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Montag, 4. Mai 2015

Robin Sloan / Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (1)


Lesen mit Anne ...

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Aus meiner Sicht ist dies das schlechteste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe. Man wird sich diesmal mit dem Klappentext begnügen müssen, den ich erneut reingeben werde:
Als Clay Jannon seinen Job als Webdesigner verliert, meldet er sich auf eine Stellenanzeige hin bei Mr. Penumbra, der in San Francisco eine alte, verstaubte Buchhandlung betreibt, die rund um die Uhr geöffnet ist. Clay übernimmt die Nachtschicht, und bald ist ihm klar, dass hier irgendetwas nicht stimmt: Die Kunden kaufen nichts, sondern leihen die Bücher nur aus, drei Stockwerke hohe Regale beherbergen riesige Folianten, die keine Texte beinhalten, sondern nur ellenlange Reihen aus Buchstaben. Nach und nach findet Clay heraus, dass Mr. Penumbra und seine Kunden einem uralten Geheimnis auf der Spur sind. Mit der Unterstützung seiner Freundin Kat und seines ältesten Kumpels Neel, sowie der Weisheit von Mr. Penumbra, macht sich Clay daran, dieses Geheimnis zu lüften. Ein Geheimnis, das bis in die Anfangszeiten des Buchdrucks zurückreicht-
Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra ist ein spannendes literarisches Rätsel und ein inspirierendes und philosophisches Buch voller einzigartiger Charaktere und visionärer Ideen.
Die letzten drei Zeilen des Klappentextes kann ich partout nicht bestätigen. Die ersten hundertfünfzig Seiten fand ich ansprechend, der Schreibstil gut gewählt, auch nicht zu trocken, eher fantasievoll. Doch danach ging es bei mir nur noch bergab. Habe mich wirklich von Seite zu Seite gequält, bis ich gar nicht mehr mitbekommen habe, was in der Story vor sich ging. Ich habe sie einfach nicht verstanden. Viel zu PC-lastig, besonders was Google, Twitter, Kindle und Co betrifft.

Ich gebe erneut das Autorenporträt rein, um nochmals zu erinnern, aus welcher Branche der Autor kommt, denn diese hat sicherlich Einfluss auf das hiesige Buch:
Robin Sloan wurde 1979 in der Nähe von Detroit geboren und hat an der Michigan State University Wirtschaftswissenschaften studiert. Er hat für Twitter und verschiedene andere Onlineplattformen gearbeitet ...
Auch mit den Figuren konnte ich nicht warm werden ...

Das habe ich selten erlebt, dass meine Neugier und das Interesse zu dem möglichen Ausgang der Geschichte im Keime so erstickt wird, dass ich keine Lust mehr hatte zu erfahren, wie das Buch ausgehen wird. In den letzten zehn Seiten habe ich kapituliert.

Es geht um eine, wie schon der Titel sagt, sonderbare Buchhandlung, die auf mysteriöse Art und Weise geführt wird. Es sind verschiedene verschlüsselte Codes, die über den Computer via Google, Twitter ... dechiffriert werden müssen, damit der Buchladen weiter als Buchladen existieren kann ...

Heute Abend telefoniere ich mit Anne. Mal schauen, welche Leseerfahrung sie mit dem Buch gemacht hat.

Ich habe nun einige Bücher über Bücher gelesen, und die meisten sind, einfach mal salopp gesagt, nur grottenschlecht. Bin wirklich enttäuscht. Ein schlechter Mix zwischen Vision und Wirklichkeit ... Sehr künstlich, wenig authentisch ...

Das Buch erhält von mir fünf von zehn Punkten ...

Telefonat mit Anne: 
Sehr abweichend war Annes Leseerfahrung von meiner nicht sonderlich. Sie war nur geduldiger als ich, indem sie den Ablauf bis zum Ende mitverfolgen konnte.

Und hier geht es mit Mausklick zu Annes Buchbesprechung
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Alleinsein hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind.
(J.R. Moehringer)

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Dienstag, 14. April 2015

J. R. Moehringer / Tender Bar (1)

Lesen mit Anne …

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich am Samstagabend ausgelesen und es hat mir recht gut gefallen. Zwischendrin gab es mal eine kleine Durststrecke, aber ansonsten war das Buch recht interessant und fantasievoll geschrieben.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:

Eine Bar ist vielleicht nicht der beste Ort für ein Kind, aber bei Weitem nicht der schlechteste. Vor allem das »Dickens« nicht, mit seinen warmherzigen und skurrilen Figuren: Smelly, der Koch, Bob der Cop mit seiner dunklen Vergangenheit oder Cager, der Vietnam-Veteran. Für den kleinen JR, der alleine mit seiner Mutter wohnt, sie alle sind bessere Väter, als seiner es jemals war. JR wird erwachsen, und erfüllt sich seinen Traum: Er geht nach Yale. Die Bar wird JR sein Leben lang begleiten. Dort hört er zum ersten Mal Sinatra, sieht Baseballspiele im Fernsehen, und trinkt sein erstes Bier. Und bekommt all das, was er braucht: Mut, Zuversicht und die Gewissheit, dass es nicht immer nur die Guten oder die Bösen gibt, dass Bücher Berge versetzen können und dass man an gebrochenem Herzen nicht stirbt. Ein abwechselnd herzzerreißender und urkomischer Roman über tapfere Kinder, mitfühlende Männer und starke Mütter. Und darüber, dass Träume auch wahr werden können - wenn man für sie kämpft.
Wenn man bedenkt, wie viel Armut es in Amerika gibt und wie wenig sie in den deutschen Medien dargestellt wird, wenn das Land stattdessen hauptsächlich von der glänzendsten Seite gezeigt wird, dann ist es gut, dass es amerikanische AutorInnen gibt, die über ihr Leben dort berichten, das alles andere als glorreich ist.
J. R. Moehringer, Jahrgang 1964, schreibt in seinem Erstlingswerk über sein Leben in Amerika. Aufgewachsen ist er auf    Long Island, eine Insel, die zum Bundesstaat New Yorks gehört, befindet sich demnach auf der Landkarte ganz oben östlich, angrenzend zu Kanada.
Ich habe nämlich oft den Eindruck, je höher man geht, desto kühler wirken die Menschen.

Und auch hier erlebe ich manche AmerikanerInnern vielfach kühl, stark leistungsorientiert und recht aggressiv. Auch der Rassismus kommt hier wieder zum Tragen, wenn auch oberflächlich betrachtet nur geringfügig … Ich belasse es bei diesen Schlagwörtern, sollte ich nicht dazu kommen, diese näher aufzuführen. Jeder aufmerksame Leser dieses Buches wird selbst dahinter kommen, in welchen Zusammenhängen diese gemeint sind ...

Viele Zettelchen kleben wieder zwischen den Seiten, sodass ich schauen muss, welche ich für meinen Blog verwenden werde.

Schon auf den ersten Seiten bin ich über einen Begriff wie z.B. Identitätsdiebstahl gestolpert. Und in der Tat, der Autor befindet sich über viele, viele Jahre auf Identitätssuche, wie sich dies auch auf seine Initialen J. R. schließen lässt, die keine wirklichen Initialen sind. Eigentlich soll der wahre Name John Joseph Moehringer verborgen bleiben. Der Name des Vaters.
Die Suche nach der Identität erweist sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch …

Moehringer kennt seinen Vater kaum, der von der Mutter getrennt lebt, und der sich weigert, Unterhalt für sie und das Kind zu zahlen. Als die Mutter versucht hat, den Unterhalt gerichtlich einzuklagen, drohte der Mann, sein eigenes Kind zu kidnappen … Doch auch ihr Leben wird oft von ihm bedroht …

