Sonntag, 13. Januar 2013

Christoph Schlingensief

So schön wie hier kann es im Himmel gar nicht sein





Verlag: Btb, 2010, 
Miniausgabe gebunden, 9, 99 €
Seitenzahl: 302
Deutsch
ISBN-10: 3442740703


Klappentext

 Wie weiterleben, wenn man von einem Moment auf den anderen aus der Lebensbahn geworfen wird, wenn der Tod plötzlich nahe rückt? Christoph Schlingensiefs bewegendes Protokoll einer Selbstbefragung ist ein Geschenk an uns alle, an Kranke wie Gesunde, denen allzu oft die Worte fehlen, wenn Krankheit und Tod in das Leben einbrechen. Eine Kur der Worte gegen das Verstummen - und nicht zuletzt eine Liebeserklärung an die Welt.

Autorenportrait


Christoph Schlingensief, 1960 in Oberhausen geboren, wurde einer größeren Öffentlichkeit als Filmregisseur mit seiner Deutschlandtrilogie (1989-1992)) bekannt. In den 90er Jahren wurde er Hausregisseur an der Volksbühne in Berlin. Anlässlich der Bundestagswahl 1998 gründete Schlingensief die Partei »Chance 2000«. Bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen 2004 inszenierte er mit »Parsifal« seine erste Oper, die hymnisch besprochen wurde, anschließend war er verstärkt auf dem Feld der Bildenden Kunst tätig. Im August 2010 starb Christoph Schlingensief an seiner Krebserkrankung. Bis zuletzt arbeitete er an zahlreichen Kunst- und Theaterprojekten.

Ich habe erst ein paar Seiten gelesen und das Buch liest sich gut. Der Autor schreibt recht authentisch. Wenn auch das Thema ein trauriges ist aber in den letzten Jahren habe ich so viele Menschen verloren, die an Krebs erkrankt waren. Zuletzt mein Onkel, der im Dezember 2012 verstarb. Der Tod ist allgegenwärtig und oft trifft er ein, wenn man ihn nicht erwartet. Wir können uns nicht oft genug mit dieser Thematik auseinandersetzen.

Walter Moers / Das Labyrinth der Träumenden Bücher (1)

Eine Buchbespreung zur o. g. Lektüre

Das Labyrinth der Träumenden Bücher hat mich so gar nicht angesprochen im Vergleich zum ersten Band, der mich so richtig fasziniert und gefesselt hatte. Ich muss aber auch sagen, dass ich nicht wirklich eine Fantasy-Leserin bin und finde es befremdet, solche inneren Bilder, die ein anderer kreiert hat, in mich hineinzulassen. Beim Lesen ist mir aufgefallen, dass ich körperlich ein wenig verkrampft war. Es ist mir schwer gefallen, mich den  fiktiven Romanfiguren zu öffnen, ohne dass da ein Bezug zur realen Welt da ist. Selbst die Weisheit vermisste ich. Das erlebte ich im ersten Band so gar nicht.

Ich werde demnach nur ein paar Auszüge schildern, die mir recht gut gefallen haben, aber das mache ich ja sowieso auch mit den anderen Büchern.

Erstaunt hat mich, als ich auf der Seite 293 eine fiktive Autorin kennenlerne, die einen ähnlichen Familiennamen trägt wie ich. Sie heißt Juhanna PIGNOZZI. Hihi, das würde mich jetzt mal interessieren, wie Moers zu diesem Namen kam. Zumal PAGNOZZI doch viel besser klingt und vom Schriftbild schöner aussieht, ich gebe zu, weil ich es nicht anders gewöhnt bin :-). .

Zurück zur Geschichte: Der Anfang war ganz passabel, da ich damals, als ich den ersten Band zu Ende gelesen hatte, neugierig auf den zweiten Band wurde, weil ich schon von der Neugier ergriffen wurde, wie es nun mit Buchhaim weitergehen werde, nachdem Hildegunst von Mythenmetz seinen Kampf mit dem Schattenkönig besiegt hatte und er nach der Schlacht Buchhaim verlassen hatte.

Seit der Zeit sind nun mehr als zweihundert Jahre vergangen, und Hildegunst war nun ausgewachsen und lange keine jugendliche Echse mehr.
Die erneute Reise nach Buchheim war einem alten Freund namens Kibitzer zu verdanken, mit dem er einen regen literarischen, politische und philosophische Austausch pflegte. Doch leider zerstritten sich beide, so dass sie auf Abstand gingen und nichts mehr voneinander hörten, was beiden aber arg betrübte aber niemand von beiden seinen Stolz überwinden konnte, um auf dem Freund zuzugehen. Kibitzer wird schließlich krank, sterbenskrank, und schafft es durch Tricks, Hildegunst nach Buchhaim zu locken. Er sehnt sich nach seinem Freund, ihn ein letztes Mal zu sehen... .

Hildegunst erkennt Buchhaim nicht wirklich wieder. Einst lag es in Asche und musste neu aufgebaut werden. Auch manche Begriffe haben sich geändert, die Hildegunst alle fremd zu sein scheinen, wie z.B. der Begriff Biblionismus, die in seinen Ohren wie eine Krankheit klingt.
Folgende gesprochene Textstelle fand ich stellenweise recht lustig:
" Biblionismus?", fragte Hildegunst. "Klingt wie eine Krankheit, die man sich in öffentlichen Büchereien einfangen kann." (lol) "Du bist wirklich verdammt lange nicht mehr hier gewesen! Du hast ein paar wesentliche Dinge verpasst. Die ganze antiquarische Buchalchemie ist Schnee von gestern. Der Biblionismus ist die neue Sache! Alles Biblio! Bibliodies, Bibliodas! (…) Der Bibionimus ist keine Religion und auch kein Verein oder eine Partei. Er ist auch keine wirklich exakt Wissenschaft mit festen Regeln. Er ist der Geist des modernen Buchhaims."
Da ich beruflich auf dem Gebiet der Psychiatrie tätig bin, gibt es auch in Buchheim Bibliokrankheiten, von denen ich einige mit  psychischen Krankheiten assoziiere:

Es gibt einen Bibliophrener-Schizophrener, einen Biblioten-Idiot, einen Bibliopathen-Psychopath und außerhalb der psychischen Erkrankungen gibt es Biblionäre-Millionäre... . Im Buch werden die verschiedenen Bibliotypen erklärt. Zwei Typen möchte ich gerne aufschreiben:
Bibliomaten sind mechanische Leser, (…) die überhaupt keinen Unterschied darin machen, was sie lesen. Es ist ihnen wurscht. Sie lesen im Gehen, im Stehen, im Sitzen, im Liegen. Sie lesen beim Essen und beim Kaffeetrinken, während sie einkaufen oder in einer Warteschlange stehen - sie lesen einfach immer. Es ist ein zwanghaftes, freu - und fruchtloses Lesen, ohne jede erkennbare gefühlsmäßige Reaktion auf das Gelesene. So stelle ich mir die Lektüre von Ameisen vor! Wenn man einen Diplomaten fragt, was er gerade geschmökert hat, kann man ihn mächtig in Verlegenheit bringen. Sie vergessen es gleich wieder.  Die Bibliotie ist die größtmögliche Form der Ignoranz gegenüber Büchern. Biblioten lesen nicht nur grundsätzlich keine Bücher, sondern leugnen sogar schlankweg ihre Existenz! Und das sogar, während sie auf einem Bücherstapel stehen. 
Hildegunst musste seinem sterbenden Freund sein Versprechen geben, mit der Schreckse Inazea Anazazi das Theater zu besuchen. Welches Stück er sich ansehen sollte, das blieb bis zur Vorstellung geheim. Hildegunst weigerte sich erst, da es ihm schwer fällt, sich auf etwas einzulassen, ohne dass er weiß, um was es sich handelt. Als sie im Theater waren, wollte er auch schon gleich zu Beginn der Vorstellung wieder gehen, da ihm die Figuren zu widerlich waren. Inazea konnte ihn schließlich nur halten, indem sie ihm mitteilte, dass das Stück von sich selbst handelte.  Hildegunst von Mythenmetz bekam ein Theaterstück zu sehen, das sein Leben in Buchhaim darzustellen wusste und bekam alles wort-  und bildgetreu, wie sein Leben in "Der Stadt der träumenden Bücher" sich abspielte, zu sehen. Er bekam jedes Verhalten mit sich und den mit seinen Gefährten widergespiegelt. Alle Kämpfe, die er auszutragen hatte, um Buchhaim vor der Vernichtung zu retten.

Hier fing es für mich an, langweilig zu werden. Man bekam die ganze Geschichte nochmals erzählt und ich gehe jetzt auch nicht weiter darauf ein. Natürlich war Hildegunst von Mythenmetz im Gegensatz zu mir recht neugierig, an einem Theaterstück als Zuschauer teilzunehmen  indem er die Hauptrolle spielte... . Aus dem Theaterstück sollte er rückblickend eine Lehre ziehen... . Es traten recht skurrile Figuren in dem Stück auf. Lebendige Puppen, die erst wie Marionetten aussahen, und viele andere Puppenarten traten auf. Eigentlich war dort auf der Bühne alles lebendig, sogar sämtliche Musikinstrumente, die ohne ihre Spieler Musiktöne von sich gaben, indem sie mit ihren Fingern (lol) die Tasten oder Saiten bedienten. Da hört es bei mir auf, und ich mich mal fragen muss, wo Kitsch eigentlich anfängt? Wo hört er auf?

Wenn es sich um Bücher handelt, da bin ich recht wachsam und möchte auch hier eine Textstelle festhalten, die mir gut gefallen hat. Sie bringt in Erinnerung, welchen Weg ein Buch hinter sich bringen muss, bis es schließlich ein Buch geworden ist:
Denken Sie nur an die Bücher! Bücher sind aus Papier, Papier ist aus Holz, Holz ist aus Bäumen, Bäume wachsen in der Erde, Erde ist nur so fruchtbar, wenn sie von lebenden Wesen durchwühlt und gedüngt wird. Nicht nur die Bäume, die meisten Pflanzen verbergen ihren größten Teil im Erdreich. Eine Wurzel kann ohne Blüte überleben. Aber niemals eine Blüte ohne Wurzel! Benutzen nur einen geringen Bruchteil des Lebensraums, der uns gegeben ist. Und zwar nur, weil er eine irrationale Furcht vor dem Dunkeln haben.
 Die meisten ekeln sich vor den Insekten, aber den Insekten ist es zu verdanken, dass die Bäume wachsen, und aus den Bäumen im Endstadium zu Bücher werden.

Hildegunst galt als ein berühmter Dichter in Buchhaim. In einer Buchhandlung war sein Buch ausgestellt, der Name des Autors aber völlig falsch geschrieben. Obwohl Hildegunst nicht erkannt werden wollte, er trug eine Kapuzenjacke, betritt er den Laden, um sich des falsch geschriebenen Namens wegen zu beschweren. Doch als er im Laden noch eine Marionette sieht, die er darstellen sollte, aber die Puppe  furchtbar hässlich war, rastet Hildegunst ganz aus, reißt die Marionette runter und wirft sie auf die Verkaufstheke. Es kommt zu einem Skandal, als er sich dem Ladenbesitzer als Hildegunst von Mythenmetz zu erkennen gibt... . Nun, diese Szene fand ich noch interessant, aber was danach kam?

