Samstag, 8. Februar 2014

Edmund de Waal / Der Hase mit den Bernsteinaugen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Nun kann ich mir zu dem Buch selbst eine Meinung bilden und vergleiche meine Leseerfahrung mit den verschiedenen Rezensionen, die ich dazu gelesen habe.

Ich finde, dass jede/r Rezensent/in recht hat. Das Buch ist wirklich recht kühl geschrieben, es liest sich keineswegs wie ein echter Familienroman. Im Vordergrund steht die Kunst (Gemälde, Bildhauerei, Netsuke …) Für Kunstinteressierte sicher eine spannende Lektüre. Wer aber einen Familienroman á la Thomas Mann erwartet, die / der wird regelrecht enttäuscht. Das Buch liest sich eher wie ein Sachbuch. Wahrscheinlich, weil der Autor selbst Künstler ist und dazu noch Professor für Keramik, in der die Literatursprache eher in wissenschaftlicher Form gewählt ist. 

Der Autor begibt sich auf Spurensuche. Von seinem alternden Vater bekommt er einen Batzen Unterlagen zu seiner Herkunftfamilie, die, wie ich im Klappentext schon geschrieben habe, weit zurück bis ins 18. Jahrhundert reicht.

Ich selbst konnte mit den Familienmitgliedern nicht wirklich warm werden, dadurch, dass der Autor über diese eher erzählt hat, ohne sie gekannt zu haben. Er bedient sich der Briefe, eines ungedruckten Romans, Gemälde, doch hauptsächlich geht es um die japanische Kunstform Netsuke.

Die Familie, um die es geht, nennt sich Ephrussi, jüdischer Herkunft, mehr als wohlhabend, und die auch den Schrecken des Nationalsozialismus in Österreich erlitten hat.

Berichtet wurde auch von vielen Bekanntschaften wichtiger Künstler des Impressionismus wie z. B. Manet, Renoir, sowie auch Schriftsteller, zu denen Marcel Proust zählte. Auch Marcel Proust war ein großer Kunstliebhaber, was sich aus seinen Werken Auf der Suche nach der verlorenen Zeit herauslesen lässt, deshalb wundert es mich nicht, dass er auch zu diesen Kreisen zählte.

Zu Marcel Proust gibt es vonseiten Charles Ephrussi (1849 – 1905) Folgendes zu lesen:
Proust, ein Neuling, noch nicht ganz ein Freund, kam nun regelmäßig zu Besuch, er schlürfte Charles´ hochfliegende Konversation auf, die Art, wie er seine neuen Kostbarkeiten arrangierte, seine umfassenden Beziehungen. Charles kannte Proust mit seinem gesellschaftlichen Heißhunger gut genug, um ihm zu raten, dass man nach einem Dinner um Mitternacht aufbricht, da die Gastgeber meist schon gerne zu Bett gehen würden. Wegen einer längst vergessenen Kränkung nannte ihn der nebenan wohnende Ignaz (Ephrussi) >>Proustaillon << -eine recht passende Bezeichnung für diese Schmetterlingsexistenz, die von einem gesellschaftlichen Anlass zum nächsten flatterte. (111) 
Das fand ich ein so schönes Bild, hat mich total inspiriert und absolut passend zu Proust, sodass dieser meine nächste zu lesende Lektüre sein wird… .

Kann man ein noch höheres Glück als dieses im Leben erwarten, Bekanntschaft mit solchen interessanten Persönlichkeiten zu machen? Die Ephrussi hatten dieses Glück. Sicher war es auch das Vermögen, das ihnen die Türen zu allen ganz besonderen Lebensbereichen öffnete. Sie konnten es sich leisten, selbst auszuwählen… .

Mich hat eine weitere Szene auch berührt:

Es geht um Gemälde von Manet und Charles Ephrussi kaufte ihm ein Gemälde ab, das er großzügig honorierte:
(Das Gemälde) zeigt zwanzig Spargelstangen, mit Stroh zusammengebunden. Manet wollte  achthundert Francs dafür, eine beträchtliche Summe, doch der begeisterte Charles sandte ihm tausend. Eine Woche später erhielt Charles ein kleines, mit einem schlichten signiertes Bild. Darauf war eine einzelne, auf einem Tisch liegende Spargelstange zu sehen; in der beigefügten Notiz stand: „Die ist wohl aus dem Bund gerutscht. (97) 
Das hat mich schon alles recht interessiert, obwohl ich mich nicht zu den Kenner/innen von Kunstobjekten zähle.

Charles war zudem ein großer Sammler von Netsuken. Er schaffte sich für die Sammlung extra eine Vitrine an, in der er 264 Teile ausstellte und aufbewahrte. Hauptsächlich waren es Figuren aus der Tierwelt. Später, als der Nationalsozialismus in Österreich ausbrach, betrachtete man die Tiere eher als menschliche Wesen:
Wölfe, Panther, Leopard und Tiger sind Menschen gegenüber diesen Raubtieren in Menschengestalt … (160).
Das Thema Nationalsozialismus möchte ich hier nicht weiter vertiefen, habe schon zu viel dazu gelesen und verweise auf das Buch.
Aus dem Land der Dichter und Denker ist ein Land der Richter und Henker geworden.
Nicht, dass mich das Thema nicht interessiert hat, ganz im Gegenteil, ich habe es mit Interesse verfolgt. Es nimmt im Buch zu Recht auch einen großen Raum der Familie ein. Aber alles, was darin nationalsozialistisch beschrieben wurde, waren dieselben grausamen Bilder, die man von Deutschland her kennt. Es war lediglich der Kaiser Karl, der die Juden vor den Antisemiten verteidigte:
Kaiser Karl erhält in der jüdischen Presse begeisterten Zuspruch. Die Juden, heißt es in Blochs Wochenschrift, seien nicht nur die treuesten Unterstützer seines Reiches, sondern die einzigen bedingungslosen Österreicher. (229)
Mein Fazit zu dem Buch: Es ist recht interessant und man fragt sich aber schon, was hat der Autor denn gesucht? Den Ursprung dieser Miniaturfiguren oder die Spuren zu seinen Vorfahren? Er hat sich selbst diese Frage auch gestellt, ohne eine Antwort gefunden zu haben. Aber das Ende des Buches bestimmt nun doch die Netsuke. Die Netsuke haben den Nationalsozialismus dank des Hausmädchens Anna überlebt und leben in ihrer Zeit weiter bis in die nächsten Generationen und ich schließe mit einem Zitat, geschrieben aus der Sicht des Autors, zu dem die Netsuke gelangt sind:
Ich lege einige Netsuke in die Vitrine hinein - den Wolf, die Mispel, den Hasen mit den Bernsteinaugen, noch ein Dutzend - -und als ich wieder hinsehe, haben sie sich bewegt. Eine zum Schlafen zusammengerollte Ratte ist nach vorne gerutscht. Ich öffne die Glastür und nehme sie heraus. Stecke sie in die Tasche, lege dem Hund die Leine an und gehe zur Arbeit. Ich muss töpfern.Ein neuer Anfang für die Netsuke.
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Außerdem braucht jeder ein paar Schwächen, sonst ist man kein richtiger Mensch.
( Helen Simonson)

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