J. R. fehlte der Einfluss von Männern, da er hauptsächlich von Frauen umgeben ist. Um männliche Vorbilder zu finden, begibt er sich schon im Kindesalter in eine Bar, benannt nach dem Romancier Charles Dickens, in der auch sein Onkel Charlie als Stammkunde verkehrt. 
Eine Lektion, eine Geste, eine Geschichte, eine Philosophie, eine Haltung - ich nahm von jedem Mann in Steves Bar etwas mit. Ich war ein Meister im Identitätsdiebstahl, was damals noch ein harmloses Vergehen war. Ich wurde sarkastisch wie Cager, melodramatisch wie Onkel Charlie, ein Grobian wie Joey D. Ich wollte solide sein wie Bob the Cop, cool wie Colt, und meine Wut rechtfertigte ich, indem ich mir einredete, sie sei auch nicht schlimmer als der selbstgerechte Zorn von Smelly. Irgendwann wandte ich alles, was sich im Dickens gelernt hatte, bei Leuten an, die mir außerhalb der Bar begegneten - bei Freunden, Geliebten, Eltern, Vorgesetzten und sogar Fremden.  
Moehringers Vater ist beim Radio tätig. Sehnsuchtsvoll lauscht der kleine Sohn der väterlichen Stimme aus dem Radiosender.
Mein Vater war ein vielseitig begabter Mann, doch sein wahres Genie lag im Verschwinden. Ohne Vorwarnung änderte er seine Schichten oder wechselte die Sender. Ich konterte, indem ich ein Kofferradio mit hinaus auf die Vortreppen nahm, wo der Empfang besser war. Mit dem Radio auf dem Schoß wackelte ich an der Antenne, drehte langsam den Senderknopf und kam mir verloren vor, bis ich wieder die Stimme fand. 
Traurig, wie sehr sich ein kleiner Junge nach seinem Vater sehnt. Ganz unabhängig davon, wie zerstritten die Eltern untereinander sind.

Die Armut in dieser Familie, die Familie seiner Mutter, ist recht groß, dass die Mutter und deren Geschwister, Ruth und Charlie, es finanziell nicht schafften, von den eigenen Eltern unabhängig zu leben. Immer wieder, besonders die Schwestern, zogen sie zu ihnen zurück, weil das Geld für die Miete nicht ausreichte. Charlie, Single, wagte es erst gar nicht, auszuziehen:
In Opas Haus hat jeder mindestens ein Laster - Trinken, Rauchen, Spielen, Lügen, Fluchen, Faulsein. Mein Laster war die Stimme.
Doch der Großvater hatte auch Humor. Als der Hund voller Flöhe war, und die Kinder den Großvater darüber in Kenntnis setzten, erwiderte er, dass sie das nicht weitersagen sollten, denn sonst wollten andere auch alle einen Floh haben. Darüber musste ich sehr schmunzeln.

Das Haus des Großvaters war recht ärmlich ausgestattet, aber nicht, weil der Patriarch kein Geld besaß, es instand zu setzen, nein, weil er ein alter Geizkragen sei, und dies nicht nur auf materieller Ebene bezogen:
Opa gebe keine Liebe weiter, sagte meine Mutter, als hätte er Angst, sie könnte eines Tages knapp werden. Als sie, Tante Ruth und Onkel Charlie aufwuchsen, hatte er sie alle drei ignoriert und ihnen nie Aufmerksamkeit oder Liebe geschenkt. Sie beschrieb einen Familienausflug am Strand, als sie fünf war. Als sie sah, wie lieb der Vater ihrer Cousine Charlene mit seinen Kindern spielte, bat meine Mutter, Opa im Wasser, sie auf seine Schultern zu setzen. Das machte er auch, trug sie dann aber über die Wellen hinaus, und als sie weit draußen waren und meine Mutter kaum noch den Strand sehen konnte, bekam sie Angst und flehte ihn an, er möge sie absetzen. Da warf er sie ins Wasser. Sie ging unter, landete auf dem Grund, schluckte Salzwasser. Sie kämpfte sich wieder an die Oberfläche, schnaubte nach Luft und sah Opa lachen. Du wolltest doch abgesetzt werden, sagte er zu ihr, ohne ihre Tränen zu beachten. Als meine Mutter alleine aus der Brandung schwankte, hatte sie eine frühreife Eingebung: Ihr Vater war kein guter Mensch. 
Moehringers Mutter war begabt, durfte vom Elternhaus her aber keine höhere Schule besuchen. Ihr Sohn J. R. zeigt Mitleid mit ihr, sodass der Kleine eine hohe Verantwortung auf sich lädt, denn er sieht recht früh, was in der Familie so alles falsch läuft. Die Erwartungen der Mutter, er solle in der Schule sein Bestes geben, damit er später Jura studieren, und gegen den Vater klagen könne, nimmt er auf sich. Ob später was daraus wird, wird sich zeigen. Doch das genügte ihm nicht, denn auch die Großmutter impft ihm ein, er solle gut auf die Mutter achtgeben und für sie sorgen. Hier findet ein Rollentausch statt, indem ein Kind mit der Verantwortung eines Erwachsenen ausgestattet wird. Eigentlich sollte es andersherum sein:
Bei meinem Schwarzweißbild von der Welt reicht es nicht, wenn ich mein Bestes gab. Ich musste perfekt sein. Um für meine Mutter zu sorgen und sie ans College zu schicken, mußte ich sämtliche Fehler eliminieren. Durch Fehler war unsere Zwangslage überhaupt erst entstanden - Oma hatte Opa geheiratet, Opa hatte meiner Mutter das Studium verweigert, meine Mutter hatte meinen Vater geheiratet- und wir mussten weiter für sie zahlen. Ich musste diese Fehler korrigieren, indem ich neue vermied, perfekte Noten erzielte, dann ein perfektes College besuchte, danach Jura studieren und am Ende meinen unperfekten Vater verklagen konnte. Aber wie sollte ich perfekt sein, wenn die Schule immer schwerer wurde, und wenn ich nicht perfekt war, wären Mutter und Oma enttäuscht von mir und ich wäre nicht besser als mein Vater, und dann würde meine Mutter wieder singen und weinen und auf ihren Taschenrechner einhacken, um die Finanzen zu überprüfen - solche Gedanken schwirrten mir auf dem Spielplatz durch den Kopf, wenn ich anderen Kinder beim  Tetherball Spielen zuschaut. 
Demnach wurde Moehringer Junior schon ganz früh im Leben mit belastenden Themen konfrontiert, mit denen er sich herumschlug. Er wuchs mit vielen Problemen heran, oftmals zermürbten ihn die Sorgen seiner Mutter. Doch seine Mutter, ganz anders als die Großmutter, eine recht starke Persönlichkeit, versuchte ihm die Sorgen zu nehmen: 
Ich mache mir keine Sorgen über etwas, das nicht passiert. 
Moehringer zelebriert diesen Gedanken wie ein Mantra seine gesamte Kindheit hindurch.

Nun existieren aber auch andere Personen außerhalb der Familie. Moehringer fühlt sich gezwungen, sich mit vierzehn Jahren einen Job zu suchen, um der Mutter finanziell ein wenig unter die Arme zu greifen. Da er Bücher liebt, suchte er einen Aushilfsjob in einer schlecht laufenden Buchhandlung. Er lernte zwei Brüder kennen, die für den Laden verantwortlich waren. Aber das waren eher komische Vögel, doch für Moehringer eine große pädagogische Hilfe:
Bill und Bud schienen sich vor Menschen zu fürchten, vor allen Menschen, außer ihnen selbst, und das war mit ein Grund, weshalb sie sich im Lagerraum versteckten. Der andere Grund war ihr permanentes Lesen. Sie lasen pausenlos. Sie hatten alles gelesen, was jemals geschrieben worden war, und sie waren versessen darauf, alles zu lesen, was jeden Monat neu herauskam, und zu diesem Zweck mussten sie sich von der Welt abschotten wie Mönche im Mittelalter. Obwohl beide Mitte dreißig waren, wohnten sie noch bei ihren Müttern, hatten nie geheiratet und strebten offenbar auch nicht an, auszuziehen oder zu heiraten. Abgesehen vom Lesen hatten sie kein Bedürfnis und außerhalb des Ladens keine Interessen, wobei ihr Interesse an mir von Tag zu Tag wuchs. Die Frage nach meiner Mutter, meinem Vater, Onkel Charlie und den Männern; meine Beziehung zum Dickens faszinierte sie. Sie wollten wissen, warum Steve der Bar einen literarischen Namen gegeben hatte, und daraus entwickelte sich ein Gespräch über Bücher allgemein. Bill und Bud kamen schnell dahinter, dass ich Bücher liebte, aber nicht sehr viel über sie wusste. Mittels einer Reihe rascher, bohrender Fragen fanden sie heraus, dass ich nur das Dschungelbuch und die Minutenbiografien gut kannte. Sie waren entsetzt und wütend auf meine Lehrer.  
Bill und Bud erwiesen sich ein wenig wie Pseudolehrer im Bereich der Literatur. Sie gaben dem Jungen viele Tipps zur Jugendliteratur, wie z.B. Bücher von Jack London, von Mark Twain etc. …Moehringer kannte nicht viele AutorInnen, obwohl er im Haus seines Großvaters, im Kellerraum, viele Bücher entdeckte, die er wie geheime Schätze behandelte, doch darunter fand er zu wenige Bücher, die jugendtauglich waren.

