Hast Du Dir schon
einmal die Frage gestellt, weshalb für den einen Menschen töten legitim
erscheint, während ein anderer sich in liebevoller Hingabe für Menschenleben
einsetzt? Weshalb beobachten wir so unterschiedliche Lebensweisen in dieser
Welt und welchem Zweck dienen sie?
Das letzte Buch von
Alexander Gosztonyi beschäftigt sich mit den tiefgreifenden Entwicklungsphasen
des Menschen. Darin zeigt er auf, welche Stadien der Entwicklung die Seele
eines Menschen zur Liebe hin durchlaufen muss und weshalb all die Erfahrungen
auf der Erde von besonderer Wichtigkeit sind.
Möchtest Du wissen,
in welcher Entwicklungsstufe Du Dich gerade befindest? Wer Alexander Gosztonyis
frühere Werke kennt, weiß, mit welcher Sorgfalt und Tiefe er dieses Thema aus
seinen über 50 Erfahrungsjahren als Lebensberater und Rückführungstherapeut
behandelt.
Ein Buch für alle,
die wertvolle Impulse auf ihrem Weg zur vollkommenen Liebe hin finden möchten..
Autor*inporträt
Alexander Gosztonyi,
Dr. phil. (1925-2011), führte 40 Jahre lang eine Praxis als Lebensberater und
Rückführungstherapeut in Zürich. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen
über naturwissenschaftliche Themen, Philosophie, Psychologie, Theologie und
Religionsgeschichte, die ihn international bekannt machten.
Aus seinem Lebenswerk wurden von seiner Witwe Rita Gosztonyi die letzten beiden
Werke vollendet, dessen zwei Bände im Herbst 2016 und im Herbst 2017 erscheinen
werden. Sie kann zu Fragen seines umfassenden Werkes, das neben Büchern auch
Mitschnitte seiner Vorträge umfasst, kontaktiert werden unter www.ritamaria.ch
oder ritamaria.go@bluewin.ch.
Meine ersten Leseeindrücke
Ich befinde mich
gerade auf der Seite 157. Ich finde das Buch richtig spannend und frage mich,
in welcher Entwicklungsstufe ich mich wohl befinde? Es sind sieben, die der
Mensch in seiner äonischen Entwicklung durchlaufen müsse, bis er von der
Reinkarnation erlöst wird. Sieben klingt wirklich wenig, aber bis man diese
Stufen erreicht hat, muss der Mensch unzählige Male wieder geboren werden, weil er sich nur sehr langsam entwickeln würde. Aber die Gesellschaft, in der ich mich befinde, scheint nach meiner Einschätzung in der Entwicklungsstufe drei zu stecken. Das Gros der Leute ist geprägt von Ratio, Vorschriften, Dogmen, Denksystemen, Moral, Belehrungen, Urteil, Perfektion, Grundsätze von Wissenschaft ... Das mag auf den ersten Blick positiv erscheinen, aber das ist es nicht. Warum? Nicht nur, weil es an Empathie fehlt, die sog. Herzensbildung ... In unserer Gesellschaft denkt man häufig, dass die Intellektualität das Wichtigste sei, mit der man strebend die höchsten Ziele erreichen könne. Nein, ihr werdet euch wundern. Es ist die Intelligenz des Herzens, die uns ins Licht führen wird. Es sind die Weite des Herzens und die seelische Tragfähigkeit, die einen Menschen zur Persönlichkeit machen und seine innere Stärke erkennen lassen. (26) Weitere wichtige Gründe, weshalb die Ratio alleine für die Entwicklung einer Menschenseele nicht ausreichend ist, bespreche ich später in meiner Rezension.
Das Gute dabei? Wir werden alle irgendwann erkennen, dass uns die Ratio alleine nicht befreien wird. Zu unterschiedlichen Zeiten werden wir alle aus uns hinauswachsen und mit dem Herzen dem Licht entgegenstreben.
Dabei sind auch die Aspekte
von Gut und Böse interessant ... Aber dazu später mehr.
Puh, ich könnte schon jetzt loslegen, über das Buch zu sprechen, weil der Autor mir teilweise aus der Seele spricht, da ich selbst in meinem Leben jede Menge Eingebungen hatte.
Mittlerweile befinde ich mich auf der Seite 220 und denke so allmählich meine Stufe gefunden zu haben.
Buchdaten
·Taschenbuch : 280 Seiten, 14,95 €
·ISBN-10 : 386410159X
·Herausgeber: Windpferd Verlagsgesellschaft mbH; 1. Auflage 2017 (14.
September 2017)
Auf den folgenden Seiten bekommt der
Pariser Roman immer mehr Kontur.
Foto: Journalist und Schriftsteller Robert Dreyfus, 1873 - 1939
sucht Anregungen oder Tipps bei seinem
Freund Georg de Lauris bezogen auf die Figuren der Guermantes. Ach, wie
vertraut mir doch dieser Name Guermantes nur ist. Aber die Antwort bleibt aus
und Proust bohrt nach. (631)
Auf der Seite 648 gibt Proust seinem
Freund Georges de Lauris am Ende seines Briefes bekannt, dass sein Roman kurz
vor dem Abschluss stehen würde. Ui, denke ich mir, niemals kann die Recherche
schon beendet sein. Ich bin so gespannt, wie sich dieser Prozess, von dem
Proust selbst noch nichts ahnt, sich entwickeln wird.
Leben Sie wohl, lieber
Georg, ich schlafe nicht mehr, ich esse nicht mehr, ich arbeite nicht mehr,
gibt noch vieles andere, was ich nicht mehr tue, und zwar schon lange nicht
mehr. Trotzdem, mit ein wenig Schwung wäre mein Buch in zwei Monaten fertig,
aber werde ich diese zwei Monate je haben. (Februar 1911)
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass die
Recherche sein Lebenswerk war. Kurz vor seinem Tod hatte er sie beendet. Hier
ist er erst Ende 30 und gestorben ist er mit 51 Jahren.
Doch es gab einen Brief, der mich positiv
schmunzeln ließ, als einer seiner besten Freunde unter einem Pseudonym einen
lobenswerten Artikel zu Prousts Übersetzung über die Bible d`Amiens geschrieben
hatte. Es ist charmant zu lesen, wie verblüfft Proust war, als sich
herausstellte, wer sich hinter diesen Decknamen verbarg.
An Robert Dreyfus 8. Oktober 1910, Proust
ist hier 39 Jahre alt
Ich hätte ja nichts
dagegen, wenn Du mich weiterhin für scharfsinnig hieltest, aber ich muss doch
der Wahrheit die Ehre geben: Nicht eine Sekunde lang habe ich vermutet, dass Du
Chevreuse bist, und habe völlig naiv an Dich geschrieben, ohne zu ahnen, dass
ich an Chevreuse schreibe. Besonders töricht war es, dass ich mir zwar dachte,
es könne ein Pseudonym sein, dass hinter diesem Pseudonym Bonnard, Beaunier
(...) stecken könnten (ein sehr elastisches Pseudonym) und dass jedes Mal, wenn
man sich irrt, mir nicht einmal die bloße Möglichkeit, dass Du es sein
könntest, in den Sinn kam. Es ist mir im Traum nicht eingefallen! Vielleicht
weil ich, da Du schon als D. sehr nett zu mir gewesen bist, gedacht habe, damit
wäre es genug für das ganze Leben und Du würdest nie wieder auf die Idee
kommen, meinen Namen zu erwähnen. (...) Was Du gesagt hast, ist überaus nett,
aber vor allem ist es überaus nett, dass gerade Du es gesagt hast. Gewiss, es
ist schmeichelhaft, unbekannte Freunde zu haben. (...) Und dieser Chevreuse,
der an der Bible d`Amiens Gefallen fand - ich habe Dich zwar gefragt, ob das
nicht das Pseudonym von jemanden sei, den ich kenne, aber im Grunde habe ich
doch gehofft, dass es jemand ist, den ich nicht kenne, jemand ungeheuer
Talentiertes, der die Bible d`Amiens so sehr mochte, dass er es unbedingt
mitteilen musste. Aber eigentlich bin ich doch nicht enttäuscht, dass dieser
sympathische Chevreuse mit jemandem verschmolzen ist, dessen Beifall nur ein Beweis
seiner Freundschaft ist. Ich habe dem Unbekannten nicht nachgeweint, ich habe
mich lebhaft gefreut, dass es der Freund war. So preise ich Dich, liebe
Dreifaltigkeit, in drei Personen, ich bin D. und Chevreuse äußerst dankbar,
aber Robert Dreyfus ist mir von den dreien der Liebste. (636f)
Aus der Fußnote ist zu entnehmen, dass
Proust am 6. oder 7. Oktober in einem Brief seinen Freund Robert Dreyfus um
Auskunft bat, wer die Person Louis Chevreuse denn sei?
Prost fragten in einen
Brief an Dreyfus, den Dreyfus gerade beantwortet hatte: > Wer ist ein
gewisser Monsieur Louis Chevreuse, der mich kürzlich ( ...) auf sehr liebenswürdige
Weise zitiert hat, in einem äußerst interessanten Artikel über die Kathedrale
von Straßburg. Ist es ein Pseudonym, ist es jemand, den ich kenne? < (638)
In den weiteren Briefen ging es wieder
recht geistreich zu. Proust hat ein Theatrophon abonniert, das er allerdings
wegen der schlechten Hörqualität wenig nutzen würde. Von zu Hause aus konnte er
Opern und Theaterstücke verfolgen, ohne das Haus verlassen zu müssen. Mit dem
Theatrophon wird nochmals deutlich, wie krank er ist, und immer wieder liest man
in seinen Briefen, dass er wochenlang oder gar monatelang das Haus nicht verlassen hat.
