Mittwoch, 26. November 2014

Andrea De Carlo / Die Laune eines Augenblicks (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich fühlte mich von dem Buch ein wenig abgenervt. Nach zwei gelesenen Büchern von dem Autor habe ich es nun raus, welchen Stoff er darin hauptsächlich bearbeitet.
Ich erinnere mich, dass mir beim Inhalt aus dem ersten Band Als Durante kam, ähnliche Gefühle und Gedanken kamen wie in diesem vorliegenden Band. Es geht immer wieder um Beziehungsdramen. Der Autor sucht Antworten auf seine Fragen, was eine Frau und ein Mann brauchen, um eine glückliche und perfekte Beziehung zu leben? Die Art und Weise wie der Autor seine Antworten durch die Figuren sucht, fand ich immer wieder schwach und ein wenig naiv. Mir hat es zeitweise auch an Geduld gefehlt, weil ich nicht glauben konnte, dass ein erwachsener Mann so mitten im Leben stehend Probleme mit dem Erwachsenwerden hat. Bevor ich mich nun auf diese Buchbesprechung stürze, gebe ich erneut den Klappentext rein:
Ein dramatischer Unfall, die Begegnung mit einer ungewöhnlichen Frau - von einem Moment zum anderen weiß Luca: Er muss sein Leben ändern. Andrea De Carlos Buch, in Italien ein großer Bestseller, ist Identitäts- und Liebesroman in einem.
Erst das Ende des Buches konnte mich mit dem Protagonisten und Icherzähler Luca aussöhnen. Was ich auf den ersten bis zu den letzten Seiten kritisch in mich hinein gedacht und angemerkt hatte, vollzog Luca seine Erkenntnisse erst zum Ende seiner Handlungen hin.

Luca ist ein geschiedener Mann, Mitte 30, lebt mit seiner neuen Partnerin, Anna, und beide leiten eine Reitschule in der Nähe von Rom. Aus seiner ersten Ehe geht ein Kind hervor, elf Jahre alt. Das Kind verbringt alle vierzehn Tage das Wochenende beim Vater.

Seine Freundin Anna, mit der er eigentlich nicht wirklich glücklich ist, in der Tat wirkt sie sehr kühl und unfreundlich Luca gegenüber, lässt er wegen einer anderen Frau still und heimlich im Regen stehen.

Als Luca einen Unfall mit seinem Pferd widerfährt, wird er von einer Autofahrerin namens Alberta aufgelesen und natürlich entwickelt sich hier, wenn auch nur kurz, ein wenig Intimität. Solche Szenen lassen sich sehr schnell durchschauen und noch bevor der erste intime Kuss vollzogen wurde, war der bei mir im Kopf schon längst getätigt, so leicht sind die Szenen im Buch zu durchschauen gewesen.

Man darf sich hier allerdings nicht den italienischen Macho vorstellen, nein, das ist Luca nicht. Man hat es hier eher mit einem Typ Mann zu tun, ein sensibler Mensch, der Suchender ist, und der fest davon überzeugt ist, dass Männer und Frauen nicht sonderlich verschieden sind. Männer und Frauen seien nicht wirklich zwei unterschiedliche Rassen … Trotzdem, wie er seine Beziehungsprobleme angeht, finde ich verantwortungslos und minderwertig. Spare mir die Einzelheiten und verweise auf das Buch.

Statt dass Luca seine Probleme mit Anna löst, stürzt er sich in die nächste Beziehung. Ehrlich gesagt reagierte ich auf Luca mit einer gewissen Ungeduld, denn er scheint ein Problem mit der Verantwortung zu haben. Wenn Menschen in der Partnerschaft unglücklich sind, dann warten viele erst bis sie sich neu verlieben und stürzen sich von einer Partnerschaft gleich in die nächste, und das nur, um nicht alleine zu sein, sollte eine Partnerchaft an ihr zerbrechen … Luca hatte sich schließlich in Alberta verliebt, lernt dann allerdings Albertas Schwester Maria Chriara kennen, verliebt sich dann in diese, Alberta liegt nämlich durch einen Suizidversuch im Krankenhaus … Luca verliebt sich und verliebt sich … Das klingt für mich ganz nach einem Pubertierenden und nicht nach einem reifen Mann, der vom Alter her nicht mehr ganz so jung ist, dazu noch Vater ist. Nicht einmal der elfjährige Sohn schafft es, seinen Vater wirklich zu respektieren, wo doch Söhne gerne auf ihre Väter aufschauen.

Und hier kommt die mentale Wende:
Und mir kam der Gedanke, dass ich die Gründe für mein Unglücklichsein überallhin mit mir schleppen würde. Ich dachte, dass ich doch immer wieder das Interesse an jeder Frau und jeder Arbeit und jeder Beziehung verlieren würde, sobald der Zauber des Anfangs zu verfliegen begann; ich war unfähig, wie ein Erwachsener Verantwortung zu übernehmen und die hoch entwickelten Verhaltensweisen unserer Spezies positiv auszulegen. Vielleicht, dachte ich, ist das, was ich Leichtigkeit nannte, eine Form egoistischer Oberflächlichkeit und das, was ich als Last betrachtete, der wahre Gehalt der Dinge. (…) Ich dachte, dass es vielleicht an der Zeit war, nicht länger dem Neuen und Überraschenden nachzujagen, sondern innezuhalten und hinzunehmen und aufzubauen, aus der flüchtigen und unzuverlässigen Vorläufigkeit des Jetzt hinauszutreten und mit festen Schritten auf das Morgen zuzugehen. (262f)
Und somit bekommt dann auch der Titel des Buches Die Laune eines Augenblicks einen Sinn.

Ich denke, dass ich nun von Andrea de Carlos Büchern mehr als gesättigt bin. Mich reizt es nicht, noch weitere Bände von ihm zu lesen.

Das Buch erhält von mir sechs von zehn Punkten.
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Kinder brauchen keine Analysen,
Kinder brauchen Liebe.
(Adam Davies)

Gelesene Bücher 2014: 81
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 24. November 2014

Andrea De Carlo / Die Laune eines Augenblicks

Klappentext
Aus dem Italienischen übersetzt von Renate Heimbucher. Ein dramatischer Unfall, die Begegnung mit einer ungewöhnlichen Frau - von einem Moment zum anderen weiß Luca: Er muss sein Leben ändern. Andrea De Carlos Buch, in Italien ein großer Bestseller, ist Identitäts- und Liebesroman in einem.

Autorenporträt
Andrea De Carlo, 1952 in Mailand geboren, arbeitete als Fotograf und Rockmusiker, später als Assistent von Federico Fellini, bevor er Schriftsteller wurde. Er hat zehn Romane geschrieben, die sich millionenfach verkauft haben und in einundzwanzig Sprachen übersetzt wurden. Zuletzt erschien auf deutsch "Die Laune eines Augenblicks". Heute lebt er in Rom, Mailand und auf dem Land in der Nähe von Urbino.
Dies ist das zweite Buch, das ich von dem Autor lesen. Das erste Buch Als Durante kam hatte mir nicht sonderlich gut gefallen. Mal schauen, ob mich dieses Werk erfreuen wird.


Sonntag, 23. November 2014

Siri Hustvedt / Der Sommer ohne Männer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch habe ich soeben beendet und es ging gar nicht an mich. Es ist ein relativ dünnes Buch von 350 Seiten, weshalb ich es zu Ende lesen konnte, ansonsten hätte ich es abbrechen müssen. Ich habe mich ein wenig bis zur letzten Seite gequält.

Nicht, dass es an den Themen lag, nein, die Themen fand ich o. k. Mir war der ganze Stoff einfach nur zu trocken und mit keine der Figuren konnte ich wirklich warm werden.

Nichtsdestotrotz gab es die eine oder andere Textstelle, die ich mir gerne herausschreiben möchte.

Bei Der Sommer ohne Männer lässt schon der Titel erahnen, was sich dahinter verbirgt.

Frauenthemen wie z. B. Emanzipation, weibliche Sexualität, Belletristik, die den Stempel Frauenliteratur aufgedrückt bekommt, und natürlich steht die Ehekrise als das Hauptthema im Vordergrund, obwohl sich die anderen Themen immer wieder dem Hauptthema aufdrängen. 

Ich gebe zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Eine Ehekrise hat die New Yorker Dichterin Mia Fredricksen aus der Bahn geworfen. Am Ende eines langen Sommers in Minnesota hat sie ihr Gefühlschaos geordnet und sich und das Leben neu entdeckt. Ein wunderbar inspirierter Roman über das Glück und das Unglück der Frauen. Der Sommer ohne Männer (jetzt neu als Taschenbuch) zeigt Siri Hustvedt von einer ungewohnten Seite – verspielt und äußerst komisch.
Mia Fredricksen unterrichtet sieben junge halbwüchsige Mädchen in Dichtung und Literatur. 

Des Weiteren gibt es einen Lesezirkel, der auch nur von Frauen besucht wird …

Interessant finde ich ihre Gedanken zur Belletristik:
Tatsächlich wird das Lesen von Belletristik heutzutage oft als Frauenkram angesehen. Viele Frauen lesen Romane. Die meisten Männer nicht. Frauen lesen Romane von Frauen und Männern. Die meisten Männer nicht. Schlägt ein Mann einen Roman auf, hat er gern einen männlichen Namen auf dem Cover, das ist irgendwie beruhigend. Man weiß ja nie, was mit diesem äußeren Genital passieren könnte, wenn man in eine imaginäre Welt eintaucht, die von jemandem ausgeheckt wurde, bei dem sich die beweglichen Sachen innen befinden. Zudem geben Männer gern mit ihrer Nichtbeachtung von Romanen an: >>Ich lese keine Romane, aber meine Frau.<< Die zeitgenössische literarische Vorstellungswelt verströmt anscheinend ein eindeutig weibliches Parfüm. 
Eine schöne Metapher mit dem Parfüm.

Ihr Ehemann Boris stellt sie vor vollendete Tatsachen, trennt sich von ihr, um eine Ehepause einzulegen … Mia erlebt einen psychischen Zusammenbruch und wird in eine Psychiatrie eingewiesen.