Bücher würden sogar helfen, das innere Chaos eines Menschen wieder in Ordnung zu bringen. Psychische Stabilität, die Moehringer fehlte, und bezeichnete sich selbst als einen Neurotiker …

Moehringer schafft den Übergang von der höheren Schule auf die Universität. Bill und Bud empfehlen ihm die Universität in Yale. Eine recht anspruchsvolle Bildungseinrichtung und Moehringer sich nicht sicher ist, ob er dafür gut vorbereitet ist. Er bewirbt sich auf Anraten dieser Brüder trotzdem. Folgende Szene zwischen der Mutter und dem Sohn hat mich tief berührt, auch wenn die Handlung ein wenig trivial klingt:
Meine Mutter gab mir ein Geschenk, das sie im Souvenirladen gekauft hatte, einen Brieföffner mit den Yale-Insignien."Damit kannst du deinen Zulassungsbrief öffnen", sagte sie. 
Es zeigt, wie wichtig es der Mutter ist, den Sohn auf der Yale-Universität zu sehen. Ein Wunsch auf ein Studium, das ihr selbst nicht gegönnt war.

Perfektionismus? Leistungsstreben? Schon am Anfang dieses Textes wies ich darauf hin. Moehringer bewarb sich nach seinem erfolgreichen Studium als Volontär bei der Zeitung New York Times. In einem seiner Artikel beging er einen kleinen Schreibfehler, der allerdings übertrieben große Auswirkungen hatte. Er schrieb Kelly statt Kelley. Für dieses Missverständnis war nicht nur Moehringer verantwortlich, aber er alleine musste die Konsequenzen tragen, die in ihm eine ziemlich niedergedrückte Stimmung auslösten. In der Dickensbar sprach er über sein Leid und fand ein wenig Trost bei einem seiner Kumpane. Sein Fehler wäre nur minimal, den man leicht ausradieren könne. Probleme anderer Art dagegen, da helfe kein Radiergummi ... Doch nicht nur in der Zeitung werden perfektionistisches Denken und Handeln erwartet. Auch in seiner Familie, bei seiner Tante Ruth, die diese Haltung in übertriebener Form auf den eigenen Sohn überträgt, wird man damit konfrontiert.

Dazu hat der Autor ein wunderschönes Zitat aufgeführt, der von dem großen Dramaturg William Shakespeare stammt und das ich unbedingt hier festhalten möchte:
Durch Fehler, sagt man, sind die besten Menschen Gebildet, werden meist umso viel besser, Weil sie vorher ein wenig schlimm.
Selbst in der Liebe hatte der junge Moehringer nicht besonders viel Glück und gebraucht auch hier eine schöne Metapher. Er bezeichnet die Liebe als etwas ganz Zerbrechliches, vergleicht sie mit Schnittblumen, indem die Liebe schneller als diese sterben würde. Ein schöner Vergleich, so finde ich.

Am Schluss dieser Autobiografie kommt Moehringer, was die Suche nach seiner männlichen Identität betrifft, zu einer weisen Erkenntnis, die ich mit einem Zitat belegen werde, das diese Buchbesprechung zunächst auch abschließen wird:
Während ich nach vorn gebeugt auf dem zweihundertjährigen Sofa saß und in die grünbraunen Augen meiner Mutter sah, wurde mir klar, dass sie alle Eigenschaften verkörperte, die ich mit Männlichkeit verband: Härte, Ausdauer, Entschlossenheit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit, Mut. Vage war ich mir dessen immer bewusst gewesen, doch als ich jetzt zum ersten Mal einen Blick auf die Kriegerin erhaschte, die sich hinter ihrer Ausdrucksmine verbarg, begriff ich es vollständig und konnte es zum ersten Mal in Worte fassen. So lange hatte ich gesucht und mir gewünscht hinter das Geheimnis zu kommen, wie man ein guter Mann wird, dabei hätte ich nur dem Beispiel einer einzigen überaus guten Frau folgen müssen. 
Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

Telefonischer Austausch mit Anne:

Auch Anne war von dem Buch recht angetan, wenn auch nach dem zweiten Anlauf, wobei ich mich anfangs auch schwer getan hatte, reinzukommen. Der Prolog wirkte auf mich ein wenig befremdlich ... Unsere Eindrücke waren recht ähnlich. Anne konnte noch ein paar persönliche Vergleiche zu ihrem eigenen Leben ziehen.
Sie erwähnte noch den Fiesling J.R. aus der 1980er US-Serie Dallas und dies sicher nicht schön ist, mit so einem Typen namensverwandt zu sein.



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Alleinsein hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind.
(J.R. Moehringer)

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Freitag, 6. März 2015

Erik Fosnes Hansen / Das Löwenmädchen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Lesen mit Anne ...

Das Buch habe ich noch gestern Abend ausgelesen und nun warte ich, bis meine Bücherfreundin Anne auch damit durch ist. Es besteht durchaus Gesprächsbedarf.
Das Buch hat mir recht gut gefallen. Auch liest es sich schön flüssig und die Idee ist mehr als originell. Und trotzdem bin ich mir mit meiner Meinung noch nicht ganz schlüssig ...

Ich habe mal ein wenig recherchiert und die Erkrankung bzw. vielmehr die Anomalie, unter der die Protagonistin Eva Arctander leidet, gibt es tatsächlich. Also keine reine Fiktion?
Ursachen gibt es viele. Es können auch hormonelle Störungen für diese Erscheinung verantwortlich gemacht werden.
Eva Arctander kommt mit einem hellen Fell zur Welt, das an ein Tier wie z.B. einer Katze denken lässt, weshalb wohl auch das Buch mit Das Löwenmädchen betitelt wurde. Der Autor hat sich allerdings nicht festgelegt, was die Ursache dieser Anomalie letztendlich ist, obwohl ein ganzer Schwarm von medizinischen Fachleuten an dem Mädchen zugange waren.

Diese Form der Körperbehaarung wird in der Fachsprache als  Hirsutismus bezeichnet. Zu dick aufgetragen? Eine tierische Körperbehaarung am menschlichen Körper? Ich kann mir schon vorstellen, dass es Menschen gibt, die mit einer stärkeren Behaarung geboren werden als der Durchschnittsmensch. Aber jemand mit Katzenfell?