Einfach selber lesen.
Deshalb mache ich jetzt hier Schluss.

Ich möchte aber niemanden entmutigen. Wenn ich eine Fantasieleserin wäre, hätte ich das Buch sicher mit anderen Augen gelesen. Deshalb sollte jede selbst die Erfahrung mit dem Buch machen... .

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 04
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Donnerstag, 10. Januar 2013

Walter Moers / Das Labyrinth der träumenden Bücher



Verlag: Knaus
Gebundenes Buch, 432 Seiten
über 100 Illustrationen
ISBN: 978-3-8135-0393-7
€ 24,99 [D] | 


Klappentext
Hildegunst von Mythenmetz kehrt zurück in die »Stadt der Träumenden Bücher«Über zweihundert Jahre ist es her, seit Buchhaim, die Stadt der Träumenden Bücher, von einem verheerenden Feuersturm zerstört worden ist. Der Augenzeuge dieser Katastrophe, Hildegunst von Mythenmetz, ist inzwischen zum größten Schriftsteller Zamoniens avanciert und erholt sich auf der Lindwurmfeste von seinem monumentalen Erfolg. Er gefällt sich im täglichen Belobhudeltwerden, als ihn eine verstörende Botschaft erreicht, die seinem Dasein endlich wieder einen Sinn gibt. 


Autorenportrait aus WIKIPEDIA
 Walter Moers  (* 24. Mai 1957 in Mönchengladbach) ist ein deutscher Comic-Zeichner, Illustrator und Autor.

Von Walter Moers habe ich gelesen: Die Stadt der träumenden Bücher und Ense und Krete.



Erich Maria Remarque / Liebe Deinen Nächsten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Eine Herzensbildung, ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit, so habe ich es erlebt... .
Ich habe mir so viele Textstellen markiert und muss davon eine Auswahl treffen, sonst gibt es ein zweites Buch, und das habe ich nicht vor zu schreiben.

Bildung auf der Ebene der Menschlichkeit, weil es in dem Buch an Menschlichkeit fehlt und das Formale ganz oben steht und nicht die Person selbst. Das heißt, der Mensch auf dem Papier dominiert, und wer keine Papiere hat, der existiert schon mal gar nicht. In vielen Teilen von Europa wurden die Flüchtlinge von Grenze zu Grenze abgeschoben, niemand fühlte sich für ihre existentiellen Nöte verantwortlich, da war sich jeder selbst am nächsten...

(...) Und all das nur, weil ihnen und den gelangweilten Beamten hinter dem Schreibtisch ein Stück Papier trennte, Pass genannt. Ihr Blut hatte die gleiche Temperatur, die gleiche Farbe, ihre Augen hatten die gleiche Konstruktion, ihre Nerven reagierten auf die gleichen Reize, ihre Gedanken liefen in den gleichen Bahnen - und doch trennte sie ein Abgrund, nichts war gleich bei ihnen, das Behagen des einen war die Qual des andern, sie waren Besitzende und Ausgestoßene, und der Abgrund, der sie trennte, war nur ein kleines Stück Papier, auf dem nichts weiter stand als ein Name und ein paar belanglose Daten.

In dem Roman bekommen mehrere Figuren die Hauptrolle und im Anhang habe ich entnehmen können, dass Remarque selbst betroffen war, nicht als Jude aber als Intellektueller, der den Nationalismus nicht unterstützden konnte und dadurch in die Schweiz emigrierte, später in die USA. Von den Nationalsozialisten wurde er ausgebürgert. Als Exilant lernte er viele Flüchtlinge kennen, die ihm ihr Leid beklagten und Remarque neben seine eigenen Erfahrungen viele gehörte Geschichten in seine Bücher hat einfließen lassen. Remarque galt als ein geduldiger Zuhörer.

Es gab Betroffene, die ihren Humor nicht verloren haben und versuchten ihre Lebenssituation von der besten Seite zu sehen. Ludwig Kern, Protestant und Jude zugleich, ist eine von den Hauptfiguren, die sich sagte, dass alles noch besser sei als der Tod. Josef Steiner war der Auffassung, dass alles besser sei als der Krieg und so versuchten sie ihre schwere Lebenslage in Relationen gesetzt zu akzeptieren... .

Viele flüchtende Menschen versuchten an falsche Papiere dran zu kommen, die von Profis für viel Geld illegal ausgestellt wurden. Und nicht jeder besaß dieses Geld... . Josef Steiner hatte das Glück, der in Österreich einen Pass bekommen hat von einem Verstorbenen namens Johann Huber:

Johann Huber! Arbeiter! Du bist tot und verfaulst irgendwo in der Erde von Graz - aber dein Pass lebt und ist gültig für die Behörden. Ich, Josef Steiner, lebe; aber ich bin ohne Pass tot für die Behörden. (…) Tauschen wir, Johann Huber! Gib mir dein papierenes Leben und nimm meinen papierlosen Tod! Wenn die Lebenden uns nicht helfen, müssen die Toten es tun.

Ich fand dieses Zitat total makaber, weshalb ich es mir aufschreiben musste.

Was sind denn im zweiten Weltkrieg noch die Werte gewesen? Auch dies fragen sich viele aus ihrer Heimat Vertriebenen:

Ein rauhes Zeitalter. Der Frieden wird mit Kanonen und Bombenflugzeugen stabilisiert, die Menschlichkeit mit Konzentrationslagern und Pogromen. Wir leben in einer Umkehrung aller Werte. Der Angreifer ist heute der Hüter des Friedens, der Verprügelte und Gehetzte der Störenfried der Welt. Und es gibt ganze Völkerstämme, die das glauben!

"Und es gibt ganze Völkerstämme, die das glauben!" (Das ist ja heute oftmals auch immer noch so. Zu schnell werden von Politiker Feindbilder geschaffen, die kaum einer hinterfragt).

Jeder musste um sein Überleben kämpfen, und sei es, dass Mittellose sich an Mittellose vergreifen. Der gutmütige Ludwig Kern lässt einen Bettler in sein Zimmer und überlässt ihm sein Bett, in dem er zu seiner Freundin ins Zimmer geht und sich zu ihr legt. Kern lässt seinen Koffer aber mit wenigen Habseligkeiten im Zimmer zurück, weil er dem Bettler nicht das Gefühl geben wolle, als misstraue er ihm. Seine paar Kröten waren in dem Koffer einer Tasche eingenäht, für andere nicht sichtbar... . Kern wurde ausgeraubt. Der Bettler schlief gar nicht in dem Bett, er war nur auf sein Geld aus. Und er hatte problemlos die eingenähte Geheimtasche finden können. Zwei Tage später trifft Kern den Dieb in einem Lokal und konfrontiert ihn mit dem Diebstahl, fordert sein Geld zurück. Ich gebe die "Philosophie" des Diebes wieder:

"Ich brauche das Geld selbst. Sie sind billig davon gekommen. Sie haben für vierzig Franken die größte Lehre empfangen, die es im Leben gibt: Nicht vertrauensselig zu sein."

Glücklicherweise gab es bei der Polizei einen Angestellte, der auf indirekte Art und Weise den gefassten Flüchtling zur Flucht verholfen hat. Mir hat es so gut gefallen, dass ich diese Textstelle auch unbedingt aufschreiben und festhalten möchte:

Es hat keinen Zweck! Zwar habe ich ein verstautes Bein und kann nicht hinter Ihnen herlaufen, aber ich würde sie sofort anrufen und dann meinen Revolver ziehen, wenn sie nicht stehen bleiben. (...) Das dauert natürlich seine Zeit. (…) Sie können mir vielleicht inzwischen entwichen, besonders an einer Stelle, an die wir gleich kommen werden, da sind allerhand Gässchen und Ecken und von Schießenkönnen ist da nicht viel die Rede. Wenn Sie da fliehen würden, könnte ich Sie tatsächlich nicht fangen. Ich müsste Ihnen höchstens vorher Handschellen anlegen.

Natürlich legte er ihm keine Handschellen an... .

Flüchtlinge galten und gelten heute noch immer als kriminell, wenn sie illegal in ein anderes Land einreisen. Das Gesetz machte sie zu Verbrechern. Sie waren Vertriebene und hatten keine andere Wahl, als zu flüchten, wenn sie ihr Leben retten wollten. Sie wurden regelrecht
 in die Illegalität getrieben. Die Grenzen wurden zur Heimat. Ein Bauer in der Schweiz wundert sich, dass Menschen von der Polizei gesucht werden, die nichts verbrochen haben. Ludwig Kern und seine Freundin Ruth suchen bei einem Bauer in der Schweiz Unterschlupf. Ludwig Kern macht dem Bauer ihre Situation deutlich:

Der Bauer schüttelte den Kopf. " Und Sie haben nichts getan? Nichts ausgefressen?"" Wir haben keine Pässe und können keine bekommen, das ist alles."" Das meine ich nicht. Sie haben nicht irgendwo etwas gestohlen oder jemand betrogen oder so etwas?"" Nein."" Und trotzdem jagt man hinter Ihnen her, als wäre ein Steckbrief auf Sie ausgeschrieben?"" Ja."Der Bauer spukte aus." Das verstehe, wer kann, ein einfacher Mann versteht es nicht."

Ludwig Kern wird immer mal wieder von der Polizei gefasst. Dem Richter versucht er deutlich zu machen, dass Menschen wie er nicht anderes können, als gegen das Gesetz zu verstoßen. Es sei schließlich das Gesetz, das sie zu Verbrechern machen würde. Andere Menschen, die in ihrer Heimat bleiben können, kommen erst nicht in diese Lage, das Gesetz zu brechen. Oftmals werden die gefassten Flüchtlinge sogar vorbestraft... .

Remarque beschreibt auch einen Flüchtling, der müde geworden ist, ständig auf der Flucht zu sein und wünscht sich nichts anderes mehr als den Knast. Er begeht in einem Juwelierladen absichtlich einen Diebstahl, damit er eingesperrt wird und nicht mehr flüchten muss. Auch muss er dann als Gefängnisinsasse nicht mehr hungern und nicht mehr frieren. Makaber so eine Handlung aber verständlich, wenn ein Mensch so getrieben wird.

Auch ein Richter denkt an nichts anderes, als an seine Pflicht, an seine berufliche Pflicht, sich an die Gesetze zu halten und Flüchtlinge ohne Papiere zu bestrafen. Kern bekommt von dem Richter ein paar persönliche Fragen gestellt, nach dem das Urteil von ihm ausgesprochen war:

"Glauben Sie noch an irgendetwas?""O ja; ich glaube an den heiligen Egoismus! An die Unbarmherzigkeit! An die Lüge! An die Trägheit des Herzens!"" Das habe ich befürchtet. Wie sollten Sie auch anders…""Es ist noch nicht alles", erwiderte Kern ruhig. "Ich glaube auch an Güte, an Kameradschaft, an Liebe und an Hilfsbereitschaft! Ich habe sie kennengelernt. Mehr vielleicht als mancher, dem es gut geht."

