Sonntag, 24. November 2013

Julia Franck / Die Mittagsfrau (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Ich habe das Buch nun durch und es war richtig heftig zu lesen. Jede Menge belastender Lesestoff. Jede Menge traurige Menschenschicksale, die mich mehr als betroffen stimmen. Von der ersten bis zur letzten Seite geschehen Dinge, die man schwer nachvollziehen kann. Aber sie geschehen trotzdem, man kann diese konfliktreichen Aktionen als Leserin nicht aufhalten. Auch wenn man es so gerne möchte... . Man muss durch, wenn man das Buch zu Ende lesen möchte. 

Der Schreibstil hat mir recht gut gefallen. Anspruchsvoll und mit viel Fantasie ausgeschmückt. 

Das Buch beginnt mit einem Prolog, und man erfährt darin, dass eine Mutter namens Helene ihr achtjähriges Kind auf einem fremden Bahnhof mit einem Koffer zurück lässt. Das Kind sitzt auf der Bank. Es wartet und wartet auf die Mutter, bis es schließlich dunkel wird. Und so endet der Prolog und man erfährt erst am Ende des Buches, sozusagen im Epilog, was aus dem Kind und der Mutter geworden ist. Doch eigentlich heißt im Prolog Helene anders und zwar Alice... . Dies führte mich ein wenig zu Irritationen... . 

Die Heldin dieses Romans ist Helene. Ein sehr begabtes Kind, das in der Schule mehrere Schuljahre überspringt. Die Eltern dagegen wirken auf das Kind eher ablehnend und auch bildungsneidisch, sodass das Kind nach der Schule nicht weiter gefördert wird. Helene träumt den Traum, Ärztin zu werden... .
Es zeichnet sich ab, dass die Lehrerin in wenigen Monaten ihr gesamtes Wissen an das Mädchen weitergegeben haben würde, ohne dass es das angemessene Alter erreicht hätte. Helene schämte sich dafür, nicht schnell genug älter zu werden. (54)
Besonders Helenes Mutter geht recht destruktiv mit Helenes Begabung um:
Das Mädchen langweilte sich in seinem letzten Schuljahr zu Tode. Es wurde Zeit, dass es sich nützlich machte. Helenes Drängen auf eine höhere Töchterschule zu gehen,um danach Medizin zu studieren, gab die Mutter nicht nach. Wo sie sich schon bisher in der Schule so gelangweilt hatte, schien es in den Augen der Mutter ein allzu kostspieliges Vergnügen, diese gepflegte Faulenzerreien noch um zwei Jahre zu verlängern. (79)
Ich habe das schon öfter gehört, dass es Eltern gibt, die die Intelligenz ihrer Kinder neiden, und unbewusst versuchen, den höheren Bildungsweg zu blockieren.

Martha wird stattdessen gezwungen, beruflich in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten... . 

Helene hat eine neun Jahre ältere Schwester namens Martha, die sich für Helene einsetzt, ihr Mut macht, später ihrem Wunsch nachzugehen, um Medizin zu studieren. Martha begibt sich in die Krankenpflegeausbildung, und weist die Schwester in die Theorien ein, damit sie es später in ihrer humanmedizinischen Ausbildung mit Vorkenntnissen einfach haben sollte. Helene ist zwar noch ein Kind, lernt aber problemlos den Stoff ihrer Schwester. 

Da die Mutter Helene nach der Grundausbildung nicht weiter auf die Schule schickt, muss Helene später auf dem zweiten Bildungsweg ihre Hochschulreife nachholen, um anschließend auf die Universität zu gehen. Ob sie es schafft, lest einfach selbst. 

Helenes Mutter zeigt sich emotional ihrer Familie gegenüber als recht kalt. Sie wünscht sich Söhne und vor Marthas und Helenes Geburt war sie zwei Mal schwanger, aber beide Male verlor sie das Kind, beides Mal Söhne, kurz nach der Geburt. Sie betrauert diese Söhne ein Leben lang, sodass den Mädchen eine Mutter abgeht, und sie gezwungen waren, früh erwachsen zu werden, vor allem auch dann, als der Vater an den Kriegsfolgen starb.

Durch den Nationalsozialismus, im letzten Kriegsjahr, wird Helene gezwungen, ihre Identität zu wechseln. Dadurch, dass die Mutter Jüdin ist, ist ihr Leben gefährdet, als sie an die verkehrten Menschen gerät, vielmehr an den verkehrten Mann, von dem sie ein Kind erhält, das Kind, das im Prolog beschrieben wird.
Dieser Mann namens Wilhelm war mir von Anfang an unsympathisch, sodass es mir schleierhaft ist, weshalb Helene als eine so kluge Frau diesen Typ von Mann überhaupt geheiratet hat? Als sie schwanger wurde, bezeichnete er das Kind nicht als sein Kind und als das Kind geboren wurde, schickte Wilhelm seine Frau arbeiten, da er zu Hause keinen Schmarotzer dulden wollte. Als Schmarotzer bezeichnete er den Säugling. Helene hatte natürlich auch Pech mit ihrer Beziehung, denn bevor sie sich mit Wilhelm einließ, war sie mit einem anderen jungen Mann verlobt. Die Bindung war von echter Liebe gezeichnet. Leider starb ihr Verlobter an den Folgen eines Unfalls. 

Ich mache nun hier Schluss. Es ist zu empfehlen, das Buch selbst von der ersten bis zu letzten Seite zu lesen. 
Dies ist das traurigste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe und es schreit regelrecht nach mehr Menschlichkeit... . 

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

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Hören wir auf, den Menschen auf sein Gutes und Schlechtes zu belauern, haben wir Mitgefühl mit dem Sein des Menschen.
(Julia Franck)

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