BD 5 Die Gefangene
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Bevor ich mit meiner eigentlichen Buchbesprechung
beginne, hier erstmal ein paar Leseeindrücke:
Ich freue mich sehr darüber, dass ich es nun tatsächlich
geschafft habe, den fünften Band nach dem zweiten Anlauf zu Ende zu lesen. Diesmal
war ich ziemlich diszipliniert, habe mir jeden Abend nach Dienstschluss meine geplanten
fünfzig Seiten vorgenommen und am Wochenende etwas mehr. Dies erfüllt mich
schon etwas mit Stolz, dass ich nun alle sechs Bände durchhabe. Ich habe für
den vorliegenden Band eine ganze Woche benötigt.
Zur
Erinnerung: Beim ersten Mal, das liegt schon etwas
länger zurück, musste ich diesen Band abbrechen. Dann habe ich vor lauter
Enttäuschung im sechsten Band rumgeblättert, und der sechste Band schien mich
mehr anzusprechen. Und bevor ich den Bezug zu Proust verlieren würde, dachte
ich damals, zog ich den sechsten Band vor. Darüber habe ich viel geschrieben,
sodass ich schnell wieder in die Thematik reinkommen werde, bevor ich
letztendlich mir noch den letzten Band vornehme. Doch damit lasse ich mir noch
etwas Zeit.
Dieses Buch auszulesen, gestaltete sich für mich schon
als ein riesen Prozess. Am Freitagabend stand ich kurz vor dem erneuten Abbruch.
Für ein paar Sekunden hatte ich das Buch schon zugeklappt und habe dabei eine
gewisse Freiheit verspürt und mir ausgemalt, was ich nun alles mit dieser
wiedergewonnenen Freiheit anfangen würde. Das meiste hatte ich schon hinter
mir, die letzten 150 Seiten von satten 650 Seiten waren für mich nochmals eine
große Herausforderung. Aber dann hat mich ziemlich rasch die Lust wieder
gepackt, Proust weiterzulesen; sehr ambivalent mein Verhalten diesem Autor gegenüber.
Er überträgt ungewollt etwas von sich auf mich. Einerseits verachte ich ihn,
andererseits verspüre ich auch eine gewisse Liebe zu ihm. Da ich mit Proust
noch einiges vorhabe, musste ich einfach durchhalten. Mein Leseprojekt ist
selbst nach diesen sieben Bänden noch lange nicht fertig.
Ich muss schon sagen, das Durchhalten hat sich
gelohnt, habe viele interessante Themen mitverfolgen können. Den fünften Band
habe ich als den schwersten von allen sechs Bänden, aber auch als den
interessantesten, erlebt.
Und das Schöne? Ich bin jetzt endlich mit Proust
ausgesöhnt. So viel Weisheit, wie ich hier habe finden können, haben meine
Sympathiepunkte in die Höhe schnellen lassen. Ich fühle mich ja schon zu ihm
hingezogen. Wie hätte ich denn sonst diese sechs Bände aushalten können? Ja,
man wird für die aufgebrachte Geduld und für die Ausdauer richtig entschädigt.
Was sich für mich als recht schwierig gestaltet hat,
waren die vielen Themen, die Proust hier eingebracht hat, und ich mich ein
wenig überfordert fühle, alle diese Themen in meine Buchbesprechung zu
verfrachten, bis schließlich meine innere Stimme sagte, lies weiter, das wird
sich schon geben. Und so war es auch, nun weiß ich, worin ich meinen Fokus
setzen werde. Und zwar in die Beziehung zwischen Marcel und seiner Geliebten
Albertine. Die Beziehung ist dermaßen facettenreich, dass ich echt Lust habe,
darüber zu schreiben ...
Trotzdem möchte ich die anderen Themen nicht unbenannt
belassen, sodass andere LeserInnen vorbereitet sind, was Proust hier so alles
recht exzessiv beschäftigt hat:
Literatur
Musik
Architektur
Kunst
Die literarischen Gespräche zwischen Marcel und Albertine fand ich
äußerst interessant, als es um Dostojewski ging, der in seinen Romanen oftmals
kriminalistische Themen behandelt, und Albertine Marcel die naive Frage stellt, ob Dostojewski
selber auch kriminell sei?, denn sonst hätte er nicht darüber schreiben können.
