nicht besonders gut gefallen haben. 

Eigentlich hatte ich auch die Überlegung, ganz von der Bewertung abzukommen. Dann hatte ich mich doch wieder dafür entschieden, weil die Furcht vor unfairer Bewertung größer war, und ich Gefahr laufen würde, eine*r Autor*in nicht ausreichend gerecht werden zu können. Und dieses Punktesystem soll zu einer gerechteren Beurteilung verhelfen. Sie hilft , den Blick auf mehrere Bereiche auszuweiten. Es ist nur für mich eine persönliche Hilfe, denn eigentlich ist jede Bewertung sehr subjektiv, auch die vermeintlich objektive. Mehr nicht. 

Mein Fazit?
Trotz Leseabfall hatte ich insgesamt durch die besonderen inneren Erlebnisse ein wundervolles Lesejahr 2020. 

Foto: Pixabay
Verspätete Neujahrsgrüße? 
Tja, auch wenn der Jahreskalender jetzt schon Anfang Februar 
verzeichnet, möchte ich trotzdem noch die Gelegenheit nutzen, allen Verlagen, Autor*innen, Freund*innen, Bloger*innen und allen Besucher*innen ein erfolgreiches und ein gesundes neues Jahr 2021 wünschen. Uns allen wünsche ich auf jeder Ebene weiterhin viel Erfolg. Es bleibt noch genug übrig, um das Jahr mit diesen Wünschen weiter auszufüllen.

Herzlichst und beste Grüße

Mirella Pagnozzi

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Gelesene Bücher 2021: 02
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Aufhören, gegen den eigenen 
Strom zu schwimmen.

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere 
besser zu verstehen.


Donnerstag, 4. Februar 2021

Trutz Hardo / Das große Buch der Reinkarnation

Der Wissende weiß, dass er glauben muss. 
(Friedrich Dürrenmatt)


Wenn einer 75 Jahre alt ist, kann er nicht fehlen, dass er mitunter an den Tod denke. Mich lässt dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Überzeugung, dass unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur; es ist ein Fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die selbst unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet.
(Goethe an Eckermann)

Ich bin gewiss, wie Sie mich hier sehen, schon tausendmal dagewesen und hoffe wohl noch tausendmal wiederzukommen.
(25.1.1813 Goethe an Johann Daniel Falk)  

Hier  geht es zu den Goethe - Zitaten, Zitate über Reinkarnation.

Klappentext  

Jede Krankheit, jedes Problem hat eine Ursache. Oft liegt diese Ursache in einem früheren Leben. Deckt man sie auf, wird sehr häufig eine spontane oder allmähliche Heilung erreicht. So heilt die aus Amerika stammende Rückführungstherapie oft dort, wo jede »klassische« Therapie versagt – von Beziehungsschwierigkeiten bis hin zu körperlichen Erkrankungen und Schmerzen wie auch zu Migräne, Asthma und andere psychosomatische Erkrankungen, Allergien, Ängste oder möglicherweise sogar Krebs.

Themen aus dem Inhalt sind: Müssen der Therapeut und/oder der Patient an Wiedergeburt glauben? Was vermag die Rückführungstherapie? Wie wird die Rückführungstherapie durchgeführt? Wie lässt sich die Rückführungstherapie mit anderen Therapien kombinieren? Was bedeutet ganzheitliches Heilen?

Dieses Handbuch ist nicht nur als Arbeitsbuch für Mediziner und Therapeuten gedacht. Es ist auch für all jene Menschen bestimmt, die körperliche, seelische oder beziehungsbedingte Probleme haben und sich auf der Suche nach Heilung befinden.

Autor*inporträt

Trutz Hardo gilt als der bekannteste Rückführungsexperte Deutschlands. Millionen kennen ihn aus dem Fernsehen, denn er hat verschiedentlich vor laufender Kamera selbst in Live-Sendungen Personen erfolgreich in ihre früheren Leben zurückgeführt.

