Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Mir hat das Buch größtenteils sehr gut gefallen, mit Ausnahme einiger Stellen, die aber verzeihbar sind. Vielleicht komme ich später darauf zu sprechen... .
Alfred Rosenberg, der eine Größe war in der Gründung der NSDAP und in der Entwicklung des Nationalsozialismus, arbeitete in München als Journalist einer rechten Zeitung, und damit die Gelegenheit wahrnahm, seinen Hass gegen die Juden auszuspielen und publik zu machen. Er verbreitete antisemitisches, populistisches Gedankengut in die Gesellschaft. Rosenberg fiel schon als siebzehnjähriger Schüler auf, dass er die Juden als eine Ausbeutung gegen die arische Rasse abtat, die er damals schon als Rassenfeinde deklarierte, in der festen Überzeugung, sie würden die arische Bevölkerung verunreinigen, wenn nicht rechtzeitig etwas gegen diese abarte Rasse getan werden würde. Rosenberg war durch und durch Antisemit, ihn hat es wirklich gegeben, er ist keine Fiktion des Autors. Mir ist er allerdings in der Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich nie über dem Weg gelaufen und höre ihn hier zum ersten Mal.
Es gibt Figuren in dem Buch, die fiktiv sind, das ist der Psychoanalytiker Friedrich Pfister und die beiden Juden in dem Buchteil zu Spinoza, es sind Jacob und Franco. Doch besonders Franco, der sich mit Spinoza anfreundet, obwohl sie recht unterschiedliche Wege gehen... , hatte die feste Absicht, das Judentum von innen heraus zu verändern, während erhoffte, Spinoza würde von außen verändern... . Spinoza willigte nicht ein, dennoch sind Franco und er seelenverwandte Freunde geblieben... .
Von Spinoza gab es, lt. Autor, wenige Informationen, nicht einmal ein Gemälde gab es von ihm. Spinoza wurde beschrieben, und später, nach seinem Tod, sind Gemälde entstanden in der Art wie Spinoza lt. den Beschreibungen anderer ausgesehen haben könnte.
Spinozas Familie lebte einst in Portugal, in einem katholischen Land, wo Juden und deren Traditionen bis ins 20. Jhrd. nicht geduldet wurden. Entweder sie konvertierten zum Katholizismus oder sie wanderten aus. Viele emigrierten nach Holland, Amerstdam, da Holland bekannt war für den liberalen und toleranten Staat gegenüber der verschiedenen Religionen... . Spinoza zählt als niederländischer Philosoph, der Portugiesisch als Muttersprache hatte.
Beide Geschichten und beide Persönlichkeiten, Baruch Spinozas und Alfred Rosenbergs, treten abwechselnd auf. Man wird erst ins 18. Jhrd. zurückversetzt, nach einem weiteren Kapitel navigiert uns der Autor in das Kaiserreich, und bis hinein in den Nationalsozialismus und wieder zurück zu Spinoza, usw..
Spinoza ist aus seiner Judengemeinde ausgeschlossen worden, exkommuniziert und niemand, nicht einmal den Familienangehörigen ist es erlaubt, mit ihm zu sprechen. Spinoza entwickelte sich immer mehr zu einem Freidenker... . Man hatte versucht, ihn wegen seiner hohen Intelligenz zum Rabbiner auszubilden, doch Spinoza lehnte großzügig ab und riskierte damit aus der Judengemeinde ausgestoßen zu werden... . Es ist erstaunlich zu lesen, wie gesellschaftliche Riten es immer wieder schaffen, Familienmitglieder, die sich anders entwickelt haben, auszuschließen. Gesellschaftliche Regeln dominieren gegenüber der Liebe eines andersdenkenden Familienmitglieds. Das ist hart... .
Alfred hat einen Freund in Berlin, der Psychoanalytiker ist. Beide kennen sich aber aus der Jugendzeit. Sie haben die selbe Schule besucht, wurden von den selben Lehrern unterrichtet, und hatten sonst noch Gemeinsamkeiten. Alfred entwickelte sich zu einer introvertierten und sehr ernsten Persönlichkeit. Er verlor früh seine Eltern und hat noch einen älteren Bruder. Auch der Psychoanalytiker Friedrich Pfistler verlor früh seine Eltern und so teilen sie ein gemeinsames Schicksal miteinander, allerdings mit unterschiedlichen Wegen und Entwicklungen.