Aber bei den Opern
Wagner, die ich fast auswendig kenne, machen mir die Unzulänglichkeiten der
Akustik nicht viel aus. (648)
Erstaunlich, dass er Wagners Opern zum
großen Teil auswendig kennt. Er tauscht sich mit seinem Musikerfreund Reynaldo Hahn im März 1911 über verschiedene Opernstücke aus. Ich wusste nicht, dass Goethes Werther
auch zu einer Oper komponiert wurde.
Und man liest viel Schmeichelhaftes.
Reynaldo Hahn würde mehr Tiefgang haben als der große Wagner. Das war
sicher wieder so eine Schleimerei von Proust.
Aber Proust kann auch sehr empathisch
sein. Sein Freund Reynaldo Hahn hat am 09.11.1910 seinen Bruder Henri im Alter
von 54 Jahren verloren, der in seiner Wohnung verstarb. Der ganze Brief an seinen Freund ist wundervoll
geschrieben, ich aber nur die letzten Zeilen zitieren möchte.
Wenn ich etwas für Dich tun kann, sag es mir. Selbstlosigkeit ist ein
Ablenkungsmittel für ohnmächtige Zuneigung. Was das Unglück selbst angeht, so
kannst Du Dir all die Fragen denken, die ich mir stelle. Aber da ich sie nur Dir
stellen will und in diesem Augenblick um nichts auf der Welt will, dass Du mir
antwortest, begnüge ich mich damit, in Gedanken Deine Hand in der meinen zu
halten und (nicht nur in Gedanken) mit Dir zu weinen. Dein tief trauriger
Marcel Proust (642)
Puh, Proust ist nie um Worte verlegen. Er findet
selbst in solchen schwierigen Momenten eines Menschen den richtigen Ausdruck, wo manch
andere lieber schweigen würden.
Weiter geht es nächstes
Wochenende von Seite 653 – 663.
______________
Proust Zitate
Man kann nur über das gut schreiben, was man liebt. (Marcel Proust zitiert Ernest Renan)
Kennzeichen wahrer Originalität ist, über ein nichtssagendes Thema nichts zu sagen. (Brief an Georg de Lauris)
Es genügt, mit den Menschen zusammen zu sein, die man liebt; man kann träumen, mit ihnen sprechen, nicht mit ihnen sprechen, an sie denken, an unwesentlichere Dinge denken, in ihrer Gesellschaft ist das alles gleich. Wenn man mit den Menschen zusammen ist, die man liebt, ist es ganz gleich, ob man mit ihnen spricht oder nicht. (Marcel Proust zitiert Jean de La Bruyère)
Ich fand das Buch sehr
interessant, vor allem der Blickwinkel zur Tierethik fokussiert auf den
christlichen Glauben hat mich stark inspiriert, wobei ich selbst zur Bibel eine ambivalente Haltung habe, da ich der Meinung bin, dass man sie
so auslegen kann, wie es einem gefällt. Dennoch konnten für mich viele interessante Aspekte aus dem Buch gezogen werden, sodass ich mir beim Lesen viele
Stichpunkte gemacht habe, und ich stelle fest, dass ich sie hier nicht alle einbringen kann, da es sonst zu sehr den Rahmen sprengen würde. Es zeigt einfach nur, wie vielseitig dieses Buch doch ist. Deshalb möchte ich schon vorab sagen, dass mich der Autor sehr bereichert
hat, und hoffe, dass dieses Buch von vielen Kirchenleuten gelesen wird. Es ist ein wichtiges Sachbuch, das hilft, neue Sichtweisen zu gewinnen und könnte damit helfen, sinnlose Gewalt zu reduzieren, was für mich der Anfang zu
einem Weltrieden bedeuten könnte, der aber bei jedem selbst erstmal anfangen muss.
In dieser Buchbesprechung gehe ich zum Schluss durch den Autor auch kurz auf das humane Schlachten ein und habe dazu zwei Youtube - Videos eingefügt. Meine Meinung dazu habe ich auch geäußert, die deutlich von der des Autors abweicht.
Hier geht es zum
Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den
Buchdaten.
Schon das Vorwort
macht auf die Problematik von Verbraucher*innen aufmerksam, diese unreflektierte schizophrene Haltung Tieren
gegenüber, was ich gerne zitieren möchte, da diese immer wieder in
den Büchern dieses Genres zum Thema gemacht wird:
Die einen umarmen wir, die anderen
schlachten wir. Die einen vergöttern wir, die anderen machen wir zur Ware. Die
einen verhätscheln wir, die anderen essen wir. Ob das daran liegt, dass wir die
einen >zum Knuddeln gern< haben, die anderen aber > zum Fressen gern < ? In jedem Fall
ist der menschliche Umgang mit den Tieren bisher wenig reflektiert und in
vieler Hinsicht ziemlich widersprüchlich. Vieles geschieht, weil es schon immer
so war oder weil das doch klar ist. Doch in den letzten Jahren werden die
Stimmen jener lauter, die althergebrachte Überzeugungen in Frage stellen und
eine Tierethik fordern, die diesen Namen verdient. ( 7)
Häufig höre ich, >>Überall auf der Welt werden Tiere
für den Fleischkonsum getötet<<. Fazit? Es muss richtig sein, weil es alle so machen. Doch was sagt die Bibel
dazu?
Stimmt es, dass die Bibel keine Rücksicht auf die
Tiere nimmt? Eine Frage, die sich auch der Autor angelehnt an Eugen Drewermanns Protest stellt. Drewermann prangert die Kirche an, weil sie
Tiere aus dem Schöpfungsplan ausblenden würde und er sich dagegen als Theologe für
die Freiheit und das Leben der Tiere eingesetzt habe. Aus meiner eigenen
Beobachtung heraus werden Tiere in der Kirche nicht einmal erwähnt, die
Prediger*innen tun so, als gäbe es sie nicht. Die Theolog*innen betten in der
Kirche in ihren Gebeten alle möglichen Heiligen und Menschen ein, nur die Tiere
lassen sie außen vor. Doch der katholische Theologe Michael Rosenberger bringt
Beispiele, die auch meinen Blick mehr zum Schärfen gebracht haben, auch wenn
mir noch immer bewusst ist, dass viele Theolog*innen in ihrer Berufspraxis
nicht nach diesen Beispielen leben, weil man eben Bibeltexte, wie ich oben schon geschrieben habe, so auslegen kann,
wie es fürs eigene Konzept passt. Aber Michael Rosenberger widerspricht Drewermann.
Denn die Bibel sei voll von Geschichten, in denen die Tiere einen hohen Stellenwert beigemessen bekommen. Es wird Platz für die Tiere geschaffen, wie ich weiter unten noch ausführen werde. Doch wenn Drewermann als Experte diese Geschichten nicht kennt, wie schwierig müssen sie erst für einen Laien wie mich zu finden sein?
Interessant
war außerdem zu lesen, dass auch der Autor die Tiere als unsere Schwestern
bezeichnet hat, da sie mit zum Schöpfungsplan dazuzählen. Außerdem seien Tiere fühlende und denkende Wesen, und er dadurch die
Persönlichkeit der Tiere nicht anzweifelt.
Auch bezieht sich der Autor auf Vorbilder, wie z. B.
Franz von Assisi, der mit den Vögeln sprach, außerdem zitiert er Papst Franziskus, der
dafür plädiert, die Tiere in unsere universale Gemeinschaft einzubeziehen:
Wenn das Herz wirklich offen ist für
eine universale Gemeinschaft, dann ist nichts und niemand aus dieser
Geschwisterlichkeit ausgeschlossen. Folglich ist es auch wahr, dass die
Gleichgültigkeit oder die Grausamkeit gegenüber den anderen Geschöpfen dieser
Welt sich letztlich immer irgendwie auf die Weise übertragen, wie wir die
anderen Menschen behandeln. Das Herz ist nur eines, und die gleiche Erbärmlichkeit, die dazu führt, ein
Tier zu misshandeln, zeigt sich unverzüglich auch in der Beziehung zu anderen
Menschen. (11)
Wir sind eine universale Familie
Außerdem geht aus seiner Enzyklika > Laudato si`< hervor, > dass sämtliche Geschöpfe des
Universums, da sie von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch
unsichtbare Bande verbunden sind und … alle miteinander eine universale
Familie bilden … < Diese Familie umschließt alle lebenden Arten und Individuen: > Wenn ... das Herz wirklich offen ist für eine universale Gemeinschaft,
dann ist nichts und niemand aus dieser Geschwisterlichkeit ausgeschlossen.