Ich möchte jetzt noch ein letztes Zitat einbringen, das mir auch gut gefallen hat, es geht noch einmal um die Werte, die nicht stark genug waren, den Nationalsozialismus zu besiegen:

Es lebe die Vernichtung des Individuums! Bei den alten Griechen war Denken eine Auszeichnung. Dann wurde es ein Glück. Später eine Krankheit. Heute ist es ein Verbrechen. Die Geschichte der Kultur ist die Leidensgeschichte derer, die sie schufen.

Ich bin jetzt nicht auf die einzelnen Schicksale der Protagonisten eingegangen, habe mich stattdessen ein wenig allgemein gehalten, weil mir die Kernbotschaft einzelner Zitate so wichtig waren.

Die Protagonisten in dem Buch werden nicht einfach mit der letzten gelesenen Seite stumm. Nein, denn sie lebten nicht nur im Nationalsozialismus, sie leben heute noch weiter, in anderen Kriegsländern und oder Krisenländern... oder ähnliches und immer noch werden Menschen aus den verschiedensten Gründen aus ihrer Heimat vertrieben und in die Illegalität getrieben und nach wie vor will niemand diese Menschen haben... . Deshalb ist das Buch nicht nur ein Appell an vergangene Zeiten, nein, der Appel zu mehr Nächstenliebe, zu mehr Menschlichkeit ist bis heute noch gültig, bis morgen, solange wie es an Menschlichkeit in unserer Welt mangelt.


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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 03
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86







Montag, 7. Januar 2013

Erich Maria Remarque / Liebe Deinen Nächsten


Verlag: Kiepenheuer & Witsch TB
2008, 8.95 €
4. Aufl.
Seitenzahl: 340
ISBN-10: 3462027301

Klappentext

Das Schicksal einer kleinen Gruppe politischer Flüchtlinge: Auf der Flucht vor den Nazis sind sie auch im benachbarten Ausland nicht vor Verfolgung sicher. Umgeben von Denunzianten, ohne Paß und Wohnung werden sie in die Illegalität getrieben. In Paris spitzt sich ihre Situation dramatisch zu... 



Autorenportait

Erich Maria Remarque, 1898 in Osnabrück geboren, besuchte das katholische Lehrerseminar. 1916 als Soldat eingezogen, wurde er nach dem Krieg zunächst Aushilfslehrer, später Gelegenheitsarbeiter, schließlich Redakteur in Hannover und Berlin. 1932 verließ Remarque Deutschland und lebte zunächst im Tessin/Schweiz. Seine Bücher “Im Westen nichts Neues” und “Der Weg zurück” wurden 1933 von den Nazis verbrannt, er selber wurde 1938 ausgebürgert. Ab 1941 lebte Remarque offiziell in den UsA und erlangte 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1970 starb er in seiner Wahlheimat Tessin.


Auch Remarque zählt zu meinen Lieblingen. Einige Bücher von ihm habe ich schon gelesen, aber einige auch noch nicht. Aus meiner Liste gelesener Bücher kann man entnehmen, welche Remarque . Bücher ich gelesen habe. Siehe hier:

http://mirella-pagnozzi.blogspot.de/search/label/Literaturliste%20gelesener%20B%C3%BCcher

Den vorliegenden Band hat meine Bücherfreundin Sibylle aus meinem großen SuB ausgewählt, den ich auch mit großer Neugier und Spannung lese, wie die anderen Bänden von Remarque auch.


Sonntag, 6. Januar 2013

Irvin D. Yalom / Das Spinoza-Problem (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Mir hat das Buch größtenteils sehr gut gefallen, mit Ausnahme einiger Stellen, die aber verzeihbar sind. Vielleicht komme ich später darauf zu sprechen... .

Alfred Rosenberg, der eine Größe war in der Gründung der NSDAP und in der Entwicklung des Nationalsozialismus, arbeitete in München als Journalist einer rechten Zeitung, und damit die Gelegenheit wahrnahm, seinen Hass gegen die Juden auszuspielen und publik zu machen. Er verbreitete antisemitisches, populistisches Gedankengut in die Gesellschaft. Rosenberg fiel schon als siebzehnjähriger Schüler auf, dass er die Juden als eine Ausbeutung gegen die arische Rasse abtat, die er damals schon als Rassenfeinde deklarierte, in der festen Überzeugung, sie würden die arische Bevölkerung verunreinigen, wenn nicht rechtzeitig etwas gegen diese abarte Rasse getan werden würde. Rosenberg war durch und durch Antisemit, ihn hat es wirklich gegeben, er ist keine Fiktion des Autors. Mir ist er allerdings in der Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich nie über dem Weg gelaufen und höre ihn hier zum ersten Mal.

Es gibt Figuren in dem Buch, die fiktiv sind, das ist der Psychoanalytiker Friedrich Pfister und die beiden Juden in dem Buchteil zu Spinoza, es sind Jacob und Franco. Doch besonders Franco, der sich mit Spinoza anfreundet, obwohl sie recht unterschiedliche Wege gehen... , hatte die feste Absicht, das Judentum von innen heraus zu verändern, während erhoffte, Spinoza würde von außen verändern... . Spinoza willigte nicht ein, dennoch sind Franco und er seelenverwandte Freunde geblieben... .

Von Spinoza gab es, lt. Autor, wenige Informationen, nicht einmal ein Gemälde gab es von ihm. Spinoza wurde beschrieben, und später, nach seinem Tod, sind Gemälde entstanden in der Art wie Spinoza lt. den Beschreibungen anderer ausgesehen haben könnte.

Spinozas Familie lebte einst in Portugal, in einem katholischen Land, wo Juden und deren Traditionen  bis ins 20. Jhrd. nicht geduldet wurden. Entweder sie konvertierten zum Katholizismus oder sie wanderten aus. Viele emigrierten nach Holland, Amerstdam, da Holland bekannt war für den liberalen und toleranten Staat gegenüber der verschiedenen Religionen... . Spinoza zählt als niederländischer Philosoph, der Portugiesisch als Muttersprache hatte.

Beide Geschichten und beide Persönlichkeiten, Baruch Spinozas und Alfred Rosenbergs, treten abwechselnd auf. Man wird erst ins 18. Jhrd. zurückversetzt, nach einem weiteren Kapitel navigiert uns der Autor in das Kaiserreich, und bis hinein in den Nationalsozialismus und wieder zurück zu Spinoza, usw..

Spinoza ist aus seiner Judengemeinde ausgeschlossen worden, exkommuniziert und niemand, nicht einmal den Familienangehörigen ist es erlaubt, mit ihm zu sprechen. Spinoza entwickelte sich immer mehr zu einem Freidenker... . Man hatte versucht, ihn wegen seiner hohen Intelligenz zum Rabbiner auszubilden, doch Spinoza lehnte großzügig ab und riskierte damit aus der Judengemeinde ausgestoßen zu werden... . Es ist erstaunlich zu lesen, wie gesellschaftliche Riten es immer wieder schaffen, Familienmitglieder, die sich anders entwickelt haben, auszuschließen. Gesellschaftliche Regeln dominieren gegenüber der Liebe eines andersdenkenden Familienmitglieds. Das ist hart... .

Alfred hat einen Freund in Berlin, der Psychoanalytiker ist. Beide kennen sich aber aus der Jugendzeit. Sie haben die selbe Schule besucht, wurden von den selben Lehrern unterrichtet, und hatten sonst noch Gemeinsamkeiten. Alfred entwickelte sich zu einer introvertierten und sehr ernsten Persönlichkeit. Er verlor früh seine Eltern und hat noch einen älteren Bruder. Auch der Psychoanalytiker Friedrich Pfistler verlor früh seine Eltern und so teilen sie ein gemeinsames Schicksal miteinander, allerdings mit unterschiedlichen Wegen und Entwicklungen.

Nun findet eine Psychotherapie statt durch den Freund Friedrich Pfistler. Alfred erfährt, weshalb er Hitleranhänger wird. Diese psychotherapeutischen Gespräche wirkten auf mich nicht wirklich authentisch und arg gekünstelt. Was der Psychotherapeut herausfindet, ist mir nicht neu, wie z.B. dass Alfred in Hitler einen Vaterersatz gefunden habe und unaufhörlich nach seiner Anerkennung giert. Das ist ja eigentlich eine recht gängige Theorie, über die viele andere Analytiker und Soziologen vor Yalom schon recht viel geschrieben haben wie z.B. der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in: Die Unfähigkeit zu trauern. 

Es geht um Kriegsgenerationen, wo Kinder schon früh Familienmitglieder durch den Krieg verloren haben, und den Familien keinen Raum für die Trauerarbeit zur Verfügung gestellt wird, weil der Schmerz schwer auszuhalten wäre, und der Alltag weiterzugehen habe... . Wenn diese Trauer nicht verarbeitet werde, treibe sie im Unbewussten ihr Unwesen und suche sich einen Sündenbock, auf dem der Verlustschmerz projiziert werden könne...  .

So ähnlich ist es auch bei Alfred Rosenberg.

Der Psychoanalytiker Friedrich Pfister hat an mehreren Supervisionssitzungen teilgenommen, und es ihm nun besser möglich wird, Alfred zu therapieren. Doch als er Alfred mit seinem Schatten konfrontiert, und nach den Ursachen forscht, die den Judenhass erklärbar machen, kapituliert der Patient und kündigt Friedrich die Sitzungen und den weiteren Kontakt.

Ich habe nun begriffen, weshalb zwei Welten in dem Buch geschildert werden. Bei Spinoza sind es die Juden, die sehr traditionell und festgefahren leben, und andere Juden aus ihren Gemeinden ausschließen, die sich den Riten widersetzen. Sie sind überzeugt, das von Gott  auserwählte Volk zu sein und bewusst hielten sich die Juden getrennt von den Nichtjuden. Eine sehr engstirnige Glaubensgruppe, im festen Bewusstsein, mit besonderem Blut ausgestattet zu sein, um sich von anderen abzusondern.
Ein Jude bliebe immer ein Jude und dass alle Juden am Ende in die zukünftige himmlische Welt eintreten dürften. Jüdisches Blut sei unzerstörbar , (...) und könne durch nichts ausradiert werden, nicht einmal durch Konversion in einer anderen Religion. (…).
Die Juden selbst waren es, die diese Bluttheorie verbreitet haben und von anderen leichtgläubig übernommen wurde... .

Das mit dem jüdischen Blut konnte wissenschaftlich nie nachgewiesen werden, genauso wenig konnte arisches Blut nachgewiesen werden. Und ebenso wenig das Blut anderer Völker aus anderen Nationen. Dennoch hält man an diesen Theorien noch heute fest.

Und die Juden selbst haben die Theorie verbreitet, dass wer einmal Jude ist, wird immer Jude bleiben. Dennoch schließen sie Menschen wie Spinoza aus ihrer Glaubensgemeinschaft aus. Dann nennt man solche Menschen, das seien exkommunizierte Juden. Der Begriff Jude verliert sich auch durch das Ausschließen nicht.

