Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Meine Meinung
Eine gelungene aber eine sehr traurige
Biografie zu dem 38-jährigen jüdischen Tenorsänger Joseph Schmidt, der als
deutscher Caruso gefeiert wird, hat uns der Autor Lukas Hartmann hinterlegt.
Bis zum Schluss hat mich die Thematik gepackt. Sehr gut geschrieben. Diese
Lektüre sollte den Buchpreis bekommen.
Es ist eine so ernste Thematik, die
gegenwärtig in unsere politische Zeit passt, dass ich das Bedürfnis verspüre,
meine Buchbesprechung ein wenig zu intensivieren. So viele wichtige Zitate
möchte ich gerne hier reinstellen, damit ich sie immer wieder nachlesen kann,
wenn mich das Thema immer wieder neu beschäftigen wird. Wer die Absicht hat, das Buch
selbst zu lesen, sollte meine Buchbesprechung vorher lieber überspringen und sich auf die Buchvorstellung, siehe Link unten, beschränken.
Hier geht es zur Buchvorstellung; zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu
den Buchdaten.
Die Handlung
Die Hauptfigur
dieser Geschichte ist Joseph Schmidt, der gerademal 1,54 Meter groß ist. Obwohl Schmidt
nur auf dem Papier Jude ist, wird er 1942 trotzdem von den Nazis verfolgt. Einmal
Jude immer Jude, das behaupten selbst die gläubigen Juden unter sich. Auch
Künstler*innen sind vor den Nazis nicht geschützt.
Schmidt begibt
sich auf die Flucht in die Schweiz. Er hatte sich schon in Frankreich in der
Villa Phoebus für mehrere Wochen versteckt. Doch auch dort ist Schmidt nicht
mehr sicher und flüchtet mit seiner Begleiterin Selma Wolkenheim in die
Schweiz, da die Schweiz im Zweiten Weltkrieg politisch neutral war.
Schmidt war
ein gefeierter Sänger, überall beliebt, auch bei Frauen, aber eine feste
Bindung war er nicht in der Lage zu schließen, obwohl er mit einer Frau einen
siebenjährigen Sohn besitzt und er selbst sich nur als den Erzeuger betrachtet aber
nicht als Vater des Kindes. Sein Herz gehörte allein der Musik und er war nicht
bereit, es mit jemand anderem zu teilen. Aber ob dies der alleinige Grund ist?
Schmidt hatte einen autoritären Vater namens Wolf Schmidt, der streng seine
religiösen Praktiken nachging, an die sich die Kinder anzupassen hatten. Wolf
prügelte auch auf die Kinder ein, wenn sie seine Erwartungen nicht erfüllen
konnten …
Die Wünsche dieses Manns, der wollte, dass Joseph fehlerlos den Talmud zitierte, konnte er nicht erfüllen. Nein, (den) Vater, der die ganze Familie in autoritärem Bann hielt, hatte (Joseph) nicht geliebt, sich vergeblich nach Zuwendung, nach Lob gesehnt. (2019, 36)
Die Schweiz
ist dicht, die Grenzen werden geschlossen, da sie mit der Masse an Flüchtlingen
nicht fertig wird und so gerät dieses Land in eine schwere Prüfung der
Mitmenschlichkeit.
Dabei bemühen wir uns intensiv, das Wohl der Einzelnen, zunächst der Einheimischen, der hier Aufgewachsenen, im Auge zu behalten, und ebenso das Gesamtwohl des Vaterlandes. Und dennoch dürfen wir gegenüber dem wachsenden Flüchtlingselend, das uns aus den Akten entgegenschreit, nicht unempfindlich werden. Je mehr bei uns (…) über die Greueltaten (sic) in Konzentrationslagern bekannt wird, zu desto harscheren Reaktionen führen unsere Rückweisungen in einem Teil der Bevölkerung, zu immer deutlicheren Protesten in der linken Presse und bei den jüdischen Organisationen, während die andere Seite unsere Entscheidungen, die an die Gesetze und an die Beschlüsse des Bundesrats gebunden sind, durchaus billigt. (…) Gegenwärtig halten sich mindestens neuntausend Flüchtlinge in der Schweiz auf, und eine Weiterreise des europäischen Kontinents (…) ist angesichts der Kriegslage und der fortdauernden Dominanz, nicht mehr möglich. Sie werden bei uns bleiben und die Bundeskasse mit Millionenkosten belasten, so lange, bis der Krieg irgendwann zu Ende ist. (64)
Schmidt wurde
mithilfe eines Schleppers über die Schweizer Grenzen geschleust und wurde in Girenbad
in ein Internierungslager zugewiesen und begegnet hier jede Menge
Schicksalsgenossen. Hier sind die Flüchtlinge einem repressiven Machtapparat
ausgesetzt. Dadurch werden die Menschen hier wie Sträflinge behandelt. Liegen
gab es hier im Lager nicht, die Flüchtlinge wurden auf Stroh gebettet. Zu essen
gab es nur Brühe und altes Brot. Schmidt erkrankt an einer schweren Infektion
im Rachen und im Kehlkopfbereich und wurde erst nach langem Hin- und Her ins
Kantonsspital gefahren. Auch in dem Hospital wird er mit den billigsten Mitteln
behandelt, obwohl seine Erkrankung mittlerweile auch auf sein Herz überschlägt.
