Freitag, 12. September 2014

Hans Fallada / Der eiserne Gustav (2)

Lesen mit Anne ...

Zweite von zwei Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Gestern habe ich das Buch ausgelesen. Es hätte so viel zu sagen gegeben, dass es mich schon sprachlos gestimmt hat. Von der ersten Zeile bis zur letzten, von der ersten Seite bis zur letzten Seite hatte mich der Roman gepackt. Jede Figur, die dort aufgetreten ist, fand ich spannend und bedeutend. Die politischen und historischen Ereignisse; immer mal wieder gut, daran erinnert zu werden …

Ich versuche es heute:

Zur Erinnerung gebe ich aber noch einmal den Klappentext rein:
Berlin, zwischen 1914 und 1924: Gustav Hackendahl, genannt der eiserne Gustav, ist Droschkenkutscher, streng gegen sich selbst und andere. In den unruhigen Kriegs- und Nachkriegsjahren bricht seine Familie auseinander, sein Betrieb kann neben der Automobil-Konkurrenz nicht mehr bestehen. Da setzt er trotzig einen Traum in die Tat um: Er macht sich auf eine letzte Reise – mit der Droschke von Berlin nach Paris.
Man wird Zeuge, wie eine siebenköpfige Familie durch die politischen, aber auch durch die familiären Umstände auseinanderbricht ...

Die Hackendahls, da waren die Eltern:

Vater Gustav, ein erfolgreicher Droschkenkutscher hat es in seinem Beruf so weit gebracht, dass er es sich leisten konnte, Kutscher einzustellen, die die Arbeit für ihn erledigten. Er brachte es zu einem satten Vermögen. Aber er lebte recht sparsam. Geiz bestimmte sein Leben ... Auch in emotionaler Hinsicht. Sein Verhalten führte oft ins ad absurdum ...

Hackendahl koordinierte nur, kontrollierte, bestimmte das eigene Leben und das seiner Familienmitglieder, denn auch dort kontrollierte er seine Frau und seine fünf Kinder. Als würden diese von ihm an der Leine gehalten.
Das Leben war so zugebaut, man konnte dem eigenen Mann nicht sagen, was einem zum Überdruss an ihm missfiel und wenn man es ihm sagte, so hörte er nicht, und wenn er hörte, so änderte er sich nicht. Das Leben war so ausweglos, immer dasselbe, es war nicht zu ertragen, keinesfalls, und man ertrug es doch. (57)
Gustavs Frau empfand ich wie einen Jammerlappen, sie besaß meist eine weinerliche Stimme, sie war ihrem Mann tiefst untergeben. Einmal nur widersetzte sie sich ihm … Aber nur dies eine Mal …

Der Titel, Der eiserne Gustav, passte zu dem Protagonisten. Eine Person, von der man glaubt, sie sei aus Stahl und könne dadurch nichts empfinden. Selbst sein Herz schien wie aus Chrom geschaffen zu sein …

Die Kinder Otto, Erich, Heinz, Sophie und Eva schienen die wirklich Leidtragenden zu sein, bis ins erwachsene Alter, in der Form, dass sie geprägt durch die strenge väterliche Autorität Probleme hatten, ihren Platz in der Welt zu finden und zu behaupten.

Sie suchen ihren Weg, was auch heißt, sie verlassen das Elternhaus. Der Vater Hackendahl ist entsetzt, dass er so wenig Dankbarkeit von den Kindern entgegengebracht bekommt. Schließlich habe er die Kinder ohne Hunger groß bekommen und wirft ihnen dies immer wieder vor. Er realisiert nicht, dass er als Vater dazu verpflichtet ist, für die Kinder bedingungslos zu sorgen. Er wirft ihnen immer wieder vor, dass sie diese Leistung niemals hätten aufbringen können, dasselbe für die Eltern zu tun ...

Durch die Inflation verarmte auch Gustav. Doch er war zu stolz, sich Hilfe bei den Kindern zu holen, vor allem bei der älteren Tochter Sophie, gelernte Krankenschwester, arbeitete sich als Oberin hoch:  
Nein, darin war Gustav eisern, er ging nicht zu seinen Kindern, dann noch lieber auf die Wohlfahrt! Es war jetzt so, dass er richtig grinsen konnte, über sich, die Kinder und über die ganze Welt: Er, der ehemalige Wachtmeister von den Pasewalker Kürassieren, hatte fünf Kinder ohne Hungern großgekriegt. Aber diese Kinder, die alle mehr gelernt hatten als der Vater, kriegten zwei Eltern nicht satt! Darüber grinste er. (457)
Bei den anderen Kindern gab es nichts zu holen. Sie kämpften mit ihrem Leben, sie kämpften sogar psychisch und physisch ums Überleben. Und jeder auf seine ureigene Art und Weise.

Das jüngste Kind Eva, gerät völlig auf Abwegen, hängt sich einem Zuhälter namens Eugen an, der sie psychisch von sich abhängig macht, und führt sie in die Prostitution und in die Kriminalität. Eva ist alles recht, nur nicht wieder zurück nach Hause … Ein sehr trauriges Schicksal. Trotzdem habe ich mich gefragt, ob Fallada hierin nicht ein wenig übertrieben hat, da Eva in ihrer Jugend psychisch relativ stabil war. Und sie war noch der Liebling ihres Vaters. 