Eine Wortspielerei mit dem Begriff Pause, Mia analysiert diesen Begriff philosophisch und linguistisch ...

Sie erholt sich von dem Zusammenbruch und versucht, wieder ihrem geregelten Tagesablauf nachzugehen …

Mia ist Mitte fünfzig und ist die Jüngste ihrer Frauenrunde und wird von den älteren Damen wegen des großen Altersunterschieds als Kind bezeichnet. Die anderen sind weit über siebzig. Wie gehen Frauen ihres Alters mit dem Leben um? Wie gehen sie überhaupt mit dem Alter um, mit dem Altsein an sich? Mia stellt alte und junge Menschen gegenüber, um zu begreifen, was Zeit ist, was Altsein bedeutet. Für die jungen Leute zählt nur die Zukunft, während die Alten die Zukunft schon verlebt haben und stehen dem Tod am nähesten.

Mia hat es gut drauf, junge Leute in der Dichtkunst zu inspirieren und sie zu fördern. Sie bewundert das Alter, mit dem sie Literatur entdecken: 
Die Schülerin Alice, hübsch, große Zähne mit Brackets, las, als ich reinkam, und las still weiter, bis die Stunde anfing. Als sie das Buch zuklappte, sah ich, dass es Jane Eyre war, und verspürte einen Moment lang Neid, den Neid auf das erste Entdecken. 
Diesen Gedanken kann ich sehr gut nachvollziehen.

Ihre Schülerin Alice brachte folgende Zeilen zustande, die auch mir gefallen haben: 
Schweigen ist ein guter Nachbar und ich sah mein missmutiges Ich fortgehen. 
Mia notiert sich sehr viele Gedanken. Über Begriffe, über Bedeutungen, über Metaphern … Und auch über Sex. Sex in einer Bibliothek:
Es begann in der Bibliothek mit Kant. Bibliotheken sind sexuelle Traumfabriken. Das kommt von der Schläfrigkeit. Der Körper muss Haltung annehmen - ein Bein über das andere geschlagen, das Kinn auf eine Hand gestützt, gestreckter Rücken; aber der Körper tut nichts. Es kommt vom Lesen und Aufblicken; der Geist verlässt das Buch und schlängelt sich zu einem Oberschenkel oder Ellbogen - real oder vorgestellt. Es kommt vom Dunkel der Bücherstapel mit seiner Andeutung von etwas Verborgenem. Es kommt vom trockenen Duft des Papiers und der Einbände und höchstwahrscheinlich vom Geruch vom alten Leim. Es war der nicht schwierige Kant: Die Kritik der praktischen Vernunft, viel leichter als die Reine Vernunft aber ich war zwanzig, und die praktische war schon schwierig genug, und er beugte sich über mich, um zu sehen, welches Buch es war. Sein warmer Atem, sein Bart, ganz nah. Professor B. in seinem weißen Hemd, seine Schulter nur wenige Zentimeter von meiner. Mein ganzer Körper versteifte sich, und ich sagte nichts. Dann las er leise, aber das einzige Wort, woran ich mich erinnere, ist Vormundschaft. Er sagte es langsam, sprach jede Silbe deutlich aus, und ich war sein. Es endete schlecht, wie man so sagt, wer immer >>man<< ist, aber seine Augen, die mich beim Ausziehen beobachteten - nein, erst deine Bluse. Jetzt den Rock. Langsam -, seine langen Finger, die in meine Schamhaare krochen, sich zurückzogen, mich scharfmachten, mich zur Verzweiflung brachten - diese frevelhaften Lüste in der Bibliothek, nachdem sie geschlossen hatte, bewahre ich sicher in meiner Erinnerung. 
Was ich so ja gar nicht wusste, ist, dass Mark Twain weiblichen intellektuellen Autorinnen so gar keinen Respekt entgegenbringen konnte, wobei ich mir das eigentlich auch hätte denken müssen, was ich bisher so von ihm habe in Erfahrung bringen können:
>>Jede Bibliothek, die kein Buch von Jane Austen hat, ist eine gute Bibliothek<<, sagte Amerikas literarischer Liebling Mark Twain, >>auch wenn sie kein anderes Buch enthält.<< Carlyle nannte ihre Bücher>>kläglichen Schund<<. Doch auch heute noch wird sie der >>Beschränktheit<< und >>Klaustrophobie<< bezichtigt und als Schriftstellerin für Frauen abgetan. Das Leben in der Provinz, nicht lesenswert? Die Mehrzahl von Frauen, unwichtig? Es geht natürlich in Ordnung, wenn es Flaubert ist. Mitleid mit den Dummköpfen. 
Ich hatte Flaubert damals im Deutsch-Leistungskurs gelesen und seine Themen, hauptsächlich die in Madame Bovary, haben sich von Jane Austen nicht sonderlich unterschieden. Beide schreiben sehr gesellschaftskritisch, besonders was der Status einer Frau in der Gesellschaft des 18. und 19. Jahrds. betrifft. Madame Bovary war eine Figur, die die Ehe monoton erlebt hatte und um aus dieser auszureißen, begann sie einen Seitensprung mit bösen Folgen. Der Ehegatte, Landarzt von Beruf, langweilte sie, da ihm der gesellschaftliche Status und ein geregelter Lebensablauf das Wichtigste für ihn waren.

Damit ich nicht zu viel verrate, mache ich hier nun Schluss. Es sind tatsächlich sehr viele Themen, mit denen sich die Autorin in diesem Buch befasst.

Das Ende bezieht sich wieder auf das Ehepaar Mia und Boris.

Auch wenn mir diese Lektüre nicht gut gefallen hat, ich möchte fair sein, ist es doch ein literarisch sehr anspruchsvolles Buch.
Viele schöne Gedanken sind fantasievoll ausgedrückt. Dazu sind ihre Gedanken recht differenziert dargestellt.

Deshalb erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.
______
Jedes Böse hat auch sein Gutes.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 80
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Donnerstag, 20. November 2014

Siri Hustvedt / Der Sommer ohne Männer

Klappentext
Eine Ehekrise hat die New Yorker Dichterin Mia Fredricksen aus der Bahn geworfen. Am Ende eines langen Sommers in Minnesota hat sie ihr Gefühlschaos geordnet und sich und das Leben neu entdeckt. Ein wunderbar inspirierter Roman über das Glück und das Unglück der Frauen. Der Sommer ohne Männer (jetzt neu als Taschenbuch) zeigt Siri Hustvedt von einer ungewohnten Seite – verspielt und äußerst komisch.

Autorenporträt
Siri Hustvedt wurde 1955 in Northfield, Minnesota, geboren. Sie studierte Literatur an der Columbia University und promovierte mit einer Arbeit über Charles Dickens. Sie lebt in Brooklyn. Bislang hat sie sechs Romane publiziert, mit "Was ich liebte" hatte sie ihren internationalen Durchbruch. Zuletzt erschienen "Die Leiden eines Amerikaners" und "Der Sommer ohne Männer". Zugleich ist sie eine profilierte Essayistin. Bei Rowohlt liegen von ihr die Essaybände "Leben, Denken, Schauen", "Nicht hier, nicht dort" und "Being a Man" vor.
Von der Autorin habe ich noch ein Buch im Regal stehen, das darauf wartet, gelesen zu werden. Sie ist mir neu und bin recht neugierig ...




Mittwoch, 19. November 2014

Kate O´Riordan / Der Junge im Mond (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch hat mir eigentlich recht gut gefallen. Dennoch sind mir ein paar Lücken aufgefallen, vor allem was die Sprünge zwischen den Zeiten betreffen. Diese waren nicht immer klar abgetrennt. 

Schön fand ich, mit meinem Kopf nach Irland zu reisen. Die schöne Landschaft und das Meer waren recht authentisch beschrieben. Wären da nicht diese Tragödien, das harte Leben von Bauern ...
Eigentlich findet man die typischen irischen Themen vor wie z. B. Armut, Katholizismus, Kinderreichtum, Hass zwischen den Engländern und den Iren …

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Die Engländerin Julia und der Ire Brian sind seit zehn Jahren verheiratet. Ihr Sonnenschein ist der siebenjährige Sohn Sam. Als Sam durch eine Unachtsamkeit seines Vaters ums Leben kommt, empfindet Julia nur noch Hass für den Ehemann und zieht sich in das Cottage von dessen Vater zurück. Dort entdeckt sie ein altes Notizbuch von Brians längst verstorbenen Mutter und sie erhält Einblick in die angeblich so sorglose, idyllische Kindheit ihres Mannes. Allmählich kommt sie Brian innerlich wieder näher, doch er verliert zusehends den Boden unter den Füßen.
Aber es ist auch ein Buch, das ich gerne gelesen habe, ohne nochmals viele Worte darin zu verlieren. Halte mich demnach mit meiner Buchbesprechung recht kurz. Im Klappentext steht alles Wesentliche drin. Und mehr als das habe ich nicht zu erzählen. Ich fand auch nicht viele Zitate, die ich unbedingt festhalten möchte.

Ein wenig schockiert hat mich Brians Vater, der hartherzig war, eine Seele aus Eis, als habe sich sein Charakter dem rauen Klima angepasst. Ein Mann und Vater, der seine Kinder richtig gezüchtigt hat. Er war ein gewalttätiger Vater, der in der Erziehung die schwarze Pädagogik praktizierte. Auch seine Frau, die Mutter der Kinder, hat er hart arbeiten lassen, trotz der vielen Kinder. Diese ist an der vielen Arbeit zerbrochen und schied vorzeitig aus dem Leben.

Damit ihr eine kleine Vorstellung davon bekommt, wie sich diese Gewalt ausgewirkt hat, folgt nun gleich ein kleines Zitat. Es geht um Brians Zwillingsbruder Noel, der unter Höhenangst litt, und der Vater mit folgender Methode es ihm auszutreiben versuchte:
Noel schrie sich die Seele aus dem Leib, schrie in solch panischer Angst, dass Brian aus dem Hof und die Felder hinunterraste, um zu sehen was los war. Jeremiah hatte Noel an einem Knöchel gepackt und ließ ihn mit dem Kopf nach unten über den Rand der Klippe baumeln.
Noels Höhenangst verstärkte sich dadurch noch mehr.