Im Weiteren schreibe ich die Leseeindrücke hier auf
für alle ProustanfängerInnen. Ich möchte Mut machen … Ich bin allerdings keine
Literaturwissenschaftlerin, deshalb kann ich keine Buchbesprechung in dieser Form
verfassen und rate literaturwissenschaftlich interessierte LeserInnen auf
entsprechende fachgerechtere Seiten, die es sicher zahlreich im Netz zu finden
gibt.
Aber ich möchte auch sagen, habt Mut für eigene Interpretationen. Habt Mut für eigene Ideen, für eigene Beobachtungen, denn auch dies ist eine hohe, geistige Leistung, die viele unterschätzen.
Es gibt viele Methoden, ein Buch anzupacken. Mich interessiert die menschliche Psyche. Ich lese gerne psychoanalytisch. Proust lädt außerdem regelrecht dazu ein. Außerdem ist die Psychoanalyse auch eine Fachrichtung. Sigmund Freud,*1856, gest. 1939, hätte hier seine Freude gehabt, wenn er Proust gelesen hätte.
Ich selbst habe mir im Netz auch Sekundärliteratur
bestellt, so viele gibt es leider nicht, auf die ich allerdings noch warte.
Aber im Anhang gibt es zahlreiche Hinweise. Wobei ich aber noch anmerken
möchte, dass ich viel Wert darauf lege, mir meine eigene Meinung zu bilden.
Als begleitende Lektüre gebrauchte ich ein Proust-Lexikon. Aber es gibt noch eine Proust-Enzyklopädie, beides im Suhrkamp - Verlag erschienen.
Proust hat mich arg an Hans Fallada erinnert. Fallada
hat über das Leben der kleinen Leute geschrieben, während Proust über die
Angehörigen der Bourgeoisie geschrieben hat. Beide aus der Gesellschaft des 20.
Jahrhunderts, wobei Proust, *1871, gest. 1922, etwas älter als Fallada ist,
*1893, gest. 1947. Zufall, dass gerade für beide Autoren mein Interesse gilt. Ich
habe auf meinem Blog von beiden Autoren Leseprojekte laufen.
Im Folgenden geht es zu meiner Buchbesprechung.
Da das Buch mit „Die Gefangene“ betitelt ist, wird für
die LeserInnen recht schnell klar, dass damit Marcels Geliebte Albertine gemeint ist. Auch lässt sich dies aus den
vorangegangen Bänden schon ableiten. Marcel ist der Icherzähler, der alle seine
Themen recht subjektiv behandelt. Warum es so schwer ist, dem Erzähler zu
folgen, liegt eben daran, dass Marcel so ziemlich alles vermischt. Innere Erfahrungen sind weit größer als Erfahrungen,
die sich auf Tatsachen berufen. Im Umgang mit Albertine wird das sehr deutlich,
aber auch in der Beurteilung von zwei Musikern wie Morel und Vinteuil. Aber dies geht auch aus den vorherigen Bänden hervor. Manche
mentale Szenen habe ich sogar als recht wahnhaft erlebt. Marcel bezeichnet
sich hin und wieder selbst als wahnhaft.
Er steigert sich oft in seine Wahnvorstellungen rein, die Albertine gegenüber
so ziemlich negativ besetzt sind. Er lässt sie beschatten, und wirft ihr
Homosexualität vor:
Ich hatte Albertine von ihren Komplizinnen trennen und
dadurch meine Halluzinationen bannen können; (2004, 25).
Albertine und Marcel
leben in Balbec zusammen, wobei Albertine zu Marcel gezogen ist.
Sein großes Drama ist die Eifersucht. Er kritisiert
zwar recht häufig Morels, der Geiger, cholerisches Verhalten, Marcel selbst ist
allerdings auch nicht von Wutanfällen frei. Aber er hinterfragt sich manchmal
auch selbst, personifiziert allerdings gewisse negative Eigenschaften:
Die Eifersucht ist auch ein Dämon, der nicht
beschworen werden kann; immer wieder erscheint er uns in einer neuen Gestalt.