< Wenden wir diesen Gedanken ethisch, ist evident: zwischen
Geschwistern muss Gerechtigkeit herrschen. (135f)
Tierliebe wird in der Kirche häufig als
"anthropomorph" bezeichnet, das heißt, dass Tiere von ihren
Halter*innen zu sehr vermenschlicht werden würden. Das mag sein, dass für
manche eine Lücke mit den Tieren gefüllt wird, aber dies lässt sich nicht auf alle Tierhalter*innen übertragen, denn echte Tierliebe
hat nichts mit Ersatzansprüchen zu tun. Echte Tierliebe versorgt das
Tier mit allem, was es zu einem glücklichen Leben seiner Art auf diesem
Planeten benötigt. Die Tierliebe steht im Vordergrund und nicht die Selbstliebe. Das gilt sowohl für Haustiere als auch für Tiere aus der
Landwirtschaft. (Ich weigere mich den Begriff Nutztiere zu gebrauchen).
Rosenberger denkt zweigleisig, in dem er sich mit der
Tierethik philosophisch und theologisch sehr gründlich auseinandersetzt. Mit dem
philosophischen Blick beschreibt er, was er unter einem humanen und gerechten
Umgang mit den Tieren versteht und mit dem theologischen, Tiere als gottgewollte
Geschöpfe einzubeziehen. (10)
Aber wie kommt es, dass Tiere so missverstanden
werden, dass wir Probleme haben, sie als fühlende und denkende Wesen
anzuerkennen und sie stattdessen vom Schöpfungsplan ausschließen? Gerade die
großen Denker wie z. B. René Descartes verbreitete mit seinen Lehren, die für
die Tiere fatale Folgen hatten, Unwahrheiten. Er hatte sie mit Menschen
verglichen und sie als vernunftlos bezeichnet, da sie z. B. nicht sprechen
können, denn alle Menschen lernen sprechen, selbst Menschen mit geistiger Behinderung. Er hatte nicht berücksichtigt, dass Tiere anatomisch anders gebaut sind.
Dies beweist nicht bloß, dass die Tiere
weniger Vernunft als die Menschen, sondern dass sie gar keine haben. Denn wie
man sieht, gehört nur sehr wenig dazu, um sprechen zu können. Und da man unter
den Tieren einer und derselben Art ebenso unter den Menschen Ungleichheit findet
und die einen leichter abzurichten sind als die anderen, so ist es unglaublich,
dass ein Affe oder ein Papagei, die zu den vollkommensten ihrer Art gehören,
darin nicht einem der dümmsten Kinder oder wenigstens einem Geisteskranken
gleichkommen würden, wenn ihre Seele nicht von einer ganz anderen Natur wäre
als die unsrige. (14)
Fatale Folgen wären, die Tiere ökonomisch zu verzwecken und auszubeuten, wie wir dies von der Fleischindustrie her kennen.
Zusammen mit Thomas von Aquin und Immanuel Kant
zählt auch René Descartes zu den Anthropozentrikern. Wie unterscheiden sie sich?
Während für Descartes Tiere Maschinen sind, sind sie
für Aquin Instrumente.
Wenn nur der Mensch einen Geist besitzt
und eine > denkende Sache < ist, dann sind die Tiere nichts als Maschinen.
Man kann sie nach Belieben ausbeuten. (91)
Für Thomas v. Aquin sind Tiere im Gegensatz zum
Menschen Instrumente, weil aus seiner Sicht Tiere fremdgesteuerte Wesen
seien.
Kant dagegen ...
… hält die grundlose Quälerei an
Tieren für verwerflich, > weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im
Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität im Verhältnisse zu anderen
Menschen sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird.< Die schmerzfreie Tötung von Tieren und ihre Nutzung als
Arbeitstiere ist für ihn legitim, wären Tierversuche in der Grundlagenforschung,
> martervolle physische Versuche zum bloßen Behuf der Spekulation, wenn
auch ohne sie der Zweck erreicht werden könnte, zu verabscheuen
sind.< (93)
Kant bezeichnet die Tiere sehr wohl als
leidensfähige Persönlichkeiten mit eigenen Bedürfnissen. (94)
Doch selbst im Alten Testament finden sich Bibelstellen, die auf die Intelligenz der Tiere eingehen würden. Sämtliche
Tierarten sind dort zu finden. Und …
… Anders als bei Descartes wird also
nicht die Intelligenz der Tiere bestritten, sondern die des Menschen. (122)
Jesus, der sich in der Wüste zum Meditieren für
vierzig Tage zurückgezogen hat, lebte dort friedlich bei den wilden
Tieren.
An welcher Stelle in der Bibel steht, dass Tiere von Gott
gewollte Geschöpfe sind? Rosenberger zitiert einige Bibelstellen, in
denen die Tiere in Erscheinung treten. In Genesis gibt es jede Menge Bibeltexte
dazu, dass Tiere zum Schöpfungsplan dazugehören. Man denke dabei an die Arche
Noah.
So wird Noah, der einzige Gerechte,
beauftragt, von jeder Art Lebewesen zwei Exemplare mit in das Rettungsboot der
Arche zu nehmen. Die Arche ist daher das Ursymbol der > schicksalhaften < Überlebensgemeinschaft
von Mensch und Tier. Die Formulierung in Gen 8,1 > Da gedachte Gott an Noah
und an alle (Wild-) Tiere und an alles Vieh < veranschaulicht, wie eng
Mensch und Tier miteinander verbunden sind. Beiden gilt die schier grenzenlose
Barmherzigkeit Gottes. Und so kann Noah zwei Vögel aussenden, die für alle
Lebewesen in der Arche austesten, ob die Erde wieder bewohnbar ist. (112)
Auf diesen Seiten findet man noch mehr Belege, ich
beschränke mich aber auf das Noah-Zitat. Außerdem muss man mich nicht
überzeugen, ich weiß, wenn es einen Schöpfer gibt, dann sind wir in seinen
Augen alle gleich, das heißt, dass auch die Tiere unsere Brüder und Schwestern
sind.
Doch wie ist es mit dem Fleischverzehr? Wie steht die Bibel dazu?
Tiere und Menschen werden
gleichermaßen als BewohnerInnen der Lebensräume charakterisiert, erhalten den
gleichen Vermehrungssegen und gleicherweise nur die Pflanzen als Nahrung (wenn
auch die Kulturpflanzen in Gen 1,29 dem Menschen vorbehalten werden).
Fleischverzehr ist in dem von Gen 1 beschrieben Idealzustand verboten. Schon
die erste Schöpfungserzählung entwirft also die positive Utopie für den
Umgang mit der Schöpfung ein friedliches und gewaltfreies Verhältnis zwischen
Mensch und Tier. (114f)
Auf Seite 199 geht der
Autor auf die Gier der Menschen ein und zitiert eine Bibelstelle, als
Gott dem Volk eine moderate Fleischmenge zugesteht. Sehr langes Zitat, das ich nicht zerstückeln möchte; jeder kann bei Interesse nachschlagen und selbst
lesen.
Die Stellung der Tiere in der Bibel Auch verweist der Autor auf die ersten fünf Bücher
der hebräischen Bibel, die Tora, in denen über 20 Gebote enthalten sein sollen,
die sich allein auf die Tiere beziehen.
Natürlich kann auf ihnen allein keine
Tierethik entworfen werden. Aber gewisse Grundorientierung im Umgang mit Tieren
zeichnen sich unmissverständlich ab. Diese manifestieren eine doppelte
Perspektive: Einerseits sind domestizierte Tiere ein wertvoller Besitz des
Menschen, andererseits haben alle Tiere - wildlebende oder domestizierte - eine
eigene Bedeutung als gerecht zu behandelnde Mitgeschöpfe. (119)
Ich gehe jetzt nicht näher auf Einzelheiten ein,
weil es den Rahmen zu sehr sprengen würde. Wichtiger ist
für mich, die Quellen der Bibel zu benennen, aus denen eine christliche und tierfreundliche Haltung zu finden ist, die ich später zur Vertiefung für
mich selbst nochmals nachschlagen möchte, und hoffe, auch anderen damit etwas weitergeben zu können.
Empathie Mit Empathie ist keine Gefühlsduselei gemeint, wie viele denken, denn viele haben eine falsche Vorstellung davon. Empathie bedeutet, mit Herz und Verstand
auf sein Gegenüber einzugehen.
Einfühlung ist eine zentrale Voraussetzung dafür,
dass wir mit den Geschöpfen gut umgehen. Sie umfasst ein möglichst gutes Wissen
von den Zusammenhängen der Natur, ist aber weit mehr als nur die Kenntnis der
Fakten. Sie ist die vernunftgemäß durchgearbeitete, argumentativ sich
ausweisende Form der Sympathie, die über die Nächstenliebe hinausgehend
Rücksicht nimmt auch auf andere Lebewesen. Einfühlung ermöglicht so erst eine
wirkliche Beziehung zu anderen Geschöpfen aufzubauen und mit ihnen zu
kommunizieren. Denken, Fühlen und Handeln finden in ihr zu einer Einheit. (145)
Barmherzigkeit ist das biblische Wort für die
Grundhaltung, die hier gemeint ist: mit Kopf und Herz den Nächsten oder das
Mitgeschöpf zu verstehen suchen und entsprechend handeln. Während aber > Barmherzigkeit < im deutschen Sprachgebrauch eher an ein sich
herablassendes Helfen denken lässt, bezeichnet die Bibel mit diesem Wort eine
konkrete Folge der Gerechtigkeit: Der Gerechte spürt und weiß, was sein Vieh
braucht, und gibt ihm das Notwendige. (Ebd)
Wie steht der Autor zur Tierschlachtung? Ein paar kurze Sätze zu den Tieren in der
Landwirtschaft. Der Autor lehnt das Schlachten der Tiere nicht ab, aber er ist
für ein humanes Töten und für einen begrenzten Fleischverzehr. (Puh,
humanes Töten bereitet mir auch Schwierigkeiten). Das bedeutet, die Tiere
sollen artgerecht gehalten werden. Sie sollen das bekommen, was sie für ein
glückliches Leben benötigen, und wenn die Zeit gekommen ist, sollen sie schnell und schmerzfrei in ihrer gewohnten Umgebung getötet werden. Ich habe mir
auf Youtube Dokus angeschaut, wie so eine Tötung aussehen könnte. Ich lebe schon mehr mehr als mein halbes Leben fleischlos, und ich stelle mir immerfort die
Frage, wenn alle aufhören würden, Fleisch zu essen, gäbe es dann noch Tiere aus der Landwirtschaft? In einer Doku wurde die Kuh nach zehn Jahren
geschlachtet. Sie hatte zehn glückliche Jahre, und die Tötung ging schnell.