Bin noch immer am Grübeln, was der Autor eigentlich mit seinem Buch sagen möchte. Etwa, dass Normalität schwer zu definieren - und alles nur relativ ist? Zum Ende des Buches wird man als LeserIn noch mit vielen weiteren Kreaturen konfrontiert, die körperlich völlig anders geartet sind. Es existiert in der Aufzählung auch ein Echsenmensch. Ein Mensch, dessen Haut mit Schuppen bedeckt ist. Diese Menschen in dem Buch sind zwar anders, trotzdem sind sie im Leben erfolgreich, nachdem sie es geschafft haben, eine Welt zu finden, die ihrer ähnlich ist. Sie blieben keineswegs partnerlos und auch Nachwuchs wurde gezeugt und sie reisten querbeet durch die Welt …

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Am 13.12.1912 kommt in einem kleinen Dorf in Norwegen ein Kind zur Welt, das über und über mit feinem, hellblondem Haar bedeckt ist. Die Mutter stirbt bei der Geburt, und der Vater, Stationsmeister Arctander, ein harter und pflichtbewusster Mann, will zunächst nichts von seiner Tochter wissen. Eva, die der Leser sofort ins Herz schließt, leidet an einer seltenen Krankheit, einem Gendefekt, durch den ihr ganzer Körper behaart ist. Ein interessanter Fall für die Wissenschaft, doch zunächst ein Problem für Stationsmeister Arctander und eine Handvoll Eingeweihter, die sich um das Baby sorgen. Arctander, in tiefer Trauer um seine geliebte Frau, ekelt und schämt sich, und das Kind wird versteckt. Gleichwohl verbreitet sich die Kunde des seltsamen Mädchens wie ein Lauffeuer im Dorf. Eine Amme wird gefunden, die sich liebevoll kümmert, und auch Apothekerin Birgerson und der Arzt Dr. Levin stehen dem Kind zur Seite. So wächst Eva heran: Abgeschottet von den neugierigen Blicken der Dorfbewohner und ohne Kontakt nach draußen schafft sie sich eine eigene Welt, bis sie, zunächst schüchtern, doch dann mit großer Durchsetzungskraft, der Enge ihres Zimmers immer mehr zu entfliehen beginnt.
Es gab eine Szene, die mich ein wenig zu Tränen gerührt hat und ich am Überlegen bin, ob ich diese Szene aufschreiben möchte, denn sie beschäftigt mich noch immer. Die Szene mit dem Telegrafenamt. Eva bekommt von dem Beamten namens Funke das Morsen beigebracht ... Und die Szene, als Eva in der Apotheke der Birgersons ein Buch über die Elefanten liest, indische und afrikanischer Art, während sie liest, morst sie auf dem Tisch spielerisch Mein Vater ist ein Elefant ... Und die Reaktion des Vaters, der selbst auch diese Form des Telegrafierens beherrscht, und der gemeinsam mit den Birgersons ihr gegenüber saß und sich unterhielt, fand ich interessant. 

Obwohl die sog. normalen Leute andersgeartete Menschen eher aus der Gesellschaft verstoßen, sind sie andererseits besessen darauf, diese Kreaturen zu begaffen. Ein wenig schizophren ihr Verhalten. Sie suchen eine Veranstaltung auf, ähnlich wie ein Zirkus, in der diese besonderen Menschen reihum vorgeführt werden. Auch siamesische Zwillinge befinden sich darunter, und ein Kleinwuchs, der noch kleiner ist als ein gewöhnlicher Kleinwuchs, der Autor bezeichnet ihn als Liliputaner. Im heutigen Sprachgebrauch gilt dieser Begriff eher als diskriminierend. 1912 galt diese Bezeichnung als normal ... Da bekommt man den Eindruck, dass der Autor selbst ganz süchtig danach ist, diese Wesen seinen LeserInnen der Reihe nach vorzuführen, die letztendlich nicht nur dem Ottonormalverbraucher zur Unterhaltung dienen sollen. 
Die Leute haben sich amüsiert, (…). Sie wurden unterhalten, zerstreut, erschreckt, aufgerüttelt für längere Zeit. Sie wurden bewegt, überrascht, vielleicht auch erschüttert oder schockiert oder erbost - nun gut; doch niemand stand dem Geschehenen gleichgültig gegenüber. (…) Die Leute wollen so etwas; (…) die Leute wollen es. Sie mögen es. Durch manches mag ein zartbesaitetes oder schöngeistiges Gemüt wohl erschüttert werden, oder auch die Moralapostel, doch auch diese Erschütterung ist ein Teil der Unterhaltung. So nämlich hält man Schöngeister und Moralisten und Akademiker beschäftigt: Man verschafft ihnen Anlass zur Empörung. Das ist deren Form von Unterhaltung. Tief im Grunde lieben sie es, denn so haben sie endlich wieder einen Grund zur Empörung.  
Auf Seite 361 werden Rassentheorien, man muss sich in die Zeit 1912 zurückversetzen, entworfen, die ein wenig an die von Hitler erinnern lassen.
Dort werden z.B. die Volksgruppen der Ungarn, Lappen ... der romanischen als minderwertige Rassen beschrieben. Es werden z.B. die Schädel gemessen und miteinander verglichen...
Diese exotischen Kreaturen, wie sie oben im Zitat aufgeführt sind, heben diese Theorien wieder auf, wobei ich keinen Menschen benötige, der mit Katzen- oder mit Echsenfell auf die Welt kommt, um diese Rassentheorien kritisch zu hinterfragen.

Mein Fazit:
Alles, was anders ist, stellt für viele Menschen ein Problem dar. Da muss man nicht solche Extrembeispiele rauspicken. Es reicht schon, dass man aus einem anderen Land kommt, eine andere Hautfarbe hat, oder weil man behindert ist, oder weil man arm ist, oder weil man anders denkt ... Der Beispiele gibt es noch unendlich viele.

Wieviele Sterne? Da warte ich noch auf den Austausch mit Anne, da mir ein paar wenige Fragen noch offen geblieben sind.

Wer mehr erfahren möchte, der sollte das Buch lesen. 

Nachtrag aus dem Telefongespräch mit Anne: 
Anne und ich waren derselben Meinung, dass das Buch ein wenig flach gewesen ist. Irgendwie haben wir mehr erwartet, denn wenn man so den Klappentext liest, wie hochgelobt das Buch wurde, können wir uns dem nicht ganz anschließen. Wie kommt der Autor zu diesen Exoten? Rein fiktiver Natur oder gibt es sie in der medizinischen Wissenschaft tatsächlich? ...

Die Protagonistin Eva war zu brav, zu fügsam ihrem Vater gegenüber. Keine Rebellion in der Pubertät, kein Hadern mit ihrem Schicksal, wo man dem doch weisgesagt hatte, dass seine Tochter später viele Probleme im Leben haben werde ... Der Schluss war ein wenig nebulös, zu glatt, auch wenn man sich gleich zu Beginn der Geschichte denken konnte, dass Eva ihr Elternhaus verlassen wird, um sich dieser exotischen Gruppe anzuschließen. Waren diese Menschen wirklich so erfolgreich? Eigentlich nicht. Der Autor hat das zu sehr beschönigt. Sie waren innerhalb der normalen Gesellschaft nicht wirklich überlebensfähig. Nur in der Welt mit anderen Exoten hatten sie eine Chance zu überleben. Das ist dasselbe, als würden z.B. behinderte Menschen nur unter behinderten Menschen leben können, oder Ausländer nur mit Ausländern. Ist das wirklich als Erfolg anzusehen? Meiner Meinung nach nicht. Und auch nach Annes Meinung nicht. Das hieße ja fast, dass alle Normalos unter sich sein müssten, und andere unter ihresgleichen...
Ein schöner Mensch verbringt mit sehr zeitaufwendigen Pflegeritualen seine gesamte Lebenszeit damit, schön zu bleiben. Ist das Leben lebenswert, wenn ein Mensch nichts anderes tut, als sich schön zu machen? Diese Frage stellt man sich anhand einer Szene in dem Buch.

Also, auch ich bin der Meinung, dass der Autor zu dick aufgetragen hat. Diese Exoten gibt es meiner Meinung nach nicht. Wenn ja, dann hätte Hansen im Anhang darauf hinweisen sollen.

Dennoch erhält das Buch von mir sieben von zehn Punkten, da ich es gerne gelesen habe, auch wenn es hauptsächlich der Unterhaltung gedient hat. Aber das weiß man vorher nicht.