Meine ersten Leseeindrücke
Sehr interessante Einblicke aus der Berufspraxis des Autors. Man muss sich dafür aber auch Zeit nehmen, das Gelesene sacken zu lassen. Ich lese schon darin seit ein paar Wochen. Interessant fand ich, dass in Kalifornien die ersten Rückführingstherapeuten entdeckt wurden. In den 1950er Jahren breiteten sie sich in ganz Amerika weiter aus, sodass immer mehr Psychotherapeuten diese in ihre Praxis haben miteinfließen lassen. Leider ist dies bei uns hier nicht sehr weit verbreitet. Viele somatische und psychische Erkrankungen könnten damit schneller geheilt werden. Auch das Gesundheitssystem könnte stärker entlastet werden, da die herkömmlichen Psychotherapien, wie ich es auch in meiner Berufspraxis erlebe, nicht wirklich den Heilerfolg bringen und sehr langwierig sind. Doch auch o. g.  Therapieform birgt ihre Grenzen, wie ich in der späteren Buchbesprechung noch schreiben werde.

Buchdaten

·       ASIN : 3898455491

·       Herausgeber : Silberschnur Verlag; New Edition (15. August 2017)

·       Sprache : Deutsch

·       Gebundene Ausgabe : 480 Seiten

·       ISBN-10 : 9783898455497

Hier geht es zur Verlagsseite von Silberschnur.

Hier geht es zu meiner Buchbesprechung.


Sonntag, 31. Januar 2021

Kim Thúy / Der Klang der Fremde (1)

Bildquelle: Pixabay
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Ein Büchelchen, das ich in einer kurzen Sprache erlebt habe. Kurz deshalb, weil die Sätze kurz waren, des Weiteren noch gepackt in vielen Absätzen und die Seiten waren nicht immer ganz gefüllt. Die Geschichte hat auf ihre Art Tiefgang, aber dennoch hat sie sich bei mir innerlich nicht wirklich festsetzen können. Das Buch habe ich seit ein paar Tagen ausgelesen, und es fällt mir schwer, mich an die Details zu erinnern. Ich habe überlegt, woran das gelegen haben könnte. Es lag an der Erzählstruktur. Die Episoden waren mir zu sprunghaft und zu abgehackt. Mir hat eine gewisse Chronologie gefehlt. Auch die Sprache war eine sehr kühle und distanzierte Sprache. Die Figuren waren für mich nicht ausreichend greifbar. Ich konnte keine innere Verbindung zu ihnen herstellen.

Und dennoch habe ich das Buch mit einer hohen Punktzahl votiert, weil ich im Nachklang mithilfe meiner Stichpunkte beim Durchblättern der Seiten nochmals durch viele interessante Kernstücke habe hervordringen können.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Heldin dieses Romans ist Kim, als sie 1978 im Alter von zehn Jahren zusammen mit ihrer wohlhabenden Familie aus Vietnam wegen des Kambodschanischen-vietnamesischen Krieges floh. Die Menschen flüchteten vor dem Kommunismus, der ihnen alles wegnahm, was sie besaßen.

Als die Kommunisten in Saigon einmarschierten, überließ meine Familie ihnen die Hälfte unseres Besitzes, denn wir waren verwundbar geworden. Eine Backsteinwand wurde im Haus errichtet, um zwei Adressen zu schaffen: eine für uns und eine für das Polizeirevier des Viertels. (35)

Die Angst vieler Menschen vor der Flucht über dem Meer war nicht so verbreitet wie die Angst vor den Kommunisten, und so nahmen diese Menschen alle Strapazen auf sich, sich hoffnungsvoll in abenteuerliche Aufbrüche zu begeben, um woanders eine neue Existenz aufzubauen. Das Erlebnis in einem Flüchtlingsschiff:

Wir waren erstarrt, eingeklemmt zwischen den Schultern der einen, den Beinen der anderen, gefangen in der Angst aller. Wir waren gelähmt. (11)

Die Flucht glückte trotz aller Nöte und Missstände bis nach Kanada ... In Quebec angekommen, wurde Kim in ihrem zweiten Aufenthaltsjahr auf eine Kadettenschule geschickt. Hier sollte sie auf Wunsch der Mutter zügig Französisch und Englisch lernen, damit sie schnellstmöglich in ihr neues Umfeld integriert werden könne, um am späteren gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt partizipieren zu können. Ihre Muttersprache musste sie aufgeben und stattdessen Englisch und Französisch lernen. Doch Kim verstummte zeitweise durch die Flucht.

