Dienstag, 28. Juli 2015

Haruki Murakami / Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki (1)

Lesen mit Renie ...

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, zu welcher Meinung ich mich zu diesem Buch entschließen möchte. Es ist wieder eine Lovestory, und irgendwie nach demselben Schema geschrieben wie die letzten auch, mit Ausnahme von IQ84 und Kafka am Strand. Da ringe ich mit mir und erlaube mir zu sagen, dass Murakami kein politisches Profil besitzt, weshalb er immer wieder Liebesromane schreiben muss, in denen er seine Sexualität auch in fiktiver und abstruser Form voll und ganz, so scheint mir, auszuleben versucht. Jede Figur, die ein Autor kreiert, ist aus psychoanalytischer Sicht ein Teil seiner eigenen Persönlichkeit ...

Die ProtagonistInnen erscheinen mir zudem oftmals viel zu flach, viel zu glatt, wie auch hier in diesem Werk Herr Tsukuru Tazaki … Auch dieser kommt mir viel zu brav vor.

Meist helfen mir die vielen Zettelchen in einem Buch, die mich beim zweiten Mal hinsehen schließlich zu einer Meinung führen werden.

Nichtsdestotrotz überlege ich, nun nach zehn Büchern mit Murakami abzuschließen. Es kann aber sein, dass ich nach einer gewissen zeitlichen Distanz doch noch Lust bekommen werde, mit weiteren Bänden fortzusetzen. Ich bin allerdings ein Mensch, der keine Liebesromanzen mag. Anders z. B. bei Isabel Allende, die auch nur Liebesromane schreibt, die aber immer gekoppelt sind an historische Ereignisse dieser Zeit, über die sie zu schreiben pflegt. Das fehlt Murakami völlig.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Der junge Tsukuru Tazaki ist Teil einer Clique von fünf Freunden, deren Mitglieder alle eine Farbe im Namen tragen. Nur Tsukuru fällt aus dem Rahmen und empfindet sich – auch im übertragenen Sinne – als farblos, denn anders als seine Freunde hat er keine besonderen Eigenheiten oder Vorlieben, ausgenommen vielleicht ein vages Interesse für Bahnhöfe. Als er nach der Oberschule die gemeinsame Heimatstadt Nagoya verlässt, um in Tokio zu studieren, tut dies der Freundschaft keinen Abbruch. Zumindest nicht bis zu jenem Sommertag, an dem Tsukuru voller Vorfreude auf die Ferien nach Nagoya zurückkehrt – und herausfindet, dass seine Freunde ihn plötzlich und unerklärlicherweise schneiden. Erfolglos versucht er wieder und wieder, sie zu erreichen, bis er schließlich einen Anruf erhält: Tsukuru solle sich in Zukunft von ihnen fernhalten, lautet die Botschaft, er wisse schon, warum. Verzweifelt kehrt Tsukuru nach Tokio zurück, wo er ein halbes Jahr am Rande des Selbstmords verbringt. Viele Jahre später offenbart sich der inzwischen 36-jährige Tsukuru seiner neuen Freundin Sara, die nicht glauben kann, dass er nie versucht hat, der Geschichte auf den Grund zu gehen. Von ihr ermutigt, macht Tsukuru sich auf, um sich den Dämonen seiner Vergangenheit zu stellen.
Tsukuru leidet ein wenig darunter, dass er verglichen mit seinen vier FreundInnen aus seiner Clique von der Bedeutung seines Namens her farblos ist. Er bezieht diese Farblosigkeit auch auf sein gesamtes persönliches Wesen:
Tsukuru hatte jedenfalls keine besondere Begabung, auf die er stolz sein oder mit der er sich vor anderen hervortun konnte. Zumindest fand er das. Er war in allem mittelmäßig. Oder farblos.
Tsukuru wird aus seiner Crew ausgestoßen. Aus scheinbar unbestimmten Gründen und so schleppt er seine seelische Verletzung sechzehn Jahre mit sich herum, bis er schließlich eine zwei Jahre ältere Frau namens Sara trifft, die für eine andere Haltung sorgt.
>>Ich verstehe das nicht<<, sagte Sara. >>Ganz offensichtlich leidest du in deinem Kopf oder in deinem Herzen oder in beidem noch unter der Verletzung von damals. Trotzdem hast du in den ganzen sechzehn Jahren nicht einen Versuch gemacht, der Sache auf den Grund zu gehen und zu erfahren, warum du das durchmachen musstest. 
Tsukuru gelingt insgesamt ein schlechter Zugang zu anderen Menschen und findet sich widerwillig damit ab, um sich nicht damit zu quälen:
Wahrscheinlich war es letzten Endes sein Schicksal, allein zu sein. Alle Menschen, die ihm näher kamen, verließen ihn bald wieder. Sie suchten etwas bei ihm, aber anscheinend fanden sie es nicht, oder das, was sie fanden, gefiel ihnen nicht; jedenfalls gaben sie (…) irgendwann auf. Eines Tages waren sie dann plötzlich verschwunden. Ohne Erklärung und ohne Abschied. Wie man mit einem scharfen Beil eine Ader durchtrennt, durch die eben noch warmes Blut geflossen war.Offenbar hatte er etwas an sich, das andere Menschen enttäuschte. Der farblose Herr Tazaki, sagte er laut. Im Grunde lief es darauf hinaus, dass er anderen nichts zu geben hatte. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal sich selbst etwas zu geben. 
Tsukurus Umfeld, das in seinen Träumen besteht, wird oftmals ein wenig düster beschrieben. Die Landschaft um ihn herum ist karg und leblos. Ein wenig kafkaeske. Es existieren Vögel mit messerscharfen Schnäbeln und hacken auf Tsukurus Fleisch herum …