Als die Kinder noch jünger waren, war der Vater so dreist, dass er jede Nacht aufgestanden ist, und die beiden Zimmer seiner Kinder aufgesucht hat, um sie beim Schlafen zu beobachten. Dadurch kannte er jeden Atemzug seiner Kinder. Er konnte unterscheiden, ob eines der Kinder schlief, oder sich nur schlafend stellte. Die Klamotten wurden durchwühlt … 

Otto bindet sich hinter dem Rücken seiner Eltern mit der Schneiderin Gertrud Gudde, und sie haben einen gemeinsamen Sohn namens Gustav. Otto wohnt allerdings noch bei den Eltern. Er besucht heimlich täglich seine Kleinfamilie. Gudde hatte einen leichten Buckel und wurde dadurch von den Eltern Hackendahls diskriminiert …, später, als die Beziehung durch Otto bekannt gemacht wurde …
Otto, der über viele Begabungen verfügt, wird vom Vater eher wie ein Dümmling behandelt, der aus väterlicher Sicht keine besonderen Gaben besitzen würde. Den wahren Otto erkennt nur seine Gertrude, die vielen Fähigkeiten, die in Wirklichkeit in ihm geschlummert haben.

Den Weltkrieg, der heroisiert wird, hat Fallada auch supergut beschrieben. Berlin freute sich auf den Krieg, und die jungen Männer konnten es nicht abwarten, endlich eingezogen zu werden. Sie gaben ein großes Fest, ohne zu realisieren, dass der Krieg auch unter den Zivilisten viele Opfer einfordert. Otto wird eingezogen und wurde auch befördert. Der dreizehnjährige Bruder Heinz wollte auch unbedingt Soldat werden, wie viele Jungen seines Alters ... Heinz musste vom Vater gebremst werden.

Als der Krieg schließlich aus, verloren war, wollten die Menschen auch nicht wahrhaben, dass Deutschland den Krieg verloren hat. Sie wollten den Tatsachen nicht ins Auge schauen, wollten nicht wahrhaben, dass sie von Frankreich besiegt wurden …

Vor allem Gertrude hatte ein Problem, als sie im Gespräch mit Schwager Heinz steht:
„Sind wir besiegt?! Sag doch, wo haben wir eine Schlacht verloren?! Sag doch! Pfui Teufel, die Schande! Wir haben gesiegt, gegen die ganze Welt haben wir gekämpft und gesiegt, kein Feind steht in Deutschland, und du sagst besiegt?! Wo sind wir denn besiegt, wo?!" (313)
Nach dem Krieg wurde das Leben auch nicht leichter. Immer noch bestand der Kampf um Lebensmittel, vor allem auch Kriegsgeschädigte waren gezwungen, betteln zu gehen, obwohl dies streng verboten war:
Da auch Kriegsverletzte weiter leben wollten und da viele nicht arbeiten konnten, gingen sie auf die Straße. In Trupps zu drein, fünfen, zehnen klappern sie die Häuser ab, sangen auf den Höfen, musizierten. Oder sie saßen an den Hauptverkehrsstraßen, boten Schnürsenkel und Streichhölzer an oder bettelten auch nur. Die Regierung, die Polizei musste dem zusehen, man konnte den Leuten nicht befehlen, still zu verhungern … (442)
Arbeitslose wurden von den Ämtern diskriminiert. Wie Fallada die folgende Szene beschreibt, finde ich genial:
Dann waren da die Angestellten auf der Stempelstelle. Es war ganz klar, diese Angestellten in den Stuben und hinter den Schaltern hatten nur darum Arbeit, weil die anderen arbeitslos waren. Sie lebten von der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosen waren ihre Arbeitgeber. Da hätten doch, meinten die Arbeitslosen, diese Angestellten ein bisschen höflich zu ihnen sein müssen, jawohl, sie hätten ihre Arbeitgeber freundlich und mit Achtung behandeln sollen! (636)
Ich beende nun hiermit meine Buchbesprechung.

Noch mal kurz gesagt, Gustav Hackendahl ist eigentlich eine richtige Witzfigur. Und solche Menschen, die nie an sich zweifeln, und die Fehler nur bei anderen suchen, sind nicht so leicht unterzukriegen … Sie sind resistent gegen jede Art von Bazillus ...

Anne und ich waren beide der Meinung, dass Fallada ruhig weiter mit seinem Roman hätte schreiben sollen. Die Zeit Hitlers mit aufgreifen, denn man kann sich sehr gut vorstellen, wie gewisse Menschen dieses Romans anfällig wären, einer Autorität wie Hitler zu folgen. Erst recht, wer im Leben so viele politische und familiäre Niederlagen erleiden musste. Wer wünscht sich da nicht einen stellvertretenden Vater, einen Übervater?

Aber Hitler scheint nicht zu den Themen Falladas zu zählen. Seine Hauptthemen bewegen sich eher in Richtung Kaiserzeit, Erster Weltkrieg und der Nachkriegszeit.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Fallada schreibt so ungeschminkt. Er schaut durch die Menschen hindurch, als wären sie alle gläsern.

Und hier geht es zu Annes Buchbesprechung, die mir auch gut gefallen hat.


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Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)

Gelesene Bücher 2014: 61
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