Und hier zu Annes Blog


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Die Welt ist eine Metapher.
(H. Murakami)

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Sonntag, 4. Januar 2015

Isabel Allende / Mein erfundenes Land (1)

Lesen mit Anne


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Irgendwie muss ich über Isabel schon staunen. Das Bild, das sie von ihrem Land Chile hegt, ist mir zu einseitig.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext ein:
»Isabel Allende zu lesen heißt den Duft Lateinamerikas zu riechen, eine Großfamilie kennen zu lernen und mit skurrilen Geschichten überhäuft zu werden … Wer etwas über Geschichte und Politik Chiles, über die Menschen des Landes erfahren möchte und nicht zuletzt über Allendes außergewöhnliche Familie.
Isabel, ich schreibe Isabel, denn mit Allende assoziere ich ihren Großvater Salvador Allende, hat in ihrem Land Chile sehr viel Rassismus erfahren und sie ist der Meinung, dass in keinem Land die Menschen so stark in Kasten eingeteilt seien wie in Chile. Nicht mal in Indien sei das Kastensystem so stark verbreitet.
Auch der Rassismus sei noch stärker als in Nordamerika. Rassismus gegen die Indios, Ausländer und gegen die Juden. Auch der Kindermissbrauch sei noch stärker als in Afrika. Für mich sind das alles subjektive Wahrnehmungen. Die Inder behaupten wahrscheinlich von ihrem Land dasselbe. 

Was den Rassismus am eigenen Leib betrifft, war ich erstaunt zu lesen, als Isabel am Schalter eines Flughafens stand, um nach Kalifornien zu kommen, wurde sie als farbig beschrieben, obwohl sie gar nicht farbig ist. Aber die Lateinamerikaner würden von der übrigen Welt nicht unterschieden und sie werden reihum als farbig bezeichnet. Um zu beweisen, dass ihre Hautfarbe hell und nicht dunkel ist, öffnete sie ihren Kragen ... Das ist ja so absurd. Was soll das mit dem Kragen? Sieht man das nicht schon im Gesicht, ob jemand farbig ist?  An den Händen? Können Menschen so verbohrt sein? Ich kenne das auch aus dem eigenen Kreis, indem alle Südeuropäer in Stereotypen gepackt werden, und reihum als schwarzhaarig und dunkelhäutig beschrieben werden. Speziell in der deutschsprachigen und in der nordischen Literatur findet man diese Beschreibungen gehäuft vor. Isabel überträgt diese Erfahrung aber auch auf Europa. Auch in ihrer Vorstellung sind die Europäer ausschließlich hell und groß.
Oftmals äußert sich Isabel auch sehr klischeehaft bestimmten europäischen Ländern gegenüber, da merkt man sofort, dass sie sich etwas angelesen und nicht reflektiert hat. Eine Beobachtung, die ich nicht nur in diesem Buch gemacht habe. 
Aber wir sind ja alle nur Menschen und die meisten benötigen eben diese Raster, in denen sie andere einsortieren können, damit sie sich besser in der Welt orientieren können, auch für den Preis, dass sie eine bunte Welt gegen eine schwarz-weiß Welt eintauschen.

Natürlich ist mir auch bewusst, dass jede Gesellschaft eines Landes von Normen, Sitten und Gebräuchen gelenkt und reglementiert wird. Es sind die Sitten und Gebräuche, die das Gerüst einer Gesellschaft erzeugen, damit jene Gesellschaft aufrechterhalten werden kann. Mit dem Aussehen hat das allerdings rein gar nichts zu tun und die Anpassung an die Gesellschaftsform ist für jeden Menschen ein Prozess, der individuell ausgetragen wird. Jeder Mensch ist anders, auch wenn wir alle in ein und dem selben Haus leben würden, mit ein und den selben Eltern. 
Die typische Chilenin, die  man auf der Straße begegnet, sieht anders aus, ist Mestizin, dunkelhäutig und eher klein, auch wenn die jüngere Generationen etwas größer gewachsen sind. Die Jugendlichen von heute kommen mir riesig vor. (60)
Isabel ist gerademal ein Meter einundfünfzig. Aber das beweist noch lange nicht, dass alle Chilenen so mini sind. Im Gegenteil, mit ihrem Zitat belegt sie eher das Gegenteil.

Zurück zum Buch:

Je heller die Menschen in Chile von der Hautfarbe und der Haarfarbe seien, desto höher stünden sie in dieser Kastenhierarchie. Am niedrigsten würden die Indios stehen, wenn man bedenkt, dass die Indios die Ureinwohner dieses Landes sind, während andere aus aller Welt mehr und mehr mit der Zeit in das Land eingewandert sind.

Genetisch sind wir doch schon längst alle vermischt.  

Isabel bekam von der Mutter die Haare gebleicht, als sie im Alter eines Säuglings war. Das muss man sich mal vorstellen ...

Sie verließ ihre Heimat 1973 durch den Militärputsch Pinochets. Sie lebte als Exilantin in Nordamerika, das völlig anders sei als ihr Land Chile:
Das Zeitempfinden der Nordamerikaner ist überhaupt sehr eigen: Geduld ist für sie ein Fremdwort; alles muss schnell gehen, sogar die Mahlzeiten und der Sex, die im Rest der Welt mit Muße zelebriert werden. Nicht von ungefähr haben die Gringos die beiden unübersetzbaren Ausdrücke Snack und Quickie erfunden für das Essen im Stehen und die Liebe im Eiltempo… Die meistverkauften Bücher sind Ratgeber: Millionär werden in zehn einfachen Lektionen, fünfzehn Pfund abnehmen in einer Woche, Scheidung ohne Trauer usw. Die Leute sind ständig auf der Suche nach Abkürzung und auf der Flucht vor allem, was als unerfreulich gilt: Hässlichkeit, Alter, Übergewicht, Krankheit, Geldmangel und jedwede Form des Scheiterns. 194
Diese Beobachtung trifft wohl so ziemlich in vielen westlichen Ländern zu. Perfektion, Leistung, Status.

Weitere Beobachtungen, die mich nachdenklich gestimmt haben:
Verglichen mit anderen Orten der Erde, wo ein Kind auf dem Weg zur Schule auf eine Mine treten und beide Beine verlieren kann, lebt es sich in den USA so sicher wie in einem Kloster, aber die Kultur ist süchtig nach Gewalt. Das zeigt sich im Sport, bei Spielen, in der Kunst, nicht zu reden vom Kino, das grauenvoll ist. In ihrem Leben wollen die US-Amerikaner keine Gewalt haben, aber sie brauchen sie aus der Konserve. Sie sind begeistert vom Krieg, solange er nicht bei ihnen zu Hause stattfindet. (194) 
Interessanter Vergleich, der auf viele wohlhabende Länder der westlichen Welt zutreffen könnte.

Und nun zu meiner Frage, weshalb Isabel so oft esoterische Themen in allen ihren Büchern einbringt, konnte ich nun in diesem Werk beantwortet bekommen. Was hat der magische Realismus mit ihr selber zu tun? Eigentlich wenig, wäre da nicht ihre Großmutter, die Gläserrücken und Geisteranbetungen praktizierte und Tarotkarten legte. Das hat Isabel sehr geprägt. Wobei der magische Realismus in der Literatur auch eine Modeerscheinung Lateinamerikas war oder noch ist. Dazu ein schönes Zitat:
Ich habe die übersinnlichen Fähigkeiten meiner Großmutter nicht geerbt, aber sie hat mir die Augen für die Wunder der Welt geöffnet. Ich halte alles für möglich. Großmutter war davon überzeugt, die Wirklichkeit besitze viele Dimensionen, und wenn wir das Leben verstehen wollten, sei es unklug, sich nur auf den Verstand und unsere begrenzten Sinne zu verlassen; es gibt ja noch andere Werkzeuge der Wahrnehmung, den Instinkt etwa, die Fantasie, Träume, Gefühle, Intuition. Durch Großmutter lernte ich den magischen Realismus kennen, lange bevor er mit dem sogenannten Boom der lateinamerikanischen Literatur in Mode kam.Das hilft mir bei der Arbeit, denn bei jedem neuen Buch folgte ich dem Grundsatz, mit dem sie ihre Sitzungen leitete:Ich locke die Geister sanft herbei, damit sie mir ihr Leben erzählen. Literarische Figuren sind so fragile und scheue Wesen wie die Gesichte meiner Großmutter; man muss sie mit Fingerspitzengefühl behandeln, damit sie sich auf den Buchseiten heimisch fühlen. (78) 
Vor allem die Textstelle, wie Isabel ihre literarischen Figuren herbeiruft, finde ich mehr als originell.

