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Wie man Pöblern und Populisten Paroli bietet
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch hat mir recht gut gefallen. Der Autor Hasnain Kazim schreibt aus seinem Berufsalltag. Er ist
Journalist und er war wohl auch beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel angestellt. Den Recherchen zufolge scheint er
vereinzelt noch Artikel für den Spiegel zu schreiben. Ich bin zwar keine
wirkliche Spiegelleserin, weil mich das Magazin häufig nicht überzeugen konnte,
aber das Buch selbst wollte ich unabhängig davon unbedingt lesen. Am liebsten
würde ich es auswendig lernen, weil so viele schlagfertige Argumente mit seinen E-Mailpartner*innen zu entnehmen
sind, von denen viele unverschämt pöbelhaft und ziemlich
rassistisch ausfallen. Das Beispiel mit der Ratte, die im Pferdestall geboren wurde,
sie deswegen aber noch lange kein Pferd sei, fand ich ziemlich hart. Aber Kazim konnte
sehr gut darauf antworten und hat den Gegner zum Schweigen gebracht.
Wann werden die Menschen begreifen, dass wir alle Menschen sind? Wann werden wir in Deutschland begreifen, dass, egal ob Christ, Muslim, Jude, Atheist oder Andersgläubiger, ob weiß, braun, schwarz, ob Wessi oder Ossi, dass wir alle, die wir in diesem Land leben, Teil dieses Landes sind, und zwar ein gleichberechtigter Teil, dass wir alle seine Geschichte prägen, dass wir es alle mitbestimmen und mitgestalten? (2020, 119)
Schon in der
Einleitung steht, dass sich das Buch an all die Menschen richten würde, die
Anregungen suchen, um politisch konstruktiv Kritik üben und streiten zu können.
Gerade in einer schweren Zeit wie diese finde ich Kazims Buch sehr wichtig. Er
ist von Berufswegen sehr schlagfertig und nie um Worte verlegen. Vielleicht
kann man sich das eine oder andere von ihm abschauen, gerade wo heute die
rechten Szenen europaweit immer mehr Zulauf haben. Mir fehlt es schnell an
Argumenten, wie z. B. wenn jemand sagt, dass es demokratisch sei, wenn Menschen die AfD wählen. Es sei demokratisch, die AfD im Parlament sitzen zu haben, da sie
demokratisch gewählt wurden. Auf vielen von mir gestellten Fragen konnte ich
durch das Buch wertvolle Antworten finden. Kazim weist auf das Grundgesetz in
Artikel 5, dass jeder das Recht habe, seine Meinung in Wort und Schrift frei zu
äußern. Aber man dürfe diese Freiheit nicht missbrauchen, s. Beispiele auf
Seite 41ff, was für mich selbstverständlich ist.
Oder was sagt man, wenn
eine Kollegin, die eigentlich nicht rassistisch ist, ihr Bild über Türken, die
alle Machos seien, und sie dazu noch alle ihre Frauen schlecht behandeln würden, groß vor allen Kolleg*innen ausbreitet? Ihr ist nicht
bewusst, dass ihr Bild über Türken von den Medien eingeflossen ist, da sie selbst persönlich keine
Türken kennt, und auch nie in der Türkei war und von Hörensagen einen Türken erlebt hat, der seine Partnerin betrügt und ausnutzen würde. Warum denken wir hier in der westlichen Welt immer, dass deutsche Männer die besseren Männer seien? Es gibt hierzulande auch viele Männer, die gegen ihre Frauen Gewalt anwenden und morden und trotzdem sagen wir nicht, dass alle deutschen Männer Schläger und Mörder sind. Hierbei konnte ich nicht nur bei Kazim
entnehmen, dass die Menschen durch die Politik und die Medien hauptsächlich mit
negativer Berichterstattung konfrontiert und beeinflusst werden.
Der Ton über Muslime hatte die Meinung der Menschheit beeinflusst. (89)
Außerdem bin ich als Deutsche
mit einem ausländischen Namen selbst auch betroffen und werde häufig auf die Wurzeln und
die Identität meiner Eltern zurückgestuft. Und nur wenige fragen mich, wie mein
Name ausgesprochen wird. Bei flüchtigen Kontakten werde ich häufig ohne meinen Namen angesprochen, dann
fühlt man sich wie ein Niemand, und andere sprechen ihn falsch aus, ohne sich
die Mühe zu machen, ihn richtig zu lernen. Größtenteils ist das sicher nur
Verunsicherung und so möchte ich niemandem böse Absichten unterstellen. Aber
Kazim macht mir Mut, darauf zu bestehen, dass meine Mitmenschen lernen, meinen
Namen, auch wenn er schwierig ist, richtig auszusprechen. Er schreibt:
Jeder Mensch ist lernfähig, auch in fortgeschrittenem Alter. Also lernen Sie doch bitte einfach aus Respekt vor Ihren Mitmenschen, wie man einen bestimmten Namen oder ein bestimmtes Wort richtig ausspricht, ich bin zuversichtlich, dass Sie es schaffen. (2020, 29f)
Und vor allem, wenn
man bedenkt, dass wir in der Schule mehr als eine Fremdsprache lernen mussten, dazu haben wir höhere Mathematik gelernt, Physik, Chemie etc., so wird man doch mit gutem Willen wohl in der Lage sein, im Alltag ein paar fremde Namen zu lernen?