Nun komme ich zu der Hauptsache. Es geht weiter mit Noel, den ein schreckliches Schicksal ereilte. Die damals kleinen Brüder Noel und Brian trugen ihre Streitereien körperlich aus. Statt dass der Vater die beiden Jungen auseinanderbrachte, spornte er den Kampf noch zusätzlich an und schrie Brian zu, er solle Noel das Bein stellen. Da Brian, mittlerweile von dem Kampf erschöpft, dazu nicht in der Lage war, stellte der Vater Noel das Bein. Noel stürzte die Klippen hinunter. Brian war geschockt und rannte davon. Zwei lange Tage hielt er sich von zu Hause fern, als man ihn mit hohem Fieber in seinem Versteck fand. Brian glaubte felsenfest, dass er Noel getötet hat. Mit dieser Schuld wurde Brian erwachsen, obwohl ihm der Vater gesagt hatte, dass es ein Unfall war …

Nun wiederholte sich das Schicksal ana seinem eigenen Jungen und sämtliche Schuldgefühle zu seinem Zwillingsbruder kamen wieder hoch. Er durchläuft nun eine dreifache Trauer. Verlust um Sam, Verlust um seine Frau und um den Verlust seines Zwillingsbruders Noel. Erst durch seine Frau Julia gibt es Klarheit, denn sie erfährt durch ihre Recherche im Haus seines Vaters, wie Noel tatsächlich ums Leben kam. Die Mutter hatte zu Lebzeiten Tagebuch geführt und darin diesen Vorfall festgehalten.

Da ich nicht zu viel verraten möchte, mache ich nun hier Schluss.

Das Buch erhält von mir wegen des anfangs beschriebenen Dementi sieben von zehn Punkten.
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Jedes Böse hat auch sein Gutes.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 79
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Dienstag, 18. November 2014

Kate O´Riordan / Der Junge im Mond

Klappentext
Die Engländerin Julia und der Ire Brian sind seit zehn Jahren verheiratet. Ihr Sonnenschein ist der siebenjährige Sohn Sam. Als Sam durch eine Unachtsamkeit seines Vaters ums Leben kommt, empfindet Julia nur noch Haß für den Ehemann und zieht sich in das Cottage von dessen Vater zurück. Dort entdeckt sie ein altes Notizbuch von Brians längstverstorbener Mutter und sie erhält Einblick in die angeblich so sorglose, idyllische Kindheit ihres Mannes. Allmählich kommt sie Brian innerlich wieder näher, doch er verliert zusehends den Boden unter den Füßen..

Autorenporträt
Kate O'Riordan wurde 1961 in West Cork, Irland, geboren und lebt seit den achtziger Jahren mit ihrem Mann und den beiden Kindern in London.
Das Buch habe ich antiquarisch beim Bücher-Oxfam erworben. Das Buch wurde nicht neu aufgelegt.

Mich hat der Klappentext angesprochen ...






Montag, 17. November 2014

Bernd Schroeder / Mutter & Sohn (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Dies war eine wunderschöne Erzählung. Von ihr werde ich noch lange zehren. Sehr authentisch, zwischendrin mal ernst, mal wieder humorvoll, fantasievoll und liebevoll geschrieben. Freue mich, mit Bernd Schroeder einen neuen Autor entdeckt zu haben. Werde ihn in meine Liste aufnehmen, und mir noch weitere Bücher von ihm anschaffen.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Johannes hat zwei Frauen und zwei Probleme: Lisa verlässt ihn, und seine Mutter kann er nicht verlassen. Als er es fast geschafft hat, greift sie zum letzten Mittel. Bernd Schroeder erzählt die endlose Liebesgeschichte eines Mannes zu seiner ersten Frau: witzig, manchmal bösartig und trotz allem liebevoll. 
Johannes ist 57 Jahre alt und ledig. Im Laufe seines Lebens hatte er vierzehn Frauen, doch mit keiner wollte es so recht klappen. Mit Lisa hatte er ausgemacht, gemeinsam alt zu werden, doch auch diese Frau beendete vorzeitig die Bindung. Johannes trauert, wünscht sich seine Lisa zurück ...

Dann gibt es noch Johannes Mutter Martha, die ihren Sohn für einen Langweiler hält, für einen Durchschnittsmenschen, der es im Leben nicht weit gebracht habe. Dabei hat Johannes Architektur studiert und ist seit vielen Jahren bei Willi Krause angestellt, und vierzehn Frauen sind auch kein Pappenstiel. Beziehungskonflikte zu lösen, da geht wahnsinnig viel Lebenszeit drauf ...

Wobei die Firma versucht, Johannes loszuwerden und macht ihm den Antrag, ihn nach Brasilien in die Tochterfirma zu versetzen …

Johannes hatte noch eine ältere Schwester namens Franziska, die mit 24 Jahren durch Drogen ums Leben kam. Franzi wollte Medizin studieren, wurde aber Schlagersängerin. Martha war von ihrer Tochter sehr angetan, begleitete und unterstützte sie auf dem Weg einer Künstlerin. Johannes und der Vater kamen dadurch zu kurz. Und auch heute noch lebt die Mutter in einer Scheinwelt zur Tochter. X Fotos sind an den Wänden, auf allen ist Franziska abgebildet. Mittlerweile sind nach ihrem Tod mehr als zwanzig Jahre vergangen. Die Mutter lebt allein, auch ihr Mann ist vor längerer Zeit verstorben.
Während Martha Franziska idealisiert, wertet sie Johannes ab. Ziemliche Extreme zwischen Aufwertung und Abwertung.
Johannes mag die vielen Bilder an den Wänden nicht. Er fühlt sich von ihnen regelrecht bedroht. Sie symbolisieren für die Mutter all das an Perfektion, was der Sohn nie imstande war einzulösen. Franziska musste nichts einlösen. Sie liegt in dieser Wohnung, mumifizierte, für immer schön, jung, erfolgreich, in der Unfehlbarkeit der tragisch Umgekommenen. Da gibt es keine Unzulänglichkeit, kein Versagen, keinen Misserfolg. In Mutters Kopf ist diese Tochter perfekt. 
Dadurch, dass Johannes zu wenig von der Mutterliebe erfahren hat, bekomme ich als Leserin den Eindruck, er hat sich von ihr nicht wirklich gelöst. Vielleicht, psychoanalytisch gedacht, ist das auch der Grund, weshalb es mit den Beziehungen zu den Frauen nicht so recht klappen wollte.

Johannes geht seine Mutter besuchen, und ist verblüfft, als er sie in einem Rollstuhl vorfindet. Er versucht, von ihrem Krankheitsbild etwas in Erfahrung zu bringen. Die Infos sind allerdings nicht plausibel genug, aber was bleibt Johannes übrig, als diese erstmal so hinzunehmen?

Der Besuch bei der Mutter wurde zunehmend anstrengend. Ständig sprach Mutter Martha von Franzis und deren Erfolgserlebnissen und immer wieder stellt sie Johannes, indem sie ihre beiden Kinder vergleicht, als Versager hin.

Als Schüler habe er einmal die Klasse wiederholen müssen. Als Schüler hatte er keine FreundInnen und im Beruf würde er auch nichts anderes auf die Beine bringen, als immer nur Hallen zu konstruieren ...
Da muss man schon gute Nerven haben, dies alles an den Kopf geknallt zu bekommen. Die hat Johannes aber nicht und so verfällt er in dasselbe Muster seiner Mutter, indem er permanent versucht, die Mutter von ihren Meinungen abzubringen.
Johannes kann das nun gar nicht gebrauchen, die vielen Vorwürfe, wo er doch gerade um seine Lisa trauert. Sein Selbstwert scheint arg angekrazt zu sein ...

Auch Lisa muss sich um ihre alten Eltern kümmern, besonders um die verwirrte Mutter, doch sie pflegt eine völlig andere Vorgehensweise. Ich muss nun einen längeren Textauszug einbringen, weil der einfach zu schön ist. Lisa spricht ihre Mutter mit dem Vornamen Ruth und den Vater mit Paul an:
Einmal kam ein Anruf mitten in der Nacht. Lisa stand auf. Das ist rot, das spüre ich. Hallo!Lisa! Lisa! Es ist etwas ganz Schreckliches passiert!Hallo Ruth, erzähl, was ist denn los?Paul! Paul!Was ist mit Paul?Ich will gerade ins Bett gehen. Bin von einer weiten Reise zurückgekommen, will ins Bett gehen, da - liegt Paul im Bett! Paul liegt in meinem Bett!Ja und?Paul liegt in meinem Bett.Schläft er?Jaja. Er schläft. In meinem Bett.Schnarcht er?Nein. Er liegt nur so da.Lässt der dir keinen Platz?Doch.Na, dann leg dich doch zu ihm. Du hast Paul doch lieb, oder?Ja ja.Na also, wo ist das Problem?Ja, wenn du meinst, lege ich mich zu ihm. Gute Nacht, Lisa.Gute Nacht, Ruth, schlaft schön, ihr beiden. 
Nach dem Telefongespräch fragte sich Ruth lachend, auf welcher Reise die Mutter sich wohl befand?

Mir hat diese Szene so gut gefallen, dass ich sie aufschreiben musste. Sie zeigt auf, dass Lisa im Gegensatz zu Johannes die Mutter so sein lassen konnte, wie sie ist, und sie sie nicht von der gegenwärtigen Realität zu überzeugen versucht. Das gelingt Johannes noch nicht …

Johannes kämpft mit sich, kämpft mit der Mutter, kämpft mit den unterschiedlichen Realitäten, bis er sich denkt:
Du darfst die Kriege mit Mutter nicht führen, die sie anzettelt. Sei Pazifist. Wenn sie dich auf die Wange schlägt, halte ihr die andere hin. Nur so geht es. Hör einfach zu, egal, was sie redet, wen sie beleidigt, was sie für Vorurteile in die Welt setzt. Hör einfach nur zu. Sei Therapeut. Denke, du wirst fürs Zuhören bezahlt. Und so ist es ja. Wenn sich jemand anderes kümmert, musst du ihn bezahlen. So sparst du das Geld. Und jede Wette: Sie hält das für Liebe und ist dankbar. 
Pazifist sein, lol, im Krieg mit der Mutter. In diesem Zusammenhang wäre ich nie auf die Idee gekommen, den Begriff Pazifist zu gebrauchen, sondern nur im politischen Sinne.