 Aus meiner Sicht ist es der Wunsch vieler Menschen, ihre Herkunft genetisch festzulegen und erfinden irgendwelche Theorien dazu, die niemand auf ihre Richtigkeit hin überprüft oder gar hinterfragt. Wie viele Menschen aus anderen Religionen haben genauso wie sie  gedacht? Auch sie glaubten das einzige Volk zu sein, das in den Himmelreich tritt, solange sie die Regeln befolgen.

Die Lebensart der Juden aus dem 18. Jhrd. wirkt auf mich arg fundamentalistisch und engstirnig  Und vielleicht erklärt das ein wenig die Unbeliebtheit der Juden innerhalb von Europa und anderswo auch. Diese Intoleranz Andersdenkenden gegenüber ist eine Projektion auf Gott, der solche Menschen nicht dulden würde.. Zurecht stellt sich Spinoza die Frage, was Gott denn davon habe, wenn alle Menschen Gleiches denken und Gleiches tun? Die Juden betrachten es als eine Beleidigung zu Gott, wenn die jüdischen Regeln nicht eingehalten würden. Spinoza befindet sich im Gespräch mit Jacob:
Wer beleidigt Gott? (…) Haben wir uns nicht gerade darauf verständigt, dass Gott vollkommen ist, keine Bedürfnisse hat und kein Wesen ist wie wir? Könnte ein solcher Gott sich überhaupt von einer solchen Trivialität wie meine Art zu lesen beleidigt fühlen?
Spinoza hat das Glück und lernt einen anderen Philosophen kennen namens Van den Enden, der junge, erwachsene Schüler Philosophieunterricht erteilt und nimmt den jungen Spinoza in seine Klasse auf. Van den Enden ist ein Freidenker. Mir hat folgendes Zitat gut gefallen, als der Lehrer zu seinen Schülern spricht:
Ihr jungen Leute, eure Bedürfnisse sind gering, sie sind einfach zu erlangen, und jedes notwendige Leiden kann leicht erduldet werden. Beschwert euer Leben nicht mit trivialen Ziele wie Reichtum und Ruhm. Meidet ihn! Er ist eine Falle. Je mehr wir verlangen, desto mehr begehren wir, und desto tiefer wird unsere Traurigkeit, wenn unsere Sehnsucht nicht erfüllt wird. (…) Wenn ihr Glück und Seligkeit begehrt, verschwendet euer Leben nicht damit, um das zu kämpfen was ihr gar nicht braucht. Ruhm: (…) Ruhm zum Beispiel, besteht aus den Meinungen anderer und verlangt, dass wir unser Leben so leben müssen, wie andere es wünschen. Um Ruhm zu erlangen und zu bewahren, müssen wir mögen, was andere mögen, und das meiden, was immer sie meiden. Folglich ein Leben des Ruhms oder ein Leben in der Politik? Nehmt Reißaus davor. Und Reichtum? Meidet ihn! Er ist eine Falle. Je mehr wir erlangen, desto mehr begehren wir, und desto tiefer wird unsere Traurigkeit, wenn unsere Sehnsucht nicht erfüllt wird. (…) Wenn ihr Glückseligkeit begehrt, verschwendet euer Leben nicht damit, um das zu kämpfen, was ihr gar nicht braucht.
Und ein weiteres Zitat, das ich auch toll finde:
Wenn deine Zufriedenheit mit dir selbst von der Liebe der Menge genährt wird, wirst du immer besorgt sein, denn eine solche Liebe der Menge ist wankelmütig. Er nennt das "eitle Zufriedenheit", weil sie in Wirklichkeit gar keine ist.
Wieder zurück zu Alfred Rosenberg:

Der Analytiker Friedrich Pfister ist in meinen Augen ein wenig arg naiv aufgetreten. Er steht zwar nicht auf der Seite seines kranken Patienten Alfred Rosenbergs, ist demnach kein Antisemit, dennoch lässt er sich das Versprechen von ihm geben, Gesprächsinhalte, die er gegen die NSDAP äußern würde, nicht nach draußen zu tragen. Alfred ist an einer schweren Depression erkrankt und liegt wiederholte Male in der Klinik in Berlin. Von Hitler jede Form der Anerkennung und Zuwendung abgesprochen bekommen zu haben, zerbricht Alfred regelrecht daran und es kommt erneut zu einer Therapie mit Friedrich Pfister... . Alfred wünscht sich die selbe Hilfe von Friedrich, die Goethe von Spinoza erfahren habe. Seelenruhe erlangen durch einen freien Geist, nicht mehr abhängig von anderer Zuwendung zu sein. Frei jeglicher Fessel durch Autoritäten zu werden. Nun war Alfreds Wunsch geistig frei zu werden und endlich äußert er den Wunsch, sich von Hitlers "Liebe" freimachen zu wollen.

Doch nun erhält Alfred Besuch von Hitler, und völlig unerwartet bekommt er die Anerkennung zurück, die er sich von ihm gewünscht hat, und alle therapeutischen Vorsätze schwinden auf einmal. Alfred genest, zumindest nur scheinbar, hält sich für geheilt, und wirft alle weiteren therapeutischen Pläne über Bord und zieht über den Analytiker Friedrich her, der Anhänger der Juden sein würde.

Alfred hat Goethe als einen Antisemiten bezeichnet... . Ich bekomme Gänsehaut bei der Vorstellung Goethe als Antisemit, das passt gar nicht zu seinem Menschenbild. Ich habe einiges von Goethe gelesen, aber nicht abfällig über andere reden gehört... .

Spinoza hat immer kritische Fragen gestellt, die ihm zum Verhängnis wurden. Zu seinen vielen Fragen zählten auch, weshalb den Frauen die Schriftsprache nicht gelehrt werden würde? Warum Frauen aus dem Bibelunterricht (Thora und Talmud) ausgeschlossen werden? Warum tragen sie Kopftücher? Ihm wurde klar, dass die Männer ihre Macht mit den Frauen nicht bereit waren zu teilen... .
Im Geheimen brachte Spinoza seiner Schwester Lesen und Schreiben bei. Er trivialisierte das Gottesbild, das von Menschen phantasiert wird. Warum sollte Gott etwas dagegen haben, wenn man das Brot in einer ganz normalen Bäckerei kauft, die nicht jüdisch ist? Auch bei der Beschneidung; was hat denn die Beschneidung mit Gott zu tun? Warum sollte Gott es wollen, dass Kinder beschnitten werden und ihnen dadurch Schmerzen zugefügt wird?
Wenn man Spinoza liest, und nicht nur Spinoza, dann denkt man an einen rächenden und nicht an einen barmherzigen Gott. Es sind die Menschen, die engstirnig sind, und ihre Rache auf Gott projizieren. Es sind die Menschen, die Andersdenkende aus ihren Kreisen ausstoßen... . Im schlimmsten Fall wurden solche Menschen wie Spinoza auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wie könnte ein barmherziger Gott solch eine tödliche Handlung nur zulassen?

Das Spinoza-Problem? Alfred Rosenberg plünderte das Spinoza-Museum in Amsterdam. Hitler und er hatten beabsichtigt, eine höhere Schule zu gründen, und die Bibliothek mit bestimmten Büchern auszuschmücken. Rosenberg hatte das Ziel, das Spinoza-Problem zu lösen. Dadurch, dass Spinoza exkommuniziert wurde, wusste er nicht so recht, wie er Spinoza einzuordnen hatte, und fragte sich, ob ein Versehen vorliegen würde, und er doch kein Jude war? Schließlich änderte Alfred seine Meinung, dass die intelligenten Ideen Spinozas von anderen deutschen Großdenkern geklaut wurden und bezeichnete seine Ideen als einen großen jüdischen Schwindel.
Alfred kapierte das Problem von Spinoza nicht wirklich... .

Und nun etwas Lustiges: Spinoza ist der Auffassung, dass Dreiecke, wenn sie denken könnten, dann würden sie die Meinung vertreten, dass sie, die Dreiecke, nach dem Ebenbild Gottes entstanden wären, lol. Ein wenig amüsant... . Dieses Bild vertritt Spinoza als Beweis dafür, dass es Gott nicht geben kann und Menschen einfach nur abergläubisch sind.

Spinoza liebte Bücher, aber nicht nur in ihrer geistigen Form, nein, er liebte sie auch materiell. Er hielt die Bücher gerne in den Händen, wiegte sie... sortierte sie immer wieder nach neuem Muster. Mal nach Farben, dann wieder nach der Größe, und ein andermal nach Genre, dann wieder alphabetisch... . Aber seine Bibliothek war sehr winzig. Er hatte einen Bestand von nicht einmal zweihundert Büchern.

Insgesamt aber fand ich seine Gedanken total interessant. Nur die Anschauung mit den Dreiecken fand ich recht suffisant... .

Ich kenne in meinem Bekanntenkreis keinen einzigen Juden und habe nie einen Juden kennengelernt. Warum eigentlich? Mit allen Religionen hatte ich schon die Bekanntschaft gemacht, mit Ausnahme der Juden.

Irvin D. Yalom ist selbst Jude (gewesen), und ich denke, es ist ihm total gut gelungen, sich objektiv diesen beiden Welten zu stellen.

Ich finde, es ist ihm gut gelungen, beide Parteien objektiv auf ihre Problematikhinzulenken. Auf Spinoza fiel ein Attentat, man wünschte ihm nur noch den Tod.
Und es wurde ein Attentat auf Hitler verübt. Beide Welten treten in ihren Extremen auf.

Anmerkung: Fettgedruckte Passagen sind durch mich hervorgehoben!
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Mittwoch, 2. Januar 2013

Irvin D. Yalom / Das Spinoza - Problem




Klappentext
Der jüdische Philosoph Spinoza und der nationalsozialistische Politiker Alfred Rosenberg – nicht nur Jahrhunderte liegen zwischen ihnen, auch ihre Weltanschauungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine ein unbeugsamer Freigeist, der wegen seiner religionskritischen Ansichten aus der jüdischen Gemeinde verbannt wurde und heute als Begründer der modernen Bibelkritik gilt. Der andere ein verbohrter, von Hass zerfressener Antisemit, dessen Schriften ihn zum führenden Ideologen des nationalsozialistischen Regimes machten und der dafür bei den Nürnberger Prozessen zur Rechenschaft gezogen wurde. Und trotzdem gibt es eine Verbindung zwischen ihnen, von der kaum jemand weiß, denn bis zu seinem Tod war Rosenberg wie besessen vom Werk des jüdischen Rationalisten, als dessen »entschiedenster Verehrer« sich kein geringerer als Johann Wolfgang von Goethe bezeichnet. Fesselnd erzählt der große Psychoanalytiker Irvin D. Yalom die Geschichte dieser beiden unterschiedlichen Männer und entführt seine Leser dabei in die Welt der Philosophie und gleichzeitig auch in die Tiefen der menschlichen Psyche.

Autorenportrait
Irvin D. Yalom wurde 1931 als Sohn russischer Einwanderer in Washington, D.C. geboren. Er gilt als einer der einflussreichsten Psychoanalytiker in den USA und ist vielfach ausgezeichnet. Seine Fachbücher gelten als Klassiker. Seine Romane wurden international zu Bestsellern und zeigen, dass die Psychoanalyse Stoff für die schönsten und aufregendsten Geschichten bietet, wenn man sie nur zu erzählen weiß.