Des Weiteren bezieht Kazim
sich auch auf christliche Werte, auf das Gebot der Nächstenliebe, dass jeder
den Menschen so behandeln sollte, wie man selbst behandelt werden möchte. Eigentlich
ganz einfach, aber für viele trotzdem mühsam nach dieser Formel zu leben.
Man kann die Grenzen des Sagbaren aber auch anders finden. Es gibt für sie zwei Kriterien: Die eine Grenzlinie ist die Gleichwertigkeit aller Menschen. Die andere ist die der Psychischen und physischen Unversehrtheit aller Menschen. Wer diese Grenzen überschreitet, wer also Menschen abwertet, (…) wer sie psychisch angreift oder mit körperlicher Gewalt bedroht, bewegt sich jenseits des Akzeptablen. (50f)
Was mich sehr an Kazim
fasziniert hat, ist, dass seine Argumentationen sehr persönlich sind, sehr
individuell. Dies spürt man einfach, wenn man seine Beiträge liest. Trotzdem
bleibt er immer sachlich. Seine Art, persönlich / sachlich zu schreiben, verfolgt
auch ein bestimmtes Ziel. Er schreibt selbst:
Wenn Leute also sagen: > Medien sollen neutral berichten <, muss man antworten: Im Prinzip ja, aber sie müssen Dinge ebenso hinterfragen; > neutrale Berichterstattung <, die es faktisch ohnehin nicht gibt, weil schon jede Wortwahl, jede Nachrichtenauswahl, jede Verknappung und jede Zusammenfassung subjektiv ist, darf nicht bedeuten, dass man Lügen unkommentiert und unkorrigiert weiterträgt. (126)
Mit ausschließlicher
Neutralität lässt sich schwer konkret auf Meinungen anderer reagieren. Außerdem denke ich, muss man sich auf die Sprache des Gegners einlassen. Mit wissenschaftlichen Vorträgen kommt man hier nicht weit, wie ich dies aus eigener Erfahrung selbst schon in der Vergangenheit festgestellt habe.
Eine Lüge muss man eine Lüge nennen. Menschenverachtung darf nicht unwidersprochen bleiben. (Ebd)
Wie will man sich
sonst äußern, wenn man neutral bleibt? Außerdem ist es in Sachen Menschenrecht wichtig, parteiisch zu werden.
Mir hat das Cover sehr gut gefallen. Den Buchtitel Auf sie mit Gebrüll hatte ich erst als etwas
polemisch empfunden, aber der Folgesatz … und
mit guten Argumenten, gleicht ihn wieder aus. Es sind wirklich alles gute
Argumente im Austausch mit provokanten, rassistischen, virtuellen Kontakten.
Zum Schreibkonzept
Das Buch besteht aus 206 Seiten. Auf der ersten
Seite ist eine interessante Widmung an Kazims Vater zu entnehmen, der 2019
verstorben ist.
Anschließend findet man auf den folgenden Seiten das
Inhaltsverzeichnis. Die Kapitel bestehen teilweise aus mehreren
Fragekomplexen, wie z. B. Warum
Ausgrenzung und Ächten manchmal die einzige Lösung ist. (Allerdings kommen
diese Fragen alle ohne Fragezeichen aus.) Es gibt eine Einleitung und ein
Schlusswort, Schlusskapitel mit anschließender Danksagung. Danach wird man zu
einer Leseprobe vom Vorgängerwerk Post
von Karlheinz eingeladen.
Der Autor gibt viele Beispiele aus seinem E-Mail-Postfach,
wie er quasi Pöbler*innen u. a., die
ihn wegen seiner politischen Artikel anschreiben und teilweise beschimpfen, gekonnt
und versiert Paroli bietet.
Meine Meinung
Ich hätte am liebsten das ganze
Buch zitiert. Viele Interessante Gedanken, Thesen und Statements, die ich hier gerne
eingebracht hätte, aber es würde den Rahmen geradezu sprengen, vor allem, weil ich so viel darauf zu sagen hätte. Kazim kann sehr gut mit Worten jonglieren, ohne sein Gegenüber zu beleidigen.
Mein Fazit
Nach dem Lesen dieses Buches schließe ich mich "Auf sie mit Gebrüll ... aber mit guten Argumenten" dem Autor an.
Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Ich wurde erst durch das Cover aufmerksam, dann durch den Buchtitel und habe daraufhin ein Leseexemplar beantragt.
Hierbei ein großes Dankeschön an den Penguin Verlag.
Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere 2 Punkte: Authentizität der Geschichte 2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt 2 Punkte: Frei von Stereotypen,Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Natürlich ist das Buch nicht frei von Rassismus. Aber hier geht es darum, sich dagegen zu stellen.
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Zwölf von zwölf Punkten.
Hier geht es zur Buchvorstellung, zu den Buchdaten und zu den ersten Leseeindrücken.
Hier geht es zur Buchvorstellung, zu den Buchdaten und zu den ersten Leseeindrücken.
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Jeder kann die Welt mit seinem
Leben ein klein wenig besser machen.
(Charles Dickens)
Gelesene Bücher 2020: 08
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86
Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Die Herkunft eines Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil
sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen
tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden
und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.
Es lebe die menschliche
Vielfalt in Deutschland und überall.
(M. P.)