Nun findet eine Psychotherapie statt durch den Freund Friedrich Pfistler. Alfred erfährt, weshalb er Hitleranhänger wird. Diese psychotherapeutischen Gespräche wirkten auf mich nicht wirklich authentisch und arg gekünstelt. Was der Psychotherapeut herausfindet, ist mir nicht neu, wie z.B. dass Alfred in Hitler einen Vaterersatz gefunden habe und unaufhörlich nach seiner Anerkennung giert. Das ist ja eigentlich eine recht gängige Theorie, über die viele andere Analytiker und Soziologen vor Yalom schon recht viel geschrieben haben wie z.B. der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in:
Die Unfähigkeit zu trauern.
Es geht um Kriegsgenerationen, wo Kinder schon früh Familienmitglieder durch den Krieg verloren haben, und den Familien keinen Raum für die Trauerarbeit zur Verfügung gestellt wird, weil der Schmerz schwer auszuhalten wäre, und der Alltag weiterzugehen habe... . Wenn diese Trauer nicht verarbeitet werde, treibe sie im Unbewussten ihr Unwesen und suche sich einen Sündenbock, auf dem der Verlustschmerz projiziert werden könne... .
So ähnlich ist es auch bei Alfred Rosenberg.
Der Psychoanalytiker Friedrich Pfister hat an mehreren Supervisionssitzungen teilgenommen, und es ihm nun besser möglich wird, Alfred zu therapieren. Doch als er Alfred mit seinem Schatten konfrontiert, und nach den Ursachen forscht, die den Judenhass erklärbar machen, kapituliert der Patient und kündigt Friedrich die Sitzungen und den weiteren Kontakt.
Ich habe nun begriffen, weshalb zwei Welten in dem Buch geschildert werden. Bei Spinoza sind es die Juden, die sehr traditionell und festgefahren leben, und andere Juden aus ihren Gemeinden ausschließen, die sich den Riten widersetzen. Sie sind überzeugt, das von Gott auserwählte Volk zu sein und bewusst hielten sich die Juden getrennt von den Nichtjuden. Eine sehr engstirnige Glaubensgruppe, im festen Bewusstsein, mit besonderem Blut ausgestattet zu sein, um sich von anderen abzusondern.
Ein Jude bliebe immer ein Jude und dass alle Juden am Ende in die zukünftige himmlische Welt eintreten dürften. Jüdisches Blut sei unzerstörbar , (...) und könne durch nichts ausradiert werden, nicht einmal durch Konversion in einer anderen Religion. (…).
Die Juden selbst waren es, die diese Bluttheorie verbreitet haben und von anderen leichtgläubig übernommen wurde... .
Das mit dem jüdischen Blut konnte wissenschaftlich nie nachgewiesen werden, genauso wenig konnte arisches Blut nachgewiesen werden. Und ebenso wenig das Blut anderer Völker aus anderen Nationen. Dennoch hält man an diesen Theorien noch heute fest.
Und die Juden selbst haben die Theorie verbreitet, dass wer einmal Jude ist, wird immer Jude bleiben. Dennoch schließen sie Menschen wie Spinoza aus ihrer Glaubensgemeinschaft aus. Dann nennt man solche Menschen, das seien exkommunizierte Juden. Der Begriff Jude verliert sich auch durch das Ausschließen nicht.
Aus meiner Sicht ist es der Wunsch vieler Menschen, ihre Herkunft genetisch festzulegen und erfinden irgendwelche Theorien dazu, die niemand auf ihre Richtigkeit hin überprüft oder gar hinterfragt. Wie viele Menschen aus anderen Religionen haben genauso wie sie gedacht? Auch sie glaubten das einzige Volk zu sein, das in den Himmelreich tritt, solange sie die Regeln befolgen.
Die Lebensart der Juden aus dem 18. Jhrd. wirkt auf mich arg fundamentalistisch und engstirnig Und vielleicht erklärt das ein wenig die Unbeliebtheit der Juden innerhalb von Europa und anderswo auch. Diese Intoleranz Andersdenkenden gegenüber ist eine Projektion auf Gott, der solche Menschen nicht dulden würde.. Zurecht stellt sich Spinoza die Frage, was Gott denn davon habe, wenn alle Menschen Gleiches denken und Gleiches tun? Die Juden betrachten es als eine Beleidigung zu Gott, wenn die jüdischen Regeln nicht eingehalten würden. Spinoza befindet sich im Gespräch mit Jacob:
Wer beleidigt Gott? (…) Haben wir uns nicht gerade darauf verständigt, dass Gott vollkommen ist, keine Bedürfnisse hat und kein Wesen ist wie wir? Könnte ein solcher Gott sich überhaupt von einer solchen Trivialität wie meine Art zu lesen beleidigt fühlen?