 Ich habe von Irvin Yalom alle Bücher gelesen, mit Ausnahme des vorliegenden, das erst kürzlich herausgekommen ist.

Alle seine Bücher haben mich gefesselt, so auch dieses Buch, aus dem ich fünfzig Seiten gelesen habe. Er schreibt viel aus seiner psychoanalytischen Praxis, aber mit einer großen literarischen, schriftstellerischen Begabung. Alles andere als trockene Theorien. Ich liebe ihn... .

Und ich bin nach Abschluss eines jedem von ihm gelesenen Buches immer mit ein bißchen mehr Wissen herausggangen... .
Er hat zu verschiedenen psychiatrischen Krankheitsbilder geschrieben, wie z.B. über die Persönlichkeitsstörung Borderline, und er hat zu verschiedenen Berühmtheiten Biografien, wie z.B. Als Nietsche weinte, verfasst, mit dem Schwerpunkt der psychischen Erkrankung.


Carlos Ruiz Zafón / Der Schatten des Windes (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Die junge Frau Clara, die blind ist, hat durch ein einziges Buch ihr Wesen verändern können. Ich zitiere:

Dieser Roman hat mich gelehrt, dass ich durch Lesen mehr und intensiver leben, dass Lesen mir das verlorene Sehen wiedergeben konnte. Allein deshalb hat mir dieses Buch, das keinem etwas bedeutete, mein Leben verändert.

Der Roman hieß Das rote Haus und wurde von Julián Carax geschrieben  Das Buch schrieb nur eine sehr geringe Verkaufsquote, weshalb nur wenige Bände im Umlauf waren. Von Carax ist auch Der Schatten des Windes geschrieben worden, das sich nun in den Händen eines zehnjährigen Jungen befindet.

Carax verbrennt Bücher, hauptsächlich seine, als wolle er alles Leben darin vernichten... . Ein Leben, in dem er und seine Geliebte betrogen worden sind... .

Bis auf den letzten hundert Seiten war ich mit Rätselraten beschäftigt, und glaubte, dass eine bestimmte Romanfigur aus Der Schatten des Windes sich verselbständigt und sich aus dem Buch geschlichen hat. Eine ominöse Figur mit einer Lederhaut, eine durch schwere Verbrennungen erworbene Lederhaut, die besessen ist, das letzte Buch, das es noch von ihm gibt, an sich zu reißen, um es zu verbrennen.  Ich tippte auf Carax selbst. Daniel Sempere, die Hauptfigur dieses Romans, gehörte einst dieses letzte Buch, das er an Clara weitergeschenkt hatte, und diese an ihren Musiklehrer. Ursprünglich hatte Daniel seinem Vater versprochen, das Buch keinem anderen Menschen weiterzureichen, nicht mal für viel Geld, er sollte stattdessen das Buch adoptieren. Er hatte es sich aus der Galerie selbst ausgesucht. Das Buch stammt aus dem Friedhof vergessener Bücher. An diesem Ort, wo die Bücher nach Verwesung,  nach dem Tod riechen, nach Verlassenheit, Bücher, die in Vergessenheit geraten sind, da sie verwaist sind, herrenlos sozusagen,  und Daniel durfte sich ein Buch aussuchen und für es sorgen, es neu beseelen, nachdem er an diesem Ort eingeweiht wurde:

Was du hier siehst, Daniel, ist ein geheimer Ort, ein Mysterium. Jedes einzelne Buch hat eine Seele. Die Seele ist dessen, der es geschrieben hat, und die Seelen derer, die es gelesen und erlebt und von ihm geträumt haben. Jedes Mal, wenn ein Buch in andere Hände gelangt, jedes Mal, wenn jemand den Blick über die Seiten gleiten lässt, wächst sein Geist und wird stark.

Dieses Zitat hat mir sehr, sehr gefallen. Ich selbst hatte schon wiederholte Male den Eindruck gehabt, dass manche Bücher beseelt seien. Man kann es nicht erklären, wie sich so etwas anfühlt, es ist ein Gespür. Es ist, als würde das Buch zur Leserin sprechen... .

Daniel befindet sich in Gesellschaft von Clara, und Clara ist die Tochter eines Buchhändlers. Clara hat selbst jede Menge Erfahrungen mit Büchern gesammelt, da der Vater eine Bibliothek von etwa vierzehntausend Bänden besitzt. Clara tauscht sich mit Daniel aus, teilt ihm ihre Erfahrungen mit den Büchern mit:

Dieser Roman hat mich gelehrt, dass ich durch Lesen mehr und intensiv erleben, dass Lesen mir das verlorene Sehen wiedergeben konnte. Allein deshalb hat dieses Buch, das keinem etwas bedeutete, mein Leben verändert.

Neben mehrere verzwickte Liebesgeschichten beinhaltet das Buch auch starke, politische Anteile, zum Teil aus dem Bürgerkrieg, aus der Franco-Regierung, und den zweiten Weltkrieg bis 1945. Korruption im Militär und Polizei. In dem Kampf zwischen Gut und Böse fiel ein Zitat, das mir auch gut gefallen hat:

Sündigen Menschen die Seele mit Salmiak putzen, *lol*. 

Also, manchmal muss man einfach Geduld haben mit den Büchern. Ich war wohl auf der richtigen Spur. Erstens: Daniel entdeckt immer mehr Parallelen in seinem Leben, die mit Carax identisch sind.
Zweitens: Es ist tatsächlich so, dass Carax aus den Seiten seines geschriebenen Buches entwicht ist. Und es gibt noch andere, echte Personen, die als eine Romanfigur im Der Schatten des Windes existierten. Doch Carax selbst sagt von sich, dass alle Figuren aus Der Schatte des Windes Teile von ihm selbst seien. Jede Figur sei er selbst.

Das Leben im Der Schatten des Windes verlangt nach einer Auflösung, zu dem es durch widrige Umständen und Intrigen
nicht kommen konnte. Erst Daniel, der sich zu dem Buch hingezogen fühlt, setzt die Geschichte fort, lebt den Inhalt des Romans weiter, er lebt den Roman zu Ende, ohne dass er es selbst weiß. Daniel beendet sozusagen das, was in Carax´ Leben in dem Buch noch offen geblieben ist. Daniel gerät dadurch in einen tiefen Strudel von ernsthaften  existentiellen Gefahren und Intrigen... . Gefahren mit der korrupten Polizei, Intrigen mit der Liebe.

Ich hatte mich gefragt, ob Daniel selber eine Figur aus dem Buch ist, nur dass er davon selbst nichts weiß????? Meine Antwort erhielt ich zum Ende hin; Ja, sie ist es. Julián und Daniel lernen sich kennen, und das Buch wurde erst später zu Ende geschrieben, als sich alle Wogen geglätten haben. Daniel, Bea u.a.m. gehören mit zu diesen Literaturfiguren, und alle hatten ihre Aufgaben und Lebensprüfungen zu bestehen... . Alle diese Figuren, gute oder böse, waren wie ein Band miteinander verknüpft.

Bücher sind Spiegel: Man sieht in ihnen nur, was man schon in sich hat.

Dieses ZITAT bestätigt meine Theorie. Ich bin der selben Ansicht. Deswegen schreibe ich viel lieber über die Eindrücke meiner gelesenen Bücher, statt Rezis, in denen es hauptsächlich um Fakten geht. Denn die Eindrücke sind meine, die die Bücher aus meinem Inneren hervorholen.
Und ein Spiegel war das Buch auch für Daniel, der quasi in Julián Carax´Fußstapfen getreten ist, und sein unvollständiges Leben fortgesetzt hat.

Penélope ist ein junges Mädchen, die den ganzen Tag nur BÜCHER liest. Menschen, die viel lesen, wurden als Faulpelze bezeichnet, die nichts tun würden... . Solche Leute gibt es heute immer noch... .
Und es gibt einen Sigmund Freud - Anhänger, der seine Kameraden psychoanalytisch unter die Lupe nimmt und immer richtig lag mit seinen Charakterisierungen. Penelope büßte ein tragisches Ende, da sie durch Julián, ihren Geliebten, beim Koitus erwischt wurde. Für Julián, der seine Penelope nicht vergessen kann, beginnt ein schweres Leben. Erst sechzehn Jahre später erfährt er von ihrem Tod durch den Vater... . Eine tragische Geschichte  aber nicht nur zwischen diesen beiden jungen Menschen.

Daniel besucht mit seinem Freund Fermin zusammen ein Seniorenheim, um bei der damaligen Kinderfrau von Penelope gewisse Dinge auszukundschaften, was die Romanfigur Julian Carax betrifft. Er weiß noch nicht, dass Penelope nicht mehr lebt und ist auf Spurensuche. Erkenntnisse zu alten Menschen:

Das Alter lässt die Menschen alle lammfromm aussehen, aber hier gibt es ebenso viele Schweinehunde wie draußen, wenn nicht noch mehr. Die da gehören nämlich zu denen, die überlebt und die anderen ins Grab gebracht haben.
Der letzte Satz des obigen Zitats hat mich recht nachdenklich gestimmt, weshalb ich ihn aufschreiben musste.

Das Buch beinhaltet eine Fülle an Geschichten. Größtenteils dramatische Geschichten. Die vielen Details der vielen Figuren halte ich für eine geistige Herausforderung, positiver Art.

Das Buch war nicht ganz leicht zu lesen. Vorhandene komplizierte und komplexe Strukturen in den Figuren und im Alltag des Romans. Durch die vielen erzählten Geschichten musste man immer wachsam sein und sich die Figuren merken, die man hauptsächlich nur aus den Erzählungen kannte... .  Jede Menge Ecken und Kanten, und gerade das ist es, was die Lektüre lesenswert gemacht hat. Der Autor hat sich wirklich viel einfallen lassen..


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Samstag, 29. Dezember 2012

Carlos Ruiz Zafón / Der Schatten des Windes


Taschenbuch: 855 Seiten

Suhrkamp Verlag; Auflage: 2 (30. Juli 2007)


ISBN-10: 3518459023


12,90 €





Klappentext


An einem dunstigen Sommermorgen des Jahres 1945 wird der junge Daniel Sempere von seinem Vater an einen geheimnisvollen Ort in Barcelona geführt - den Friedhof der Vergessenen Bücher. Dort entdeckt Daniel den Roman eines verschollenen Autors für sich, er heißt >Der Schatten des Windes<, und er wird sein Leben verändern ... Carlos Ruiz Zafón eroberte mit seinem Buch die Herzen leidenschaftlicher Leser rund um den Globus. >Der Schatten des Windes< bildet den Auftakt eines einzigartigen, fesselnden und berührenden Werks, er ist der erste von vier Barcelona-Romanen um den Friedhof der Vergessenen Bücher und die Buchhändler Sempere & Söhne. Auf >Der Schatten des Windes< folgten >Das Spiel des Engels< und >Der Gefangene des Himmels<.