Schmidt wird von dem Chefarzt der Klinik schlecht behandelt, der ihm vorwirft, sich
seine Beschwerden am Herzen einzubilden, auch, um nicht zurück ins Lager zu
müssen. Er stellt dem Kranken viele kritische Fragen, nimmt seine Beschwerden
nicht ernst ...
Schmidt schaute den Professor bestürzt an. >>Sie glauben mir nicht? Sie meinen, dass ich Schmerzen erfinde?<<
>> Simulanten gibt es viele. Aber ich sage nichts dergleichen. Es ist einfach meine Pflicht, solche unangenehmen Fragen zu stellen. Das sollten Sie, als vernünftiger Mann, bei der großen Zahl von Internierten in unserem Land, verstehen. Es gibt ja auch sehr viele Ihres Glaubens darunter, die in Anspruch nehmen, verfolgt zu werden, und annehmen, deshalb ein Recht auf Asyl zu haben. << (202)
Es waren viele
herzensgute Schweizer zugange, aber viele waren, vor allem Autoritäten, sehr
rassistisch eingestellt.
Dabei geht es uns abzuwägen zwischen den Erfordernissen des Landesschutzes und der Humanität; wir können und dürfen die schweizerische Bevölkerung (…) einer zunehmenden Überfremdung durch Heerscharen hauptsächlich jüdischer Flüchtlinge nur mit gebührender Vorsicht aussetzen. (64f)
In Anbetracht unserer
eigenen politischen Lage, dass sich die europäischen Länder so schwertun,
Flüchtlinge in ihr Land aufzunehmen, möchte ich zum Abschluss ein letztes Zitat
einbringen.
Die Flüchtlinge tun uns die Ehre an, in unserem Land einen letzten Ort des Rechts und des Erbarmens zu sehen … Wir sehen an den Flüchtlingen, was uns bis jetzt wie durch ein Wunder erspart geblieben ist. (194)
Weitere
Details sind dem Buch zu entnehmen.
Welche Szenen haben mir gar nicht
gefallen?
Die Szene im
Krankenhaus. Der Professor hat Schmidt nicht gut behandelt, und man hätte ihn
bei anderen Umständen wegen unterlassener Hilfeleistung anzeigen können.
Die Szenen im
Internierungslager fand ich grausam, dass ich mit dem Lesen für eine Weile
aussetzen musste.
Welche Szene hat mir besonders gut
gefallen?
Dass es auch
gute Menschen gab, die sich für Schmidt eingesetzt haben, vor allem die Wirtin eines
Gasthauses.
Welche Figur war für mich ein
Sympathieträger?
Die Wirtin und
das Pflegepersonal des Hospitals. Auch Selma Wolkenheim war mir sympathisch.
Welche Figur war mir antipathisch?
Professor Brunner,
Chefarzt der Klinik.
Meine Identifikationsfigur
Keine.
Cover und Buchtitel
Joseph Schmidt
sieht hier zu ausgelassen aus, zu freundlich, obwohl er Angst hatte, im Zug von der Gestapo aufgegriffen
zu werden. Deshalb meine Frage; darf Traurigkeit auf einem Titelblatt nicht
sein? Muss sie retuschiert werden?
Zum Schreibkonzept
In dem Buch
gibt es mehrere Perspektiven, die sich über das Schicksal des Künstlers und
über das Verhalten der Schweizer auslassen. Es gibt einen objektiven Erzähler,
und im Wechsel wird die Perspektive verschiedener anderer Figuren in
Kursivschrift dargestellt, die sich zum Sachverhalt beziehen, was ich spannend
fand. Der Schreibstil ist flüssig und sehr gut verständlich. Auf den letzten
Seiten gibt es einen Hinweis und eine Danksagung.