Dennoch bleibe ich dabei, ich entziehe mich weiterhin dem Fleischkonsum und
höre nicht auf, von einer Welt zu träumen, in der niemand mehr töten muss, um
selbst am Leben zu bleiben. Wobei wir heute wunderbar auch ohne Fleisch
auskommen könnten, wenn man die vielen Lebensmittel in Betracht zieht, die es
auf unserem Markt mittlerweile gibt.
Aber ich respektiere die Sichtweise des Autors, ich prangere ihn nicht an, der immerhin 75% die Sichtweise die der Tierschützer*innen teilt. Das ist
eine Menge. Wie gesagt, wenn wir das Massentöten abschaffen könnten, dann
könnten die Tiere auch länger am Leben bleiben. Aber das entscheiden allein die Konsument*innen, ob sie bereit sind, mehr für gutes Fleisch auszugeben. Und dafür
weniger davon zu essen.
Meine Meinung dazu Wenn wir alle als eine universale Familie gelten, dann dürften wir niemanden töten. Darf man Geschwister töten? Eigentlich nicht. Wenn die Tiere auf der gleichen Stufe stehen wie wir Menschen, dann dürfte man sie auch nicht töten. Töten ist für mich nicht christlich. Wir töten ja auch keine Menschen, obwohl man dessen Fleisch auch verzehren könnten. Sind Tiere uns ebenbürtig oder nicht? Deshalb sollte das Töten abgeschafft werden.
Cover und Buchtitel
Fand ich beides sehr gut getroffen. Auch wenn mir bewusst ist, dass dieser Traum, der im Titel steckt, noch ein langer Weg sein wird, bis dieses Ziel erreicht wird. Ich weiß gar nicht, ob ich wirklich daran glaube, aber jede kleine Errungenschaft ist schon ein Weg dorthin.
Meine Identifikationsfigur Auch wenn dies ein Sachbuch ist, habe ich dennoch meine Identifikation finden können, wenn auch anders als bei einem belletristischen Buch. Ich habe mich nämlich mit dem Buchtitel identifizieren können, denn dieser Traum ist ganz tief in meiner Seele verankert. Wie für mich gemacht.
Wie kam das Buch zu mir? Durch Internetrecherche, da mich das Leid der Tiere wieder und wieder beschäftigt hatte, und ich wissen wollte, weshalb gerade Menschen, die sich Christ nennen, so wenig Anteil daran nehmen und ich mir die zusätzliche Frage gestellt habe, welche Stellung die Tiere tatsächlich im Christentum haben?
Mein Fazit Ein wundervolles gut recherchiertes Buch mit so viel Sachkenntnis und gleichzeitig mit viel Empathie und Liebe geschrieben. Es vermittelte mir jede Menge Aha-Erlebnisse, sodass in mir erneut das Interesse zur Bibel geweckt werden konnte.
Ich fühle mich
beschenkt und viele Fragen konnte er mir dadurch beantworten. Vor allem finde ich es
schön, dass ich nun Quellen habe, die ich selbst in der Bibel nachschlagen kann, wenn ich weiter auf den Spuren des Autors wandeln
möchte, um sie im nächsten Schritt zu vertiefen. Auch wenn ich nicht bibeltreu lebe, man kann ein guter Mensch auch ohne diese werden, aber es ist zumindest gut zu wissen, wo was in der Bibel steht, damit ich kontern kann, wenn es immer mal wieder Thema werden sollte.
Deshalb geht es in die
Phase II, die Bibel nochmals herauszurücken, und alle Bibelstellen, die der
Autor mir hinterlassen hat, nachzulesen und mir auch selbst meine Gedanken dazu
machen.
Abschließen möchte ich nun mit einem Zitat:
> Dass das kostbarste Gut im Lebenshaus
der Schöpfung das glückende Leben aller Lebewesen ist, entfaltet Gen-1,29 f mit
einem Friedensbild, das wir gerade heute als fortschrittskritisches
Paradigma meditieren und konkretisieren müssen ... Der zentrale Punkt dieser
Utopie ist ein Zusammenleben aller Lebewesen ohne Gewalt. < (221)
Sachbuch
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck und Verständlichkeit
2 Punkte: Sehr gute Umsetzung der Thematik.
2 Punkte: Sehr gute aufklärerische und kritische Verarbeitung
2 Punkte: Logischer Aufbau, Struktur und Gliederung vorhanden.
2 Punkte: Anregung zur Vertiefung, zum weiteren Erforschen und zur Erkundung
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkte
Videos aus Youtube zum humanen Töten.
___________
Jeder kann die Welt mit seinem Leben ein kleinwenig besser machen. (Charles Dickens)
Ich lese mit Herz und Verstand! Um die Welt, Menschen und Tiere besser zu verstehen.
Der Mensch ist mehr
als nur die biologische Erbmasse. Er ist, was er innerlich
denkt und fühlt. (M. P.)
Die Herkunft eines
Menschen
Die Wurzeltheorie
verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere
Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten
haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo
sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.
Es lebe die menschliche Vielfalt in
Deutschland und überall.
Tiere haben teil an der Auferstehung und am
ewigen Leben, auch sie sind gesegnet und frei in der Liebe Gottes geboren.
Aufgrund dieser Prämisse können und dürfen wir Tiere als gleichwertige
Mitgeschöpfe wahrnehmen und damit endlich ein glückliches, würdevolles
Miteinander leben.
Gleichgültigkeit oder Grausamkeit gegenüber
anderen Geschöpfen dieser Welt überträgt sich immer auf die Weise, wie wir
unsere Mitmenschen behandeln und wie unsere Beziehung zu Gott ist. Insofern ist
die Mensch-Tier-Beziehung der Gradmesser jeglicher Moralität. Mit der Erfüllung
des Traums vom Frieden zwischen Tier und Mensch ist also sowohl den Tieren, als
auch darüber hinaus ganz besonders den Menschen geholfen. Nur so kann es ein
Miteinander aller Lebewesen geben, das von Achtung und wahrer Wertschätzung
geprägt ist
Autorenporträt
Prof. Dr. Michael Rosenberger, geb. 1962, lehrt
Moraltheologie an der KTU Linz. Seit 2004 ist er Mitglied der
Gentechnik-Kommission beim österreichischen Bundesministerium für Gesundheit
und Frauen und Umweltsprecher der Diözese Linz. Er leitet die „Interdisziplinäre
Arbeitsgruppe zur Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung“.
Meine ersten Leseeindrücke
Erst dachte
ich, ich erfahre nichts Neues in dem Buch, und merkte, wie mein Interesse
abzuflauen begann. Glücklicherweise blieb ich aber geduldig, und bin froh
darum, da es mich nun nach mehreren Kapiteln richtig anzieht, es weiter zu
lesen. Es wäre sehr schade gewesen, wenn es nicht zu dieser Wende gekommen wäre,
da ich mich schon allein mit dem Buchtitel identifiziert hatte.
Wieder jede Menge Gedanken zu seinem Pariser Roman.
Proust bittet die
Briefpartner*innen immer wieder um Stillschweigen, da er befürchtet,
auf Ideenräuber zu stoßen und ausgeplündert zu werden 💓.
An
Alfred Vallette
Mitte August 1909, Proust 38 Jahre alt
Dieser Brief hatte
übrigens die Besonderheit, wenn schon leider höchst belanglos, so doch zugleich
äußerst vertraulich zu sein. Ob meine Vorschläge Ihnen zusagen oder nicht, ich
bitte Sie, Sie wenigstens in einem Punkt geheim zu halten. Sie werden gleich
sehen, warum. Ich beende ein Buch, das trotz seines vorläufigen Titels gegen
Saint Beuve, >Erinnerungen an einem Vormittag< ein echter Roman ist, und
zwar in manchen Teilen ein höchst unsittlicher. Eine der Hauptfiguren ist ein Homosexueller.
