Mal eine ganz andere
Form von Buchbesprechung …
Wir, Tina und ich,
haben 1,5 Wochen für das Buch gebraucht. Das Buch ist so grausam, dermaßen
düster und gewaltträchtig, sodass es mich ein wenig an Kafka von der Düsterkeit
und an Steven King von den Horrorszenarien erinnern lässt. Ich werde inhaltlich
nicht viel schreiben können. Weil ich froh bin, dass ich mit diesem Buch durch
bin, und möchte es am liebsten gleich wieder vergessen. Derzeit bin ich Murakamigeschädigt. Wenn ich mich davon nicht wieder erholen kann, dann war es das mit dem Leseprojekt. Ich habe gestern den
ganzen Tag und den ganzen Abend dazu gebracht, das Buch endlich auszulesen. Ich
wollte es hinter mich bringen, um keinen weiteren Tag damit zu verbringen. Neben Kafka am Strand ist Mister Aufziehvogel das heftigste Murakami-Buch, das ich bisher von den 12 Bänden gelesen habe, wobei Kafka am Strand von der Konzeption her einer logischen Struktur folgt, die uns in Mister
Aufziehvogel einfach gefehlt hat. Uns ist irgendwann der rote Faden verloren gegangen, weil uns zu viele Details der vielen Figuren
aufgedrängt wurden …
Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein
In Japan nennen ihn konservative Kritiker und Schriftstellerkollegen "batakusai - nach Butter stinkender Wessi", die anderen halten ihn für den Literaturnobelpreisträger der Zukunft. Haruki Murakami polarisiert mit seinen Geschichten und Romanen. Wie seine Helden entzieht er sich der anonymen Masse. Seine Romanfiguren werden in der japanischen Gesellschaft, in der angepasstes Verhalten von existentieller Bedeutung ist, als einsame Wölfe gebrandmarkt. Der 30-jährige Toru Okada in "Mister Aufziehvogel" steigt aus einer Anwaltskanzlei aus und gerät bei der Suche nach seinem Kater mitten in Tokio in eine Traumwelt, in der ihn erotische Verlockungen, aber auch bösartige Intrigen erwarten. Der Brunnen, der Toru den Einstieg in die geheimnisvolle Unterwelt gewährt, ist Zugang zu Vergangenem und Verdrängtem.
Manche Szenen musste
ich regelrecht überfliegen, weil sie mir an Grausamkeiten zu geladen waren. Immer
wieder haben Tina und ich uns über Sprachnachrichten ausgetauscht. Manchmal versuchte
ich Tina zu warnen, wenn ich an Seitenzahl weiter war als sie, sie darauf
vorzubereiten, was auf den folgenden Seiten für qualvolle Szenarien folgen.
Gestern Abend machte ich sie auf kannibalistische Vorgänge aufmerksam und heute
Morgen schrieb mir Tina, dass sie diese schon gelesen habe. Merkwürdig, ich
wusste heute Morgen gar nicht mehr, wie sich der Kannibalismus ausgewirkt hatte. Diese Szene
hatte ich völlig aus meinem Bewusstsein verdrängt. Ich weiß sie nicht mehr. Ist
auch gut so, und ich bat Tina, mich an diese Bilder nicht mehr zu erinnern,
denn es zeigt mir, dass meine Verdrängungsmechanismen noch gut funktionieren.
Auch die Namen von den
Figuren konnte ich nur oberflächlich verinnerlichen. Sie waren mir alle fremd. Tina war mir da im Vorteil, sie hat sich diese alle rechtzeitig rausgeschrieben …
Eigentlich begann die
Geschichte recht harmlos. Es geht um ein junges Ehepaar, das schon seit sechs
Jahren verheiratet ist. Der 30-jährige Toru Okada und seine Frau Komiko. Toru,
studierter Jurist, schmeißt seinen Job aus einer Anwaltskanzlei, um sich
beruflich neu zu orientieren. Komiko arbeitet in einem kleinen Verlag und kommt
erst spät abends nach Hause ... Komiko kommt aus einer sehr wohlhabenden und gebildeten Familie,
in der aber recht mysteriöse und kriminalistische Dinge geschehen …
Toru und Komiko vermissen beide ihren Kater, da er nicht nach Hause gekommen ist und so alarmiert Komiko eine Frau mit okkulten Fähigkeiten, um den Kater aufzuspüren …
Toru und Komiko vermissen beide ihren Kater, da er nicht nach Hause gekommen ist und so alarmiert Komiko eine Frau mit okkulten Fähigkeiten, um den Kater aufzuspüren …
In der Zwischenzeit, während
Komiko auf der Arbeit ist, passieren zu Hause ein paar ominöse Dinge. Toru wird
telefonisch von einer wildfremden Frau angerufen, die Telefonsex betreibt. Wer ist diese Frau? Sie wurde später nicht mehr erwähnt.
