Sonntag, 4. Januar 2015

Isabel Allende / Mein erfundenes Land (1)

Lesen mit Anne


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Irgendwie muss ich über Isabel schon staunen. Das Bild, das sie von ihrem Land Chile hegt, ist mir zu einseitig.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext ein:
»Isabel Allende zu lesen heißt den Duft Lateinamerikas zu riechen, eine Großfamilie kennen zu lernen und mit skurrilen Geschichten überhäuft zu werden … Wer etwas über Geschichte und Politik Chiles, über die Menschen des Landes erfahren möchte und nicht zuletzt über Allendes außergewöhnliche Familie.
Isabel, ich schreibe Isabel, denn mit Allende assoziere ich ihren Großvater Salvador Allende, hat in ihrem Land Chile sehr viel Rassismus erfahren und sie ist der Meinung, dass in keinem Land die Menschen so stark in Kasten eingeteilt seien wie in Chile. Nicht mal in Indien sei das Kastensystem so stark verbreitet.
Auch der Rassismus sei noch stärker als in Nordamerika. Rassismus gegen die Indios, Ausländer und gegen die Juden. Auch der Kindermissbrauch sei noch stärker als in Afrika. Für mich sind das alles subjektive Wahrnehmungen. Die Inder behaupten wahrscheinlich von ihrem Land dasselbe. 

Was den Rassismus am eigenen Leib betrifft, war ich erstaunt zu lesen, als Isabel am Schalter eines Flughafens stand, um nach Kalifornien zu kommen, wurde sie als farbig beschrieben, obwohl sie gar nicht farbig ist. Aber die Lateinamerikaner würden von der übrigen Welt nicht unterschieden und sie werden reihum als farbig bezeichnet. Um zu beweisen, dass ihre Hautfarbe hell und nicht dunkel ist, öffnete sie ihren Kragen ... Das ist ja so absurd. Was soll das mit dem Kragen? Sieht man das nicht schon im Gesicht, ob jemand farbig ist?  An den Händen? Können Menschen so verbohrt sein? Ich kenne das auch aus dem eigenen Kreis, indem alle Südeuropäer in Stereotypen gepackt werden, und reihum als schwarzhaarig und dunkelhäutig beschrieben werden. Speziell in der deutschsprachigen und in der nordischen Literatur findet man diese Beschreibungen gehäuft vor. Isabel überträgt diese Erfahrung aber auch auf Europa. Auch in ihrer Vorstellung sind die Europäer ausschließlich hell und groß.
Oftmals äußert sich Isabel auch sehr klischeehaft bestimmten europäischen Ländern gegenüber, da merkt man sofort, dass sie sich etwas angelesen und nicht reflektiert hat. Eine Beobachtung, die ich nicht nur in diesem Buch gemacht habe. 
Aber wir sind ja alle nur Menschen und die meisten benötigen eben diese Raster, in denen sie andere einsortieren können, damit sie sich besser in der Welt orientieren können, auch für den Preis, dass sie eine bunte Welt gegen eine schwarz-weiß Welt eintauschen.

Natürlich ist mir auch bewusst, dass jede Gesellschaft eines Landes von Normen, Sitten und Gebräuchen gelenkt und reglementiert wird. Es sind die Sitten und Gebräuche, die das Gerüst einer Gesellschaft erzeugen, damit jene Gesellschaft aufrechterhalten werden kann. Mit dem Aussehen hat das allerdings rein gar nichts zu tun und die Anpassung an die Gesellschaftsform ist für jeden Menschen ein Prozess, der individuell ausgetragen wird. Jeder Mensch ist anders, auch wenn wir alle in ein und dem selben Haus leben würden, mit ein und den selben Eltern. 
Die typische Chilenin, die  man auf der Straße begegnet, sieht anders aus, ist Mestizin, dunkelhäutig und eher klein, auch wenn die jüngere Generationen etwas größer gewachsen sind. Die Jugendlichen von heute kommen mir riesig vor. (60)
Isabel ist gerademal ein Meter einundfünfzig. Aber das beweist noch lange nicht, dass alle Chilenen so mini sind. Im Gegenteil, mit ihrem Zitat belegt sie eher das Gegenteil.

Zurück zum Buch:

Je heller die Menschen in Chile von der Hautfarbe und der Haarfarbe seien, desto höher stünden sie in dieser Kastenhierarchie. Am niedrigsten würden die Indios stehen, wenn man bedenkt, dass die Indios die Ureinwohner dieses Landes sind, während andere aus aller Welt mehr und mehr mit der Zeit in das Land eingewandert sind.

Genetisch sind wir doch schon längst alle vermischt.  

Isabel bekam von der Mutter die Haare gebleicht, als sie im Alter eines Säuglings war. Das muss man sich mal vorstellen ...

