Eine Buchbesprechung zur
o. g. Lektüre
Das Buch habe ich seit
Samstagmittag durch und es hat mir recht gut gefallen, obwohl mich ein paar
wenige Punkte nicht überzeugt haben. Komme später darauf zu sprechen. Habe ein
paar Zettelchen im Buch kleben, die ich nun bearbeiten werde.
Manche Begrifflichkeiten waren
nicht korrekt, wie z. B. die Legasthenie, die im Buch als eine typisch
amerikanische psychische Labilität beschrieben wird. Wahrscheinlich hat die
Autorin das ADHS gemeint und mit der Legasthenie verwechselt. Es ist
tatsächlich so, dass in Amerika viele amerikanische Kinder diese ADHS-Diagnose
erhalten, die einen kritisch stimmen …
Auch sind einige Schreibfehler
enthalten.
Zur Erinnerung gebe ich erneut den
Klappentext rein:
Die junge
Albanerin Lula – schlagfertig, trinkfest und nie um eine gute Lügengeschichte
verlegen – lebt als Kindermädchen bei Mister Stanley, der an der Wall Street
arbeitet, und dessen halbwüchsigem Sohn Zeke, nachdem Mister Stanleys Frau die
Familie Hals über Kopf verlassen hat. Unterstützt von einem hoffnungslos idealistischen
Einwanderungsanwalt, bemüht sich Lula um die begehrte Greencard. Die Tage im
trübsinnigen New Jersey verstreichen mehr oder weniger ereignislos, bis Lulas
Landsmann Alvo vor der Tür steht und mit einer riskanten Bitte aufwartet …
Die Szenen mit dem Landsmann Alvo und seiner Crew hat mich nicht
wirklich überzeugt. Kam mir ein wenig naiv vor. Urplötzlich stehen diese vor Lulas Haustür und bekennen
sich als ihre großen Brüder, eher symbolisch als
genetisch gemeint. Mir kamen sie recht mafiosi- oder terroristisch vor,
weshalb mir der Schluss ein wenig unpassend erschien. Doch mehr möchte ich dazu
nicht verraten. Wahrscheinlich war sich die Autorin noch nicht schlüssig, welche
Rolle sie ihnen geben sollte …
Das Lügen auf Albanisch wird schon auf den ersten Seiten deutlich, was
konkret damit gemeint ist:
Früher, bei Lula zu Hause, wo das Lügen jahrzehntelang eine
massenhaft verbreitete Lebensweise gewesen war, wo man zustimmte, dass Tag
Nacht war, wenn man glaubte, dadurch seine Kinder retten zu können, hatte sie
nie gelogen, fast nie. Sie hatte so gut wie nie gelogen, bis sie ihr
Touristenvisum für die USA beantragte. Doch seit sie hier war, schien sie mit
dem Lügen gar nicht mehr aufhören zu können.
Hier prallen zwei Kulturen aufeinander.
Lula, aus dem kommunistischen Albanien, und Amerika, das angebliche Land der Freiheit.
Doch der Preis ist hoch, wenn Lula
gezwungen wird, ihre Identität als Albanerin zu verleugnen. Immerhin hat sie es
zu einem Arbeitsvisum geschafft. Doch tagtäglich ist sie erneut dem
Anpassungsdruck ausgesetzt …
… Auch wenn Lulas Einwandererstatus einstweilen gesichert
war, hatte sie das Gefühl, ihre Zukunft hänge von dem Lügennetz ab, das sie bei
ihrer ersten Begegnung mit Mister Stanley zu knüpfen begonnen hatte. Schuld war
Mister Stanley, weil er ihr eine Frage gestellt hatte, die er selbst hätte
beantworten können, obwohl sie wusste, dass jeder zukünftige Arbeitgeber sie
das auch fragen würde.
Lula ist allein und vermisst ihre
Verwandten in Albanien. Amerika, das Land der Freiheit, zeigt sich nicht gerade
von der tolerantesten Seite, hat Probleme, Menschen mit einer anderen
ethnischen Prägung zu akzeptieren und halten Lula manchmal für ein wenig naiv.
