Verschwörer gegen Hitler
Briefe aus Militärgefängnis und Gestappohaft von 1943-1945
Eine Buchbesprecbung zur o. g. Lektüre
Briefe aus Militärgefängnis und Gestappohaft von 1943-1945
Eine Buchbesprecbung zur o. g. Lektüre
Diese vielen Briefe von Hans v. Dohnanyi stimmen recht
betroffen. Sie sind sehr emotional an die Familie, aber ganz besonders an seine
Frau Christine Bonhoeffer gerichtet. Vieles wiederholte sich immerzu, aber das war dem
Schreiber selbst bewusst …
Und ich schreibe, schreibe immer dasselbe in tausend Variationen, wie ich es in tausend Variationen immer wiederhole, wenn ich ruhelos auf- und ab wandere. (2016, 62)
Ich zitiere diese Textstelle, damit man von den vielen
Wiederholungen im Buch nicht überrascht wird. Oftmals war es recht schwer, diese
als Leserin auszuhalten. Manches Mal stand ich kurz vorm Abbrechen, obwohl mir
schon bewusst ist, unter welchem enormen seelischen Druck sich dieser Mensch
befand. Ohne die Liebe seiner Familie hätte Dohnanyi diese zwei Jahre Haft
nicht überlebt, aber was brachte ihm das, wo er sowieso hingerichtet wurde. Dohnanyi hatte bis zum Schluss gehofft ... Zumindest hatte er in
dieser Zeit seinen Verstand nicht verloren, und ihm wurde die Zeit durch diese
vielen Briefe erträglich gemacht, trotz multipler, schwerer, körperlicher
Erkrankungen, mit denen er zusätzlich zu kämpfen hatte.
Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Der Jurist Dohnanyi schloss sich bereits Ende der dreißiger Jahre Widerstandskreisen an. 1942 verhalf er einer Reihe von Juden, die als Agenten getarnt wurden, zur Flucht in die Schweiz, im März 1943 war er an einem Attentatsversuch gegen Hitler beteiligt, der jedoch fehlschlug. Im April 1943 wurde er wegen angeblicher Devisenvergehen im Zusammenhang mit der Fluchthilfe inhaftiert. Nach dem gescheiterten Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 flog seine Mitarbeit an den früheren Putschplänen auf. Am 9. April 1945 wurde er im KZ Sachsenhausen gehängt.
Die Sprache ist zudem oftmals verniedlicht und jede
Menge Liebessülzen …
Die Briefe wurden alle zensiert, bevor Dohnanyis
Familie sie zu lesen bekam. Politische Botschaften wurden von Hans und seiner
Frau verschlüsselt kommuniziert.
Vor allem Hans von Dohnanyi übermittelte von nun an umfangreiche Botschaften, indem er in Büchern, die ihm seine Frau bringen durfte, auf jeder Seite jeweils einen Buchstaben oder eine kleine Buchstabengruppe durch einen darunter angebrachten feinen Bleistiftpunkt markierte. Die markierten Buchstaben ergaben, wenn zuerst die auf den geraden, dann die auf den ungeraden Seiten von hinten gelesen wurden, den Text der Nachricht. In diesen Nachrichten erwies sich Dohnanyi als der heimliche Regisseur des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens; denn er informierte nicht nur über den Inhalt seiner Vernehmung und ermöglichte damit den Mitbeschuldigten die Abstimmung ihrer Aussagen, sondern gab auch präzise Anweisungen, welche Aussagen von welchen Zeugen nützlich seien und wie auf den Verlauf des Verfahren Einfluss genommen werden sollte. (124)
Dohnanyi war ein gläubiger Mensch, der durch die lebensbedrohlichen
Umstände in der Gefängniszelle immer wieder zu hadern begann, allerdings ohne
seinen Glauben tatsächlich verloren zu haben. Das geht aus einem Brief an seine
Tochter Barbara hervor, als er von seinen Kindern einen schönen, bunten Frühlingsblumenstrauß
geschickt bekommt. In einem Brief bekundet Dohnanyi seine Freude, wie sehr sich
die Familie auf diese Jahreszeit immer wieder gefreut hat:
So haben wir uns auf diese Zeit gefreut! Du hast ganz recht. Aber siehst du, so wenig hat der Mensch sein Los in Händen! Und wir dürfen deswegen nicht anfangen, mit dem Schicksal zu hadern, wir müssen hinnehmen, wie es kommt. So schwer es uns auch fällt. (90)
Selbst seinen Humor hat Dohnanyi nicht verloren. Ich
musste so schmunzeln, als er sich bei seiner Familie für das tolle Osterpaket
bedankte. Denn schließlich könne man selbst in einem Pappkarton nach Ostereiern
suchen ...
Obwohl Dohnanyi Grund gehabt hätte, an seiner prekären
Lebenssituation zu verzweifeln, wirkten seine Briefe immer recht hoffnungsvoll,
aber auch, weil er seine Frau, die selbst gesundheitlich angeschlagen war, zu
schonen versuchte.