Meine Mutter wollte, dass ich spreche, ich sollte so schnell wie möglich Französisch lernen und Englisch, denn meine Muttersprache war zwar nicht lächerlich, aber nutzlos geworden. (25)

Kim schafft es aber, in ihrer neuen Heimat erwachsen zu werden. Sie selbst kreierte eine eigene Familie. Sie hat zwei Söhne, Pascal und Henri, während einer davon Autist ist. Sie möchte ihren Kindern ein Stück Geschichte ihres Herkunftslandes vermitteln …

… um ein Stück Geschichte in Erinnerung zu bewahren, das nie Eingang in die Schulbücher finden wird. (45)

Diese flüchtenden Menschen träumen alle einen amerikanischen Traum mit westlichen Werten und Lebensstandards ...

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Eine Szene in Quebec.

Madame Girard hatte meine Mutter als Haushälterin eingestellt, ohne zu wissen, dass sie bis zu ihrem ersten Arbeitstag nie einen Besen in der Hand gehabt hat. (84)

Das ist für mich eine Degradierung ihrer beruflichen und sozialen Herkunft.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Gefallen hat mir, dass der Familie die Flucht geglückt ist und sie in Kanada eine neue Heimat hat finden können, wenn sie auch auf das Anderssein aufmerksam gemacht wurde und man sie daran erinnerte, dass sie als ehemalige Asiat*innen nicht wirklich zur kanadischen Gesellschaft dazugehören würde. 

Zur gleichen Zeit hatte mein Chef einen Artikel aus einer Montrealen Zeitung ausgeschnitten, in dem darauf gepocht wurde, dass das >Volk Quebecks< weiß sei und ich mit meinen Schlitzaugen automatisch einer anderen Kategorie angehörte, obwohl Quebec mir meinen amerikanischen Traum geschenkt und mich dreißig Jahren lang beherbergt hatte. (92)

Meine Gedanken dazu
Diese Probleme hat nur die Spezies Mensch, die Menschen anderer Nationen bewusst / unbewusst als Fremde, als Exoten aussortiert. Tiere und Pflanzen kennen das nicht und können sich problemlos in neue Gegenden beheimaten. Ich denke hierbei an Stefano Mancusos Buch, wie Pflanzen, die eigentlich im Gegensatz zu uns Menschen als sesshaft zählen, es dennoch schaffen mithilfe anderer Lebewesen über ganze Ozeane zu migrieren und sich auf neue Kontinente zu verpflanzen; Gewächsarten, die wir heute als unsere heimischen Pflanzen betrachten. Bei vielen dieser sog. heimischen Pflanzen ahnt man nicht mal, dass sie ihren eigentlichen Ursprung einst auf einem anderen Kontinent hatten. Warum gelingt es aber Menschen nicht, Menschen mit anderer Hautfarbe … als einen Artgenossen zu betrachten? Auch bei uns in Deutschland gibt es exotische Pflanzen, die mittlerweile heimisch sind. Zum Beispiel die deutsche Kartoffel. Warum wird die deutsche Kartoffel nicht auf ihre Wurzeln runtergestuft, während ein*e Migrant*in keine Chance hat, sich jemals als Deutsche*r bezeichnen zu dürfen? Mal ganz blöd gefragt: Sind uns die Kartoffeln ähnlicher als ein Mensch eines anderen Landes?  Fragen, an denen ich jedes Mal verzweifeln könnte, wenn Menschen anderer Länder immerzu auf die Wurzeln ihrer Vorfahren reduziert werden. 

Eine andere Sichtweise hierbei zu gewinnen wäre wohl einer menschlichen Entwicklung geschuldet, die bei jedem Zeit und noch mehr Zeit benötigt. Sie beginnt sich erst bei einem Einzelnen zu formen und mit der Zeit werden es immer mehr werden, bis ein Kollektiv, somit eine ganze Gesellschaft, von diesem Ideal getragen wird, mit dem Wissen, dass wir in einer Vielfalt alles Menschen einer einzigen Menschenrasse sind.

Doch glücklicherweise stehe ich nicht mehr alleine mit meiner Meinung da. Der Rassenbegriff soll lt. dem Darmstädter Echo vom Dez. 2020 aus dem Grundgesetz gestrichen werden. 

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Anh Phi und Tante Sechs. Tante Sechs verhalf Kim dazu, ihren eigenen Traum zu träumen. (Tante Sechs ist das sechste Kind in ihrer Familie, für Kim dadurch die sechste Tante).