Sie verließ ihre Heimat 1973 durch den Militärputsch Pinochets. Sie lebte als Exilantin in Nordamerika, das völlig anders sei als ihr Land Chile:
Das Zeitempfinden der Nordamerikaner ist überhaupt sehr eigen: Geduld ist für sie ein Fremdwort; alles muss schnell gehen, sogar die Mahlzeiten und der Sex, die im Rest der Welt mit Muße zelebriert werden. Nicht von ungefähr haben die Gringos die beiden unübersetzbaren Ausdrücke Snack und Quickie erfunden für das Essen im Stehen und die Liebe im Eiltempo… Die meistverkauften Bücher sind Ratgeber: Millionär werden in zehn einfachen Lektionen, fünfzehn Pfund abnehmen in einer Woche, Scheidung ohne Trauer usw. Die Leute sind ständig auf der Suche nach Abkürzung und auf der Flucht vor allem, was als unerfreulich gilt: Hässlichkeit, Alter, Übergewicht, Krankheit, Geldmangel und jedwede Form des Scheiterns. 194
Diese Beobachtung trifft wohl so ziemlich in vielen westlichen Ländern zu. Perfektion, Leistung, Status.

Weitere Beobachtungen, die mich nachdenklich gestimmt haben:
Verglichen mit anderen Orten der Erde, wo ein Kind auf dem Weg zur Schule auf eine Mine treten und beide Beine verlieren kann, lebt es sich in den USA so sicher wie in einem Kloster, aber die Kultur ist süchtig nach Gewalt. Das zeigt sich im Sport, bei Spielen, in der Kunst, nicht zu reden vom Kino, das grauenvoll ist. In ihrem Leben wollen die US-Amerikaner keine Gewalt haben, aber sie brauchen sie aus der Konserve. Sie sind begeistert vom Krieg, solange er nicht bei ihnen zu Hause stattfindet. (194) 
Interessanter Vergleich, der auf viele wohlhabende Länder der westlichen Welt zutreffen könnte.

Und nun zu meiner Frage, weshalb Isabel so oft esoterische Themen in allen ihren Büchern einbringt, konnte ich nun in diesem Werk beantwortet bekommen. Was hat der magische Realismus mit ihr selber zu tun? Eigentlich wenig, wäre da nicht ihre Großmutter, die Gläserrücken und Geisteranbetungen praktizierte und Tarotkarten legte. Das hat Isabel sehr geprägt. Wobei der magische Realismus in der Literatur auch eine Modeerscheinung Lateinamerikas war oder noch ist. Dazu ein schönes Zitat:
Ich habe die übersinnlichen Fähigkeiten meiner Großmutter nicht geerbt, aber sie hat mir die Augen für die Wunder der Welt geöffnet. Ich halte alles für möglich. Großmutter war davon überzeugt, die Wirklichkeit besitze viele Dimensionen, und wenn wir das Leben verstehen wollten, sei es unklug, sich nur auf den Verstand und unsere begrenzten Sinne zu verlassen; es gibt ja noch andere Werkzeuge der Wahrnehmung, den Instinkt etwa, die Fantasie, Träume, Gefühle, Intuition. Durch Großmutter lernte ich den magischen Realismus kennen, lange bevor er mit dem sogenannten Boom der lateinamerikanischen Literatur in Mode kam.Das hilft mir bei der Arbeit, denn bei jedem neuen Buch folgte ich dem Grundsatz, mit dem sie ihre Sitzungen leitete:Ich locke die Geister sanft herbei, damit sie mir ihr Leben erzählen. Literarische Figuren sind so fragile und scheue Wesen wie die Gesichte meiner Großmutter; man muss sie mit Fingerspitzengefühl behandeln, damit sie sich auf den Buchseiten heimisch fühlen. (78) 
Vor allem die Textstelle, wie Isabel ihre literarischen Figuren herbeiruft, finde ich mehr als originell.

Isabel konnte schon sehr früh die Begeisterung für Bücher aufbringen. Einmal durch den Großvater Salvador und einmal durch ihren Onkel Pablo. Der Großvater allerdings hatte Isabel verboten, nach einundzwanzig Uhr noch zu lesen. Onkel Pablo machte das wieder wett und schenkte Isabel eine Taschenlampe. Und so verbrachte sie viele Nächte lesend unter ihrer Decke.

Auf Seite 83 ist zu entnehmen, mit welchen Büchern Isabel ihre Jungend verbrachte.

Hier mache ich nun Schluss. Weiteres ist dem Buch zu entnehmen, das ich jedem Isabel Allende-Liebhaber empfehlen kann.
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Man sollte sich an Dinge erinnern, die nie passiert sind.
(Isabel Allende)

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