Montag, 15. Februar 2016

Joachim Meyerhoff / Wann wird es endlich so, wie es nie war (1)

Alle Toten fliegen hoch

Teil 2


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich war mit dem Buch schon fast durch, als es dann um das Einschläfern des Hundes ging, und die Art und Weise, wie dieses vollbracht wurde, hat mich arg geärgert und sehr traurig gestimmt, sodass ich nicht mehr weiter lesen konnte.

Schon am Anfang bekam ich fast das Würgen, als es darum ging, wer von den fünfköpfigen Familienmitgliedern welche Innereien eines Tieres gerne isst. Alle waren ganz versessen auf die Innereien, aber jeder bevorzugte ganz andere. Igitt.

Ich stellte mir als Leserin die Frage, was denn ein Autor davon hat, die Essvorlieben in solche Details zu packen.



Dann hat mich gestört, dass der Autor Begriffe benutzt, die politisch nicht mehr korrekt sind. Negerküsse. Natürlich war das früher in den 1970er Jahren der Jargon für Schokoküsse. Aber der Autor ist nun kein Kind mehr und wir leben mittlerweile im 21.Jahrhundert.

Das sagt der DUDEN dazu:

Besonderer Hinweis

Wegen der Anlehnung an die diskriminierende Bezeichnung Neger sollte das Wort Negerkuss ebenfalls vermieden und durch Schokokuss oder Schaumkuss ersetzt werden.
 Auch bezüglich der Südländer pflegt der Autor recht klischeehafte Vorstellungen.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Der junge Held in Meyerhoffs zweitem Roman wächst zwischen Hunderten von Verrückten als jüngster Sohn des Direktors einer Kinder- und Jugendpsychiatrie auf – und mag es sogar sehr. Mit zwei Brüdern und einer Mutter, die den Alltag stemmt – und einem Vater, der in der Theorie glänzt, in der Praxis aber stets versagt. Wer schafft es sonst, den Vorsatz, sich mehr zu bewegen, gleich mit einer Bänderdehnung zu bezahlen und die teuren Laufschuhe nie wieder anzuziehen? Oder bei Flaute mit dem Segelboot in Seenot zu geraten und vorher noch den Sohn über Bord zu werfen?Am Ende ist es aber wieder der Tod, der den Glutkern dieses Romans bildet, der Verlust, der nicht wieder gutzumachen ist, die Sehnsucht, die bleibt – und die Erinnerung, die zum Glück unfassbar pralle, lebendige und komische Geschichten hervorbringt
Aber wir, der Autor und ich, haben auch Gemeinsamkeiten. So wie Meyerhoff bin auch ich auf einem Psychiatriegelände groß geworden. Meine Mutter war dort als Krankenschwester tätig. Die Anstalt stellte für die Kinder der MitarbeiterInnen einen Kindergarten und einen Kinderhort zur Verfügung. Auch ich wurde sehr früh von den Bildern psychiatrischer und geistig behinderter Menschen geprägt.

Es waren mir sehr viele Erfahrungen, die der Autor in seinem Buch über das Anstaltsleben beschreibt, mehr als vertraut. Auch weil er zu meiner Generation zählt und damals sahen alle psychiatrischen Krankenhäuser so ziemlich gleich aus. Hohe Backsteingebäude mit dicken Mauern, großes Gelände mit vielen Gebäuden, Parkanlagen, Stationen und Arbeitswerkstätten wie z. B. die Gärtnerei, die Werkstatt, Wäscherei, Großküche und die Bäckerei waren vertreten. Mittlerweile sind diese Arbeitsstätten nach und nach wegrationalisiert worden ... Diese Insel galt als ein kleines Dorf für sich. 
Damals wurden psychisch kranke Menschen zusammen mit geistig behinderten Menschen verwahrt  und sie galten alle als verrückt, wie man schon im Klappentext entnehmen kann ... Auch im Buch wird nicht differenziert und dies scheint wohl der Grund zu sein, weshalb psychisch kranke Menschen in der Gesellschaft mit geistig behinderten Menschen gleichgesetzt werden. Psychisch kranke Menschen sind keineswegs geistig behindert …

Ansonsten hat mir die literarische Sprache nach wie vor gut gefallen. Manche Szenen fand ich recht lustig und gut beschrieben. Doch nach zwei Büchern von Meyerhoff bin ich nun mehr als gesättigt. Ich habe keine Lust mehr auf den dritten Band. Werde überlegen, den wieder abzutreten.

Das Buch erhält von mir sieben von zehn Punkten.

Nachtrag, 16.02.2016
Ich habe mich heute mit meiner Lesepartnerin, die nicht mit Namen benannt werden möchte, da sie selbst auch psychisch krank ist, über das Buch kurz ausgetauscht.. Sie habe das Kapitel mit dem Hund übersprungen, weil ihr das auch zu heftig war. Nein, ich wollte nicht überspringen. Es ist immer gut zu wissen, wie sich Menschen in bestimmten Abschnitten ihres Lebens verhalten. Nicht nur Menschen, sondern auch Tieren gegenüber. Ansonsten sprach meine Lesepartnerin viel über das damalige psychiatrische Anstaltsleben und über eine junge Frau aus dem Buch, die sich wiederholt das Leben versucht hatte zu nehmen, bis der Suizid schließlich gelang. Meine Lesepartnerin kennt diese Suizidversuche aus eigener Erfahrung. Und durch das Buch hat sie erleben dürfen, dass solche Versuche eben tatsächlich mit dem Tod enden können.

Ob wir den dritten Band lesen werden, entscheiden wir, wenn es so weit ist. Mitte März dieses Jahres. 
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Wer sich im Vertrauten verirrt
oder in der Fremde verloren geht,
braucht nur eine fürsprechende Seele,
um sich gerettet zu fühlen.
(Petra Oelker)


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