Meine Meinung
Vielerorts unter der Leserschaft liest man, dass der Sänger Joseph Schmidt kein Sympathieträger sei, da er
Frauen benutzt und sein Kind im Stich gelassen hätte. Ich sehe es ein wenig
anders, da viele Künstler*innen Probleme haben, sich eine beständige partnerschaftliche
Beziehung aufzubauen. Andere dagegen, die in einer Beziehung lebten, ließen
sich von ihr wieder lösen, weil sie darin ihren Lebenssinn nicht fanden. Man
hat schon viel gelesen über Künstler*innen, die, weil sie mit dem Leben nicht
klarkamen, sich das Leben genommen haben, andere waren dem Alkoholkonsum
ausgesetzt, um ihre Probleme zu betäuben, etc. Viele Künstler*innen, die in der
Öffentlichkeit stehen, sind einem permanenten seelischen Druck ausgesetzt, da ihr Auftritt mehr als gut sein musste. Außerdem haben viele gar keine Zeit, sich dem viel zu trivialen Alltag hinzugeben. Viel zu hoch sind
deren Lebensideale. Sogar viele Schriftsteller*innen haben es schwer und denke
dabei auch an Hermann Hesse, der Probleme mit Frauen hatte und war dadurch mehrfach
verheiratet und mehrfach geschieden …
Eine
persönliche Erfahrung, die ich mit dem Künstler teilen kann
Meine Heimat ist die Musik. Hier spricht mir Joseph Schmidt aus der Seele.
Auch für mich ist die Musik Heimat. Sowohl wenn ich selbst musiziere, als auch wenn ich Musik nur höre. Für mich ist die Musik so wichtig wie
Lesen, so wichtig wie Essen und Trinken. Musik versetzt mich in andere Welten,
in andere Spähren, die man kaum in Worten fassen kann. Außerdem löst Musik in
mir Spannung auf. Wenn ich mit anderen Menschen verstimmt bin, dann befreit
mich die Musik und so löse ich mich von dem inneren Konflikt, bin nicht mehr
nachtragend und kann vergeben, wenn ich Unrecht erfahren habe, oder wenn ich
Unrecht tue, vergebe ich mir selber ... Musik löst in mir ein Gefühl des Weltfriedens aus. Ich sehe mich mit allen
Menschen der Welt verbunden und nicht nur mit Menschen meiner Heimatländer. Sie
löst meine nationale, deutsche Identität auf, und weitet meine Identität, löst sämtliche Grenzen auf, sehe mich als einen Menschen dieser Erde, und begreife, dass wir alle in einem Boot sitzen. Ich bin
dankbar, dass mir Joseph Schmidt zu diesem Bewusstsein verholfen hat, wo ich
doch noch vor Tagen mit zwei Freundinnen über die nationale Identität mich
ausgetauscht habe, und ich mich hinterher gefragt habe, ob ich mich von ihnen überhaupt verstanden
gefühlt habe??? Mit dieser Einsicht fühle ich mich in der Identität eines Weltmenschen
mehr als bereichert und verzichte gerne auf die nationale Identität, die, wie wir auch hier gesehen haben, ausgrenzend sein kann.
Mein Fazit
Insgesamt eine
sehr nachdenklich stimmende, eine sehr differenzierte und authentisch geschriebene Biografie, deren Thematik, wie ich oben schon
geschrieben habe, politisch in unsere Zeit passt. Auch hier hört man in der
Bevölkerung immer wieder, dass Deutschland zu viele Flüchtlinge aufnehmen
würde. Viele darunter wählen dadurch sogar die AfD. Mir stellt sich die Frage,
ob der Mensch nicht fähig ist, aus der Geschichte zu lernen? Ich finde keine
Antwort darauf ... Ich selbst kannte Joseph Schmidt nicht, auch nicht seine Arie Ein Lied geht um die Welt. Hier ein Filmausschnitt auf YouTube zu Joseph Schmidts Leben und zu seinem Lied. Er hat tatsächlich die Stimme eines Enrico Caruso.
Das Lied kann man in diesem Video hier besser verstehen. Ich kenne es doch. Wie schön. Es ist wirklich wunderschön.
Das Lied kann man in diesem Video hier besser verstehen. Ich kenne es doch. Wie schön. Es ist wirklich wunderschön.
Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere 2 Punkte: Authentizität der Geschichte 2 Punkte: Literaturwissenschaftlich gut recherchiert 2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
|
Zwölf von zwölf Punkten.
Weitere Information zu dem Buch
Hier geht es zur Leserunde auf
Whatchareadin. Ich werde mich morgen Abend bestmöglich daran beteiligen. Mir fehlt es an Zeit, neben dem zu lesenden Buch, und neben meiner eigenen Rezension auch noch die vielen Posts in der Leserunde zu lesen, noch dazu eigene Texte verfassen. Ich habe häufig die Ruhe dafür nicht, werde mich deshalb in der zweiten Jahreshälfte stark zurücknehmen. Habe meine eigenen Leseprojekte jetzt auch noch stark vernachlässigt. Irgendwie die goldene Mitte finden, das müsste ich besser hinbekommen.
Hier geht es zur Rezension von Anne
Strandborg.
Vielen herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.
Vielen herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.
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Meine Heimat ist die Musik
(Joseph Schmidt)
Gelesene Bücher 2019: 17
Gelesene Bücher 2018: 60
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Gelesene Bücher 2016: 72
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