Und ich zähle darauf, dass Sie dies buchstäblich geheim halten. Würde es vor Erscheinen
des Buches bekannt, dann würden zahlreiche treu ergebene und furchtsame Freunde
mich bestürmen, nur ja darauf zu verzichten. Außerdem denke ich mir, dass in alldem
(mit Verlaub!) Neues steckt, und ich möchte nicht von anderen ausgeplündert
werden. (607)
Auch an Geneviève Straus spricht er über sein umfangreiches
Buch, das er ihr als beendet bekannt gibt. Damals war ihm selbst noch nicht
bewusst, dass zu diesem Band noch sechs weitere Folgen anschließen sollten.
An Geneviève Straus
Mitte August 1909
Cabourg
Ich möchte nicht, dass Sie die schon oft
geäußerten, aber diesmal vielleicht ernster zunehmenden Drohungen allzu ernst
nehmen, glaube jedoch, dass Sie mich dieses Jahr recht häufig in Paris sehen
werden. Und zuvor werden Sie mich lesen - und zwar mehr, als Ihnen lieb ist - denn
ich habe vor kurzem ein langes Buch begonnen - und beendet. Leider hat die
Reise nach Cabourg meine Arbeit unterbrochen, und ich muss mich erst wieder daransetzen.
Vielleicht erscheint ein Teil davon in Fortsetzungen im Figaro, aber nur ein Teil.
Denn es ist zu unschicklich und zu lang, als dass man es insgesamt
herausbringen könnte. Aber ich möchte damit zu Ende, ans Ziel kommen. Wenn
alles fertig ist, bleibt noch viel umzuarbeiten. (611f)
Da
ich ja alle Bände dieses Pariser Romans gelesen habe, finde ich es jetzt
richtig spannend an der Entstehung, wenn auch nur geistig beteiligt zu sein.
Es fühlt sich gut an zu erleben, wie diese Größe an Kunstwerk entstanden und welche
Entwicklung es durchlaufen ist.
In
der Fußnote geht hervor, dass es hier schon Zyklen zu Swanns Liebe zu erkennen
gab. Ich denke, dass Proust selbst noch nicht ahnte, dass seine Arbeit sich zu einem
Jahrzehnte langes Werk entpuppen wird.
In
diesem Brief werden auch Weisheiten ausgetauscht. Und darüber, wie sich sein
Schriftstellerfreund Robert de Montesquioi sich in Paris neu eingerichtet haben
soll, und bringt einen Vergleich mit Romanen.
Wir glauben, wir sind hübscher Häuser
überdrüssig, weil alles gleich ist und uns langweilt. Aber damit steht es wie mit
den Romanen, wir sind sie leid bis zu dem Tag, da ein originelles Buch
erscheint, das uns wieder aufnahmebereit und leselustig macht. Ich bin sicher,
dass die ganze ausgesuchte geschmackvolle Einrichtung Ihnen sehr gefallen würde
und dass es ihm große Freude machen würde, sie Ihnen zu zeigen. Denn er hat die
ganz schlichte Natur wahrer Künstler, und wenn nur sehr wenige Menschen ihm
gefallen können, so gefällt ihm an diesen wenigen alles. Sie kennen La Bruyères
Ausspruch: >Mit geliebten Menschen zusammen sein, mit ihnen sprechen, nicht
mit ihnen sprechen - das bleibt sich gleich, wenn man nur mit ihnen zusammen
ist< (ich zitiere sehr ungenau). Das ist leider ein Vergnügen, das ich nicht
habe, ich bin nie mit den Menschen zusammen, die ich liebe. in Paris habe ich
wenigstens den Trost, nicht mit denen zusammen zu sein, dich ich nicht liebe, in Cabourg
habe ich ihn nicht. (612)
Damit
äußert Proust auch seine Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Kontakten,
weshalb er Jean de La Bruyère dabei zitiert. Der französische Moralist und
Schriftsteller Jean de La Bruyère ist 1645 in Paris geboren und 1696 in
Versailles gestorben.
Proust
sehnt sich nach geliebten Menschen. Ich denke immer noch, dass ihm seine 1905 verstorbene
Mutter sehr stark fehlt. Sie war ihm einfach eine seelische Stütze, sowohl in
seinen geistigen Aktivitäten als auch wenn er krank war.
Zurück zu seinem Pariser Roman, über den er mit einem weiteren Freund spricht und zeigt, wie groß sein
Bedürfnis ist, sich darüber mitzuteilen. Und auch hier bittet er um Vertraulichkeit.
An
Georges de Lauris
Anfang Dezember 1909
Was die
Diskretion betrifft, so können Sie sehr gern sagen, dass ich Ihnen den Anfang
meines Buches zu lesen gegeben habe, und falls jemand finden sollte - worauf
ich mir keinerlei Hoffnung mache!-; dies sei ein exklusives Privileg, so
erklärte und betone ich nur allzu gern meine Vorliebe für Sie. Worum ich Sie
bitte, ist, dass sie weder das Thema noch den Titel weitererzählen, kurzum
nichts, was Einblick verschaffen könnte (…). Aber außerdem will ich weder
bedrängt noch belästigt, weder erahnt noch überholt, weder kopiert noch
kommentiert, weder kritisiert noch geschmäht werden. Wenn mein Denken und sein
Werk vollendet hat, wird immer noch Zeit sein, der Dummheit der anderen das
Feld zu räumen! (618f)
Was meint Proust damit? Ist sein Werk nur gut, wenn
er auf positive Stimmen stößt, und dumm sind die Leser*innen, die es kritisch
beäugen? Wie kritikfähig ist Proust selbst?
Wenn ich an meine eigenen Schreibtexte denke, war
ich mein strengster Richter gewesen, der mir dadurch viel Kraft geraubt hat, bis ich das Schreiben aufgeben musste. Rückblickend
betrachtet hätte es mir gutgetan, mit einem liebevolleren Blick darauf zu
schauen. Bei Proust denke ich allerdings ganz häufig, dass er zu geschwollen
daherredet. Viel zu viele Worthülsen, wo ich mir mittlerweile nicht mehr sicher
bin, ob er sie auch wirklich ernst meint. Im Grunde will er immer nur Gutes
über sich reden hören. Psychologisch betrachtet grenzt dieser Charakterzug
schon gewaltig an Selbstsucht, ohne seine Schreibkunst schmälern zu wollen.
Weiter geht es hoffentlich nächstes Wochenende von
Seite 630 - 640.
__________________
Proust
Zitate
Man kann nur über das
gut schreiben, was man liebt. (Marcel Proust zitiert
Ernest Renan)
Kennzeichen wahrer Originalität ist,
über ein nichtssagendes Thema nichts zu sagen.
(Brief an Georg de Lauris)
Es genügt, mit den Menschen zusammen zu sein, die man liebt; man
kann träumen, mit ihnen sprechen, nicht mit ihnen sprechen, an sie denken, an
unwesentlichere Dinge denken, in ihrer Gesellschaft ist das alles gleich. Wenn
man mit den Menschen zusammen ist, die man liebt, ist es ganz gleich, ob man
mit ihnen spricht oder nicht. (Marcel Proust zitiert Jean de La Bruyère)
Ein Buch, das nach Leben und Menschlichkeit schreit
Ich habe viel über
dieses Buch schon während des Lesens nachgedacht, dass ich gerne darüber schreiben
möchte. Es ist mit so vielen Post it beklebt, dass es mir zeigt, mit wie viel
Facetten mich diese Lektüre doch begleitet hat. Ich werde leider nicht alle
Buchseiten bearbeiten können und stehe vor einer schwierigen Entscheidung.
Es gibt so viele
Szenen, die mich innerlich beschäftigt haben, dass ich sie unbedingt hier
festhalten möchte. Wie soll man sonst über ein Buch sprechen, wenn man so viele
Gedanken unterdrücken muss??? Ich schreibe gerne, und ich denke gerne, das bin
ich, wenn ich mich durch eine so gute Lektüre wie diese ausdrücken darf und
mir keine Verbotsschilder aufgesetzt werden. Schweigen kann ich später in meinem
Grab, wenn mein Leben vorbei ist. Ich lese, also bin ich …
Wer inhaltlich im
Vorfeld nicht so viel erfahren möchte, bitte ich nur die Buchvorstellung zu
lesen, mit der man sich hier weiter unten verlinken kann ... Wer aber Dinge
über Italien lesen möchte, die bislang weitestgehend unbekannt waren, lade ich
zum Weiterlesen ein. Es bleiben trotzdem noch viele wichtige Punkte übrig, die
ich hier unerwähnt gelassen habe.
Ich nutze durch
Romagnolo die Gelegenheit, zu ihrem Buch an mein Wissen anzuknüpfen, das ich
durch verschiedene Fachbücher zu Italien mir erworben habe.
Und am Ende der Buchbesprechung verlinke ich zu einem amerikanischen Spielfilm mit dem Titel Im Teufelskreis der Armut, den man sich kostenlos anschauen kann.
Hier geht es zum
Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den
Buchdaten.
Die Handlung Die Handlung gebe ich sprunghaft wieder, wie ich dies beim Lesen erlebt habe.
Die Heldin dieses epochalen Familienepos ist Giulia
Masca, die als ganz junges Mädchen schwanger von zu Hause ausgebrochen ist. Sie
hat all ihre Ersparnisse zusammengekratzt und sich auf ein Schiff nach Amerika
begeben. Geschuldet war die Flucht nicht der Schwangerschaft, sondern dem
Partner Pietro Ferro, der sich mit einem anderen Mädchen namens Anita Leone
zusammengetan hat. Pietro und Giulia kennen sich seit frühster Kindheit und
waren sicher, wenn sie groß sind, würden sie gemeinsam in den Bund der Ehe
treten ...