Johannes bringt der Mutter ein Mobiltelefon mit. Erst lehnt die Mutter das Telefon ab, wieder mit x verschiedenen Verschmähungen, schließlich schafft er es doch, sie von Vorzügen dieses Telefons zu überzeugen.

Und auch hier immer wieder Abweisungen und ins Gewissen reden und dies mit folgender Absicht:
Mein Sohn hält mich für verrückt - wegen all dieser Bilder hier. Und überhaupt. Er kommt mit den normalen Menschen schon nicht zurecht, da macht ihm eine verrückte alte Mutter Angst. Und eine Hilflose im Rollstuhl erst recht. Aber da verrechnet er sich. So einfach rennt man von mir nicht davon. Das ist schon eurem Vater nicht gelungen. Es wird ihm auch nicht gelingen. Denn mit einem schlechten Gewissen kann er nicht leben. Nein, meine Liebe, der verlässt uns nicht. Die Arme einer Mutter reichen weit. Ich werde ihn festhalten, ohne dass er es merkt, drahtlos. Jawohl. 
Johannes holt für ihn und für die Mutter eine Pizza beim Italiener. Etwas später erhält er einen Anruf von der Mutter, mit der Bitte, eine dritte Pizza mitzubringen, da sie unerwarteten Besuch bekommen habe. Als schließlich Johannes mit den drei Pizzen zurückkommt, ist er sichtlich irritiert, weil für drei Personen zwar gedeckt wurde aber keine weitere Person zu sehen war. Die Mutter hatte für Franziska mitgedeckt. Plötzlich macht es in Johannes klick, ändert seine Strategie, die mich an eine Paradoxintervention erinnern lässt. Johannes prostet Franziska zu, er prostet der Mutter zu:
Die Mutter ist verwirrt, versteht diesen Umschwung nicht, schaut ihm irritiert zu. Plötzlich kann oder will sie diese Rolle nicht mehr weiterspielen. Franziska ist nicht mehr da, hat sich in Nichts aufgelöst. Die Mutter versucht, der neuen Situation etwas Positives für sich abzugewinnen. Da sitzt der Sohn, friedlich, gut gelaunt. Was war denn vorher? Haben sie gestritten? War Besuch da? Man ist Pizza. Wo kommt die her? Warum ist der da? 
An dieser Stelle mache ich nun Schluss. Wie es mit der Mutter für Johannes weitergehen wird und ob er es schaft, die Trauer um seine Lisa zu überwinden, das lest selbst. 

Das Buch erhält von mir wegen der anfangs beschrieben Gedanken zehn von zehn Punkten.
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Jedes Böse hat auch sein Gutes.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 78
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Sonntag, 16. November 2014

Bernd Schroeder / Mutter & Sohn

Klappentext
Johannes hat zwei Frauen und zwei Probleme: Lisa verlässt ihn, und seine Mutter kann er nicht verlassen. Als er es fast geschafft hat, greift sie zum letzten Mittel. Bernd Schroeder erzählt die endlose Liebesgeschichte eines Mannes zu seiner ersten Frau: witzig, manchmal bösartig und trotz allem liebevoll.


Autorenporträt
Bernd Schroeder, geboren 1944 im heute tschechischen Aussig, wuchs im oberbayerischen Fürholzen auf. Er lebt in Köln. Als Autor und Regisseur zahlreicher Hör- und Fernsehspiele erhielt er 1985 den Adolf-Grimme-Preis, 1992 den Deutschen Filmpreis. Zuletzt erschienen bei Hanser: Hau (Roman, 2006), Alte Liebe (Roman, 2009, mit Elke Heidenreich) und Auf Amerika (Roman, 2012).  
Es ist nicht das Cover, das mich angesprochen hatte, es war vielmehr der Klappentext. Trotzdem hatte ich Zweifel und war mir nicht sicher, ob der Klappentext hält was er verspricht. Dann kaufte ich es schließlich doch, vertraute dem Hanser Verlag, der ja in der Regel recht gute Bücher herausbringt. Nun habe ich das Buch fast durch, es ist eine Erzählung auf 150 Seiten und habe die Wahl, doch noch zu dem Buch gegriffen zu haben, nicht bereut.

Es ist eine sehr schöne Erzählung.



Samstag, 15. November 2014

Laurie Halse Anderson / Wintermädchen (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch habe ich nun durch. Dies ist ein Buch, über dessen Inhalt ich nicht diskutieren möchte. Man sollte damit lieber in sich gehen, deshalb schreibe ich in diesem Fall nur über allgemeine Eindrücke.

Erst dachte ich, dass die Autorin von sich schreibt, von ihrer Essstörung, von ihrem seelischen Leid. Denn der Stoff, den sie darin bearbeitet hat, ist so authentisch geschrieben, dass ich glauben musste, sie schreibt aus der Selbsterfahrung heraus. Aber das ist nicht so, wie sich dies am Ende in der Danksagung herauslesen lässt. Nein, es ist ein Thema, über das sie recherchiert hat und das ist ihr nach meinem Geschmack zu hundert Prozent gelungen.

Wie aus dem Klappentext hervorgeht, behandelt die Autorin das Schicksal zweier junger bulemischer Mädchen im Alter zwischen 18 und 19 Jahren. Diese geht mit Selbstverletzung und Selbstzerstörung einher.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
 In der Silvesternacht leisten die beiden Freundinnen Lia und Cassie einen heiligen Schwur: Sie wollen alles dafür tun, die dünnsten Mädchen der Schule zu sein. Nun ist Cassie tot und für Lia bricht eine Welt zusammen. Doch die Stimmen in ihrem Kopf werden immer lauter. Sie befehlen ihr zu hungern und Lia gehorcht - in ihrem einsamen Kampf gegen sich selbst, ihre Eltern und ihre tote Freundin, die in der Welt der Wintermädchen auf sie wartet.
Ein Kampf, den die Mädchen gegen ihre seelische Erkrankung, gegen sich selbst und gegen die Welt der Erwachsenen führen. Zwischen den Zeilen wird immer wieder deutlich, wie bei allen Betroffenen und Angehörigen die Schuldfrage gestellt wird, und diese wie ein Ping-Pong Ball anderen Familienangehörigen zugeworfen wird. Und dabei ist es gerade diese Suche nach dem Schuldigen, weshalb die Mädchen immer kränker wurden, die noch mehr Druck in einem selbst und im anderen auslöst. Man muss lernen zu begreifen, dass es keinen Schuldigen in dem Sinne gibt, denn jeder Mensch macht in seiner Kindheit auch ungute Erfahrungen, meistens kann man sie nicht einmal fassen, vor allem, wenn sie ganz subtil und im Stillen vollzogen werden. Und so stellt sich mir immer wieder die Frage, weshalb erkranken die Einen und die Anderen nicht?

Als Leserin war ich auch ein wenig abgenervt über das Verhalten der Eltern und Stiefeltern, die vor einer großen Herausforderung stehen. Nichtsdestotrotz kann man auch die Eltern nicht für schuldig erklären. Neben ihren kranken Kindern müssen auch sie erstmal lernen, mit der schweren Situation, die den Alltag total durcheinanderbringt,  zurechtzukommen. Der Krankheitsausbruch ist auch für die Eltern ein Schock und löst in ihnen ungeahnte Ängste aus, die widerum zu einem Fehlverhalten führen können. Hätte ich ein Kind mit einer Essstörung, ich würde sicher auch kläglich versagen. Versagen? Weiß gerade nicht, ob das die  richtige Bezeichnung dafür ist, möchte eben nur ausdrücken, dass ich es sicher auch nicht besser machen würde.

Ein schwerer Lernprozess für alle Beteiligten. Die einen überwinden ihn, andere scheitern, indem sie sich in den Tod hungern. Scheitern? Auch eine Fehlbesetzung dieses Begriffes. Es ist dieses Leben, das die betreffende aus dem Leben scheidende Person für sich zu führen entschieden hat, auch wenn es für Außenstehende nicht begreifbar ist, weil es einen in das Absolute stößt, in das Nichtwiederrevidierbare wie im Fall Cassie. Es gibt Menschen, die ihr Leben nicht aushalten, die Welt nicht aushalten und sich selbst nicht aushalten können …

Das Ende hat mir sehr gut gefallen und es hat mir gezeigt, dass das, was siegt, die Liebe und die Vergebung ist. Dabei meine ich nicht die Vergebung alleine an das Kind, nein, die Vergebung an allen Beteiligten. Mehr Mitgefühl füreinander und für die menschlichen Schwächen aufbringen.

Nicht nur wegen der Authentizität des Themas, sondern auch wegen der fantasievollen Sprache erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.

Mir hat das Bild sehr gut gefallen, wie zum Beispiel: Der Mond tropft vom Fenster aus in mein Zimmer.
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Jedes Böse hat auch sein Gutes.
(Isabel Allende)

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Gelesene Bücher 2013: 81
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Freitag, 14. November 2014

Laurie Halse Anderson / Wintermädchen

Klappentext
In der Silvesternacht leisten die beiden Freundinnen Lia und Cassie einen heiligen Schwur: Sie wollen alles dafür tun, die dünnsten Mädchen der Schule zu sein. Nun ist Cassie tot und für Lia bricht eine Welt zusammen. Doch die Stimmen in ihrem Kopf werden immer lauter. Sie befehlen ihr zu hungern und Lia gehorcht - in ihrem einsamen Kampf gegen sich selbst, ihre Eltern und ihre tote Freundin, die in der Welt der Wintermädchen auf sie wartet.

Autorenporträt
Luise Halse Anderson geboren 1961 in New York, studierte Sprechen und arbeitete seit 1996 erfolgreich als Autorin. Ihr internationaler Durchbruch gelang ihr mit dem preisgekrönten Roman Speak . Sie schreibt Bücher für junge Erwachsene und historische Romane. Für Wintermädchen recherchierte sie intensiv und sprach mit Fachleuten und Betroffen.
Da ich beruflich mit psychisch kranken Menschen arbeite, kam mir das Buch über unsere Supervisorin in die Hände, die es uns Fachkräften der Psychiatrie weiterempfohlen hat.

