Eine
Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch hat mir
sehr gut gefallen. Mit so viel Wissen und mit so viel Weisheit wird man darin
konfrontiert, dass mein Herz so richtig dabei aufgegangen ist. Und trotzdem
gibt es ein großes ABER.
Es ist der
Buchtitel, der mich fragen lässt, wie ernst der Autor diesen Titel selbst
genommen hat.
Warum unser Leben ohne Goethe sinnlos ist?
Ich fühle mich von
diesem Titel so ziemlich provoziert, denn eigentlich ist das ein Buch für
Hochgebildete. Um es noch stärker einzugrenzen, es ist ein Buch für LiteraturwissenschaftlerInnen,
für GermanistInnen, ein Buch für GoethekennerInnen. Was ist mit dem Rest, Menschen,
die nicht in diese Gruppierungen fallen? Was ist mit Menschen, die nicht mal
diese Bildung nicht haben?
Ich arbeite im
Gesundheitswesen und habe es mit vielen verschiedenen Menschen zu tun. Es gibt
sehr viele davon, die Goethe nur vom Namen her kennen, wenn überhaupt. Nun
provokativ gefragt; ist das Leben dieser Menschen deshalb sinnlos?
Selbst belesene und
gebildete Menschen, denen die Werke Goethes fremd sind, weil sie andere Faibles
haben, könnten diesem Buch nicht folgen, da Bollmann seine Theorien an vielen
Goethewerken festmacht. Für Menschen, die diese Werke nicht gelesen haben, ist
das sicherlich, aus meiner Sicht, nur trockener Stoff. Weil man nicht mitreden
kann.
Zwischendrin fragte
ich mich, was Bollmann von Beruf ist. Teilweise schreibt er wie ein Psychiater,
selbst die Liebe bekommt eine Diagnose … Nicht, dass das falsch ist, ich fand
das alles sehr interessant, supergut recherchiert, auch aus dem Fach der Psychiatrie
treffend diagnostiziert. Doch nicht jeder weiß, was bipolar ist, was eine
Borderline-Persönlichkeitsstörung ist …
Dies zu meiner
Kritik …
Die Botschaft ist
schon klar, die Bollmann über Goethe in diesem Buch an die LeserInnen
aussendet. Das eigene Leben gestalten … Sich selbst authentisch leben … Den
inneren Künstler finden … Krise als Chance … Äußere Sicherheiten weitestgehend
aufgeben und Risiken wagen … Fremde Maßstäbe nicht zu eigenen machen … Die
fühlende Seele zum Ausdruck bringen …
Aber braucht jeder
Mensch dazu wirklich Goethe? Ich kann den Titel wirklich nicht ernst nehmen.
Aber auf Seite 272
schreibt Bollmann selbst:
Um das eigene Leben zu finden, kann es durchaus in Goethes Sinn sein, Goethe nicht zu lesen.
Wahrscheinlich
sollte der Titel nur neugierig machen, damit sich eine Masse an LeserInnen mit
diesem Buch eindecken …
Ansonsten fand ich
das Buch, wie ich eingangs schon geschrieben habe, wirklich sehr lesenswert,
sehr interessant, sehr tiefgründig. War schön, gedanklich wieder mit Goethe zu wandeln,
an der Hand von Bollmann geführt. Manchmal fühle ich mich in Goethe zu Hause
und Bollmann hat mich daran erinnert. Mich hat Bollmann mit seinem Buch auch sehr
bereichert. Reichlich geistreiche Zitate sind zu entdecken, Zitate, die einem
aus der Seele sprechen können. Dadurch ist das Buch von mir mit vielen Klebezettelchen
versehen, doch leider darf ich nicht zu viel schreiben, um den anderen
LeserInnen ihre eigenen Entdeckungen nicht vorwegzunehmen. Aber die Zettelchen
werde ich für mich persönlich erarbeiten, ohne sie in meine Buchbesprechung
einzubauen. Und zitieren, wenn es angebracht ist.