Isabel konnte schon sehr früh die Begeisterung für Bücher aufbringen. Einmal durch den Großvater Salvador und einmal durch ihren Onkel Pablo. Der Großvater allerdings hatte Isabel verboten, nach einundzwanzig Uhr noch zu lesen. Onkel Pablo machte das wieder wett und schenkte Isabel eine Taschenlampe. Und so verbrachte sie viele Nächte lesend unter ihrer Decke.

Auf Seite 83 ist zu entnehmen, mit welchen Büchern Isabel ihre Jungend verbrachte.

Hier mache ich nun Schluss. Weiteres ist dem Buch zu entnehmen, das ich jedem Isabel Allende-Liebhaber empfehlen kann.
_________
Man sollte sich an Dinge erinnern, die nie passiert sind.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2015  01
Gelesene Bücher 2014: 88
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Donnerstag, 4. Dezember 2014

Agatha Christi / Das Haus an der Düne (1)

Lesen mit Anne ...

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe das Buch nun durch. Mir hat es ganz gut gefallen, aber es gibt nicht so viel, was ich zu dem Buch sagen könnte.  Was hat mir denn nun gefallen? Ich finde, Agatha ist es gut gelungen, die Szenen ein wenig zu verwirren, damit man nicht so leicht hinter das Kriminalistische kommt. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, das Opfer namens Nick Buckley ... zu verwechseln. Ich darf ja nicht so viel verraten. Es ist aber auch der Klappentext, der die Leserin ein wenig in eine Richtung weist... 

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Während ihres Urlaubs in dem Küstenstädtchen St. Loo lernen Hercule Poirot und Captain Hastings die junge Nick Buckley kennen, Erbin eines großen alten Hauses mit Seeblick. Auf das Leben des jungen Mädchen werden immer wieder Anschläge ausgeführt, denen sie nur knapp entkommt. Ihre Kusine wird bei einem solchen Mordversuch getötet. Hercule Poirot steht vor einem Rätsel.
Verglichen mit Anne bin ich kein Fan von Agatha Christi, weshalb mir wahrscheinlich nicht so viel zum Schreiben einfällt. Ich lese sie nur, um eine Vorstellung von den Büchern der Autorin zu bekommen.

Auffallend fand ich, dass der Icherzähler Hastin so von Hercule Porot richtig von oben herab behandelt wird, auch wenn er tatsächlich keine bösen Absichten damit hegte, dennoch hatte es Hasting hin und wieder doch wegen seiner Direktheit die Sprache verschlagen ... Da wirkte dieser Hercule Poirot doch ein wenig überheblich ... Natürlich kann er sich auf sein detektivisches Können etwas einbilden, hihihi, aber trotzdem. Mal runter kommen von seinem hohen Ross, :). 

Anne gefallen Buchverfilmungen besser als die Bücher. Nein, die Zeit würde ich mir nicht nehmen, mir noch die Agatha Krimis anzuschauen. Krimis zählen nicht zu meinen favorisierten Genres.

 So, morgen Abend beginne ich mit Marcel Proust. Mir fehlen noch zwei Bände von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, dann habe ich alle sieben Bände geschafft.
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Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben …
Das Böse findet immer seine Strafe. Nur bleibt sie uns manchmal verborgen..
(Agatha Christi)

Gelesene Bücher 2014: 83
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Samstag, 1. November 2014

Hans Fallada / Der Alpdruck

Lesen mit Anne ...

Es ist wieder soweit. Der erste des Monats und wir, Anne und ich, lesen wieder gemeinsam ein Buch. Diesmal war ich mit dem Auswählen dran und entschied mich wieder für Fallada, denn in meinem Bücherschrank befindet sich ein Fallada-SuB, den ich gerne auch abbauen möchte. Gute Bücher sollte man nämlich nicht allzulange ungelesen im Schrank aufbewahren.

Klappentext
Berlin, Stunde null – ein bedeutender Fallada
April 1945: Der Krieg ist vorbei, doch nachts verfolgen den Schriftsteller Dr. Doll Träume vom Bombentrichter, der ihn nicht freigibt. Er will etwas tun gegen den Alpdruck der Mitschuld, doch er kann es niemandem recht machen als Bürgermeister einer Kleinstadt, eingesetzt von der Roten Armee. Er stiehlt sich fort und flüchtet in den Drogenrausch. Im Chaos des zerbombten, nur auf dem Schwarzmarkt funktionierenden Berlin entgleitet ihm seine junge, morphiumsüchtige Frau, und er hat um zwei Leben zu kämpfen, als er zaghaft beginnt, wieder an eine Zukunft zu glauben.
Erst nachdem sich Fallada den "Alpdruck", die Geschichte des erkennbar eng aus seinem eigenen Erleben geschöpften Protagonisten Dr. Doll, von der Seele geschrieben hatte, konnte er sich der Arbeit an "Jeder stirbt für sich allein" stellen.
Mit einem Vorwort und Hintergrundmaterial.

Autorenporträt
RUDOLF DITZEN alias HANS FALLADA (1893–1947), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit "Der junge Goedeschal“. Der vielfach übersetzte Roman "Kleiner Mann – was nun?" (1932) machte Fallada weltberühmt. Sein letztes Buch, „Jeder stirbt für sich allein“ (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938).
»Alles in meinem Leben endet in einem Buch.«
Hans Fallada gehört zu meinen großen Lieblingen. Er schreibt sehr menschlich. Nein, ich sage lieber, Fallada ist auf dem Gebiet der Menschlichkeit ein großes Genie. Ich habe schon eine Reihe Bücher von ihm gelesen.

Gelesen habe ich von ihm:
  1. Damals bei uns daheim 
  2. Der eiserne Gustav 
  3. Der Trinker                                                   
  4. Ein Mann will nach oben                                                             
  5. Jeder stirbt für sich allein
  6. Kleiner Mann – großer Mann – alles vertauscht
  7. Kleiner Mann, was nun?
  8. Wer aus dem Blechnapf frißt 
  9. Wolf unter Wölfen
Dazu eine Biographie von Jenny Williams zu Fallada: Mehr Leben als eins

Lediglich Bauern, Bonzen und Bomben musste ich abbrechen, da mir die Welt darin schrecklich männlich vorkam. Das konnte ich nicht aushalten. Ich hatte zwei Mal versucht, das Buch zu lesen. Mittlerweile habe ich den Band aufgegeben. 

Von den anderen Bänden kann ich gar nicht sagen, welcher Titel mir am meisten zugesagt hat. Mir haben sie alle supergut gefallen. 

Ich freue mich, dass ich meiner Freundin Anne diese Fallada-Lust übertragen konnte, hihihi ... 

Auf ein Neues.

Zu Annes und Mirellas SuB



Freitag, 3. Oktober 2014

Régis de Sá Moreira / Das geheime Leben der Bücher (1)

Lesen mit Anne

Nur ein paar Sätze zu dem Buch. Mir hat das Buch gar nicht gefallen. Es hat mich eher gelangweilt. Es ist dermaßen oberflächlich und wenig authentisch geschrieben. Diese merkwürdigen skurrilen Gestalten, die als Kunden den Buchladen betreten und schnell auch wieder verlassen, fand ich nicht wirklich anziehend und habe den Sinn ihres Auftretens und besonders in der gesamten Geschichte nicht erfassen können. Da hat mir der Klappentext besser gefallen, als der eigentliche Inhalt des Buches. Im folgenden gebe ich erneut den Klappentext rein:
Auch Bücher brauchen Liebe!
Viele wünschen sich, sie könnten von Luft und Liebe leben. Er, der Buchhändler, lebt vom Lesen, denn nur dann hat er das Gefühl, geliebt zu werden. Seine Buchhandlung ist sein Universum, die Bücher sind seine Schützlinge. Und bei jedem Klingeln seiner Türglocke ist er immer wieder bereit, seine frohe Botschaft zu verkünden: Lesen hilft und macht glücklich ...
Meine Bücherfreundin Anne hat es ähnlich empfunden, zumal sie noch jede Menge Rechtschreibfehler entdeckt hatte ... Das Buch wirkt auf mich, als habe der Autor es schnell mal über Nacht geschrieben.