Habe schon ein paar Seiten gelesen und das Buch liest sich richtig gut, dass man Lust bekommt, weiterzulesen.




Montag, 10. November 2014

Isabel Allende / Eva Luna (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite sehr ergreifend geschrieben. Allende schreibt keine gewöhnlichen Liebesgeschichten. Diese sind immer mit einem politischen Hintergrund behaftet, weshalb ich gerne ihre Bücher lese.
Trotzdem gibt es etwas hier zu bemängeln, was mir auch in ihrem Buch Amandas Suche aufgefallen ist. Isabel Allende scheint über ihr Land und über ihren Kontinent recht versiert schreiben zu können, aber über andere Länder äußert sie sich sehr undifferenziert und klischeehaft. Ein wenig enttäuschend ist das für mich schon gewesen, denn nichts bekommt man so leicht aus Menschen wieder heraus wie z.B. Vorurteile, Klischees und Stereotypen. Und wenn reflektierte AutorInnen wie Allende diese in ihren Geschichten noch forcieren, finde ich das recht schwach. Ich möchte nur ein Beispiel nennen:
In diesem vorliegenden Buch gibt es einen sehr gütigen Türken, der in Lateinamerika lebt. Allende bezeichnet diesen Türken als einen Araber, der mit einer jungen hübschen Türkin verheiratet ist. Und dieser Türke bekommt Besuch von seinem jungen Neffen aus der Türkei. Der junge Neffe habe in der Türkei erst sehr spät das Gesicht junger türkischer Mädchen unverschleiert gesehen. Er war sechzehn Jahre alt ...

So und nun mein Einwand. Die Türkei ist kein typisches arabisches Land. Nicht jede Frau trägt dort ein Kopftuch. Die Regierung verbietet sogar das Tragen eines Kopftuches in den Bildungseinrichtungen. Hier differenziert Allende die TürkInnen nicht. Alle AraberInnen scheinen in ihren Augen gleich zu sein. Und man bekommt das Gefühl, sie hat mal etwas über die AraberInnen gelesen, ohne aber sich näher damit befasst zu haben. In ihrem Buch Amandas Suche bezieht sie sich zu den SizilianerInnen ebenso recht einseitig. Sind es nicht die AutorInnen, die diese verzerrten Bilder zu Menschen anderer Länder in die Welt verstreuen? Wer nicht kritisch liest, nimmt diese Bilder ungefragt und unzensiert in sich auf ...

Auch mit verschiedenen Begriffen pflegt sie eine recht saloppe Umgangsweise. Psychiatrien werden von ihr als Irrenanstalten bezeichnet und für schwarze Menschen gebraucht sie noch immer den Begriff Neger

Ansonsten ist das Buch auf die Handlungen und die Figuren bezogen sehr facettenreich.

Nun komme ich zum Inhalt. Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Ihre Mutter hat sie Eva genannt, damit sie Lust aufs Leben habe; und weil ihr Vater, ein Indio mit gelben Augen, zum Stamm der Söhne des Mondes gehörte, heißt sie Eva Luna. Ihr Lebensweg führt sie aus dem Haus des exzentrischen Ausländers Professor Jones in die Unter- und Halbwelt einer lateinamerikanischen Hauptstadt in der Karibikküste. Turbulente Ereignisse katapultieren das junge Mädchen in ein entlegenes Nest in tropischer Stille, wo sie Frieden, bald aber auch sinnliche Unruhe erlebt. Obwohl sie sich, neben der Liebe, eigentlich nur zum Geschichtenerzählen berufen fühlt, wird sie schließlich lebhaft hineingezogen mitten in die Sphäre politischer Gewalt.
Isabel Allende ist eine richtige Geschichtenerzählerin und kreiert in Eva Luna eine weitere Geschichtenerzählerin. In dem Buch tauchen so viele unterschiedliche Geschichten auf, die mir alle recht gut gefallen haben. Und die Figuren sind alle ExzentrikerInnen.
Die Mutter von Eva Luna, namens Counsuelo, war ein Findelkind und wuchs bei den Mönchen auf. Consuelo konnte nie in Erfahrung bringen, woher sie tatsächlich stammt. Diese Biografie zu Consuelo fand ich gleich zu Beginn des Buches schon recht interessant.

Mit der Pubertät schickten die Mönche das junge Mädchen in die Stadt, um als Haushaltshilfe bei Professor Dr. Jones, ein Arzt, angestellt zu werden, damit sie selbst für ihren Unterhalt sorgen konnte. Dr. Jones war eine recht einsame und verschrobene Persönlichkeit, die sich lieber mit ausgestopften Tieren und mit Mumien befasst. Dazu ist er noch Wissenschaftler. Er forscht viel, macht es sich zur Leidenschaft, Tote einzubalsamieren und sie dadurch vor dem Verwesen zu bewahren.

Er ist sehr belesen, das gesamte Haus ist mit Büchern beschmückt:
Das Haus war ein riesiges Bücherlabyrinth. In den Regalen, die sich an den Wänden entlangzogen, waren vom Fußboden bis zur Decke die Wände angehäuft, dunkel eingebunden, nach Leder riechend, glatt und knisternd, wenn man mit der Hand darüber fuhr, mit ihrem Goldschnitt, ihrem feinen, durchschneidenden Papier, ihrem erlesenen Druck. Das kostbarste Gedankengut auf aller Welt fand sich in diesen Fächern, ohne ersichtliche Ordnung aufgereiht, aber der Professor erinnert sich genau, wo er jedes einzelne Buch zu suchen hatte. Shakespeares Werke lagen an der Seite des >>Kapitals<<, die Lebensregeln des Konfuzius standen gleich neben dem >>Leben der Robben<<, die Karten alter Seefahrer lagen neben nordischen Dichtungen und indischer Poesie. 
In so einem Haus würde ich mich auch sehr wohl fühlen.

Counsuelo war sehr angetan von den Büchern. Sie hatte Glück, denn die Mönche brachten ihr Lesen und Schreiben bei, sodass sie abends sich heimlich aus den Regalen immer ein Buch auslieh. Sie war von den Büchern wie verzaubert.
Die Welt des Professors endete am Gartengitter. Drinnen lief die Zeit nach launischen Regeln ab. In einer halben Stunde konnte ich sechsmal die Erdkugel umrunden, und der Glanz des Mondes im Patio konnte meine Gedanken eine ganze Woche ausfüllen. Licht und Schatten verwandelten die Natur der Dinge; die Bücher, tagsüber so reglos still, öffneten sich in der Nacht, damit die Gestalten heraustreten, durch die Zimmer streiften und ihre Abenteuer erlebten; die Einbalsamierten, so demütig und brav, wenn die Morgensonne durch die Fenster schien, wurden im Abenddämmer zu Steinen und wuchsen in der Dunkelheit ins Riesenhafte. Der Raum dehnte sich aus und zog sich zusammen, wie ich es wollte; in der Nische unter der Treppe wirbelte planetarisches System, und der Himmel, vom Rundfenster im Dach aus gesehen, war nur ein bleicher gläserner Kreis. Ein Wort von mir, und schon verwandelte sich die Wirklichkeit. 
Die Icherzählerin ist hier nicht Eva Lunas Mutter, nein, es ist Eva Luna selbst, die ohne dass es der Professor Jones gemerkt hatte, dort still und heimlich und mithilfe der Köchin zur Welt kam.
Im Gegensatz zur Mutter lernte Eva Luna in diesem Haus weder lesen noch schreiben. Doch die Faszination zu den Büchern konnte auch sie als Analphabetin erfassen.

Erst in der letzten Lebensphase nahm Professor Jones das Mädchen wahr, mit dem er sich anzufreunden wusste. Evas Mutter war schon lange nicht mehr am Leben, die Köchin war ihre Patin. Professor Jones verstarb, vermachte ihr zwar sein gesamtes Vermögen, dieses allerdings riss die Kirche an sich, denn der am Sterbebett betende Weihvater führte Professors Bitte nicht aus, Eva nach seinem Ableben das Vermögen zukommen zu lassen. Und Eva ahnte nichts um ihr betrogenes Erbe.
Eva wuchs trotz ihrer mittellosen Herkunft zu einem selbstbewussten und mutigen Mädchen heran. Im Laufe ihres jungen Lebens wechselte sie mehrere Haushalte und ihre Welt füllte sich mit biestischen und arroganten LebensgenossInnen, doch auch mit vielen, die es gut mir ihr meinten und ihr halfen, den richtigen Weg für sie zu finden.
Ich musste einmal sehr lachen. Sie war wieder als ein Dienstmädchen angestellt und diesmal bei einem Staatsminister in einem Haus, das über sanitäre Anlagen verfügte. Trotzdem musste Eva jeden Morgen den Nachttopf ihres Patrons leeren, da er zu bequem war, die Toilette zu benutzen.
Sein Geläut nervte mich. Also stieg ich hinauf, Schritt für Schritt, und bei jeder Stufe wurde ich wütender. Ich trat in das luxuriöse Zimmer, das nach Stall stank, beugte mich hinter dem Stuhl hinab und zog den Topf hervor. Ganz freudig, als täte ich das jeden Tag, hob ich ihn hoch und kippte den Inhalt dem Staatsminister über den Kopf - und schüttelte so mit einer einzigen Bewegung des Handgelenks die Demütigung ab. Er saß wie erstarrt, die Augen quollen ihm aus den Höhlen. 
Sie lernt den Straßenjungen Huberto Naranjo kennen, als sie beide noch Kinder waren. Beide wachsen heran. Nuranjo entwickelt sich zu einem politischen Aktivisten, zu einem Untergrundkämpfer, zählt zum Oberhaupt einer Guerilla-Bande. Er kämpft gegen die Korruption, kämpft für die soziale Gerechtigkeit von Menschen aller Hautfarben und sozialer Herkunft. Er kämpft für die Abschaffung der gesellschaftlichen und hierarchischen Rangordnung in der Form, dass alle Menschen gleichbehandelt werden und alle auf derselben Stufe stehen.