Würde es uns gelingen, sie alle auszurotten und die Geliebte ewig für uns zu behalten,
so würde der böse Geist eine andere Form annehmen, die noch weit tragischer
wäre, die Gestalt der Verzweiflung nämlich, Treue nur mit Gewalt errungen zu
haben, Verzweiflung darob, nicht geliebt zu werden. (143)
Häufig stellte ich mir die Frage, ob man Marcel als
beziehungstauglich bezeichnen kann. Schon aus den letzten Bänden geht diese
Frage hervor, und ich mich immer freue, wenn ich im Text eine hinweisende
Antwort finde, indem er sich selbst diese Frage stellt,
(…) ob eine Heirat mit Albertine nicht mein Leben
ruinieren würde, einerseits, weil ich damit die für mich zu schwere Aufgabe
übernehmen müsste, mich einem anderen Wesen zu widmen, andererseits aber auch
dadurch, dass sie mich zwänge, infolge der unaufhörlichen Gegenwart einer
anderen Person abwesend von mir selbst zu leben, und mich für immer der Freuden
der Einsamkeit beraubte. (33)
Immer wieder gehe ich in meinen Buchbesprechungen auf
die Beziehungsproblematik ein, die aus Marcels Kindheit herrührt. Gewisse
mütterliche Zärtlichkeiten, Liebkosungen, an denen Marcel bis ins erwachsene
Alter hängengeblieben ist. Dazu
folgendes Zitat:
Wie früher in Combray, wenn meine Mutter mich
verlassen hatte, ohne mich durch ihren Kuss beruhigt zu haben, wollte ich
Albertine nacheilen, ich spürte, dass es keinen Frieden für mich gab, bevor ich
sie wiedergesehen hatte, dass dieses Wiedersehen etwas Ungeheures sein würde,
was es bislang noch nie gewesen war, und dass, wenn es mir nicht gelänge, mich
allein von dieser Traurigkeit zu befreien, ich vielleicht die schmachvolle
Gewohnheit annehmen würde, mich bettelnd bei Albertine einzufinden. (156)
Dieses Bettelnde findet man im ersten Band wieder, als
Marcel noch ein kleiner Junge war, und er ohne den Gutenachtkuss seiner Mutter nicht einschlafen konnte. Der Vater, der nur ganz selten in den Büchern auftaucht,
bezeichnet hierzu Marcels Verhalten als übertrieben verwöhnt.
An solchen Abenden empfand ich bei Albertine nicht
mehr jene Befriedigung wie durch den Kuss meiner Mutter in Combray, sondern die
Angst jener anderen, an denen mir Mama kaum gute Nacht gesagt hatte oder sogar
nicht einmal in mein Schlafzimmer gekommen war, weil sie mir entweder zürnte oder durch Gäste abgehalten wurde. Diese Angst - nicht mehr ihre abgewandelte
Form innerhalb der Liebe -, nein, diese Angst selbst, die sich eine Zeitlang
auf die Liebe spezialisiert hatte, als sich die Teilung, die Aufteilung der
Leidenschaften vollzog und sie nur noch der Liebe zugeordnet war, schien jetzt
wieder, von neuem unteilbar geworden, auch über alle anderen gebreitet, als ob
alle meine Gefühle , die davor zitterten, Albertine nicht an meinem Bett
festhalten zu können – als eine Geliebte, als eine Schwester, als eine Tochter,
als eine Mutter auch, nach deren täglichem Gutenachtkuss ich wieder ein kindliches
Verlangen zu verspüren anfing-, (154f)
Wie ich mit Hilfe dieses Zitat belegen kann, dass
Marcels kindliche Erfahrung, das Versagen mütterlicher Liebkosungen, sich wie ein seelisches Trauma anfühlt, und das sich in der Beziehung mit Albertine fortsetzt.
Und so bestätigt es meinen Eindruck, dass Marcel die
notwendige Reife fehlt, sich auf Dauer auf einen anderen Menschen einzulassen.
Diese Ambivalenz spiegelt sich im ganzen Roman wieder.
Er stellt Albertine oft zur Rede, ob sie mit bestimmten
Frauen wie Andrée verkehre? Er bezeichnet sie als Lügnerin, als sie seine Frage
negierte.
Ihre Lügen, ihre Geständnisse beließen mir die Aufgabe,
die Wahrheit aufzuhellen: ihre Lügen, die so zahlreich waren, weil sie sich
nicht damit begnügte, zu lügen wie jedes Wesen, das sich geliebt glaubt,
sondern weil sie, abgesehen davon, eine Lügnerin von Natur war (und so
sprunghaft im übrigen, dass sie, selbst wenn sie mir jedes Mal die Wahrheit
über das gesagt hätte, was sie zum Beispiel von den Leuten dachte, jedes mal
etwas anderes geäußert haben würde); (134f)
Woher bezieht Marcel seine Theorie zu Albertine, die
er oftmals verallgemeinernd auf andere Frauen überträgt? Ganz banal; er achtet
auf die Mimik, auf die Wortwahl … Manchmal errötet Albertine auf Marcels
peinliche Fragen und das Erröten interpretiert Marcel als ein Zeichen, dass Albertine
lügt.