Als ich fünfzehn wurde, schenkte mir meine Tante Sechs, die damals in einer Hühnerverwertungsfabrik arbeitete, eine viereckige Aluminium-Teedose mit Bildern von chinesischen Feen, Kirschbäumen und roten, goldenen schwarzen Wolken. Im Tee versteckt waren zehn gefaltete Zettel, auf die Tante Sechs je ein Metier, ein Beruf, einen Traum für mich aufgeschrieben hatte: Journalistin, Kunsttischlerin, Diplomatin, (...). Dies Geschenk lehrte mich, dass es andere Berufe gab als Arzt und dass ich meinen eigenen Traum träumen durfte. (89)

Welche Figur war mir antipathisch?
Keine. Ich habe eher eine distanzierte Haltung zu den Figuren entwickelt, dies wohl auch an dem Schreibstil der Autorin liegt.

Meine Identifikationsfigur
Keine.

Cover und Buchtitel 
Hat mich beides sehr angesprochen. Der Titel konnte für mich schlüssig werden. Nicht nur, wie sich die Fremde anfühlt, sondern auch welchen Klang eine Flucht haben könnte, fand ich auch spannend.

Zum Schreibkonzept
Der Roman ist auf 159 Seiten gepackt. Zu Beginn gibt es eine kleine Widmung Für die Menschen im Land. Es gibt keine Kapitel, und auch keine richtige Chronologie, wie ich oben schon geschrieben habe. Dennoch werden neue Kapitel mit den ersten Worten mit Großbuchstaben eingeleitet. Teilweise sind die Kapitel sehr kurz und füllen mit einem Absatz nicht mal die Hälfte der Seite.

Der Schreibstil ist eher in Tagebuchform und / oder im Telegrammstil verfasst. Die Sprache wirkt recht distanziert und ist in der Ichperspektive der erwachsenen Kim erzählt.

Insgesamt passt ihr Schreibstil eher in eine Dichtersprache, da sie manchmal wie wunderschöne und nachdenkenswerte Poesie klingt.

UND WO EINE ausgestreckte Hand keine Geste mehr ist, sondern ein Moment der Liebe, der bis in den Schlaf hinein dauert, bis zum Erwachen, bis in den Alltag. (159)

Meine Meinung
Viele Episoden stimmten mich nachdenklich. Dass Menschen durch den Anpassungsdruck und den Druck der Assimilation gezwungen werden, im neuen Land ihre Muttersprache aufzugeben, weil sie nicht mehr gebraucht wird und damit nutzlos geworden ist, ist für mich schwer zu verstehen. Für was? Diese Menschen werden in der neuen Heimat nie wirklich dazugehören, selbst wenn sie sich assimiliert haben. Einige kritische Beispiele sind in dem Buch zu finden.

Doch welchen Lebensstil hätte Kim geführt, wäre sie in Vietnam geblieben? Welche Perspektiven hätte sie gehabt? Traditionen eines Landes übernehmen zu müssen, und die Pflicht, die Fortsetzung ihrer Mutter zu sein? Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie groß dieser Amerikanische Traum nur sein kann ... 

Und für immer der Schatten ihre Cousine Sao Mai zu sein?

WÄHREND MEINER GANZEN KINDHEIT wünschte ich mir insgeheim, die Tochter von Onkel Zwei zu sein. Seine Tochter Sao Mai war seine Prinzessin, auch wenn er manchmal tagelang vergaß, dass es sie gab. Sao Mai wurde von ihren Eltern verehrt wie eine Primadonna. Onkel Zwei gab viele Feste bei sich zu Hause. (...). Er schenkte ihr nur gelegentlich zwei Minuten Aufmerksamkeit, doch das war genug, um meine Cousine mit einer inneren Kraft zu versehen, die ich nicht hatte. Ganz gleich, ob ihr Magen leer oder voll war, Sao Mai hatte nie Probleme, ihre großen Brüder und mich herumzukommandieren. (57)

Das Für und Wider spiegelt uns die Autorin immer wieder, aber der Gewinn einer Migration wiegt stärker hervor. Kims Kinder tragen keine Namen ihrer Vorfahren, sondern westliche Namen und zeigt damit eine Abnabelung von ihren Ahnen und damit die Entwicklung einer neuen Identität, die die Autorin durch die Flucht ins neue Land hat in sich entstehen lassen.  