Die Handlung beginnt in New York, als Giulia über
ihre Vergangenheit im italienischen Piemont reflektiert. Es ist das Jahr 1946.
Giulia ist 1901 von zu Hause abgehauen, ohne ein Sterbenswörtchen der Mutter zu
hinterlassen. Der Vater, der unter einer Alkoholsucht litt, kam ums Leben, als Giulia gerade mal acht oder neun Jahre alt war. Die
Handlung bewegt sich in der Erzählweise im Wechsel zwischen Borgo di Dentro und
New York ...
Das Schicksal wollte es anders. Giulia ging nun
nicht die Ehe mit Pietro ein, sondern mit einem nach Amerika eingewanderten
Italiener namens Libero Manfredi, der doppelt so alt ist wie Giulia selbst. Während
Manfredi vorurteilslos sich dem jungen schwangeren Mädchen annimmt, wird Giulia
von dessen Familie als Hure verspottet … Als Giulias Kind auf die Welt kommt,
nimmt Manfredi diesen Sohn wie einen eigenen an und gibt sich als seinen Vater
aus. Manfredi ist Krämer von Beruf. Er ist ein Illiterat, hat nur Rechnen
gelernt. Als Krämer hat er es dennoch geschafft, sich in Amerika durch mehrere
Läden einen Namen zu machen. Verkauft werden viele italienische Produkte.
Pietro ging hingegen die Ehe mit Anita ein, die zur
selben Zeit schwanger wurde wie Giulia. Beide junge Frauen fühlten sich zu
Pietro hingezogen, nur wusste die ahnungslose Giulia dies nicht.
Als sie wortlos verschwand und sie nicht
wiedergefunden werden konnte, plagten Anita und Pietro stille Schuldgefühle.
Auch Anita
bringt einen Sohn zu Welt, der den Namen Nico erhält ...
Ihren Mann Pietro
verliert Anita im Zweiten Weltkrieg. Später auch ihren Sohn, indem er von deutschen Soldaten tödlich verletzt wurde.
Giulia ist aber durch die Flucht auch der Armut und
der harten Arbeit entronnen. Sie stammt wie viele ihrer Landsleute aus
ärmlichen Verhältnissen, die weder lesen noch schreiben konnten. Die Reichen im
Land übten Druck auf die Kleinen aus und ließen für einen Hungerlohn für sich
arbeiten. Trotz der Schulpflicht wurde Giulia nach drei Grundschuljahren von
der Bildungseinrichtung genommen, um zusammen mit ihrer Mutter in einer
Seidenspinnerei zu arbeiten. Durch die Ausbeutung der Arbeitskräfte sind die
Menschen unzufrieden und es kommt zu schweren politischen Unruhen und Krawallen.
Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach Freiheit und Gleichheit, nach
Barmherzigkeit ist groß, wofür die Menschen bereit waren zu kämpfen…
Giulia fragt sich häufig, ob sie mutig war, einfach
auszubrechen oder war sie nur zu feige, ihre Konflikte zu klären und auszutragen?
Nach über vierzig Jahren kehrt Gulia mit ihrem
erwachsenen Sohn Michele für drei Wochen nach Piemont zurück und hofft, ihre
Mutter, Pietro und Anita wieder zu sehen …
Welche Szene hat mir nicht gefallen? Es waren recht viele Szenen, die mich beim Lesen sehr
traurig und nachdenklich gestimmt haben. Ich entscheide mich für drei folgende Episoden,
die ich hier gerne niederschreiben möchte.
Episode 1- Giulias Bruch mit ihrer Nation und der Mutter Sehr traurig fand ich den plötzlichen Abbruch
Giulias zu ihrer Mutter. Giulia selber ist mit ihrem Gewissen geplagt, weshalb
sie nie den Namen ihres Mannes hat annehmen können. Sie trug auch nach der
Heirat noch ihren Mädchennamen Giulia Masca.
>Ich
bin nicht du, Mama< Hat sie es deshalb nie geschafft, sich ganz als Giulia
Manfredi zu fühlen, oder auch einfach als Giulia? War sie zu sehr damit
beschäftigt, mit Assunta zu streiten, sogar aus 6500 km Entfernung? Zu viel
Wut. >Mama, hörst du mich? Ich bin nicht du!< (2019, 193)
Giulia hatte versucht, von Amerika aus erneut
Kontakt zur Mutter aufzunehmen, hat ihr ein Foto ihres Sohnes geschickt, eine
Einladung und Geld, damit sie sie in Amerika besuchen könne. Assunta Masca war
so gekränkt, dass sie die Briefe unbeantwortet ließ, sie nahm lediglich das
Geld heraus, um damit für ihr späteres Begräbnis zu sparen.
Im Laufe der Jahre musste die mittlerweile Identität
geplagte Amerikanerin erkennen, dass ihre Mutter einen harten Überlebenskampf
führen musste. Giulia begann zu verstehen, dass die Mutter keine böse Natur
war, sondern nur arm.
Assunta
hat getan, was sie konnte, das weiß Giulia jetzt. Es gibt keine Rechnungen zu
begleichen, es gibt nichts zu verzeihen. Alle tun wir unser Bestes. (514)
Einen schönen Satz hat Romagnolo geschrieben, den
ich unbedingt festhalten möchte, der allen anderen Familien Mut machen soll: Familie heißt, füreinander da sein.
Leider finden die meisten Zerwürfnisse ganz besonders in Familien statt, die häufig
bis zum Tod unversöhnt bleiben, wie ich dies aus meiner psychiatrischen
Berufspraxis von meinen Klient*innen heraus kenne und erfahren habe. Auch die Seniorenheime
sind voll von alten Menschen, bei denen der Kontakt von den Kindern aus
unterschiedlichsten Gründen abgebrochen wurde, und so vereinsamen die alten
Leute vor sich hin. Ebenso im Freundeskreis gibt es Fälle dieser Art.
Episode 2 – Libero Manfredis depressive Krise Giulias Mann sollte einberufen werden, der Zweite
Weltkrieg war ausgebrochen. Libero Manfredi bestand die medizinische
Untersuchung nicht, da er Analphabet war und wurde als imbezil eingestuft. Er
wurde dadurch ausgemustert und wieder zurückgeschickt. Er fiel in eine schwere
depressive Krise, lag apathisch im Bett, verlor jegliches Interesse am Leben.
Giulia ging das sehr nahe und meinte, dass niemand das Recht habe, einfach
stehen zu bleiben, „denn Gehen heißt Leben“. Gehen heißt Leben und das Beste
aus seiner Lage machen …
>Niemand
hat die Freiheit, einfach stehen zu bleiben, nicht wahr, Miss Liberty?<
(131)
Keine Wertschätzung vonseiten Amerika, das bekannt
ist als das Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten, wofür die
Freiheitsstatue steht, vor der Giulia ihren Gedanken nachgeht. Dass Manfredi
trotz der Bildungsarmut dennoch ein erfolgreicher Geschäftsmann wurde, galt in
Amerika nicht als nennenswerter Erfolg.
Episode 3 – Pietro Ferro im Krieg Pietro ist im Krieg und ist kriegsmüde und sehnte
sich nach seiner Frau Anita. Er möchte ihr einen Brief schreiben, und es fehlen
ihm aber die richtigen Worte. Es fällt ihm schwer, ihr zu schreiben, wie es ihm
wirklich geht, wie schrecklich dieser Krieg doch sei. Er möchte seine Frau
nicht beunruhigen. Im Graben liegt ein toter deutscher Soldat. Pietro findet
bei ihm einen Liebesbrief an dessen Frau. Er ist angetan von seinen Worten und
möchte am liebsten diesen Brief stehlen und seiner Frau schicken. Aber da stehen
auch Worte von Vaterlandsliebe, die Pietro am liebsten auslöschen würde, da er dieses
Gefühl selbst nicht kennen würde.
Diese Episode hat mich tief berührt, dass der
italienische Soldat betäubt vom Krieg einen Brief stehlen wollte, die Worte
stehlen, die der deutsche Soldat an seine Frau gerichtet hatte. Und die These
zur fehlenden Vaterlandsliebe, wo doch viele hier denken, dass die
Italiener*innen alle stolz auf ihr Land aufsehen, was aber in Wirklichkeit
nicht stimmt. Weiter unten habe ich geschrieben, warum die Italiener*innen
Identitätsprobleme haben. Nicht nur wegen der schwachen italienischen Regierung
seit eh und je …
Welche Szene hat mir gefallen?
Es gibt zwei Episoden angelehnt an Zitate …
Episode 1 – Giulias Schulerfolg – Die Anerkennung ihrer Familie
Am
letzten Schultag stehen sie alle beide draußen. Er nüchtern, rasiert, in
sauberem Hemd, sie im Sonntagskleid, mit glänzenden Stiefelchen und einem
Schildpattkamm im Haar. Es sind noch andere Eltern da, wegen der Zeugnisse. Sie
setzten sich zu dritt auf die Stufen, Giulia in der Mitte. Sie liest ihnen vor:
Drei, Zwei, viele Einsen, doch die beiden sahen sie zweifelnd an.