Hier seine Lügentheorien, die er auch auf andere
Frauen überträgt:
Ist es überhaupt nötig, dass man eine Tatsache weiß? Kennt
man nicht von vornherein schon auf eine ganz allgemeine Art die Lügen und die
Verschwiegenheit der Frauen, die etwas zu verbergen haben? Kann ein Irrtum noch
möglich sein? Sie machen aus ihrer Diskretion eine Tugend, wo man sie doch so
gern zum Sprechen bringen würde. Wir spüren, dass sie ihrem Komplizen gesagt haben: Ich bin
verschwiegen. Von mir wird man nichts erfahren. Ich bin verschwiegen. (133)
Genau diese Szene bezeichne ich als eine
Halluzination. Er malt sich etwas aus, das er als Wahrheit bezeichnet. Es
bestehen keine handfesten Beweise, dass seine Geliebte sich mehr zu Frauen
hingezogen fühlt. Weil sie ihm dieses Geständnis nicht abringen kann, bezeichnet
er sie als >>die arme Gefangene, die Frauen liebt<<, dabei ist es
Marcel selbst, der der Gefangene ist, und sich in seinem Gedankenkonstrukt immer
weiter verstrickt, und Probleme hat, emotional da wieder herauszukommen. Marcel
projiziert auf Albertine seine innere Beziehungsproblematik, seine für mich innere
Unausgeglichenheit, die ich schon arg als symptomatisch bezeichne.
Eine weitere Lügentheorie, die sich auf Frauen bezieht:
Was ist schon die Lüge: Wir leben mitten in ihr und lächeln nur darüber, wir bedienen uns ihrer und glauben, niemandem weh zu tun, doch die Eifersucht leidet unter ihr und sieht mehr, als sie verbirgt, (oft weigert sich unsere Freundin, den Abend mit uns zu verbringen, und geht ins Theater, nur damit wir nicht sehen, dass sie schlecht aussieht), genauso wie sie oft blind ist, was die Wahrheit verbirgt. Doch sie kann nichts erreichen, denn die Frauen, die schwören, nicht zu lügen, würden sich auch unter dem Messer weigern, ihre Natur einzugestehen. (137f)
Immer
wieder kommen ihm Verlustängste auf, Albertine könne ihn wegen einer Frau verlassen, oder auch, weil ihr die Beziehung mit Marcel zu langweilig sei.
Doch auch hier projiziert er seine Ängste auf Albertine, wie sich später herausstellte.
Es war seine Angst, die Beziehung könnte ihn langweilen. Tief in seinem Inneren
wünschte er sich einen Beziehungsbruch.
Die Anwesenheit Albertine bedrückte mich, ich schaute sie an, wie ergeben und verdrossen sie
war, und empfand es als Unglück, dass es zwischen uns nicht zum Bruch gekommen
war. (579)
Ich möchte ja nicht allzu viel verraten, aber eine
wichtige Szene möchte ich unbedingt noch festhalten.
Proust hält diese vielen „Lügen“ nicht aus. Er will
sich von Albertine trennen. Beide befinden sich gerade in Marcels Zimmer, als
er Albertine die Trennung ausspricht, allerdings erst zum morgigen Tag. So eine
Trennung, die schizoide Formen annimmt, habe ich auch noch nicht erlebt. Albertine
wundert sich:
>>Wieso morgen? Ist das wirklich Ihr Wille?<<
Trotz des Kummers, den ich empfand, wenn ich von unserer Trennung sprach, als
sei sie bereits vollzogen – vielleicht zum Teil auch wegen dieses Kummers-,
begann ich, Albertine ganz präzise Ratschläge wegen gewisser Dinge zu erteilen,
die sie nach ihrem Fortgang aus dem Haus tun sollte. (489)
Ich habe mich gefragt, wie so eine innere
Zerrissenheit, diese innere Spaltung auszuhalten ist.
>>Wir sind glücklich gewesen, und jetzt fühlen wir, dass wir unglücklich werden würden.<<
>>Sagen Sie nicht, wir fühlen, dass wir unglücklich werden<<, fiel mir Albertine ins Wort, >>sagen Sie nicht >wir<, denn nur Sie allein finden das.<< (ebd)
Langsam wirft Albertine Marcel böse Verleumdungen vor,
wo sie sonst recht geduldig mit Marcels Vorwürfen umgegangen ist.