Spinoza hat das Glück und lernt einen anderen Philosophen kennen namens Van den Enden, der junge, erwachsene Schüler Philosophieunterricht erteilt und nimmt den jungen Spinoza in seine Klasse auf. Van den Enden ist ein Freidenker. Mir hat folgendes Zitat gut gefallen, als der Lehrer zu seinen Schülern spricht:
Ihr jungen Leute, eure Bedürfnisse sind gering, sie sind einfach zu erlangen, und jedes notwendige Leiden kann leicht erduldet werden. Beschwert euer Leben nicht mit trivialen Ziele wie Reichtum und Ruhm. Meidet ihn! Er ist eine Falle. Je mehr wir verlangen, desto mehr begehren wir, und desto tiefer wird unsere Traurigkeit, wenn unsere Sehnsucht nicht erfüllt wird. (…) Wenn ihr Glück und Seligkeit begehrt, verschwendet euer Leben nicht damit, um das zu kämpfen was ihr gar nicht braucht. Ruhm: (…) Ruhm zum Beispiel, besteht aus den Meinungen anderer und verlangt, dass wir unser Leben so leben müssen, wie andere es wünschen. Um Ruhm zu erlangen und zu bewahren, müssen wir mögen, was andere mögen, und das meiden, was immer sie meiden. Folglich ein Leben des Ruhms oder ein Leben in der Politik? Nehmt Reißaus davor. Und Reichtum? Meidet ihn! Er ist eine Falle. Je mehr wir erlangen, desto mehr begehren wir, und desto tiefer wird unsere Traurigkeit, wenn unsere Sehnsucht nicht erfüllt wird. (…) Wenn ihr Glückseligkeit begehrt, verschwendet euer Leben nicht damit, um das zu kämpfen, was ihr gar nicht braucht.
Und ein weiteres Zitat, das ich auch toll finde:
Wenn deine Zufriedenheit mit dir selbst von der Liebe der Menge genährt wird, wirst du immer besorgt sein, denn eine solche Liebe der Menge ist wankelmütig. Er nennt das "eitle Zufriedenheit", weil sie in Wirklichkeit gar keine ist.
Wieder zurück zu Alfred Rosenberg:
Der Analytiker Friedrich Pfister ist in meinen Augen ein wenig arg naiv aufgetreten. Er steht zwar nicht auf der Seite seines kranken Patienten Alfred Rosenbergs, ist demnach kein Antisemit, dennoch lässt er sich das Versprechen von ihm geben, Gesprächsinhalte, die er gegen die NSDAP äußern würde, nicht nach draußen zu tragen. Alfred ist an einer schweren Depression erkrankt und liegt wiederholte Male in der Klinik in Berlin. Von Hitler jede Form der Anerkennung und Zuwendung abgesprochen bekommen zu haben, zerbricht Alfred regelrecht daran und es kommt erneut zu einer Therapie mit Friedrich Pfister... . Alfred wünscht sich die selbe Hilfe von Friedrich, die Goethe von Spinoza erfahren habe. Seelenruhe erlangen durch einen freien Geist, nicht mehr abhängig von anderer Zuwendung zu sein. Frei jeglicher Fessel durch Autoritäten zu werden. Nun war Alfreds Wunsch geistig frei zu werden und endlich äußert er den Wunsch, sich von Hitlers "Liebe" freimachen zu wollen.
Doch nun erhält Alfred Besuch von Hitler, und völlig unerwartet bekommt er die Anerkennung zurück, die er sich von ihm gewünscht hat, und alle therapeutischen Vorsätze schwinden auf einmal. Alfred genest, zumindest nur scheinbar, hält sich für geheilt, und wirft alle weiteren therapeutischen Pläne über Bord und zieht über den Analytiker Friedrich her, der Anhänger der Juden sein würde.
Alfred hat Goethe als einen Antisemiten bezeichnet... . Ich bekomme Gänsehaut bei der Vorstellung Goethe als Antisemit, das passt gar nicht zu seinem Menschenbild. Ich habe einiges von Goethe gelesen, aber nicht abfällig über andere reden gehört... .