In
dem Augenblick tritt Primo Leone mit Anita an der Hand zu ihnen. Er will die
Noten sehen, wirft einen raschen Blick darauf, macht große Augen, um sie zu belustigen,
und drückt ihr zum Schluss die Hand, wie es unter den Großen Brauch ist:
>Meine Hochachtung, Signorina Masca. Sogar in Rechnen eine Eins!<
Die
Piazetta leert sich, auch der Herr Lehrer (…) geht davon, nickt ihrer Mutter zu
und zieht vor dem Vater den Hut. Als sie allein sind, holt Erminio Masca ein
größeres Päckchen aus der Tasche. >Zur Feier des Tages<, sagte er. >Du kannst doch
so gut rechnen, teil es gerecht auf.<
Auf
ihren Knien faltet Giulia das Päckchen auseinander und zählt im Kopf
siebenundzwanzig glasierte Haselnüsse. Dann sagt sie ganz leise, als wäre der Lehrer
noch dabei: > ja, ist teilbar<, und macht drei Häufchen von je neun. Sie
ist so aufgeregt, dass sie nicht einmal herausbringt: > Bitte sehr, nehmt
Euch.< Sie blickt auf das greifbare Ergebnis aus Zuckerglasur, mustert aus
dem Augenwinkel die gerade Linie des frisch gestutzten Schnurrbarts ihres
Vaters und die Handschuhe, die die Mutter aus der Kommodenschublade gefischt
hat, um ihre verunstalteten Finger zu verbergen: (Die Finger waren durch die
harte Arbeit in der Seidenraupenspinnerei entstellt, Anm. d. Verf.) Sie möchte
für immer so bleiben, in diesem Augenblick vollkommenen Glücks, während die
Menschen, in ihre Geschäfte und Gedanken vertieft, ahnungslos vorübergehen.
Doch dann hat Assunta einen Handschuh ausgezogen, Erminio Masca hat sich eine Haselnuss
genommen, und alles war zu Ende. (345)
Obwohl die darauffolgenden Sätze den Tod des Vaters ankündigen,
woran, ist im Kontext nicht festgelegt, fand ich diese Szene, den Schulerfolg
durch die Eltern mitgetragen zu haben, als eine zwar nur kurzlebige Glückseligkeit,
dennoch wunderschön. Ich habe noch lange daran gezehrt. Zu schön, sich
vorzustellen, wie sich die Eltern für die Tochter rausgeputzt haben. Und dass
der eigentlich alkoholisierte Vater doch einen sehr weichen Kern besaß, wie man
dies bei vielen männlichen Alkoholikern beobachten kann. Sie trinken aus purer
Verzweiflung durch schwierige Lebensumstände, mit denen sie nicht fertig werden.
(336)
Episode 2 – Der weinende Arzt und die Vergebung Doktor Costa muss im Beisein von Anita, die durch
die Todesfälle in ihrer Familie schon vorbelastet ist, Pietros älteren Bruder
Achille Ferro, der den italienischen Partisanen sich angeschlossen hatte und von
den Feinden erwischt und übelst zugerichtet wurde, eine Todesspritze setzen
lassen, um diesen von dem Leid zu erlösen, da er nicht mehr zu retten war. Der
Arzt konnte auch Anitas Sohn Nico nicht mehr retten, was ihm zu schaffen macht.
>Glauben
Sie mir? Sie müssen mir glauben, Anita< Schwarzhemd, Kniehosen. Die
Arroganz. Anita bringt keine Antwort heraus.
Der
Arzt schlug die Hände vors Gesicht. >Es tut mir leid, es tut mir leid, es
tut mir leid<, schluchzte er, und Anita begreift, dass dieses Weinen alles
enthält, was der Arzt nicht mit Worten ausdrücken kann: seine Jugend und die
von Nico, die Entscheidungen, der Zufall, das Schicksal.
Sie
tritt zu ihm, nimmt seinen Kopf zwischen die Hände, und er klammert sich an
ihre Rockschöße.
Seine
Schultern beben. Sie lässt ihn sich ausweinen, streicht über seine schütteren
Haare. Auch Nico wären sie ausgegangen, alle Ferros bekommen früh kahle
Schläfen. Sie denkt an die jungen Widerstandskämpfer, zu denen der Arzt nachts
hinaussteigt, um sie zu behandeln. Dutzende. Sie denkt an Gatto und an Hamlet.
Kleine Tränen der Erleichterung rollen über ihre Wangen. Ihr wird leicht ums
Herz, sie fühlt, wie der Hass, der sich in all den Jahren abgelagert hat, sich
auflöst, wie angetrocknete Seife und fortgespült wird. Ist das die Vergebung,
von der die Pfarrer sprechen? Dieses unvermutete Vermächtnis füreinander, diese
Verbindung zwischen dem, der vergibt, und dem, dem vergeben wird? (492)
Welche Figur war für mich Sympathieträgerin? Am Ende waren es Anita und Giulia, aber auch Giulias
Sohn Michael und Libero Manfredi. Auch Adelhaid fand ich sympathisch, die sich
als Frau für Politik interessierte. Sie sich in Männerkleidung begab, um für
das Land mitzukämpfen.
Welche Figur war mir antipathisch? Alfonso Risso, der hinterhältig war und mit einem
Fußtritt einen Hund der Leonis getötet hat.
Meine Identifikationsfigur Es hat lange gedauert, bis ich mich in eine der
Figuren habe spiegeln können. Ich sah mich anfangs in Anita, doch erst am Ende
war ich mir sicher, dass sie es ist, deren Namen ich hier festhalten möchte.
Anita Leone-Ferro.
Cover und Buchtitel Den Titel Bella
ciao fand ich unpassend. Besser finde ich den Originaltitel Destino –
Schicksal.
Bella ciao ist nichtsagend, auch wenn der Titel auf der Seite 509 in
die Nationalhymne gepackt wird, sodass ich im Internet mir die gesamte
Nationalhymne runtergeladen habe, und habe dort allerdings nirgends etwas von
„Bella ciao“ entnehmen können. Das Cover von der Büchergilde finde ich etwas zu
bunt, aber die Idee, beide Staaten, Italien und Amerika, auf den Kopf zu
stellen, soll die Gegensätze aufzeigen, finde ich künstlerisch gelungen, wenn
es aber auch viele Gemeinsamkeiten gibt, die man auch mal ruhig in den Fokus hätte
rücken können.
Das Cover von Diogenes finde ich für mich
ansprechender, wobei die Figur darauf sicher die Hauptfigur Giulia Masca
darstellen soll. Aber warum dunkelhaarig? Giulia hat blonde Haare und blaue
Augen. Überhaupt fand ich es schön, dass die Figuren im Buch bunt waren, es gab
auch Rothaarige. Figuren mit blauen
und grünen Augen, große und kleine Italiener*innen.
Warum dürfen Italiener*innen nicht blond … und hellhäutig sein? Warum halten ausländische
Verlage so an diese Stereotypen fest? Selbst meine Herkunftsfamilie, die nicht
aus dem Norden Italiens kommt, ist bunt gemischt. Viele Blondhaarige, viele mit
blauen und grünen Augen, nicht alle haben schwarze Augen bzw. schwarze Haare. Warum
darf Vielfalt im Süden nicht sein? Sowohl im Auftreten als auch von der Genetik
her werden sie immer als Exoten dargestellt. Ein Schwarz-Weiß-Bild, das ich in
meiner Familie nicht bestätigen kann. Hell ist der Norden Europas, dunkel der
Süden. Doch auch der Norden ist bunt und ist keineswegs nur hell. Es wird ein
Wunschbild kreiert, wie man sich wünscht, wie Menschen aus anderen Ländern
auszusehen haben. Und diese Bilder sind fest in den Köpfen der Leser*innen programmiert.
Man verbindet damit auch bestimmte Verhaltensweisen, wie z. B. Heißblütigkeit,
u. a. negative Attribute.
Verbrecher und Kriminelle werden zum Beispiel meist
dunkelhaarig dargestellt. Die Hellen werden häufig als sanft und sensibel beschrieben.
Ich bin froh, Romagnolo gelesen zu haben, denn in ihrem Roman gibt es auch
weinende, italienische Männer. Selbst in meiner Familie gibt es sehr sensible
Männer, die in belastenden Situationen durchaus Tränen vergießen können. Nicht
alle sind hart gesottene Machos. Aber will man solche Männer? Hier in
Deutschland werden sie als Weicheier beschimpft.
Woher mein kritischer Blick? Durch mein Hauptstudium
der Erziehungswissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt, als ich
damals neben meinen anderen Nebenfächern auch das Fach der Migrationspädagogik
mitbelegt hatte, wurde uns Student*innen der Blick geschärft, Bilder in der
Literatur, auch durch Wort und Schrift gegenüber den Personenbeschreibungen
kritisch anzugehen. Selbst in Schulbüchern ist häufig versteckter Rassismus
verbreitet. Kinder werden frühzeitig geimpft, in dem sie Migrant*innen mit bestimmten Mustern im Wir und Ihr-Modus dargestellt bekommen, die zusätzlich ausgrenzende Wirkungen erzeugen sollen. Türken wurden in Schulbüchern häufig der
Berufsgruppe Müllabfuhr, Türkinnen waren Putzfrauen, Italiener waren
Pizzabäcker, etc. während Deutsche in akademische Berufe gepackt wurden. Dies
ist sicher auch ein Grund, weshalb sich keine italienischen Akademiker*innen in
Büchern zu Italien finden lassen, die von deutschen Autor*innen geschrieben werden.