Lula ist allerdings alles andere als
naiv und das wissen Mister Stanley und ihr Anwalt Don Settebello, die ihr
helfen, in Amerika Fuß zu fassen und juristisch ein dauerhaftes Bleiberecht zu
erwirken. Doch wenn sie hin und wieder mal etwas Albanisches von sich gibt,
wird sie von Mister Stanley und von Mister Settebello zurechtgewiesen, denn
dies könnte ihren Aufenthaltsstatus gefährden. Dass ein Mensch alles
zurücklassen muss, nicht nur Heim, Familie und materielle Güter, und nicht nur
das Seelische, um woanders bessere Lebensverhältnisse vorzufinden, wird nur
wenigen Amerikanern bewusst:
Wie sehr sie ihre Mutter und ihren Vater vermisste, und
ganz besonders ihre Großmutter! Sie würde sie nie wieder sehen. Hier gab es
niemanden, der diese Geschichte kannte, der Lula oder ihre Oma kannte. Lula weinte
um ihre Oma, ihre Eltern und ihre Kindheit, um ihre Heimat, alles verloren, um
den Kommunismus, ab mit Schaden, um die Gesetzlosigkeit, die Krawalle, die
Gewalttätigkeit, die nie endenden Probleme. Denn ihr einst wunderschönes
Heimatland befand sich jetzt in den Händen von Giftmüllabladern und
Frauenhändlern und Geldwäschern. Sie weinte darum, ihr Land zu vermissen, es
nicht zu vermissen, nichts zu haben, das sie vermissen konnte. Sie weinte über
die Einsamkeit und Unsicherheit ihres Lebens unter Fremden, die nach wie vor
ihre Meinung ändern und sie nach Hause schicken konnten.
Diesem Anpassungs- und
Assimilationsdruck sind viele Menschen ausgesetzt, die woanders eine neue
Heimat suchen, weil das Leben in der alten Heimat unerträglich geworden ist.
Lula idealisiert Amerika, auch
wenn sie sehr wohl in der Lage ist, das Land ungeschminkt zu betrachten. Aus
der Sicht ihres Chefs:
Für Lula müssen die Probleme hier in diesem Land schlimm
sein. Sie sieht, was mit diesem Land passiert. Aber sie kommt aus einem
Kulturkreis, in dem Amerika Gott ist.
Lula wägt die Probleme Amerikas
mit den Problemen der Krisenländer ab. Oftmals steht sie vor einem Rätsel, mit
welchen Bagatellen sich die Amerikaner auseinandersetzen. In der Zeit, in der
Lula ihren Schützling Zeke betreut, und sie von ihm erzählt bekommt, wie
schrecklich der letzte Sommerurlaub war, zeigt sie eher Unverständnis:
>>Das soll dein schlimmster Sommer gewesen
sein?<< fragte Lula. >>Überall auf der Welt werden Kinder entführt
und als Kindersoldaten eingesetzt oder werden in Munitionsfabriken in die Welt
gesprengt. Ich wette, wenn Don Settebello nach Guantanamo kommt, wird er dort
auf Kinder - Gefangene! - treffen, die nicht viel älter
sind, als du.<<
Auch wenn dieses Zitat mir zu
wenig differenziert ist, verstehe ich schon, was Lula mit diesen Vergleichen
beabsichtigt. Menschen, die in Krisenländern aufwachsen, sind tagtäglich mit
der Gefährdung ihrer Existenz konfrontiert, während die meisten Amerikaner
diese Form von Bedrohung erst gar nicht kennen und verstehen.
Es gibt noch eine albanische
Freundin namens Dunia, die einen reichen amerikanischen Chirurgen geheiratet
hat, und sie nun alle Vorteile dieses Landes genießt. Lula und Dunia haben sich
seit langer Zeit das erste Mal wieder gesehen. Dunia berichtet aus dem Leben
mit dem Amerikaner:
>>Er redet gerne beim Sex. Dann gefällt ihm mein
Akzent. Er mag es sogar, wenn ich albanisch spreche. Er denkt, ich würde sagen:
Fick mich, bis mir die Sinne vergehen! Wobei ich in Wirklichkeit sage: Morgen
muss ich (…) das Hausmädchen daran erinnern, den Kühlschrank zu putzen.
Außerhalb des Bettes gefällt ihm der Akzent nicht so sehr. Er sagt, je mehr
Amerikanisch ich spreche, mit je mehr Amerikanern ich rede, desto
amerikanischer klinge ich.<<
Wenn der Albaner Alvo Luna
besucht, machen sich in ihr alte Erinnerungen aus ihrem Land breit:
Es war schon so lange her, seit Lula albanische Tänze
gesehen hatte. Sie hatte vergessen, wie es einen in die Reihe zog, auch wenn
man eigentlich cool und modernen und albanischen Tänzen längst entwachsen war.