Spinoza hat immer kritische Fragen gestellt, die ihm zum Verhängnis wurden. Zu seinen vielen Fragen zählten auch, weshalb den Frauen die Schriftsprache nicht gelehrt werden würde? Warum Frauen aus dem Bibelunterricht (Thora und Talmud) ausgeschlossen werden? Warum tragen sie Kopftücher? Ihm wurde klar, dass die Männer ihre Macht mit den Frauen nicht bereit waren zu teilen... .
Im Geheimen brachte Spinoza seiner Schwester Lesen und Schreiben bei. Er trivialisierte das Gottesbild, das von Menschen phantasiert wird. Warum sollte Gott etwas dagegen haben, wenn man das Brot in einer ganz normalen Bäckerei kauft, die nicht jüdisch ist? Auch bei der Beschneidung; was hat denn die Beschneidung mit Gott zu tun? Warum sollte Gott es wollen, dass Kinder beschnitten werden und ihnen dadurch Schmerzen zugefügt wird?
Wenn man Spinoza liest, und nicht nur Spinoza, dann denkt man an einen rächenden und nicht an einen barmherzigen Gott. Es sind die Menschen, die engstirnig sind, und ihre Rache auf Gott projizieren. Es sind die Menschen, die Andersdenkende aus ihren Kreisen ausstoßen... . Im schlimmsten Fall wurden solche Menschen wie Spinoza auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wie könnte ein barmherziger Gott solch eine tödliche Handlung nur zulassen?
Das Spinoza-Problem? Alfred Rosenberg plünderte das Spinoza-Museum in Amsterdam. Hitler und er hatten beabsichtigt, eine höhere Schule zu gründen, und die Bibliothek mit bestimmten Büchern auszuschmücken. Rosenberg hatte das Ziel, das Spinoza-Problem zu lösen. Dadurch, dass Spinoza exkommuniziert wurde, wusste er nicht so recht, wie er Spinoza einzuordnen hatte, und fragte sich, ob ein Versehen vorliegen würde, und er doch kein Jude war? Schließlich änderte Alfred seine Meinung, dass die intelligenten Ideen Spinozas von anderen deutschen Großdenkern geklaut wurden und bezeichnete seine Ideen als einen großen jüdischen Schwindel.
Alfred kapierte das Problem von Spinoza nicht wirklich... .
Und nun etwas Lustiges: Spinoza ist der Auffassung, dass Dreiecke, wenn sie denken könnten, dann würden sie die Meinung vertreten, dass sie, die Dreiecke, nach dem Ebenbild Gottes entstanden wären, lol. Ein wenig amüsant... . Dieses Bild vertritt Spinoza als Beweis dafür, dass es Gott nicht geben kann und Menschen einfach nur abergläubisch sind.
Spinoza liebte Bücher, aber nicht nur in ihrer geistigen Form, nein, er liebte sie auch materiell. Er hielt die Bücher gerne in den Händen, wiegte sie... sortierte sie immer wieder nach neuem Muster. Mal nach Farben, dann wieder nach der Größe, und ein andermal nach Genre, dann wieder alphabetisch... . Aber seine Bibliothek war sehr winzig. Er hatte einen Bestand von nicht einmal zweihundert Büchern.
Insgesamt aber fand ich seine Gedanken total interessant. Nur die Anschauung mit den Dreiecken fand ich recht suffisant... .
Ich kenne in meinem Bekanntenkreis keinen einzigen Juden und habe nie einen Juden kennengelernt. Warum eigentlich? Mit allen Religionen hatte ich schon die Bekanntschaft gemacht, mit Ausnahme der Juden.
Irvin D. Yalom ist selbst Jude (gewesen), und ich denke, es ist ihm total gut gelungen, sich objektiv diesen beiden Welten zu stellen.
Ich finde, es ist ihm gut gelungen, beide Parteien objektiv auf ihre Problematikhinzulenken. Auf Spinoza fiel ein Attentat, man wünschte ihm nur noch den Tod.
Und es wurde ein Attentat auf Hitler verübt. Beide Welten treten in ihren Extremen auf.
Anmerkung: Fettgedruckte Passagen sind durch mich hervorgehoben!
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„Musik ist eine Weltsprache“
(Isabel Allende)
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