Es ist schwer, sich mit diesen stereotypen Bildern im Kopf z. B. eine*n italienische Wissenschaftler*in etc. vorzustellen.
Zum Schreibkonzept Das Buch ist auf den 518 Seiten in drei Büchern mit
insgesamt neun Kapiteln gegliedert. In manchen Kapiteln findet man weitere
Überschriften, die thematisch aufgebaut sind. Die Erzählform hat
reflektierenden Effekt. Außerdem besitzt die Lektüre eine gut verständliche Sprache.
Manchmal allerdings bedient die Autorin auch Fäkalbegriffe, die wahrscheinlich
gewollt sind, um die Misere Italiens besser verdeutlichen zu können. Für Scheiße hätte man aber auch den Begriff
Kot einsetzen können. Hätte für mich denselben Effekt, klingt nur nobler. Aber diese
primitiven Begriffe sprengen keineswegs den Rahmen.
Auf der ersten Seite schenkt uns die Autorin zwei
wunderschöne einleitende Verse zu ihrem Roman.
Auch findet man zu Beginn jedes neuen Buches einen
Stammbaum der Familien Leone, Masca und Manfredi. Separat dazu Namen anderer
Figuren. Am Ende des Buches ist eine Anmerkung der Autorin abgedruckt, die beschreibt,
wie sie zu ihrem Erzählstoff gelangt ist.
Meine
Meinung Nach dem Ende des
Buches weiß ich noch nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen, wie ich zu der
Autorin Raffaella Romagnolo stehen soll, die immerzu von Italien spricht, aber
die Grenzen bis nach Piemont gezogen sind. Es gibt noch nicht einmal die
Hauptstadt Rom, in der von dort aus seit der Staatsgründung von 1861 sämtliche
politische Fäden gesponnen wurden. Vor dieser Zeit war Italien in mehreren
Staaten gesplittet. Florenz hatte zum Beispiel eine eigene Festung, fremd war
jeder, der nicht dieser Bastion angehörte. Durch die gewaltigen Machtkämpfe aus
anderen europäischen Länder wie z. B. das Eindringen durch Österreich in den
Norden, der Süden wurde sogar von arabischen Ländern fremdbesetzt, haben sich
die vielen italienischen Kleinstaaten zusammengetan und gründeten ein großes
Staatsgebiet, um sich gegen die Fremdherrschaft oben wie unten besser schützen
zu können. Aber eine Liebe zwischen diesen Staaten konnte als ein geeintes
Italien nie wirklich erworben werden. Zu groß waren die Vorurteile, zu groß der
Ressentiment unter den vielen kleinen Staaten, die zu einem einzigen Volk
Italiens hätten zusammen wachsen sollen …
Wenn auf diesen
Buchseiten mal über eine Figur aus Süditalien geschrieben wird, dann eher auf
eine recht abfällige und rassistische Form durch die Romanfigur Giulia Masca.
Es herrschen hier dieselben rassistischen Vorurteile, wie man sie von anderen
Ländern zu Italien her kennt. Giulia befindet sich in Manhattan, als sie
folgenden Gedanken spinnt:
In der Wohnung im 1. Stock wohnen jetzt
acht kürzlich angekommene Kalabresen, vielleicht auch neun, Mrs. Giulia Masca
ist sich nicht sicher Sie vermehren sich rasch. Ungebildete Italiener,
Analphabeten mit zu vielen Kindern (…), (37).
Klagte sie doch über
die Bildungsarmut ihres eigenen Landes, auch ihre Mutter war Analphabetin, ihr
Mann Manfredi ist es, hackt sie nun auf die Süditaliener, ohne zu wissen, was
das tatsächlich für Leute sind. Das war oder ist sogar noch italienischer Alltag zwischen
Nord und Süd und dies hat Romagnolo in dieser einzigen Szene sehr gut darstellen können.
Auch Äußerlichkeiten verwenden Norditaliener*innen dieselben Stereotypen wie die Deutschen. Die Süditalien*innen werden alle als dunkelhäutig und schwarzhaarig abgebildet. Dabei sind sie durch das milde und heiße Klima eher sonnengebräunt.
Auf nur 518 Seiten ein
Familienepos über italienische Geschichte zu schreiben, finde ich für jemanden, der
sich mit dieser Materie nur wenig auskennt, eine Überfrachtung. Zu große
Zeitsprünge hin und her, während Menschen, die in dem Land groß geworden sind
und in der Schule italienische Geschichte gelehrt bekommen haben, es
sicher leichter haben, sich in dem Buch historisch zu orientieren. Mir hat in der
Erzählstruktur mitunter ein Zeitraffer gefehlt. Mitten im Text bekommt man
völlig unerwartet mit einer anderen Epoche zu tun und dann wieder mit anderen
Figuren aus den verschiedenen Stammbäumen, die aber alle miteinander verbunden waren.
Auf die
Weltwirtschaftskrise, die in den 1920er und 1930er-Jahren in Amerika
grassierte, so wie auch die Bankenkrisen, die Schuldendeflation … erwähnte die
Autorin kaum. Amerika ging es zu dieser Zeit existenziell auch sehr schlecht.
Viele Amerikaner*innen nagten ähnlich wie die Italiener*innen am Hungerstuch
...
Das Buch hat dennoch
mein Interesse geweckt, dass sich in mir eine innere Lust entwickelt hat,
weitere Bücher zur Geschichte Italiens zu lesen. Der italienische Faschismus
ist mir durch den deutschen Nationalsozialismus vertraut, aber nicht nur auf
Piemont bezogen. Ich habe dazu viele Fachbücher gelesen, aber keine
belletristischen Romane, die es in Italien zuhauf gibt, wie ich mir habe sagen
lassen. Leider werden zu wenige davon ins Deutsche übersetzt.
Doch im Nachhinein fand ich das
Buch sehr gut. Diese Kühle, die die Autorin in die Seelen ihrer Figuren hineingelegt
hat, konnte am Ende in Empathie und Menschlichkeit umgewandelt werden. Ich fand
das Ende daher richtig genial, das mich sehr tief bewegt hat.
Schützt Bildung vor Armut? In
vielen Ländern schon, leider nicht in Italien. In den 1990er Jahren sind viele
italienische Akademiker*innen ausgewandert, da sie im eigenen Land keine
Arbeitsplätze haben finden können. Die Ressourcen der jungen und gut ausgebildeten
Menschen hatte der Staat regelrecht verschwendet, die auch heute noch zu wenig für das eigene
Land eingesetzt werden.
Wie ist das Buch zu mir gekommen? Durch die Buchmesse von 2018. Es fand wieder das alljährliche
Bloggertreffen durch den Diogenes Verlag statt, das von der Pressereferentin S.
B. moderiert wurde. Hier wurden sämtliche Neuerscheinungen für das erste
Halbjahr 2019 vorgestellt. Mir war klar, dass ich durch mein Leseprojekt
italienische Autor*innen Literatur gesucht habe. Romagnolo kam mir hier sehr
recht, da ich mit meinem Projekt noch in den Startlöchern steckte. Entdeckt und
fertig gedruckt hatte ich es allerdings etwas später bei der Büchergilde bei
meinem Quartalseinkauf. Die Büchergilde bekam eine Lizenzausgabe durch die
Genehmigung des Diogenes Verlages, der zuerst die Autorin aufgespürt hatte.
Auch wenn in Amerika von den Medien häufig nur die Glitzerseiten gezeigt werden, gibt es auf Youtube kostenlos einen Spielfilm über die Armut in Amerika zu sehen. Der Film heißt Im Teufelskreis der Armut. Ich hatte ihn mir vor mehreren Jahren mehrmals angeschaut, noch bevor ich Romagnolo kannte.
Auch in diesem Film wird deutlich, wenn in einer Familie die Existenzgrundlage fehlt, dann geht es um das nackte Überleben, und man einfach nicht die Mittel hat, das Kind (weiter) zur Schule zu schicken. In diesem Film bettelt das Kind regelrecht darum, in die Schule gehen zu dürfen. Aber seht selbst.
Mein Fazit Ein Buch nicht nur
über Krieg und Armut, sondern auch über eine echte Freundschaft mit der Weisheit
behaftet, die alles vergibt und nichts vorwirft. Gehen heißt Leben und Leben
heißt, das Beste aus seinem Schicksal zu machen. Bella ciao.
Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise) 2 Punkte: Differenzierte Charaktere 2 Punkte: Authentizität der Geschichte, Spannung 2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt 2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus 1 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Elf von zwölf Punkten.
________________
Familie heißt, füreinander da sein.
Niemand hat die Freiheit, einfach stehen zu bleiben. Gehen heißt Leben. (Raffaella Romagnolo)
Der Mensch ist mehr
als nur die biologische Erbmasse. Er ist, was er
innerlich denkt und fühlt. (M. P.)
Die Herkunft eines
Menschen Die Wurzeltheorie
verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere
Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten
haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo
sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.
Es lebe die menschliche Vielfalt in
Deutschland und überall. (M. P.)