Wie nun die Geschichte für Eva Luna und ihre Helden weitergehen und ausgehen wird, das lest selbst. Das Buch ist zu facettenreich, als dass ich weiterschreiben könnte.

Eines sei noch gesagt, ihr werdet es mit vielen schönen Geschichten, mit vielen interessanten und bedeutenden Figuren zu tun bekommen. Aber auch mit Fieslingen ... 

Das Buch erhält von mir wegen der anfangs erwähnten Dementis sieben von zehn Punkten. Es wären sonst zehn geworden.
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Jedes Böse hat auch sein Gutes.
(Isabel Allende)

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Freitag, 7. November 2014

Isabel Allende / Eva Luna

Klappentext
Ihre Mutter hat sie Eva genannt, damit sie Lust aufs Leben habe; und weil ihr Vater, ein Indio mit gelben Augen, zum Stamm der Söhne des Mondes gehörte, heißt sie Eva Luna. Ihr Lebensweg führt sie aus dem Haus des exzentrischen Ausländers Professor Jones in die unter- und Halbwelt einer lateinamerikanischen Hauptstadt in der Karibikküste. Turbulente Ereignisse katapultieren das junge Mädchen in ein entlegenes Nest in tropischer Stille, wo sie Frieden, bald aber auch sinnliche Unruhe erlebt. Obwohl sie sich, neben der Liebe, eigentlich nur zum Geschichtenerzählen berufen fühlt, wird sie schließlich lebhaft hineingezogen mitten in die Sphäre politischer Gewalt.

Autorenporträt
Isabel Allende wurde am 2. August 1942 in Lima/Peru geboren. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil. 1982 erschien ihr erster Roman La casa de los espíritus (dt. Das Geisterhaus, 1984), der zu einem Welterfolg wurde. Der dänische Regisseur Bille August verfilmte den Roman 1993. Allende arbeitete unter anderem als Fernseh-Moderatorin und war Herausgeberin verschiedener Zeitschriften. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. Ihr Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.

Gelesen habe ich von der Autorin:
  1. Amandas Suche 
  2. Das Geisterhaus
  3. Das Portrait aus Sepia
  4. Das Siegel der Tage
  5. Die Insel unter dem Meer
  6. Die Stadt der wilden Götter
  7. Fortunas Tochter
  8. Inés meines Herzens
  9. Mayas Tagebuch
Die Insel unter dem Meer hat mir persönlich am besten gefallen. Nun bin ich auf den hiesigen Band gespannt ... 




Donnerstag, 6. November 2014

Eva Menasse / Vienna

Abbruch

Ich habe das Buch abgebrochen, mir war es definitiv zu langatmig. Mich hat es nach hundertfünfundzwanzig Seiten regelrecht gelangweilt, obwohl mich der Anfang fasziniert hatte, als die Großmutter der Icherzählerin retrospektivisch während ihrer Spielsucht im Kaffeehaus ein Baby zur Welt bringt, das zweite Kind von ihr. Im Kaffeehaus ein Kind zur Welt zu bringen, weil sie aufgrund ihrer Spielsucht so abgelenkt war, dass sie ihre Wehen nicht rechtzeitig wahrnehmen konnte, das muss ja schon eine Kunst sein. Keine Ahnung, ob diese Szene der Wirklichkeit entspricht, oder ob arg übertrieben dargestellt ist, wenn ich mir das Kaffeehaus als Kreißsaal umfunktioniert vorstelle vor all den Leuten, hm. Interessant fand ich diese Szene aber trotzdem. Die Gebärende machte später dem Kindsvater große Vorwürfe, dass sie ihm diese Bälger zu verdanken habe. Hahaha ...

Später wurden die beiden Kinder, zwei Jungen, wegen des Nationalsozialismus von Wien aus nach England zu Pflegeeltern verschifft, um sie vor den Nazis zu schützen. Der Vater der Kinder, der Großvater der Icherzählerin, war Jude. Das fand ich auch noch interessant, aber später war mir das Thema schon recht schnell ausgereizt. Die Icherzählerin erzählt, erzählt und erzählt und für eine Erzählung ist das Ganze auf knapp sechshundert Seiten für meinen Geschmack definitiv zu lang. Verstehe nicht, weshalb das Buch als Roman deklariert wird und nicht als eine Erzählung. Wegen der vielen Seiten? In der Regel sind Erzählungen tatsächlich viel kürzer ...
Mir hat der Erzählstil nicht zugesagt.

Ich beginne heute mit einem weiteren Buch von Isabel Allende ...
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Wir Menschen sind alle gleich, doch wir sehen nicht alle gleich aus.
(Eva Menasse)

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Dienstag, 4. November 2014

Eva Menasse / Vienna

Klappentext
Ein großer Familienroman, der anekdotisch, lebendig und eindringlich vom Geschick eines jüdischen Familienclans in Wien erzählt. Sei es Königsbee, der noch jede Redewendung verballhornt hat, sei es die Mutter, die überm Kartenspiel beinahe die Geburt des Sohnes versäumt – die Lebensfäden der verschiedensten Menschen werden über räumliche Trennung hinweg, durch die Schrecken der Naziherrschaft und über die Familienstreitereien nach dem Krieg zusammengeführt im charmanten Wien der Kaffeehäuser.

Autorenporträt
Eva Menasse, geboren 1970 in Wien, begann als Journalistin beim österreichischen Nachrichtenmagazin »Profil«. Sie wurde Redakteurin der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und begleitete den Prozess um den Holocaust-Leugner David Irving in London. Nach einem Aufenthalt in Prag arbeitete sie als Kulturkorrespondentin in Wien. Sie lebt seit 2003 als Publizistin und freie Schriftstellerin in Berlin. Ihr Debütroman »Vienna« sowie ihr Erzählungsband »Lässliche Todsünden« waren bei Kritik und Lesern ein großer Erfolg. Für »Quasikristalle« wurde sie mit dem Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln ausgezeichnet.
Die Autorin ist mir unbekannt, betrete somit Neuland. Habe ein paar Seiten gelesen, und bin gespannt, ob sich meine Eindrücke bis zum Ende des Buches hin halten werden.




Montag, 3. November 2014

Hans Fallada / Der Alpdruck (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Lesen mit Anne ...

Das Buch habe ich nun durch. Ähnlich wie Anne war auch ich schnell in der Geschichte drin. Und auch in dieser Geschichte bin ich über so viel Unmenschlichkeit gestolpert, und es war die Unmenschlichkeit, die mich entsetzt hat. Diesmal schreibt Fallada über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit bis 1946. Anfangs war ich sehr gespannt, ob die beiden Protagonisten Herr Dr. Doll und seine Frau diese schweren Zeiten überleben werden. Ich war eifrig am Lesen und voller Erwartung, es mögen sich doch irgendwie bessere Zeiten auftun, da ja nun der Krieg vorbei war.

Fallada selbst war ein Morphinist, was sich auch in diesem Band widergespiegelt hat, wobei mir diese Szenen mit dem exzessiven Morphiumkonsum ein wenig verzerrt vorkamen, denn die Dosis war so hoch, das hätte ihnen in Wirklichkeit das Leben gekostet. Ich verweise auf das Buch ...

Nach meinem Geschmack war das jetzt nicht der beste Band, den ich von Fallada gelesen habe, vielleicht bin ich ja jetzt ein wenig von seinen Büchern resistent geworden, da die Themen immer mit denselben Symbolen besetzt sind und mich dadurch nichts mehr überraschen kann. Aber wie sollte Fallada anderes schreiben? Das genau waren ja die Themen seiner Zeit.

Fallada ist nur dreiundfünfzig Jahre alt geworden. Er starb an einer Herzschwäche, was mich nicht gewundert hat. Ein sehr sensibler Mensch und Autor, der am gebrochenen Herzen einfach sterben musste.

Ein paar Zitate habe ich mir wieder markiert, doch zuvor gebe ich zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Berlin, Stunde null – ein bedeutender Fallada April 1945: Der Krieg ist vorbei, doch nachts verfolgen den Schriftsteller Dr. Doll Träume vom Bombentrichter, der ihn nicht freigibt. Er will etwas tun gegen den Alpdruck der Mitschuld, doch er kann es niemandem recht machen als Bürgermeister einer Kleinstadt, eingesetzt von der Roten Armee. Er stiehlt sich fort und flüchtet in den Drogenrausch. Im Chaos des zerbombten, nur auf dem Schwarzmarkt funktionierenden Berlin entgleitet ihm seine junge, morphiumsüchtige Frau, und er hat, um zwei Leben zu kämpfen, als er zaghaft beginnt, wieder an eine Zukunft zu glauben.
Eine schwere Zeit, selbst dann noch, als der Zweite Weltkrieg vorbei war. Die Waffen schweigen, die Bomben schweigen, und die Panzer rücken ab. Man müsste sich darüber freuen. Das können die Menschen aber nicht. Die sozialen Nöte sind noch lange nicht überstanden. Armut, Wohnungsmangel, Lebensmittelknappheit, auch die Menschlichkeit ist den Menschen abhandengekommen. Und das alles in einer kalten und nassen Jahreszeit, sodass die Mängel nochmals potenziert erscheinen. Die einen sind mutig, und nehmen sich das Leben, die anderen sind auch mutig, indem sie sich entscheiden, am Leben zu bleiben …

Der Krieg und was danach kommt nimmt den Menschen die letzte Würde. Fallada schreibt am Schluss vom kranken Herzen Deutschlands, das wieder genesen müsse.