Oftmals ist er von Albträumen geplagt und schafft es nicht immer, Fiktion und Realität auseinanderzuhalten. Er spricht von Gefühlen der Eifersucht, wenn er in Träumen gewaltsam von jener Frau entrissen wird:
Eifersucht war - das hatte Tsukuru durch diesen Traum begriffen - das trostloseste Gefängnis, das es auf der Welt gab. Denn es war ein Gefängnis, in das der Gefangene sich gewissermaßen selbst einsperrte. Niemand zwang ihn dazu. Er ging aus freien Stücken hinein, schloss von innen ab und warf den Schlüssel durch das Gitter nach draußen. Und niemand auf der ganzen Welt wusste, dass er dort eingekerkert war. Nur wenn er sich selbst dazu entschloss, konnte er es verlassen. Denn das Gefängnis befand sich in seinem Inneren. Doch er war außerstande, diesen Entschluss zu fassen. Sein Herz war von einer unüberwindlichen Mauer umgeben, das war die wahre Natur der Eifersucht.  
Viele Gedanken über den Tod finden sich oftmals auch in meinem Kopf, allerdings mehr in Form einer Wertschätzung dem Leben gegenüber, und um eines Tages bereit dafür zu sein. In diesem Buch fand ich ähnliche Gedanken, weshalb ich diese gerne festhalten möchte, die aus Tsukurus Kopf stammen:
>>Das Sterben bereitet mir keine Sorgen. Wirklich nicht. Ich habe schon eine Menge Gesindel sterben sehen. Und sogar die haben es geschafft. Es ist unmöglich, dass ich es nicht schaffe.<<
Es haben schon viele Menschen vor mir geschafft zu sterben.

 Ein Gedanke, der von mir hätte sein können ... 

Sara ist eine Frau, die sehr wohl partnerschaftliches Interesse Tsukuru gegenüber zeigt, hält sich aber gern noch bedeckt, bis Tsukuru durch Zufall sie auf der Straße mit einem anderen Mann Hand in Hand laufen sieht. Tsukuru ist irritiert. 
Er dachte an Sara. An ihr mintgrünes Kleid, ihr heiteres Lachen und den Mann, mit dem sie Hand in Hand die Straße entlanggegangen war, aber diese Gedanken brachten ihn auch nicht weiter. Die Herzen der Menschen waren wie Nachtvögel. Sie warteten still auf etwas, und wenn die Zeit dafür gekommen war, flogen sie geradewegs darauf zu. Er schloss die Augen und lauschte den Klängen des Akkordeons. Die einfache Melodie übertönte das lebhafte Stimmengewirr. Wie ein Nebelhorn das Rauschen der Wellen. 
Wie entwickelt sich die Beziehung zu Sara? Schafft Tsukuru es, das Geheimnis seiner vier FreundInnen zu lüften?

Da ich nicht noch mehr verraten möchte, beende ich hier meine Aufzeichnungen. Das Wichtigste habe ich weggelassen, denn es trägt eine gewisse Spannung mit sich, die ich jeder Leserin und jedem Leser nicht vorenthalten möchte.

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten, da ich die literarische Sprache als recht fantasievoll und metaphorisch- und den Schreibstil als recht flüssig erlebt habe. Die Bilder, die der Autor gebraucht, sind allerdings auch Geschmacksache …

Nun bin ich aber ganz froh, dass das Buch doch nicht so schlecht abgeschnitten hat.Vielleicht bin ich intellektuell ein wenig phlegmatisch geworden durch die vielen Murakami-Liebesromane, die nicht zu meinen präferierten Genres zählen.

Lesen mit Renie; kurzer Austausch über eMail, da Renie gerade im Ausland verweilt, doch auch sie hat sich zu einer Meinung ein wenig schwer getan. Sie lobte Murakamis Schreibstil, der recht fantasievoll und mit vielen Metaphern geschmückt sei ...

Renies Buchbesprechung

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Nur Tote bleiben für immer siebzehn.
(Haruki Murakami)

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