Auch den Titel fand ich irreführend, nicht wirklich passend ... Eigentlich geht es hier um das geheime Leben des Buchhändlers, der Tag und Nacht in dem Laden verweilt und sich hauptsächlich mit Kräutertees ernährt.

176 Seiten? Keineswegs, denn es gibt viele große Absätze und viele leere Seiten.

Dadurch, dass ich mit dem Buch so gar nichts anfangen kann, beende ich nun meine Buchbesprechung.

Das Buch erhält von mir fünf von zehn Punkten.

Der anzuklickende Link führt zu Annes Buchbesprechung

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Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

Gelesene Bücher 2014: 67
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86






Freitag, 12. September 2014

Hans Fallada / Der eiserne Gustav (2)

Lesen mit Anne ...

Zweite von zwei Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Gestern habe ich das Buch ausgelesen. Es hätte so viel zu sagen gegeben, dass es mich schon sprachlos gestimmt hat. Von der ersten Zeile bis zur letzten, von der ersten Seite bis zur letzten Seite hatte mich der Roman gepackt. Jede Figur, die dort aufgetreten ist, fand ich spannend und bedeutend. Die politischen und historischen Ereignisse; immer mal wieder gut, daran erinnert zu werden …

Ich versuche es heute:

Zur Erinnerung gebe ich aber noch einmal den Klappentext rein:
Berlin, zwischen 1914 und 1924: Gustav Hackendahl, genannt der eiserne Gustav, ist Droschkenkutscher, streng gegen sich selbst und andere. In den unruhigen Kriegs- und Nachkriegsjahren bricht seine Familie auseinander, sein Betrieb kann neben der Automobil-Konkurrenz nicht mehr bestehen. Da setzt er trotzig einen Traum in die Tat um: Er macht sich auf eine letzte Reise – mit der Droschke von Berlin nach Paris.
Man wird Zeuge, wie eine siebenköpfige Familie durch die politischen, aber auch durch die familiären Umstände auseinanderbricht ...

Die Hackendahls, da waren die Eltern:

Vater Gustav, ein erfolgreicher Droschkenkutscher hat es in seinem Beruf so weit gebracht, dass er es sich leisten konnte, Kutscher einzustellen, die die Arbeit für ihn erledigten. Er brachte es zu einem satten Vermögen. Aber er lebte recht sparsam. Geiz bestimmte sein Leben ... Auch in emotionaler Hinsicht. Sein Verhalten führte oft ins ad absurdum ...

Hackendahl koordinierte nur, kontrollierte, bestimmte das eigene Leben und das seiner Familienmitglieder, denn auch dort kontrollierte er seine Frau und seine fünf Kinder. Als würden diese von ihm an der Leine gehalten.
Das Leben war so zugebaut, man konnte dem eigenen Mann nicht sagen, was einem zum Überdruss an ihm missfiel und wenn man es ihm sagte, so hörte er nicht, und wenn er hörte, so änderte er sich nicht. Das Leben war so ausweglos, immer dasselbe, es war nicht zu ertragen, keinesfalls, und man ertrug es doch. (57)
Gustavs Frau empfand ich wie einen Jammerlappen, sie besaß meist eine weinerliche Stimme, sie war ihrem Mann tiefst untergeben. Einmal nur widersetzte sie sich ihm … Aber nur dies eine Mal …

Der Titel, Der eiserne Gustav, passte zu dem Protagonisten. Eine Person, von der man glaubt, sie sei aus Stahl und könne dadurch nichts empfinden. Selbst sein Herz schien wie aus Chrom geschaffen zu sein …

Die Kinder Otto, Erich, Heinz, Sophie und Eva schienen die wirklich Leidtragenden zu sein, bis ins erwachsene Alter, in der Form, dass sie geprägt durch die strenge väterliche Autorität Probleme hatten, ihren Platz in der Welt zu finden und zu behaupten.

Sie suchen ihren Weg, was auch heißt, sie verlassen das Elternhaus. Der Vater Hackendahl ist entsetzt, dass er so wenig Dankbarkeit von den Kindern entgegengebracht bekommt. Schließlich habe er die Kinder ohne Hunger groß bekommen und wirft ihnen dies immer wieder vor. Er realisiert nicht, dass er als Vater dazu verpflichtet ist, für die Kinder bedingungslos zu sorgen. Er wirft ihnen immer wieder vor, dass sie diese Leistung niemals hätten aufbringen können, dasselbe für die Eltern zu tun ...

Durch die Inflation verarmte auch Gustav. Doch er war zu stolz, sich Hilfe bei den Kindern zu holen, vor allem bei der älteren Tochter Sophie, gelernte Krankenschwester, arbeitete sich als Oberin hoch:  
Nein, darin war Gustav eisern, er ging nicht zu seinen Kindern, dann noch lieber auf die Wohlfahrt! Es war jetzt so, dass er richtig grinsen konnte, über sich, die Kinder und über die ganze Welt: Er, der ehemalige Wachtmeister von den Pasewalker Kürassieren, hatte fünf Kinder ohne Hungern großgekriegt. Aber diese Kinder, die alle mehr gelernt hatten als der Vater, kriegten zwei Eltern nicht satt! Darüber grinste er. (457)
Bei den anderen Kindern gab es nichts zu holen. Sie kämpften mit ihrem Leben, sie kämpften sogar psychisch und physisch ums Überleben. Und jeder auf seine ureigene Art und Weise.

Das jüngste Kind Eva, gerät völlig auf Abwegen, hängt sich einem Zuhälter namens Eugen an, der sie psychisch von sich abhängig macht, und führt sie in die Prostitution und in die Kriminalität. Eva ist alles recht, nur nicht wieder zurück nach Hause … Ein sehr trauriges Schicksal. Trotzdem habe ich mich gefragt, ob Fallada hierin nicht ein wenig übertrieben hat, da Eva in ihrer Jugend psychisch relativ stabil war. Und sie war noch der Liebling ihres Vaters. 

Als die Kinder noch jünger waren, war der Vater so dreist, dass er jede Nacht aufgestanden ist, und die beiden Zimmer seiner Kinder aufgesucht hat, um sie beim Schlafen zu beobachten. Dadurch kannte er jeden Atemzug seiner Kinder. Er konnte unterscheiden, ob eines der Kinder schlief, oder sich nur schlafend stellte. Die Klamotten wurden durchwühlt … 

Otto bindet sich hinter dem Rücken seiner Eltern mit der Schneiderin Gertrud Gudde, und sie haben einen gemeinsamen Sohn namens Gustav. Otto wohnt allerdings noch bei den Eltern. Er besucht heimlich täglich seine Kleinfamilie. Gudde hatte einen leichten Buckel und wurde dadurch von den Eltern Hackendahls diskriminiert …, später, als die Beziehung durch Otto bekannt gemacht wurde …
Otto, der über viele Begabungen verfügt, wird vom Vater eher wie ein Dümmling behandelt, der aus väterlicher Sicht keine besonderen Gaben besitzen würde. Den wahren Otto erkennt nur seine Gertrude, die vielen Fähigkeiten, die in Wirklichkeit in ihm geschlummert haben.

Den Weltkrieg, der heroisiert wird, hat Fallada auch supergut beschrieben. Berlin freute sich auf den Krieg, und die jungen Männer konnten es nicht abwarten, endlich eingezogen zu werden. Sie gaben ein großes Fest, ohne zu realisieren, dass der Krieg auch unter den Zivilisten viele Opfer einfordert. Otto wird eingezogen und wurde auch befördert. Der dreizehnjährige Bruder Heinz wollte auch unbedingt Soldat werden, wie viele Jungen seines Alters ... Heinz musste vom Vater gebremst werden.

