Montag, 28. September 2015

Henning Mankell / Der Chronist der Winde (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich heute Vormittag beendet. Mir hat es recht gut gefallen. Wieder mal viele, viele Zettelchen zwischen den Seiten. Doch ich habe nun beschlossen, meine Buchbesprechung auf zwei Szenen zu fokussieren ...

Das Buch ist stellenweise grauenvoll. Das ist allerdings die Realität von Straßenkindern in Schwarzafrika. Straßenkinder, die zu Waisen gemacht wurden, weil ihnen die Eltern auf kriminalistische Art und Weise genommen wurden in einem Land, in dem Verbrechen nicht geahndet werden und in dem es keine Demokratie gibt. Die Geschichte im Buch ist recht authentisch geschrieben und dadurch sehr lesenswert. Endlich mal ein Autor aus der westlichen Welt, Mankell ist Schwede, der respekt- und achtungsvoll über die Probleme eines anderen Landes zu schreiben weiß. Mankell schreibt über Afrika, als wäre er ein Teil davon. Als wäre er dort aufgewachsen ... Mankell ist für mich ein Mensch, der über jede Menge Empathie verfügt. Mankell ist ein versierter Afrikakenner.

Sich in die Nöte anderer Menschen hineinzuzuversetzen, unabhängig der Hautfarbe, das schaffen nur ganze wenige Menschen. Auch Autoren sind recht rar, die dazu in der Lage sind, wenn es darum geht, die politischen und die kulturellen Verhältnisse in ihren Büchern aufzuzeichnen. Die meisten schreiben über andere Länder mit den Maßstäben und Wertesystemen, die sie gewöhnt sind und sie diese in ihren Köpfen mit in das Land tragen, über das sie schreiben möchten. Meist werden immer die Werte der eigenen Kultur aufgewertet und die andere Kultur abgewertet. Mankell ist ganz anders. Man könnte echt meinen, er sei ein afrikanisches Kind gewesen.

Dafür alleine hat Mankell schon seine zehn Punkte verdient.

Im Folgenden, wie oben schon gesagt, gibt es zwei Szenen, die ich hier festhalten möchte. Doch zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
»Man kann fliegen, ohne sichtbare Flügel zu haben.«Nelio, ein zehnjähriges Straßenkind, erzählt um sein Leben. Er liegt mit einer Schusswunde auf dem Dach eines afrikanischen Hauses und weiß, dass er sterben wird, sobald seine Geschichte zu Ende ist. Er erzählt, wie die Banditen sein Dorf überfielen und seine Schwester massakrierten. Wie er floh, den Weg in die große Stadt fand und Anführer einer Bande von Straßenkindern wurde. Vor allem aber erzählt er vom Leben dieser schwarzen Kinder. Und vom Paradies, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist und das man doch finden kann.
Es gibt Kinder, die keine Kindheit haben. Kaum sind sie auf der Welt, werden sie schon recht früh mit Problemen konfrontiert, für die sie eigentlich noch zu jung sind. Probleme, mit denen Erwachsene schon überfordert sind. Probleme, die Erwachsene aber auch machen, und sie die Kinder mit hineinziehen. Stellenweise sind recht grausame Szenen zu lesen. Menschen, die sich so bestialisch verhalten, dass man sich fragen muss, was diese Bestien zu Menschen macht? Haben sie überhaupt den Titel MENSCH verdient? Oder was macht Menschen zu Bestien? Diese Frage stellte ich mir nicht allein, auch der kleine, zehnjährige Nelio stellte sie sich. Nelio, der Zeuge wurde, als Banditen sein Dorf in Brand setzten und sie die wenigen Habseligkeiten, die diese Menschen besaßen, raubten. Sie raubten auch Menschen. Sie raubten Kinder, um sie zu ihren Soldaten zu machen. Sie raubten aber auch Kinder, und nur, um sie zu töten. Nelio sah, als seine eigene Mutter geprügelt wurde, als sie ihr das Mädchen, Nelios Schwester, von ihrem Rücken gerissen hatten, den Säugling in die große Tonne legten, und der Mutter befahlen, sie solle das Kind in der Tonne mörsern, wie sie Mais gemörsert hatte. Die Mutter war dazu nicht in der Lage, so nahm der Bandit selbst den Stock in die Hand, und mörserte damit auf das kleine Mädchen ein, das erst vor Angst brüllte und die Schreie mit dem Mörsern und Töten schnell zum Ersticken gebracht wurden …

Das können Erlebnisse von Kindern sein, die in einem Land geboren werden, in dem es nur die Armut, Gewalt und Unterdrückung gibt. Man nimmt armen Menschen das bisschen, das sie haben. Sogar die Würde …

Nelio wurde auch gekidnappt. Gemeinsam mit seinem Bruder und vielen anderen Kindern. Er erhielt, nach dem die Reise beendet war, ein Gewehr in die Hand mit dem Befehl, den Jungen, der ihm gegenüberstand, zu erschießen, damit er schnell lernen könne, andere zu töten. Dieser Junge war sein Bruder, der entsetzlich weinte vor Angst. Nelio brachte es nicht fertig. Stattdessen drehte er sich zu dem Befehlshaber und schoss ihm mitten in die Stirn. Nelio ließ daraufhin das Gewehr fallen, rannte und rannte und rannte …

Mein Fazit?
Wo menschliche Nöte sind, findet man oftmals Weisheit ... 
Der zehnjährige Nelio dachte so weise wie ein alter Mann ... 

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