Autorenportrait

Carlos Ruiz Zafón wurde am 25. September 1964 in Barcelona geboren und besuchte dort die Jesuitenschule Sarrià. Beruflich war er später zunächst in einer Werbeagentur tätig. 1993 erhielt der damals 29-Jährige für seinen ersten Roman El príncipe de la niebla (dt. Der Fürst des Nebels, 1996) einen Jugendliteraturpreis. Mit seinem Roman La sombra del viento (dt. Der Schatten des Windes) katapultierte er sich an die Spitze der Bestseller-Listen. Seit 1994 lebt er in Los Angeles, arbeitet als Drehbuchautor und schreibt für die spanischen Tageszeitungen El País und La Vanguardia.

Der Autor ist mir nicht unbekannt, habe von ihm das Buch Marina, gelesen, dessen Inhalt ich mir behalten habe, obwohl es mir nicht besonders gut gefallen hatte. Man sollte einem Autor trotzdem nochmals eine zweite Chance geben. Das obige Buch wurde zudem auch unter Bücherfreunde hoch gelobt, so dass ich von deren Begeisterung ein wenig angesteckt wurde.

Der Suhrkamp hat das Buch in Großdruck herausgegeben, was die hohe Seitenzahl erklärt. 


Freitag, 28. Dezember 2012

Abdel Sellou / Einfach Freunde (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Zu Philippe Pozzo di Borgos Band Ziemlich beste Freunde habe ich nicht so viele schönen Eindrücke wiedergeben können, anders zu dem Band von Abdel Sellous Einfach Freunde.
Das Buch habe ich im Vergleich dazu mit großem Interesse gelesen, während Pozzo ich einfach langweilig fand. Nun bin ich doch motiviert, mir auch die Verfilmung anzusehen.

Zwar ist Abel in seiner Jugend ein Großkotz gewesen, lebte kriminell, ab seiner Volljährigkeit hatte die Justiz keine Rücksicht mehr auf ihn nehmen müssen. Er saß wiederholte Male im Knast, und er beschrieb den Knast fast wie ein Fünfsterne Hotel, aber Kost und Logis frei. Bei diesem Gelabere bekam ich ein wenig Gänsehaut, ich musste an Dickens, Fallada, an Dumas denken, sie alle haben über die Gefängnisse ihrer Zeit geschrieben und ihnen ist es sicher mitzuverdanken, dass die Menschen nicht mehr in dunkle, feuchte Kellerlöcher eingebuchtet werden. Ihnen habe wir es mit zu verdanken  dass die Inhaftierten heute ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt werden und da kommt so ein Abdel Sellous daher und lässt diese Sprüche ab. Es gibt genug Politiker, die diese Meinung auch vertreten und da wäre ich vorsichtig mit solchen Äußerungen... .

Also mich schreckt das Gefängnis kein bisschen. Wenn's dort wirklich so schlimm wäre, würden sich die Häftlinge nach ihrer Entlassung doch gleich eine ehrliche Arbeit suchen, um nie wieder eingelocht zu werden. Ich kann mir mein Sandwich in aller Ruhe schmecken lassen, kein Grund zur Panik.  (…). Zehn Monate Gefängnis also, nicht mal ein Jahr. Das Urteil bringt mich nicht aus der Ruhe. Fast bin ich erleichtert, wie der Obdachlose, der auf freie Unterkunft und Verpflegung aus ist. (…)
Willkommen im Erholungsheim. (...) Die Riegel schnappen auf. Ich strecke und lehne mich, massiere mir den Nacken, gähne ausgiebig. Bald wird der Kaffee serviert, im Flur rollt der Wagen immer näher. Ich strecke meinen Becher aus, greife mir das Tablett, lege mich wieder hin. (…) Frühstückt im Bett, was will das Volk mehr? Ein bisschen Ruhe vielleicht.

Es geht immer weiter so, die Beschreibung aus seinem Knast, assoziiert mit einem Erholungsheim.

Abdel Sellou ist in Algerien geboren und wurde zusammen mit seinem um ein Jahr älteren Bruder mit vier Jahren nach Paris geschickt, zu seiner Tante und seinem Onkel, die seine neuen Eltern werden, ohne Adoptionsverfahren. Für Abdel ist es ganz normal, dass Eltern ihre Kinder fortschicken, ist in seiner Kultur weit verbreitet. Während Schulpsychologen den Elternverlust als Verlust bezeichnen, der zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt habe, bagatellisiert Abdel sein Erlebnis. Ich kann mir selbst auch vorstellen, dass die beiden Kinder einen Kulturschock erlitten haben... .
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit gerade mal vier Jahren schon sagen kann was gesellschaftlich  normal und was nicht normal ist.

Abdel belustigt sich über die Kindererziehung in Frankreich. Während französische Kinder an der Leine geführt werden würden, werden afrikanische Kinder recht früh losgelassen, um eigene Erfahrungen zu machen.

Ich konnte mich nicht in andere Menschen rein versetzen. Ich kam nicht mal auf die Idee, es zu versuchen. Hätte mich einer gefragt, wie sich wohl ein Junge fühlt der gerade ausgeraubt wurde, wäre ich in ein hämisches Kichern verfallen. Da an mir alles abprallte, musste es den anderen zwangsläufig ähnlich ergehen, erst recht diese Muttersöhnchen, die mit einem Silberlöffel im Mund auf die Welt gekommen waren.

Die Polizei selbst besaß Kinder und Jugendlichen gegenüber eine recht hohe Toleranzgrenze. Immer, wenn Abdel beim Stehlen erwischt und auf des Revier gebracht wurde, war er innerhalb kürzester Zeit wieder auf der Straße. Grenzen habe er auch von den Polizisten bis zum seinem achtzehnten Lebensjahr nicht wirklich erfahren.

Seine neuen Eltern mischten sich nicht in die Entwicklung des Kindes ein, da ihre Kultur vorschreibt, dass Kinder heranwachsen sollen, indem sie ihre eigenen Erfahrungen machen sollen. Als die Eltern gemerkt haben, dass Abdels Entwicklung immer mehr mit kriminellem Potential behaftet war, war es schon zu spät. Kinder brauchen Grenzen und diese Grenzen hat Abdel nie zu spüren bekommen.

Die Psychologin versuchte Kontakt mit Abduls Eltern aufzunehmen:

Madame Sellou, Monsieur Sellou, ich darf Sie daran erinnern, dass sie für diesen Jungen die Verantwortung tragen, und zwar bis zu seiner Volljährigkeit, die in Frankreich mit 18 Jahren erreicht ist. Bis dahin müssen sie ihn beschützen, auch gegen seinen Willen. Ein Kind bedeutet keine Last, sondern eine Aufgabe, die Eltern zu erfüllen haben.

Die Eltern waren zwar gewillt etwas zu verändern, doch, wie schon gesagt, es war zu spät, Abdel ging weiterhin seinen eigenen Weg.
Und eigentlich ist es Abdel gewesen, der den Eltern sagte, was sie zu tun und was sie zu lassen haben. Die Eltern hielten es für ein Zeichen von Liebe, wenn sie ihren Kindern alles durchgehen lassen. Selten haben sie Verbote ausgesprochen, weil sie nicht wussten, dass diese zu der Erziehung dazugehören. Abdel bezeichnete es so, als fehlten den Eltern für die Kindererziehung die Gebrauchsanweisung.

Abdel lernt Philippe Pozzo di Borgo kennen, als er vom Arbeitsamt die Stellenbeschreibung in die Hand gedrückt bekommt. Pozzo ist ein Tetraplagiker, und er sucht einen Intensivpfleger. Erst konnte Abdel nichts mit dieser Stellenbeschreibung anfangen, ein Großkotz, der jetzt zu sozialem Denken und Handeln herausgefordert wird. Pozzo hatte viele Bewerber, aber er entschied sich ziemlich schnell für Abdel. Abdel, ein Krimineller, daraus machte er kein Geheimnis, hoffte, ihn damit abzuschrecken, doch Pozzo ließ sich nicht abschrecken. Pozzo war in der Lage, tief in Abdels Seele zu schauen, und entdeckten dort ein großes Herz. Nachdem Abdel sich mit dieser Pflegestelle angefreundet hatte, er schlug eine Probezeit vor, weil er sich für diese Stelle als absolut ungeeignet vorkam,  war sein Lebensmotto immer wieder, Menschen müssen in der Not zusammenhalten, schließlich wären Menschen keine Tiere.

Beide Menschen lernen voneinander  es entsteht eine tiefe Freundschaft. Mir hatte auch Pozzo imponiert, dass er diesem Menschen von Abdel unbedingt eine Chance geben wollte. Was Abdel nicht wusste, wusste Pozzo, dass Abdel genau der richtige Mann für ihn war. Mittlerweile konnte auch Abdel diese freundschaftliche Entwicklung mit seinem Patienten nicht mehr aufhalten. Mit viel Humor, Fantasie und Kreativität konnte er Pozzo zehn lange Jahre begleiten und Abdel selbst reifte zu einem Mann heran, der nun weiß, was Verantwortung bedeutet, sich selbst und seinem Gefährten gegenüber. Zur Abwechslung konnte Abdel auch richtig philosophisch werden:

Aber wer bin ich, um über das Leiden zu sprechen, über Scham und Behinderung? Ich habe bloß etwas mehr Glück gehabt als die große Masse der Blinden, die nichts gesehen hatten, bevor sie ziemlich beste Freunde gesehen haben.

Zum ersten Mal erlebe ich Abdul als jemanden, der einen anderen Menschen achten konnte, ihn mit Respekt anzupacken wusste.

Von Monsieur Pozzo schließlich und vor allem, Monsieur Pozzo mit großem M, großem P und allem anderen auch groß von der Intelligenz und dem Banksafe :D bis zur Demut. (…).

Ich reihe nun einen letztes Zitat an, das mir auch gut gefallen hat, weil es die Perspektive zeigt, die plötzlich wie vertauscht zwischen Pozzo und Abdul eine andere wird:

Pozzo hat mir seinen Rollstuhl wie eine Krücke angeboten, auf der ich mich abstützen konnte. Ich benutze sie noch heute.

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Mittwoch, 26. Dezember 2012

Abdel Sellou / Einfach Freunde


Ullstein Verlag

TB, 256 Seiten € 9,99 [D]
Erschienen: 12.03.12
SBN-10: 354828518X


Klappentext
In Ziemlich beste Freunde hat er die Zuschauer verzaubert – jetzt erzählt Abdel Sellou, das reale Vorbild für den Pfleger Driss, zum ersten Mal seine eigene Geschichte.
„Letztes Jahr sind Philippe und ich die Helden eines fabelhaften Films geworden: Ziemlich beste Freunde. Plötzlich will jeder mit uns befreundet sein! Alles, was die beiden im Film machen – Verfolgungsjagden im Luxusschlitten, Gleitschirmfliegen, Nachtspaziergänge durch Paris –, haben wir wirklich erlebt. Aber da ist noch viel mehr …“
Mit einem Nachwort von Philippe Pozzo di Borgo.