Selbst wenn der Krieg vorbei ist, sind die Ausmaße und die Wirrungen nicht mitbeendet. Der Nationalsozialismus ist längst nicht aus dem Inneren der Menschen verbannt. Viele trauern Hitler nach, der doch alles besser machen würde, wäre er doch nur noch am Leben.
Wie oft hörte Dr. Doll die Worte: "Ja unter dem Führer gab es dies und jenes viel reichlicher-!" Ihnen allen, und vielen darunter, die früher keine Nazis gewesen waren, schien plötzlich die Zeit unter der Hitler Tyrannei wie eine gelobte, wie eine gute Zeit. Die Schrecken des Krieges mit seinen Bombennächten, die in Blut und Tod gesandten Männer und Söhne, die Schändung Unschuldiger - all das war schon wieder vergessen. Sie rechneten nur, dass sie früher ein wenig mehr Brot oder Fleisch bekommen hatten. Sie schienen unverbesserlich, manchmal war es fast unerträglich, unter ihnen zu leben; (260). 
Ich dachte, mich verlesen zu haben, als Fallada den Begriff Nazismus nach dem Krieg bei den Leuten noch weiter gebrauchte. Meint Fallada wirklich den Nazismus? Oder doch eher Narzissmus? Aber der Begriff Narzissmus wäre hier fehlbesetzt. Nein, er meint tatsächlich den Nazismus. Hat nicht Hitler den Krieg begonnen und verloren? Können die Menschen noch immer in einem solchen falschen Irrglauben leben? Ja, doch, sie können ... Keine Reue, nur die Sehnsucht nach dem Führer ... 

Einige andere litten in ihrer Vergangenheitsbewältigung noch unter dem Trauma, das die Nazis verursacht hatten, dass sogar die Kinder in der Schule bespitzelt wurden, indem Lehrer sieben und achtjährigen Fragen stellten, wo z. B. die Eltern das Hitlerbild in der Wohnung aufgestellt haben?
„Wie macht es dein Vater am Morgen - sagt er Guten Morgen oder sagt er Heil Hitler? - Spricht euer Radioapparat nicht manchmal eine Sprache, die du nicht verstehst -?" (80)
Dr. Doll ist Schriftsteller. Er ist von dem Nationalsozialismus dermaßen geschockt, dass er es nicht schafft, wieder Bücher zu schreiben. Aber er wird zum Bürgermeister ernannt und findet erstmal darin eine Beschäftigung, einen Wiederbeginn im neuen Deutschland, das noch in Trümmern liegt.

 Viele Menschen wenden sich an ihn, verlangen Lebensmittel, Kleider, Wohnung …
Doch auch der Bürgermeister hatte auch nichts, aber er ging los. Er suchte, wo Parteigenossen großen Überfluss hatten, und gab von diesem Überfluss der Volksgenossin, nicht reichlich, aber ausreichend. Doch stand am folgenden Tage eine andere weinende Frau vor ihm, die Nachbarin der eben Neuversorgten, auch eine Mutter von Kindern, auch blutarm, und die eben Beschenkte, die eben Ausgestattete hatte der Nachbarin über Nacht die Wäschelumpen von der Leine gestohlen! Deutsche gegen Deutsche, jeder für sich allein, immer weiter gegen die ganze Welt und alle ankämpfen. (93)
Was die Kriegsfolgen aus Menschen machen, zeigte dieses Beispiel.

Dr. Doll selbst ist seelisch am Ende, rappelt sich aber immer wieder auf. Lebt für eine längere Zeit in einem Sanatorium, das ihm helfen soll, von dem Morphium wieder loszukommen. Um die Realität zu verkraften, konsumierten er und seine Frau das Zeug in Überdosis ... Er kommt von dem Zeug los, nur das Schreiben will nicht so gelingen. Sein Verleger Völger versucht, ihn zum Schreiben zu animieren, ihn neu aufzumuntern:
"Aber ich weiß nicht-ich habe bisher noch keine Möglichkeit entdeckt. Vielleicht schreibe ich nie wieder ein Buch. Es sieht alles so trostlos aus. Wer sind wir denn noch, wir Deutsche, in dieser durch uns zerstörten Welt-? Zu wem sollen wir sprechen, zu den Deutschen, die keine Lust haben, uns anzuhören, oder zum Ausland, das uns hasst-?" (225)
Die Bürokratie; die Bürokratie und die starre Einhaltung von Gesetzen sind wichtiger als der Mensch. Auch wichtiger als kranke Menschen, die dringendst ärztliche Hilfe benötigen. Frau Doll ist schwer krank, sie sucht zusammen mit ihrem Mann einen Arzt. Es ist Nacht und kalt draußen. Es herrscht Ausgangssperre. Doch die Dolls benötigen nicht nur einen Arzt, sondern auch ein Dach über dem Kopf, da ihre Wohnung an andere vom Ordnungsamt weitervermietet wurde, als sie so lange leerstand. Sie finden keinen Arzt und geben sich der Polizeistation hin. Sie sind sicher, dass die Polizei ihnen helfen wird:
"Was wollen Sie denn-?", fragte der Polizist barsch.
"Wir sind vor einer Weile von auswärts mit der Bahn gekommen, und meine Frau ist krank. Die Unfallstelle ist geschlossen. Erlauben Sie, dass wir bis sechs in Ihrer Wachstube ein bisschen sitzen und uns aufwärmen?"
"Das kann ich nicht erlauben, das ist verboten", antwortete der Polizist.Sie verlegten sich auf Bitten, aufs Betteln. Es geschehe doch niemanden ein Schaden dadurch, sie würden auch ganz still sitzen! Aber der Polizeibeamte blieb unerbittlich: "Was verboten ist, kann ich nicht erlauben! Und überhaupt, was machen Sie jetzt auf der Straße? Es ist doch Sperrstunde!"
"Nehmen Sie uns deswegen doch ein bisschen fest, Herr Wachtmeister!", bat die junge Frau. "Dann ist es nichts Verbotenes mehr, wenn wir drin sitzen!"Aber auch für diesen Vorschlag war der Polizist nicht zu haben, plötzlich schlug er die Tür zu, und die beiden standen wieder allein auf der dunklen Straße. (103) 
Dieses Zitat hat mich so ziemlich betroffen gestimmt. Ein bißchen festnehmen, lol. Eine Festnahme wäre hier das kleinere Übel. Sie säßen im Warmen und bekämen etwas zu Essen.

Die Szenen in dem Sanatorium, wie ich eingangs schon geschrieben habe, hatte mich auch ziemlich betroffen gestimmt. In dem Sanatorium wurden viele, viele Ärzte behandelt, die alle unter der Drogensucht litten und in der Heilanstalt sich dem Entzug stellten. Auch diese Ärzte waren Menschen, die schwer mit der Wirklichkeit leben konnten, da sie berufsbedingt die Kriegsleiden und die Kriegsgebrechen täglich vor Augen hatten. Doch im Sanatorium wurden sie anonym behandelt. Niemand durfte wissen, dass sie Morphinisten sind. Sie laufen Gefahr, ihre Approbation zu verlieren.

Der Schluss hat mir sehr gut gefallen.

Nachtrag 07.11.2014:

Leider ist meine Lesepartnerin Anne für eine längere Zeit erkrankt, so dass sie ihre Leseeindrücke vorübergehend nicht ins Netz übertragen kann und ich keine Verlinkung zu ihrer Buchbesprechung vorzunehmen in der Lage bin. Wir tauschen uns nun hauptsächlich telefonisch aus.

Anne war der selben Meinung wie ich, dass die Szene mit dem Morphiumkonsum nicht realistisch war. Fallada war zu dieser Zeit selber in einer Heileinrichtung untergebracht und ist wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, die Morphiumdosis richtig einzuschätzen.

In dem Buch existiert auch ein Kind, das seine Frau aus der ersten Ehe mitgebracht hat. Das Kind wurde nur zwei Mal erwähnt und fehlte völlig in den Familienzusammenhängen. Auch das ist untypisch für Fallada, der eigentlich präzise ist, Familien in ihren Nöten zu beschreiben. Auch dies ist wohl auf seinen Krankenzustand zurückzuführen.

Dieses Buch ist posthum herausgebracht worden und zählt zu Falladas letzten Werken. Und es könnte sein, dass gerade dieses Buch sehr viel autobiografisches Material bietet und verweise auf das Vorwort ...

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Ich konnte immer nur sehr wenige Menschen auf einmal gern haben.
(Ernest Hemingway)

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Samstag, 1. November 2014

Hans Fallada / Der Alpdruck

Lesen mit Anne ...

Es ist wieder soweit. Der erste des Monats und wir, Anne und ich, lesen wieder gemeinsam ein Buch. Diesmal war ich mit dem Auswählen dran und entschied mich wieder für Fallada, denn in meinem Bücherschrank befindet sich ein Fallada-SuB, den ich gerne auch abbauen möchte. Gute Bücher sollte man nämlich nicht allzulange ungelesen im Schrank aufbewahren.

Klappentext
Berlin, Stunde null – ein bedeutender Fallada
April 1945: Der Krieg ist vorbei, doch nachts verfolgen den Schriftsteller Dr. Doll Träume vom Bombentrichter, der ihn nicht freigibt. Er will etwas tun gegen den Alpdruck der Mitschuld, doch er kann es niemandem recht machen als Bürgermeister einer Kleinstadt, eingesetzt von der Roten Armee. Er stiehlt sich fort und flüchtet in den Drogenrausch. Im Chaos des zerbombten, nur auf dem Schwarzmarkt funktionierenden Berlin entgleitet ihm seine junge, morphiumsüchtige Frau, und er hat um zwei Leben zu kämpfen, als er zaghaft beginnt, wieder an eine Zukunft zu glauben.
Erst nachdem sich Fallada den "Alpdruck", die Geschichte des erkennbar eng aus seinem eigenen Erleben geschöpften Protagonisten Dr. Doll, von der Seele geschrieben hatte, konnte er sich der Arbeit an "Jeder stirbt für sich allein" stellen.
Mit einem Vorwort und Hintergrundmaterial.

Autorenporträt
RUDOLF DITZEN alias HANS FALLADA (1893–1947), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit "Der junge Goedeschal“. Der vielfach übersetzte Roman "Kleiner Mann – was nun?" (1932) machte Fallada weltberühmt. Sein letztes Buch, „Jeder stirbt für sich allein“ (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938).
»Alles in meinem Leben endet in einem Buch.«
Hans Fallada gehört zu meinen großen Lieblingen. Er schreibt sehr menschlich. Nein, ich sage lieber, Fallada ist auf dem Gebiet der Menschlichkeit ein großes Genie. Ich habe schon eine Reihe Bücher von ihm gelesen.