In die einfachen Schritte floss so viel individuelle Seele mit ein, von Männern
und Frauen, Jungen und Alten, Verheirateten, Singles, Dicken und Dünnen. Keiner
trug die starre Maske der Lehre oder Ängstlichkeit, die Lula so oft in den
Gesichtern von Amerikanern gesehen hatte, wenn sie ihre eigenen Tänze erfanden,
unbefangen zu wirken versuchten, selbst während sie sich bemühten, eine
Botschaft von Selbstvertrauen und Sexualität auszusenden, und ob sie zu haben
oder vergeben waren. Wie anstrengend es war, wenn sich Amerikaner zu Paaren aus
Noahs Arche zusammentaten, rhythmische Vorspiele oder Nachspiele zum Sex
aufführten oder in Mädchengruppen zusammen tanzten, niemals in Jungsgruppen,
sich wanden, distanziert von den Körpern, die sie zur Schau stellten. Albaner
griffen nur nach der letzten Hand in der Reihe und überließen sich der Musik.
Es ist Weihnachten und das Land
gibt jede Menge Geld für die scheinbare Glitzerwelt aus, dass man meinen muss,
das Land ersticke in seinem Wohlstand. Doch das ist nur das Bild, das von
vielen reichen Amerikanern ausgestrahlt wird. Lula durchschaut auch diese Welt:
In ganz Amerika waren die Kinder total überdreht vor
Freude, klammerten sich an ihre Matratzen, um nicht sofort nach unten zu rennen
und ihre Geschenke aufzureißen. Lula wusste, dass es sich dabei um die
Fernseherversion des amerikanischen Lebens handelte, dass die Hälfte der Bevölkerung
krank und allein oder obdachlos war und die Festtage nur als etwas betrachtete, das hoffentlich bald vorbei war,
vorzugsweise nach kostenlosem Truthahn in einer dampfigen, versunkenen
Suppenküche.
Nun habe ich noch gar nichts zu
Zekes Eltern geschrieben. Der Vater ist einst mal Professor gewesen und wegen
des besseren Verdienstes ist er zur Bank übergewechselt und Banker geworden.
Hier verdient er wesentlich mehr, doch mit der Zeit stellte er fest, dass er sich
dort nicht wirklich ausgefüllt fühlt, und sehnt sich nach seinem alten Beruf
zurück. Doch er schafft den Absprung nicht, zu sehr macht er sich von seinem
Banker-Gehalt abhängig.
Zekes Mutter leidet unter einer
schweren psychischen Erkrankung, die so gravierend ist, dass sie die Familie
verlässt und später auch in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird, da sie
fremd- und selbstgefährdende Züge aufweist. Für Zeke ist das ein Schock. Zum
einen, weil die Mutter ihn und den Vater verlassen hat, zum anderen, weil sie
psychisch krank ist …
Mister Stanley quält oftmals die
Sorge, Zeke könne die Erkrankung seiner Mutter geerbt haben, da er nach außen
hin auch ein wenig auffällig wirken würde. Lula schafft es recht gut, den
Jungen zu betreuen, gewinnt sein Vertrauen, bis er schließlich aufs College
wechseln soll. Aus Lulas Sicht:
Wenn man Zeke nicht kannte, oder selbst wenn man ihn
kannte, würde man nie darauf kommen, dass er der Junge war, dessen Mutter
gerade in Anwesenheit des Kindermädchens (…) einen Nervenzusammenbruch gehabt
hatte. Vielleicht würde es Zeke morgen treffen, oder am
Tag danach, oder vielleicht in zwanzig Jahren. Wenn es eines gab, was Lula aus
der Geschichte des Balkan und aus dem amerikanischen Fernsehen gelernt hatte,
dann, wie lange sich Erinnerungen aufstauen können, bevor der Korken aus der
Flasche schießt.
Aufgrund eines kriminalistischen
Zwischenfalls, den Lula selbst nicht verursacht hat, verlässt sie schließlich
Mister Stanley und Zeke …
Die gesellschaftlichen Probleme
Amerikas wurden mir zu oberflächlich dargestellt.
Das Buch erhält von mir sieben von
zehn Punkten.
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Alleinsein
hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind.
(J.R.
Moehringer)
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