Nur einen Gedanken
möchte ich noch festhalten, weil ich ein wunderschönes Zitat gefunden habe, was
mein eigenes Leseverhalten betrifft. Aber nicht nur mein eigenes:
Nach meinem Studium
habe ich zehn Jahre gebraucht, um wieder Belletristik zu lesen. Ich war an
Fachliteratur gewöhnt, und belletristische Bücher hatten für mich nicht mehr
denselben Wert, wie sie vor meinem Studium hatten. Und ich denke, es geht
vielen anderen LeserInnen ähnlich, Fachliteratur wird eher als real, als
wissenschaftlich angesehen, die empirisch untersucht ist, bevor sie vermarktet wird,
während Dichtung als reine Fiktion abgetan wird, also als unwahr. Aber gerade
die Romane sind es, die den Menschen helfen können, an sich selbst zu arbeiten,
oder sich selbst zu finden. Bollmann, der auch Goethe zitiert:
Goethe hatte die Erfahrung gemacht, dass die Kunst bei der Erkundung unserer ideellen Rolle die entscheidenden Dienste leisten kann. Deshalb empfiehlt er in „Dichtung und Wahrheit“ als ersten Schritt zur Überschreitung der realen Rolle - Romanlektüre. Es ist die Minimallösung für alle, die mehr im Leben suchen als fremdbestimmte Normalität. Den >>Trieb, sich mit Romanfiguren zu vergleichen<<, schildert er dort als den >>lässlichsten<<, sprich zugänglichsten Versuch, >>sich etwas Höheres anzubilden, sich einem Höheren gleichzustellen<<. Er sei <<höchst unschuldig<< und >>höchst unschädlich<<. (2006, S. 269)
Dies fand ich ein
sehr schönes Zitat.
Mein Tipp an
nichtkundige Goethe-LeserInnen: Bevor ihr euch an das Buch heranwagt, lest erst
die Goethewerke, wie z. B. Die
Wahlverwandtschaften, Die
Italienreise, (Faust), Tasso, damit ihr mitreden könnt, was der
Autor schreibt. Und wer Glück hat, hatte den Werther schon in der Schule
behandelt, und wenn nicht, dann lest auch den Werther.
Man kann aber auch
Umwege gehen. Ist nicht immer falsch, Umwege zu gehen. Erst Bollmann lesen,
dann die Goethewerke, dann wieder Bollmann lesen, J.
Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten.
Weitere Informationen zu dem Buch
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt (9. Mai 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3421046808
ISBN-13: 978-3421046802
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt (9. Mai 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3421046808
ISBN-13: 978-3421046802
Nachtrag:
Am Donnerstag, den 09. Juni 2016, bin ich, durch Bollmann inspiriert, dienstlich mit ein paar meiner KlientInnen von psychisch kranken Menschen nach Frankfurt gefahren, um ein weiteres Mal das Goethehaus zu besichtigen. Für viele war diese Tour neu, weshalb ich sie für Neue alle paar Jahre wiederhole.
Wir haben an einer einstündigen Führung teilgenommen, und jede Referentin bringt neue Einblicke mit rein. Finde ich immer wieder von Neuem spannend. Am Ende der Führung habe ich der Goethe-Expertin von Bollmanns Buch erzählt. Sie kannte den Buchtitel noch nicht. Sie schrieb ihn sich auf, und wollte sich das Buch unbedingt anschaffen.
Ich möchte nun zwei Fotos hier platzieren. Zum einen Goethes Autorbiografie Dichtung und Wahrheit, aus dem Stefan Bollmann reichlich zitiert hat. Neben den vielen anderen Goethewerken ist dies der einzige Band, der noch in meiner Sammlung fehlt. Die Autobiografie hat einen Umfang von 1400 Seiten und ich muss schauen, in welchem Zeitplan sie passen könnte, damit ich sie in aller Ruhe lesen kann, ohne von lästigen Alltagspflichten unterbrochen zu werden.
Auf dem zweiten Foto sind ein paar Bücher von Johann Caspar Goethe abgebildet. Goethes Vater besaß eine Bibliothek von gerade mal 2000 Büchern. Konnte ich gut mit
meiner eigenen Minibibliothek vergleichen, die aus knapp 2100 Büchern besteht.
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Gelesene Bücher 2016: 32
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2015: 72
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