Als der Krieg schließlich aus, verloren war, wollten die Menschen auch nicht wahrhaben, dass Deutschland den Krieg verloren hat. Sie wollten den Tatsachen nicht ins Auge schauen, wollten nicht wahrhaben, dass sie von Frankreich besiegt wurden …

Vor allem Gertrude hatte ein Problem, als sie im Gespräch mit Schwager Heinz steht:
„Sind wir besiegt?! Sag doch, wo haben wir eine Schlacht verloren?! Sag doch! Pfui Teufel, die Schande! Wir haben gesiegt, gegen die ganze Welt haben wir gekämpft und gesiegt, kein Feind steht in Deutschland, und du sagst besiegt?! Wo sind wir denn besiegt, wo?!" (313)
Nach dem Krieg wurde das Leben auch nicht leichter. Immer noch bestand der Kampf um Lebensmittel, vor allem auch Kriegsgeschädigte waren gezwungen, betteln zu gehen, obwohl dies streng verboten war:
Da auch Kriegsverletzte weiter leben wollten und da viele nicht arbeiten konnten, gingen sie auf die Straße. In Trupps zu drein, fünfen, zehnen klappern sie die Häuser ab, sangen auf den Höfen, musizierten. Oder sie saßen an den Hauptverkehrsstraßen, boten Schnürsenkel und Streichhölzer an oder bettelten auch nur. Die Regierung, die Polizei musste dem zusehen, man konnte den Leuten nicht befehlen, still zu verhungern … (442)
Arbeitslose wurden von den Ämtern diskriminiert. Wie Fallada die folgende Szene beschreibt, finde ich genial:
Dann waren da die Angestellten auf der Stempelstelle. Es war ganz klar, diese Angestellten in den Stuben und hinter den Schaltern hatten nur darum Arbeit, weil die anderen arbeitslos waren. Sie lebten von der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosen waren ihre Arbeitgeber. Da hätten doch, meinten die Arbeitslosen, diese Angestellten ein bisschen höflich zu ihnen sein müssen, jawohl, sie hätten ihre Arbeitgeber freundlich und mit Achtung behandeln sollen! (636)
Ich beende nun hiermit meine Buchbesprechung.

Noch mal kurz gesagt, Gustav Hackendahl ist eigentlich eine richtige Witzfigur. Und solche Menschen, die nie an sich zweifeln, und die Fehler nur bei anderen suchen, sind nicht so leicht unterzukriegen … Sie sind resistent gegen jede Art von Bazillus ...

Anne und ich waren beide der Meinung, dass Fallada ruhig weiter mit seinem Roman hätte schreiben sollen. Die Zeit Hitlers mit aufgreifen, denn man kann sich sehr gut vorstellen, wie gewisse Menschen dieses Romans anfällig wären, einer Autorität wie Hitler zu folgen. Erst recht, wer im Leben so viele politische und familiäre Niederlagen erleiden musste. Wer wünscht sich da nicht einen stellvertretenden Vater, einen Übervater?

Aber Hitler scheint nicht zu den Themen Falladas zu zählen. Seine Hauptthemen bewegen sich eher in Richtung Kaiserzeit, Erster Weltkrieg und der Nachkriegszeit.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Fallada schreibt so ungeschminkt. Er schaut durch die Menschen hindurch, als wären sie alle gläsern.

Und hier geht es zu Annes Buchbesprechung, die mir auch gut gefallen hat.


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Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)

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Montag, 8. September 2014

Hans Fallada / Der eiserne Gustav (1)

Lesen mit Anne ...


Am letzten Freitag Abend habe ich mit Anne telefoniert und wir uns gemeinsam über das Buch ausgelassen hatten.

Während ich davon ausging, dass sie den selben Band hat wie ich, mussten wir recht bald einem Missverständnis weichen, siehe unten.

Als wir uns über die Tragik dieses Romans ausgelassen hatten, wurden wir beide recht verunsichert, als es um den Inhalt ging, der vereinzelt zu unterschiedlichem Verständnis geführt hat ... Woran konnte das nur liegen?

 Von der Seitenzahl her war ich weiter als Anne, doch inhaltlich war sie weiter als ich, wie sich dies bald herausstellen ließ.

Annes Band ist nicht das vom Aufbau Verlag, sondern vom Bertelsmann. Und dadurch, dass das Cover, weil wohl veraltet, auf Amazon nicht zu finden war, gab Anne in ihrem Blog das neueste Cover an, und zwar das vom Aufbau Verlag.

Konnten wir beide das Buch von den Fakten her so missverständlich aufgefasst haben, wo doch Fallada dazu noch über eine so einfache Sprache verfügt? Ich zweifelte an mir, und Anne an sich.

Bis wir die Kapitel verglichen hatten, und die Seitenzahl. Mein Buch umfasst zudem 750 Seiten, Annes Buch über knapp 500 Seiten. Die Schrift in ihrem Buch ist recht klein, verglichen mit der Schrift aus meinem Buch, die recht groß ist.

Anne war demzufolge inhaltlich um ca. 40 Seiten weiter als ich. Während bei ihr z.B. der Erste Weltkrieg schon zwei Jahre zurücklag, und bei mir der E. W.  erst begonnen hatte ...  Wir hatten dann das Rätsel schnell gelöst ...

Es ist gut, das nächste Mal uns gleich über die Ausgabe des Buches verständlich zu machen.

Diese Erfahrung fand ich recht originell, wie erleichtert wir beide doch waren, dass keine von uns beiden unter einem Verständnisdefizit litt.

Insgesamt befinde ich mich mittlerweile auf der 500. Seite. Das Buch stimmt mich richtig betroffen. Eine recht traurige und dekadente Familiengeschichte und man die Hoffnung hat, dass der Wandel sich noch in positivere Bahnen entwickeln wird. Aber das entspräche nicht wirklich der damaligen Realität. Und doch, es gehen nicht alle Menschen unter, manche leben bzw. überleben diese stark existentiell gefährdete Leben, das nach dem Weltkrieg auch nicht besser wurde.

Für mich sind  Hans Fallada und Erich Maria Remarque in Sachen Menschlichkeit beide Genies.

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Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

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Dienstag, 2. September 2014

Dai Sijie - Wie ein Wanderer in einer mondlosen Nacht ...


Lesen mit Anne - Dai Sijie: Wie ein Wanderer in einer mondlosen Nacht

Abbruch

Anne und ich haben beide das Buch abgebrochen. An den chinesischen Namen, daran kann man sich gewöhnen, wenn aber alles andere auch nicht stimmt, dann sieht es schlecht aus, das Buch bis zum Ende zu bringen.

Ich konnte auch mit keiner Figur warm werden. Und mit den vielen Kaisern konnte ich wenig anfangen. Mir war in dem Buch alles fremd. Vielleicht muss man erst chinesische Geschichte studiert haben, um das Buch zu verstehen. Den Stoff habe ich als recht trocken erlebt.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Schicksalhaft kreuzen sich in Peking die Wege einer französischen Studentin und eines chinesischen Gemüsehändlers. Beide sind auf der Suche nach der verlorenen Hälfte einer uralten, seidenen Schriftrolle. Denn diese birgt nichts Geringeres als die geheimnisumwobenen Anfänge des Buddhismus. Fasziniert vom Zauber der Schrift und ihrer Macht begeben sie sich auf eine entbehrungsreiche Reise.
Auf Bücher.de habe ich eine Kritik gefunden, die genau das ausdrückt, was ich auch noch zusätzlich beobachtet habe:
anfangs leider sehr langweilig, viel zu viel vorgegriffen, man erkennt nicht den eigentlichen sinn des klappentextes, (buecher.de)
Ich werde dieses Buch nicht mit auf meine Liste "Gelesene Bücher / Abbruch" nehmen, da für mich alles, was unter hundert Seiten ist, zählt als ein Probelesen.

Schade, es war unser erstes Buch, mit dem wir gestartet haben. Aber das kommt vor. Wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein, darauf sollten wir gefasst sein.

Da der September erst begonnen hat, suche ich nun das nächste Buch aus ...

Anne ist schon ganz gespannt.
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Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

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