Gelesen habe ich von ihm:
  1. Damals bei uns daheim 
  2. Der eiserne Gustav 
  3. Der Trinker                                                   
  4. Ein Mann will nach oben                                                             
  5. Jeder stirbt für sich allein
  6. Kleiner Mann – großer Mann – alles vertauscht
  7. Kleiner Mann, was nun?
  8. Wer aus dem Blechnapf frißt 
  9. Wolf unter Wölfen
Dazu eine Biographie von Jenny Williams zu Fallada: Mehr Leben als eins

Lediglich Bauern, Bonzen und Bomben musste ich abbrechen, da mir die Welt darin schrecklich männlich vorkam. Das konnte ich nicht aushalten. Ich hatte zwei Mal versucht, das Buch zu lesen. Mittlerweile habe ich den Band aufgegeben. 

Von den anderen Bänden kann ich gar nicht sagen, welcher Titel mir am meisten zugesagt hat. Mir haben sie alle supergut gefallen. 

Ich freue mich, dass ich meiner Freundin Anne diese Fallada-Lust übertragen konnte, hihihi ... 

Auf ein Neues.

Zu Annes und Mirellas SuB



Freitag, 31. Oktober 2014

Hans-Peter Rodenberg / Ernest Hemingway (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Es ist das eingetroffen, was ich befürchtet habe, dass ich nach dieser Lektüre kein Fan mehr von Hemingway sein werde.

Gleich werdet ihr wissen, weshalb.

Beginne gleich mit meinem ersten Zitat:
Hemingway war Abenteurer, Großwildjäger, Hochseefischer, Stierkampfanhänger.
Mit Ausnahme der Katzen, die Ernest wohl abgöttisch geliebt haben muss, machte er andere Tiere zu seinen Rivalen. Er führte gerne Kämpfe gegen die Natur, um seine eigenen Kräfte an ihnen zu messen. Absurd, denn es ist bekannt, dass gegen Menschen kein anderes Lebewesen anzukommen weiß, wenn man bedenkt, mit welchen Waffen der Mensch ausgestattet ist.

Ernest ist nach Afrika gereist, um sich auf Abenteuer mit den Wildtieren einzulassen:
Ich möchte Elefanten sehen, egal ob wir sie schießen oder nicht-ich möchte auf jeden Fall Büffel und Löwen schießen. Ich nehme die 30.06er-10.75 Mauser-12er Schrotflinte und eine 6,5 Mannlicher mit, außerdem meinen 22er Woodeman Colt-vielleicht auch Degen und Muletar für Büffel (…).
Gejagt hatte er auch Löwen, Büffel, Antilopen und Nashörner ...
Dieser Trieb, Tiere zu jagen und zu töten, war ihm nicht angeboren, sondern über den Vater anerzogen worden. Ernest hätte die Wahl gehabt, sich dem Töten zu widersetzen, oder ihm zu folgen. Er hatte sich für das Jagen und Töten entschieden. 
Am Walloon Lake brachte der Vater Ed Hemingway seinem Sohn den Umgang mit Werkzeug und Waffen bei, hier lehrte er Ernest, wie man Wild ausweidete und zum Essen zubereitete, wie man mit den Fischen aus dem See umging. Es war eine männliche Welt, in der die Dinge einfach und unkompliziert schienen, jene Welt >>ohne Frauen<<, in die auch sein Sohn Ernest immer wieder zurückkehren, in die er sich immer wieder flüchten würde, wenn er sich bedrängt fühlte. 
Hemingways Vater ist von Beruf Mediziner gewesen, praktischer Arzt und Geburtshelfer, lebte aber parallel dazu streng religiös, und er, wiederum beeinflusst von seinem religiösen Vater, zelebrierte ziemlich exzentrisch religiöse Bräuche.

Sowohl der Großvater als auch der Vater hatten eine genaue Vorstellung davon, was unter Gut und Böse zu verstehen ist.
Für den Vater Ed Hemingway gab es keinen Zweifel daran, dass Gut und Böse klar erkennbare, genau fixierte Qualitäten waren, ohne Übergang zwischen ihnen. Luzifer lauerte überall.
Ernests Vater war eine schwierige und eine stark gestörte Persönlichkeit, die in der Welt nicht wirklich glücklich zu sein schien, obwohl er ein sehr verantwortungsbewusster und fürsorglicher beliebter Arzt gewesen sein soll. Doch in seiner Familie zeigte er ein anderes Auftreten:
Heute muss man mit Hemingways Biografen Kenneth Lynn sagen, dass Dr. Hemingway bei aller Energie, die er besaß, wahrscheinlich ein zutiefst unglücklicher Mann war, dass seine plötzlichen, grausamen Ausfälle bei kleinsten Verstößen seiner Kinder, die als religiöse Disziplinierung tarnte, seine fieberhafte Tätigkeit für die Gemeinde und seine sporadischen Nervenzusammenbrüche ein zusammenhängendes Muster manischer Depression ergeben. 
1928 suizidierte sich der Vater. Ernest war 27 Jahre alt. Die Kindheit hatte er also schon lange hinter sich, möchte damit ausdrücken, dass seine Kindheit von einem psychisch kranken Vater stark geprägt wurde.
Ernest, der Zweitgeborene, hatte noch fünf Geschwister, insgesamt waren es sechs Kinder. Die religiöse Erziehung hinterließ auch hier ihre Spuren:
Wenn eines der sechs Kinder sich ausfallend benahm, musste es unverzüglich auf den Knien Gott um Verzeihung bitten. Beherrschte der junge Ernest sich einmal nicht und rutschte ihm ein Schimpfwort heraus, war die Mindeststrafe, die er für diese unentschuldbar moralische Schwäche zu erwarten hatte, das Zähneputzen mit Toilettenseife. 
Interessant fand ich, dass Ernest 1918 in Italien zum Katholizismus konvertiert ist, das sicher die Folge seiner äußerlichen Negation des Religiösen war.

Doch nicht nur der Vater, sondern auch die Mutter Grace hatte einen großen und ungewöhnlichen Anteil an der Erziehung gehabt:

Sie hatte das Kleinkind Ernest mit Mädchenkleidchen bekleidet. Ernest hatte eine ältere Schwester namens Marcelline, und die Mutter kleidete die beiden Kinder wie Zwillingsmädchen: 
Einige der Ideen, die Grace hatte, waren allerdings im besten Fall ungewöhnlich zu nennen. Als Ernest neun Monate alt war, zog sie ihm ein rosa Baumwollkleidchen an und setzte ihm ein Blumenhäubchen auf, wie seiner achtzehn Monate älteren Schwester Marcelline. Nun war das Kleidchentragen bei Babys beiderlei Geschlechts um die Jahrhundertwende nichts Ungewöhnliches, bei Ernest hielt dieser Zustand jedoch an, bis er über zwei Jahre alt war. Auch die Haare wurden ihm wie bei einem Mädchen weit über das übliche Alter hinaus lang gelassen. Grace hatte sich in den Kopf gesetzt, Marcelline und ihn wie gleichgeschlechtliche Zwillinge aufzuziehen. Sie schulte Marcelline sogar ein Jahr später ein, damit beide in derselben Klasse sein konnten. 
Nach meiner Einschätzung, nachdem ich ein paar Biografien zu Ernest Hemingway gelesen habe, ist Ernest selbst auch eine labile Persönlichkeit. Auch er zeigte oft ein manisches, überdrehtes Verhalten und verfiel oftmals der Alkoholsucht. Auch Ernests Leben endete auf tragische Art und Weise, ähnlich wie das seines Vaters, auch wenn die Gründe andere waren …

Ernest liebte das Reisen. Er bereiste, wie ich oben schon geschrieben habe, nicht nur europäische Länder, nein, er bereiste auch Afrika. Er lernte, dieses Land zu lieben. Es existiert ein Foto, auf dem er mit zwei Gehörnern vom getöteten Kudu abgebildet ist.

Auch von Spanien war er angetan, wegen der Stierkämpfe. Er führte regelmäßig Tagebuch, das den Titel Tod am Nachmittag, trug. Grässlich kann ich nur sagen.

Nun ja, aus der Biografie gehen auch die vielen Beziehungen hervor, die Ernest mit Frauen hatte. Er war vier Mal verheiratet. Wer dazu mehr wissen möchte, so verweise ich auf das Buch.

Über das Schreiben als Autor? Ich denke, dass es allgemein bekannt ist, dass Hemingway sich auch als Journalist einen Namen gemacht hatte und er thematisch auf breitem Gebiet schriftstellerisch versiert und kundig war. Er war nicht nur Autor, er war auch Philosoph.

Ich beende nun hiermit meine Aufzeichnungen, auch wenn ich nicht alle Themen aus dem Buch mit aufgeführt habe.

Das war das letzte Buch, dass ich von und / oder über Hemingway gelesen habe.

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Ich konnte immer nur sehr wenige Menschen auf einmal gern haben.
(Ernest Hemingway)

Gelesene Bücher 2014: 73
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86





Dienstag, 28. Oktober 2014

Hans-Peter Rodenberg / Ernest Hemingway


Klappentext
Ernest Hemingway ist immer noch einer der populärsten Autoren der klassischen Moderne, sein Bild oszillierend zwischen Metaphysiker, Macho und medialem Selbstdarsteller von hohen Graden. Ein erneuter, frischer Blick auf seine Romane und Kurzgeschichten zeigt einen sehr viel sensibleren, sehr viel weniger machistischen Hemingway, als die feministische Kritik herausgestellt hat. Den Hemingway’schen Held plagen weit mehr Widersprüche und Selbstzweifel, als diejenigen wahrhaben wollen, denen er als Projektionsfigur männlicher Idealbilder dient.


Autorenporträt
Hans-Peter Rodenberg, Jahrgang 1952, Studium an der Hochschule für Bildende Künste und an der Technischen Universität Braunschweig, dann an der University of California in Los Angeles. 1986-1994 Redakteur beim NDR-Fernsehen, Abteilung Kultur. Seit 1994 Professor für Film, Neue Medien, Populärkultur und Kulturgeschichte der USA an der Universität Hamburg.

Von Hemingway habe ich bisher gelesen:
  1. Hemingway, Ernest: Paris, ein Fest fürs Leben
  2. Hotchner, A. E.: Papa Hemingway     
  3. Der alte Mann und das Meer