>>Darf man vielleicht wissen, wer Ihnen solche
schönen Dinge erzählt? Könnte ich vielleicht einmal selbst mit diesen Leuten
reden? Und vielleicht auch erfahren, worauf sie sich stützen bei ihren
Verleumdungen<< –
Daraufhin Marcels Reaktion:
>>Meine liebe Albertine, ich weiß es nicht, es
handelt sich um anonyme Briefe, aber von Leuten, die Sie vielleicht ziemlich
leicht auffinden würden (…), denn offenbar kennen sie Sie gut. Der letzte, muss
ich gestehen, (ich zitiere gerade ihn, weil es sich da nur um eine Kleinigkeit
handelt und weiter nichts Arges darinsteht)
hat mir gleichwohl den Rest gegeben. Es hieß dort, Sie hätten damals, als wir Balbec
verließen, zuerst bleiben und hinterher doch abreisen wollen, weil sie inzwischen
einen Brief von Andrée bekommen hätten des Inhalts, sie komme nicht.<<
(569)
Es
zeigt sich, dass Marcel derjenige ist,
der lügt. Dies wird ihm selbst auch mal bewusst,
>>indem
ich log, verlieh ich meinen Worten vielleicht mehr Wahrheit, als ich dachte<<.
(508)
Wobei
Marcel seine Lügen eher philosophisch aufwertet.
Ich mache nun hier Schluss, da man ja nicht allzu viel
verraten darf. Aber im Buch gibt es noch jede Menge interessante Textstellen zu
finden. So viele Zettelchen kleben mir noch zwischen den Seiten, die ich leider
nicht alle bearbeiten kann.
Der Schluss hat mir sehr gut gefallen, denn hier erhält
Marcel von Albertine genau das, was er eigentlich verdient hat. Aber auch, was
er sich insgeheim erhofft hat.
Mein
Fazit?
Dieser frauenverachtende und besitzergreifende Umgang hat mich angewidert, der sich in allen Bänden wie ein roter Faden durch die
Seiten zieht. Doch mittlerweile sehe ich es etwas gelassener, ebenso Marcels Überheblichkeit
betrachte ich zusammen als nichts Anderes mehr als menschliche Schwächen, von denen wir
alle nicht frei sind.
Trotzdem habe ich mich immer wieder gefragt, wie eine
um Emanzipation bemühte Frau wie Virginia Woolf Proust so sehr lieben konnte?
Diese Frauen- und Beziehungsproblematik sind keine Nebensächlichkeiten. Sie ziehen sich durch das
ganze Buch hindurch. Man kann sogar sagen, dass der fünfte Band ein reiner Liebesroman gehobener Art ist, da die Liebesthematik hier den meisten Raum einnimmt, weshalb ich
unbedingt darüberschreiben wollte.
Man gibt sein Vermögen, sein Leben für ein Wesen hin,
und dennoch weiß man genau, dass man zehn Jahre früher oder später ihm dieses
Vermögen verweigern und sein Leben lieber für sich behalten würde. Dann nämlich
wäre das Wesen von uns gelöst, allein, das heißt gegenstandslos. (133)
Vielleicht hat Virginia Woolf ähnlich gedacht, auch
ein Marcel Proust ist nur ein Mensch, der jede Menge Ideen und gute Gedanken
hat. Manchmal leider zu wenig selbstkritisch, vielleicht war er dafür noch zu
jung. Das wird sich im siebten Band hoffentlich zeigen. Und hoffentlich hat er
seinen inneren Frieden noch finden können. Sein Ausgang, die innere Zerrissenheit,
nicht nur den Frauen und allen Homosexuellen gegenüber, auch sich selbst
gegenüber, erhoffe ich im siebten und letzten Band mit allen seinen Themen eine
Befriedung.
Wobei sich heute noch viele Menschen schwertun, Menschen, die anders geartet sind, zu akzeptieren und zu tolerieren. Und dies nicht nur auf sexueller Ebene.
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck
(Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder
zu sentimental wirkt
1 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen,
Klischees und Rassismus
Neun von zehn Punkten.
Weitere Informationen zu dem Buch:
Taschenbuch: 695 Seiten, 18,00 €
Verlag: Suhrkamp
Verlag; Auflage: 1 (29. November 2004)
ISBN-10: 3518456458
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Man
träume den Traum des Lebens immer noch am besten in einer Bibliothek.
(Marcel Proust)
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