Autoreportrait im Klappentext
Abdel Yasmin Sellou wurde 1971 in Algier/ Algerien geboren. Er kam im Alter von vier Jahren nach Paris, wo er schon bald auf die schiefe Bahn geriet. Mit Anfa ng zwanzig stellte ihn Philippe Pozzo di Borgo als Pfleger ein – der Beginn einer großen Freundschaft, die beide Männer bis heute verbindet. Heute ist Sellou verheiratet und Vater dreier Kinder, er lebt in Algerien und Paris.

Auf das Buch bin ich aufmerksam gemacht worden über ein Literaturforum, worüber viele so sehr geschwärmt hatten.  Aber mir hat das erste Buch Ziemlich beste Freunde von Philippe Pozzo, die Freundschaft aus seiner Sicht geschrieben, gar nicht gefallen. Ich war ein wenig enttäuscht, was der Grund war, weshalb ich das vorliegende Buch nun als letztes zum lesen aus meinem kleinen SuB ausgewählt habe. Dieser Band dagegen liest sich anders. Ich habe gestern Abend ein wenig darin gelesen, um auf den Vorgeschmack zu kommen, und diesmal bin ich positiv überrascht worden. Mir gefällt das Buch ganz gut..
Mal schauen, ob es auch so bleibt.



Heide Koehne / Der Buchladen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Es ist nicht so abgehoben gewesen aber trotzdem interessant. Habe mir ein paar Textstellen markiert, die ich hier nun füllen möchte. Die Protagonistin des Romans sollte eigentlich Irma Schrei sein, für mich aber ist es die kleine Tochter Gertrud. Für mich ist sie die Heldin dieser Geschichte. Das Buch spricht aus der Ich-Perspektive, Gertrude, die Tochter von der Buchhändlerin, die erzählt.

Die junge und alleinstehende Irma eröffnet mit Anfang zwanzig eine Leihbücherei, die auch recht gut läuft. Ich wusste nicht, dass es früher so eine Art von Bücherei gab, wo die LeserInnen Kunden waren, die für jedes ausgeliehene Buch eine Gebühr zu entrichten hatten. Es gab sogar Verlage, die ausschließlich Bücher für Leihbüchereien publizierten. Irma war in ihrem Wesen ein recht introvertierter Mensch, der sich in die Bücher ihres Buchladens vertiefte. Sie las ein Buch nach dem anderen, wenn keine Kunden im Laden waren. Die Kunden schätzen sehr ihre ruhige und kenntnisreiche Art, weshalb sich viele Kunden zu ihr hingezogen fühlten. Viele kamen, um sich bei ihr auszusprechen, und Irma hörte zu, ohne viel sprechen zu müssen...

Irma bekommt ein Kind, es ist das Kind eines Buchlieferanten namens Hans Schrei, den sie geheiratet hatte. Hans arbeitete und wohnte in Frankfurt Main, recht weit weg von seiner Familie, während Irma aus dem hohen Norden Niedersachsen kommt, so blieb Hans meist über das Wochenende bei seiner Familie. Eigentlich der ideale Mann für Irma Reich, hätte Hans da mitgespielt.. .

Mich hat dieses Kind so sehr berührt. Gertrud wurde auf eine warme Decke gelegt, am Boden neben dem Schreibtisch ihrer Mutter. Das Kind passte sich der Stille ihrer Mutter an, indem es sich auch still verhält. Kinder haben in dem Alter schon soviel Einfühlvermögen, dass sie sehr genau spüren, was die Mutter braucht, damit sie glücklich ist. Das Kind weiß unbewusst, dass es selbst auch nur glücklich sein kann, wenn die  Mutter glücklich ist. Als es krabbeln konnte, krabbelte es zu den Vorhängen am Fenster, versteckte sich dahinter und hoffte, ihre Mutter würde sie vermissen und nach ihr suchen. Die Mutter, vertieft in ihrem Buch, vermisste das Kind nicht, also blieb dem Kind nichts anderes übrig, als sich ohne viel Lärm wieder zurück auf ihre Decke zu krabbeln.

Ich denke dabei an die Psychoanalytikerin Alice Miller, an das von ihr geschriebene Buch Das Drama des begabten Kindes, wo sich Kinder schon recht früh in die Bedürfnisse ihrer Eltern begeben und vielmals auch deren Bedürfnisse erfüllen, während die eigenen Bedürfnisse auf der Strecke bleiben und sich das Kind emotional nicht weiter entwickeln kann wie es sollte.

Wenn die Ladenglocke ging und Kunden den Laden betreten hatten, pflegte meine Mutter ihr Buch umgekehrt auf den Tisch zu legen und widmete sich ihnen anfangs mit einem leicht abwesenden Gesichtsausdruck, als sei sie immer noch eine der Figuren aus ihrem Buch und lebe nun dort ihr eigentliches Leben.

Die Ehe mit Hans Reich scheiterte, da er ein Mensch war, der oft das Gespräch zu seiner Frau suchte, seine Frau allerdings auf taktlose Art die Gespräche blockierte, da sie auf Konversationen einfach keine Lust verspürte. Auch Gertrud hatte wenig Bezug zu ihrem Vater... .

Wenn der Vater während des Essens ein bisschen von diesem oder jenem erzählte, wie es seine Art war, hat niemand von uns auch nur das Gesicht verzogen geschweige denn selber etwas erzählt, der Vater hatte immer nervöser und das Schweigen, das ihn umgab, hinein gesprochen, bis ihn die Mutter schließlich unterbrochen und gesagt hat, er solle nicht so viel reden, sonst wird das Essen kalt. Dann verstummte der Vater sofort, und obwohl er, um die Fassade zu wahren, den Mund zu einem gleichen Lächeln verzog, half ihm das nicht viel. Denn wir, die Mutter und ich, durchschauten ihn trotzdem - die Mutter sowieso und ich, weil ich war wie sie: Mutters kleiner Schatten.

Hans suchte keinen Streit, sondern zog sich klammheimlich zurück, kam an den Wochenenden nicht mehr nach Hause... .
Am nächsten Morgen, wenn ich aufwachte, war der Vater bereits wieder fort.Ich kann nicht sagen, dass die Mutter traurig gewirkt hat, wenn sie wieder allein war. Sie hat sich zumindest nichts anmerken lassen. Außerdem: wirklich allein war sie nicht, wenn der Vater wieder fort war. Sie hatte ja ihren Buchladen und ihre Bücher. Und dann hatte sie auch noch mich.
Hans Reich ließ sich nicht mehr blicken und suchte sich eine neue Frau, von der er bereits mittlerweile auch ein Kind hatte. Erst ein paar Jahre später erhält Irma und Gertrud wieder Post von ihm. Hans wollte sich scheiden lassen und erwähnte auch darin, dass ihm Gertrud leid täte bei einer Mutter wie Irma aufzuwachsen. Irma war recht erstaunt und auch traurig darüber. Sie verweigerte somit die Scheidung.

Warum ist Gertrud die Heldin? Sie kümmerte sich um die Bedürfnisse ihrer Mutter. Recht früh übernahm sie Haushaltspflichten, kochte zweimal am Tag für sich und für ihre Mutter, und brachte die Küche immer wieder auf Vordermann. Sie konnte der Mutter alle Wünsche von den Augen ablesen... . Sie wurde auch schon recht früh mit einem Einkaufszettel losgeschickt. Als sie eingeschult wurde, konnte sie keinen rechten Bezug zu ihrer Lehrerin finden. Die Lehrerin ignorierte sie. Gertrud war von ihrer Statur her eher ein großes Kind, wirkte dadurch auch älter. Ihre Lehrerin hatte mehr ein Faible für die ganz kleinen und schüchternen Kinder in ihrer Klasse. Gertrud litt darunter, dass sie nicht beachtet wird. Auch ihre Schulkameraden passten sich unbewusst dem Verhalten ihrer Lehrerin an, so dass Gertrud ein Sonderling in ihrer Klasse wurde, niemand wollte mit ihr zu tun haben. Ihre Leistungen waren nicht einmal mittelmäßig, wobei ich der Meinung bin, dass es an dem Verhalten ihrer Lehrerin als auch an ihrer Mutter lag, dass Gertrud eine der schlechteste Schülerin ihrer Klasse war. Mit der Zeit wurde sie auch fettleibig. Ihre Mutter war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, so dass Gertruds Entwicklung kognitiver und physischer Art sich eher in die falsche Richtung sich verselbständigte. Gertrud wirkt aber alles andere als unglücklich. Für sie wurde es zur Selbstverständlichkeit, ganz für die Mutter dazu sein, indem sie ihre eigene Bedürftigkeit unbewusst zurücksteckte.

Dies ist der Grund, weshalb für mich die kleine Gertrud die eigentliche Protagonistin für mich ist. An dieser Stelle empfehle ich jedem, der oder die sich für diese Thematik interessiert das Buch von Alice Miller Das Drama des begabten Kindes. Auswirkungen und Probleme entstehen meist erst im erwachsenen Alter.

Es ist noch einiges mehr passiert, verweise aber auf das Buch... .


Hier das Buch:



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Sonntag, 23. Dezember 2012

Heide Koehne / Der Buchladen


Verlag: Berlin University Press
2011, 19,90 €
Seitenzahl: 167
ISBN-10: 386280013X


Klappentext

Gertruds Mutter ist 21 Jahre alt, als sie drei Jahre nach Ende des Krieges in einer kleinen Wohnstraße in einer Stadt am Rand der Lüneburger Heide einen Leihbuchladen eröffnet. Die Romane, die sie über einen Leihbuchverlag erhält, ¿waren auf dickem, weißem Papier gedruckt in einer großen, gut leserlichen Schrift. Die Umschläge der Romane erinnerten die Mutter an die Filmplakate, die in den Schaukästen der Kinos hingen. Alle Buchumschläge waren in schwarz-weiß gedruckt und hatten einen leichten Gelbstich, so wie der Himmel aussieht, bevor es ein Gewitter gibt.¿
Gertrud erzählt aus der Sicht einer Elfjährigen von ihrem Leben im Schatten einer ungewollt lieblosen Mutter, von Einsamkeit und Wut unter einer stillen Oberfläche, von ihrem Leben als Außenseiterin; von ihrem Vater, der schon früh wieder aus ihrem Leben verschwindet, von Fräulein Lakaschus, der Nachbarin, und schließlich von Ludwig Herz, der großen Liebe ihrer Mutter ... 

Autorenportrait
 Heide Koehne geboren 1948 in Papenburg, Schauspielerin, seit mehreren Jahren Mitarbeiterin im Spiegel-Verlag. „Der Buchladen“ ist ihr vierter Roman.

Ich selbst kenne die Autorin nicht, das Buch ist mir durch meine Buchfreundin Anne zugekommen, die es mir schenkte. Eigentlich wollte ich das Buch schon längst gelesen haben. Dadurch, dass ich dünne Bücher mir aufhebe für Zeiten die stressig sind, hatte sich für mich die Gelegenheit aus verschiedenen Gründen nicht ergeben.

Nun ist es das zweitletzte Buch aus meinem kleinen SuB, das ich mir nun vornehme.