Mein Fazit
Auf jeden Fall ein lesenswertes Buch, das Einblicke gibt in Familien, die vor dem Krieg in andere Welten fliehen müssen, und sich woanders eine neue Existenz aufbauen.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch eine Lesepartnerin P. G. auf Facebook. In einer Zoomrunde wird das Buch am kommenden Dienstagabend gemeinsam besprochen.

Meine Bewertung 

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (sachlich, fantasievoll, distanziert)
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte; autobiographische Erzählweise
1 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur, Gliederung: Ungebunden
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

11 von 12 Punkten

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Zoomrunde, Di. 03.02.2021; 19:00 Uhr bis 21:30 Uhr

Teilnehmerinnen: Hana, Petra, Christa und ich. 

Petra und Hana sind mir durch das Facebook-Bücherforum Lesedrachen bekannt. Ich gebe nur ein paar wenige Fakten wieder, nicht die gesamte Zoom-Runde.

Ich fand die ganze Diskussion sehr inspirierend und wir waren uns alle einig, dass die Sprache wunderschön ist und das Buch trotz schlanker Linie recht gehaltvoll und tiefgründig ist. 

Auch darüber, dass man das Buch nicht in einem Rutsch weglesen könne, sondern die vielen kurzen Geschichten in sich wirken lassen müsse. 

Interessant war auch, dass jeder andere Aspekte aus dem Buch gezogen hat. Es gab viele übereinstimmende Szenen, aber es gab auch Szenen, die jeder unterschiedlich wahrgenommen habe, nach dem Motto: Vier Augenpaare sehen mehr als ein Augenpaar. 

Meine anderen drei Mitdiskutantinnen fanden die vielen ernsten Themen wie Flucht, Krieg und Migration sehr leise erzählt. Das heißt, dass viele Vietnamesinnen einfach ihr Schicksal in die Hand nehmen, ohne zu klagen und in der Lage seien, das Beste daraus zu machen.

Bei Hana fand ich faszinierend, dass sie sogar bei der Zubereitung einer Mahlzeit regelrecht die Suppe hat riechen können.

Migration und das Ankommen: Eine prozessuale Entwicklung, die bis in die nächste Generationen andauern könne. Wobei Kim Kanada als ihre Wahlheimat bezeichnet habe. Dennoch sei es möglich, mehrere Heimaten zu pflegen. Der Begriff Heimat / Heimaten in der Pluralform gibt es noch nicht sehr lange. Wo wir uns nicht alle einig waren: Für mich und Petra schien es, als sei Kim in Kanada angekommen. Sie habe es geschafft, sich eine neue Identität und eine neue Heimat aufzubauen. Ihre beiden Kinder tragen westliche Namen ... Hana war davon nicht ganz überzeugt. 

Auch waren wir uns einig, dass man das Buch nicht mit einem westlichen Blick lesen dürfe. Dazu hat Hana einen schönen Gedanken formuliert: Eine Frau auf dem Reisfeld könne genauso glücklich sein wie eine westliche Frau in einem anderen Beruf, der bei uns angesehen sei. Denn die Frage kam uns auf, was ist mit den Menschen, die im Land geblieben und nicht geflüchtet seien? Wir hatten das Beispiel von Kims Cousine Sao Mai, die in Vietnam geblieben ist und glücklich auf uns wirkte trotz der Einfachheit an Leben. Wir waren uns einig, dass auch diese Menschen das Beste aus ihrem Leben machen würden, um auf ihre Weise glücklich zu leben, denn Glück sei nicht an westlichen Maßstäben zu messen. 

Ich war die einzige, die eine Struktur vermisst hat. Dadurch haben mir Details aus der Familie einfach gefehlt. 

Ich war auch die einzige, die die Sprache als zu kühl und distanziert beschrieben hatte.

Insgesamt erhielt das Buch von uns allen eine recht gute Bewertung ... 

Petra hat auch eine Rezension verfasst, siehe hier

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Gelesene Bücher 2021: 02
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Ich lese in meinem langsamen Tempo
mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen, Tiere und auch mich
besser zu verstehen.