Auch die Briefe, die an seine drei Kinder gerichtet wurden,
waren erfüllt mit vielen weisen Ratschlägen. Im Folgenden ein kleiner Briefausschnitt,
der an Klaus Dohnanyi gerichtet ist:
Dass du Deinen Pflichten und Aufgaben in den Dir zumutbaren Rahmen gerecht wirst, bin ich sicher. Du liebst dein Vaterland ohne Frage und ohne viel davon reden zu machen, hast ein unverbundenes Ehrgefühl, stehst für das ein, was du für richtig erkannt hast, bist hilfsbereit und ein guter, zuverlässiger Kamerad. Bleibe dabei, auch wenn das Leben Dir deswegen Enttäuschung bringen sollte; es ist besser, sich den Glauben an das Gute im Menschen um den Preis solcher Enttäuschungen zu bewahren, als ein Menschenfeind zu werden. (142)
Dohnanyi war ein Vielleser. Kraft schöpfte er z. B.
oft auch aus den Charles-Dickens-Büchern.
Ich habe einen schlechten Tag heute: Selbst Bleakhouse macht mich nicht besser. Dieser Dickens ist schon ein wunderbarer Seelenarzt. Warum haben wir ihn eigentlich nicht zusammen gelesen? (89)
Dohnanyi war Jurist von Beruf, ich gehe mal davon aus,
dass er keine belletristischen Bücher gelesen hat.
Aus der seelischen Not heraus hat Dohnanyi gelernt,
mehr auf seine innere Stimme zu hören und weniger auf seine Vernunft. Er rät
seiner Schwester:
(…) vertraue nicht so sehr auf das Wissen, den Verstand und die Erfahrungen Deines Mannes (ich habe jetzt viel Zeit zum Nachdenken, kann dir sagen: Im entscheidenden Augenblick sind sie nichts wert) als auf Deine innere Stimme. (95)
Ein paar Zeilen sind diesbezüglich auch an den Gatten
gerichtet:
Und Du lieber Freund, schlage in solchen Augenblicken der Gewissheit, wie Du handeln musst, nicht nur an deine Stirn mit Fragen um Rat - denn was könnte bei uns Männern dabei herauskommen als bestenfalls etwas „Vernünftiges“, sondern hole Dir deinen Rat bei der inneren Stimme Deiner Frau, die hoffentlich Deinen Verstand, Dein Wissen und Deine Erfahrungen nicht allzu hoch einschätzen wird (glaube mir, wenn es darauf ankommt, sind sie wenig wert!) (ebd,)
Mein
Fazit zu dem Buch?
Wie viel Glück wir doch haben, nicht in einer Zeit wie
dem Nationalsozialismus geboren worden zu sein. Sich Fragen zu beantworten, wie
hätte ich mich verhalten?, wäre recht müßig. Auf welche Seite würde man sich
selbst stellen? In Anbetracht unserer momentanen politischen Lage durch den europaweiten
Zuwachs von Rechtspopulismus kommen mir schon Zweifel auf, inwiefern der Mensch
tatsächlich in der Lage ist, aus der Geschichte zu lernen. Muss man selbst
durch eine Zeit wie diese gehen, um Recht und Unrecht am eigenen Leib erfahrbar
zu machen?
Hans v. Dohnanyi hat eigentlich Deutschland geliebt,
hat es als sein Vaterland betrachtet. Dazu die Sichtweise seines Sohnes Klaus:
Der Polizeiarzt Dr. Tietze, dem mein Vater in den letzten Tagen seines Lebens so vertrauensvolle Offenheit schenken konnte, hatte den Eindruck, dass es für Dohnanyi nur zwei Dinge gab: Seine Familie und das Vaterland. Das Vaterland hatte ihn eingesperrt und gelähmt; die Familie gab es nur noch über das Wort; aber das, was diesen bislang so aktiven Täter immer noch bewegte, über das durfte weder geschrieben noch gesprochen werden. (307)
Er wurde ohne gerichtliche Anhörung hingerichtet, und
die Familie wurde nicht mal über seinen Tod benachrichtigt. Dohnanyis Frau
Christine startete eine Suchaktion, bis sie ihn schließlich nach dem Ende des
Krieges für tot erklärte.
Von einer Buchbewertung sehe ich aus Respekt gegenüber dem Autor und dessen Familie ab, da ich der Meinung bin, dass man solche Bücher mit diesem Hintergrund nicht bewerten sollte, ganz gleich, wie gut oder wie weniger gut sie geschrieben sind …
Weitere Informationen zu dem Buch:
Ich möchte mich recht herzlich für das zur Verfügung
gestellte Leseexemplar beim DVA-Verlag bedanken.
Und hier geht es per Mausklick auf die Verlagsseite von
DVA, Randomhouse München.
DVA-Verlag
€ 24,99 [D] inkl. MwSt.
€ 25,70 [A] | CHF 33,90*
(* empf. VK-Preis)
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Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-421-04711-3
Erschienen: 14.09.2015, 350 Seiten
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Erinnerungen sind keine Abschnitte in Handbüchern …
(Bodo Kirchhoff)
Gelesene Bücher 2016: 62
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