Jerome David Salinger / Der Fänger im Roggen (2)

Zweite Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Holden Caulfield ist der Held dieser Geschichte. Er ist siebzehn Jahre alt, hat im seitlichen Nacken seit Kindesbeinen eine graue Haarsträhne, die ihm oft nützlich ist, wenn er als Minderjähiger Alkohol kaufen möchte... Das ist sein Erkennungsmal, dass er schon zu den älteren Leuten gehört.

Holden zeigt immense Probleme mit seinem sozialen Umfeld, generell mit der Gesellschaft. Er hat einen älteren Bruder mit den Initialien D.B., der ein erfolgreicher Schriftsteller ist und nicht mehr zu Hause wohnt. Desweiteren hat er zwei jüngere Geschwister, einen kleineren Bruder, der verstorben ist und hat noch eine jüngere Schwester Phoebe, gerade mal zehn Jahre alt und Musterschülerin ist. Auch der verstorbene Bruder war ein Musterschüler, nur Haldon ist das Sorgenkind der Familie. Der Vater ist Rechtsanwalt von Beruf.

Holden fliegt von der vierten Schule, da er durch fast alle Prüfungen gerasselt ist, zumindest war das auf der letzten Schule so. Nicht, weil er dumm ist, im Gegenteil, er ist sehr belesen, liebt die Literatur über alles, hauptsächlich auch die von seinem Bruders D. B. geschriebene. Bruder D. B. ist außerdem sein Lieblingsautor.

Am liebsten mag ich Bücher, die wenigstens ab und zu mal komisch sind. Ich lese eine Menge Klassiker wie "Die Rückkehr von Thomas Hardy" und so, die gefallen mir, und ich lese eine Menge Kriegsbücher und Kriminalromane, aber die hauen mich nicht besonders vom Hocker. Was mich richtig umhaut, sind Bücher, bei denen man sich wünscht, wenn man es ganz ausgelesen hat, der Autor, der es geschrieben hat, wäre irrsinnig mit einem befreundet und man könnte ihn jederzeit, wenn man Lust hat, anrufen.

Holden verarscht die Leute seines Umfelds, denkt sich Lügengeschichten aus, die mich amüsierten, solange ich ja nicht die jenige bin, die er beschummelt.
Holden sollte noch bis Mittwoch im Internat bleiben, da es erst dann Weihnachtsferien gab, aber er hält es dort nicht länger aus, und verläßt die Bildungseinrichtung drei Tage früher, ohne sich von den Kameraden oder den Lehrern verabschiedet zu haben.

Er setzt sich in den Zug, der nach New-York City fährt und dort macht er Bekanntschaft mit Mrs. Morrow, die Mutter seines Klassenkameraden, den er eigentlich verachtet. Aber Holden tut so, als habe er Achtung vor ihm und erzählte der Mutter allerhand tolle Dinge über ihren Sohn:

Die gute Mrs. Morrow sagte gar nichts, aber Mann, die hättet ihr sehen sollen. Die saß fest gewachsen auf ihrem Platz. Jede Mutter will doch bloß nur eins hören, nämlich, was für ein Spitzentyp ihr Sohn ist.

Als die Mutter schließlich ihn fragte, wie er hieß, gab Holdon hier einen falschen Namen an, und zwar den Namen eines ehemaligen Sportlehrers. Mrs. Morrow erkundigte sich, weshalb er so früh schon nach Hause fahre, ob jemand aus der Familie erkrankt sei? Holden verneinte die Frage, in der Familie seien sie alle gesund, aber er sei krank, er habe einen kleinen Tumor im Kopf, der so schnell wie möglich herausoperiert werden müsse. Mrs. Morrow erschrak, als sie schließlich ihre Hand an den Mund legte. Bei dieser Szene musste ich furchtbar lachen, aber auch nur, weil ich wusste, dass Holden log. Denn sonst hätte ich genauso reagiert wie Mrs. Morrow.

Mir stellte sich die Frage, was machen die Leute innerlich mit dem, was man ihnen mitteilt? Holden hat es mir gezeigt... .

Es folgt nun eine weitere Szene, die mir gut gefallen hat. Holden befindet sich mit einem Mädchen im Kino. Der Film schien recht traurig zu sein, zumindest machte er die Augen vieler Zuschauer nass. Das nervt Holden gewaltig:

Was mich aber dann erledigte, neben mir saß eine Dame, die den ganzen verfluchten Film durchheulte. Je verlogener er wurde, desto mehr heulte sie. Ihr hättet wahrscheinlich geglaubt, sie heult, weil sie ungeheuer gutherzig ist, aber ich saß direkt neben ihr, und das war sie nicht. Sie hatte einen kleinen Jungen dabei, der sich ungeheuer langweilte und auf die Toilette musste, aber sie ging nicht mit ihm raus. Ständig sagte sie zu ihm, er soll still sitzen und sich benehmen. Sie war ungefähr so gutherzig wie ein verfluchter Wolf. Da heulen sich wegen so einem verlogenen Kram in einem Film die verfluchten Augen aus, und in neun von zehn Fällen sind sie im Grunde gemeine Ärsche. Ganz im Ernst.

Der Buchtitel Der Fänger im Roggen, damit hat sich Holden identifiziert, indem er sich vorstellt, wie er kleine Kinder vor dem Abgrund auffängt. Aber er konnte ja nicht einmal sich selber auffangen…

Ich fand die Beziehung, die Holden mit seiner kleinen Schwester pflegte, recht schön und auch außergewöhnlich. Es besteht eine große Geschwisterliebe, oder vielmehr eine Liebe, die einer freundschaftlichen Liebe gleicht. Die Schwester, so jung wie sie ist, geigt ihm so richtig die Meinung, als sie ihn recht schnell zu durchschauen wusste, dass er erneut von der Schule geflogen sei. Die Geschichte, die er ihr auftischt, schien ihr nicht glaubwürdig genug und machte sich große Sorgen, dass der Vater ihn umbringen werde, jetzt, nach dem vierten Rausschmiss. Sie beschimpft ihn ein wenig, dass er an allem etwas auszusetzen habe und es nichts gäbe, was ihm gefallen würde... .

 Holden gehen unreife Fantasien durch den Kopf, was seine Zukunft betraf. Er wollte raus aus dem Elternhaus, verschwinden, und in einer ganz neuen Stadt neu anfangen, weit in den Westen, womöglich an einer Tankstelle einen Job bekommen, und sich am Waldrand ein Häuschen bauen:

Ich dachte, ich könnte irgendwo einen Job an einer Tankstelle kriegen und Benzin und Öl in Autos schütten. Mir war's egal, was für ein Job das sein würde. Bloß dass die Leute mich nicht kannten und ich keinen kannte. Ich dachte, dann könnte ich so tun, als wäre ich einer von diesen Taubstummen. Auf diese Weise brauchte ich mit keinem irgendwelche verfluchten dummen sinnlosen Gespräch zu führen. Wenn niemand mir was sagen wollte, müsste er es auf einen Zettel schreiben und mir hin schieben. Nach einer Weile fänden Sie das sicher ungeheuer langweilig, und dann wäre ich mit der Unterhaltung für den Rest meines Lebens durch. Alle würden glauben, ich wäre einfach ein armer taubstummer Arsch, und mich in Ruhe lassen. Sie würden mich Benzin und Öl in ihren dummen Autos schütten lassen und mir dafür einen Lohn bezahlen, und mit der Kohle, die ich dann machte, würde ich mir irgendwo eine kleine Hütte bauen und für den Rest meines Lebens dort wohnen. (...) ich würde immer selber kochen, und später würde ich dann gern heiraten oder so, was weiß ich, ich würde ein schönes Mädchen kennenlernen, das auch taubstumm wäre, und wir würden heiraten, sie würde zu mir in meine Hütte ziehen, und wenn sie was zu mir sagen wollte, müsste sie es auf einen verfluchten Zettel schreiben wie jeder andere auch. Wenn wir dann Kinder hätten, würden wir sie irgendwo verstecken. Wir könnten ein Haufen Bücher kaufen und ihnen Lesen und Schreiben selber beibringen.

Einerseits sehnt er sich nach Familie und nach geregeltem Leben, aber nur nicht so sein wie andere, und andererseits ist ihm alles schnell bieder.

Der Schluss hat mir besonders gut gefallen, indem Holden zu seinen Lesern spricht und sagt, dass er jetzt nicht verraten möchte, wie seine Geschichte weitergehen werde, und dennoch erfährt man doch eine ganze Menge über seine Zukunftspläne, die zusammen mit den Eltern wohl geschmiedet wurden, er sich in Therapie begeben hat, aber man erfährt es eher in einer indirekten Form:
Ich möchte euch nicht mehr erzählen. Ich könnte euch noch erzählen, was ich machte als ich nach Hause kam, und wie ich krank wurde :), und welche Schule ich im Herbst besuchen werde . Und viele fragen mich, vor allem der Psychoanalytiker, den sie hier haben, ob ich mich in der Schule anstrengen werde, die ich im Herbst besuchen werde... 
Für mich las es sich wie ein ausgesöhntes Ende... .

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2012: 92
Gelesene Bücher 2011: 86


Jerome David Salinger / Der Fänger im Roggen (1)

Erste Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mir hatte das Buch anfangs ganz gut gefallen, da es an vielen Stellen doch auch recht witzig geschrieben war und es mich arg zum Lachen gebracht hat.
Ab der Mitte des Buches allerdings entwickelte es sich ganz anders. Ich konnte das Buch eigentlich nicht mehr riechen, da alles so furchtbar negativ hinterfragt und kommentiert wurde, was das Verhalten der Mitmenschen der jungen Hauptfigur namens Holden Caulfield, siebzehn Jahre alt, betrifft, da vieles eigentlich doch von seinem Denkmuster her sich wiederholt... . Absolut pubertär, ein wenig arg übertrieben. . Aber vielleicht wirkt das nur so auf mich, da uns Holden an seinen Gedanken und seinen Gefühlen teilnehmen lässt, während der Außenstehende davon nichts mitbekommt und nur die Fassade sieht... .

Erst die letzten Kapitel fand ich wieder interessant und schön, da sich etwas in der Beziehungsdynamik geändert hat, die Beziehung zur kleinen zehnjährigen Schwester, die ihm ordentlich die Meinung geblasen hat, als er von der vierten Schule hinausgeworfen wurde... . Ein junger Mensch, der mich so richtig an Edgar Wibeau zurückerinnern lässt, geschrieben von Ulrich Plenzdorf, Die neuen Leiden des jungen W. , der irgendwie alles und jeden hinterfragt und nichts wirklich gut heißt . Edgar Wibeau hatte sich zwar hauptsächlich auf die unglückliche Liebe bezogen, aber gleichzeitig doch auch die spießige Gesellschaft der 1970er Jahre hinterfragt und abgelehnt hat. Plenzdorfs Geschichte allerdings endet tragisch, während beim Sänger sie positiv endet.

Die Jugendsprache fand ich bei Sänger aus meiner Sicht ein wenig gekünstelt dargestellt... . Da ich nun allgemein meine Eindrücke geschildert habe, schreibe ich die Buchbesprechung im nächsten Posting, s. oben.