Torus Frau begeht
einen Seitensprung, verlässt eines Abends ganz unverhofft ihren Mann. Sie
schreibt ihm einen Abschiedsbrief, dass sie mit einem Mann eine Beziehung
angefangen habe, den sie eigentlich gar nicht lieben würde. Sie bittet Toru, sie zu vergessen, da sie nicht vorhabe, wieder zu ihm zurückzukehren. Toru begibt sich
auf die Suche nach seiner Frau, die so plötzlich aus der Welt verschwunden ist.
Es beginnt eine abenteuerliche Suche nach Innen, oder nach Außen? Eigentlich
beides.
Später macht Toru Bekanntschaft
mit weiteren merkwürdigen Frauen … Die Handlung beginnt recht real und im
Laufe der Geschichte vermischen sich erneut reale und surreale Handlungen, Traum und
Wirklichkeit werden eins… Menschen verschwinden hinter Wänden … Toru, der zum Nachdenken
in einen trockenen Brunnen steigt, und damit sein Leben riskiert ... Dann gibt es
noch eine sechzehnjährige May, die in ihrem Verhalten ebenso Extremitäten aufweist,
die ihrem Freund auf einem fahrenden Motorrad von hinten mit ihren Händen die Augen zuhält, der dadurch
tödlich verunglückt, während sie den Unfall überlebt …
Da dies auch ein
politisches Buch ist, bekommt man grausame Szenen aus dem Krieg zwischen
Japan, China und Russland im Zweiten Weltkrieg zu lesen. Mir ist bewusst, dass diese
grausamen Szenen durchaus real sind … Aber diese perverse Gewalt spielt sich
nicht nur innerhalb der Kriegsereignisse ab …
Keine Figur scheint
irgendwie normal zu sein. Und jede Figur kommt mit ihrer eigenen Story, man
bekommt zu jeder Persönlichkeit sehr detaillierte Geschichten erzählt, sodass wir irgendwann
Probleme hatten, diese vielen Informationen, die vielen Charaktere noch
auseinanderzuhalten. Selbst am Schluss fragten wir uns,
was es mit manchen Figuren auf sich hatte? Man hätte ruhig ein paar davon
weglassen können, das hätte dem Roman keinen Abbruch getan. Und mit weniger Gewalt
hätte der Roman auch leben können …
Mein Fazit?
Psychologisch wirkt
die Geschichte recht fundiert. Murakami ist ein Tabubrecher. Er zeigt in seinem Roman die Abgründe eines jeden Menschen. Mir scheint, als risse er ihnen
die Fassade von den Gesichtern. Toru war die Figur, die sich dem gestellt hat,
hat sich auf die Suche begeben, seine Probleme erst Mal symbolisch zu lösen.
Was ist Wahrheit und was ist Traum? Ist das die Wahrheit, was wir mit den
menschlichen Augen sehen können; ist Wahrheit das, was uns Menschen bewusst ist? Und was ist die Unwahrheit? Ist die Unwahrheit das, was man mit den Augen und mit den Händen nicht zu fassen bekommt und trotzdem existiert?
Alles hing miteinander zusammen, jedoch auf so kompliziertere Weise wie ein dreidimensionales Puzzle (…) in dem die Wahrheit nicht unbedingt real sein musste und das Reale nicht unbedingt wahr. (591)
Ein sehr symbolträchtiges Buch, das mit vielen Metaphern arbeit.
Und zu der Gewalt sind Tina und ich der Meinung, dass diese vielen Aggressionen in dem Buch die Aggressionen des Autors sind, die er in sich trägt, und sie nach außen auf das Papier gepackt hat.
Meine Bewertung?
Es hat zu viel des Guten ...
Es hat zu viel des Guten ...
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere 1 Punkte: Authentizität der Geschichte 1 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt 2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
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... deshalb Punktabzüge und nur neun von zwölf Punkten.
Und hier geht es auf Tinas Buchbesprechung. Wir hatten am Abend ein sehr ausführliches Telefongespräch.
Weitere Informationen zu dem Buch
Weitere Informationen zu dem Buch
- Gebundene Ausgabe: 684 Seiten
- Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG; Auflage: 2 (1. April 2014)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 383214479X
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Gelesene Bücher 2017: 54
Gelesene Bücher 2016: 72
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