Montag, 12. August 2019

Proust und die Verehrung einer Märchenfigur namens Mogli

Seite 228 - 239  

Und wieder gibt es spannende Einblicke aus Prousts Leben. Einige Briefe waren durch die Dreyfusaffäre wieder sehr politisch. Aus einem anderen Brief geht die Erkrankung seiner Mutter hervor. Und erneut gab es interessante Literaturgespräche zu entnehmen, diesmal von einem Märchen, das auch uns gegenwärtig allseits bekannt ist. Spannend war, wie intensiv Proust dieses Märchen in sich eingesaugt hat.

Ich freue mich jedes Wochenende auf Marcel Proust, und ich spüre deutlich, wie sehr er von Brief zu Brief in meiner Seele wächst. 


An Adrien Proust
September 1898, Proust ist 27 Jahre alt
Trouville

Prousts Mutter ist krank, wurde in einem Pariser Krankenhaus notoperiert, aber er spricht nicht über die Art der Erkrankung, da sie als bekannt vorausgesetzt wird, denn er schreibt an seinen Vater und berichtet über die Genesung seiner Mutter. Die Mutter befindet sich nun zur Erholung in einem Kurort namens Trouville, und scheint wieder zu Kräften zu kommen. Proust befindet sich in Trouville an ihrer Seite. In diesem Brief geht es aber nicht nur um die Befindlichkeit der Mutter, sondern auch um die eines jungen Marine-Infanterist, der drei Jahre in Madagaskar zugebracht und sich dort ein tropisches Fieber eingeholt habe. Proust bezeichnet dieses Fieber als eine Art von Blutvergiftung. Das Fieber sei allerdings erst im Heimatland ausgebrochen, immer wieder in Schüben und so bittet er seinen Vater, der von Beruf Arzt ist, um ein Heilmittel oder um eine Überweisung zu einem Spezialisten.

Das fanden wir, Anne und ich, sehr rührend, wie besorgt und Anteilnehmend Proust nicht nur für seine Mutter ist, sondern auch um diesen jungen Mann, wir aber nicht wissen, in welcher Beziehung er zu diesem Menschen steht. Wir werden wohl nicht erfahren, ob der Vater hier hat Abhilfe schaffen können.

An Marie Nordlinger
Dezember 1898

Proust erhält von der Dame eine Weihnachtskarte, über die er sich sehr gefreut hatte. Wie schön er ihr diese Freude zum Ausdruck gebracht hat, liest man an folgender Textstelle:
Mademoiselle, mit Ihrer Weihnachtskarte haben Sie mir eine große Freude bereitet. Wären wir nur Vernunftwesen, würden wir an Geburtstage, Feste, Reliquien, Gräber nicht glauben. Aber da wir auch ein wenig aus Materie bestehen, glauben wir gerne, dass sie auch in der Wirklichkeit etwas darstellt, und wir wollen, dass das, was in unserem Herzen einen Platz hat, auch einen kleinen Platz außerhalb von uns einnimmt, dass es, wie unsere Seele mit unserem Körper, ein materielles Symbol hat.

Diese Sichtweise fanden Anne und ich sehr rührend, sehr weise.

Seine Ansicht zur Weihnachtsfeier hat Proust so schön ausgedrückt, dass ich Weihnachten in diesem Brief, mitten im August, regelrecht riechen konnte.
Und in dem Maße, wie Weihnachten für uns seine Wahrheit als Geburtstag einbüßt, wird es, kraft der zarten Strahlung der angehäuften Erinnerungen, zu einer immer lebendigeren Wirklichkeit, in der das Kerzenlicht, die melancholische Erwartung eines ersehnten Besuchs, der durch den Schneefall verhindert wird, der Duft der Mandarinen, der die Wärme der Zimmer durchtränkt, die Lustbarkeiten in der Kälte und am Feuer, die Gerüche von Tee und Mimosen wieder aufscheinen, überzogen vom köstlichen Honig unserer Persönlichkeit, die wir dort unwissentlich über Jahre hinweg abgelegt haben, Jahre, in denen wir sie – wie gebannt von egoistischen Zielen – nicht mehr spürten und jetzt, mit einem Mal, unser Herz schneller schlagen lässt. (235)

Ist dies nicht ein schöner Text? Aus der Fußnote ist zu entnehmen, dass Proust diese Szene ähnlich in seinem Roman Jean Santeuil, eine Ausgabe von 1965, hat einfließen lassen.

Doch Anne hat angemerkt, dass Proust Madame Nordlinger intellektuell nicht ausreichend gewürdigt habe und er sie auf ihren Humor, auf ihre Art, Witze zu erzählen, reduzierte:
Ich hoffe sehr, (…) dass Sie bald nach Paris zurückkommen. Ich wäre glücklich, wieder in den Genuss ihres so köstlichen Witzes zu gelangen und in den Genuss Ihrer Anmut, die so erfrischend ist wie ein Weißdornzweig. (236)

Wer weiß, vielleicht bekommen wir noch mehr zu dieser Dame zu lesen, um uns ein umfassenderes Bild zu ihrer Charakterisierung und zu ihrem Charme zu machen.

An Robert d´Humiéres
Februar 1899

Robert d`Humiéres ist zusammen mit seinem Kollegen Louis Fabulet Übersetzer von Kiplings Dschungelbuch gewesen. Proust ist in dem Märchen ganz aufgegangen, lobt die Übersetzer.
So hat mir gestern die Revue de Paris mit dem bewundernswerten >Moglis Entführung< einen weiteren Grund gegeben, Sie zu verehren. Auch ich bin entführt worden, bin wie Mogli auf den Schultern der Affen durch den Dschungel gestürmt und habe Freundschaft mit dem Geier geschlossen.

Proust zeigt sich immer voller Dankbarkeit zu seinen Schriftstellerkollegen, wenn sie es schaffen, ihn mit ihren Werken zu verzaubern.
Wenn man sich schon größer fühlt, nachdem man so schöne Dinge gelesen hat, um wie viel mehr muss da nicht derjenige über sich hinausgewachsen sein, der sie so wunderbar übersetzt hat, der viel länger und auf viel vollkommenere Weise Kipling war als ich selbst, der ich ihn verstanden und genauso geliebt habe.

Nun spricht er direkt mit Mogli:
Und auch Sie, lieber Mogli, kleines Menschenkind, sehen in diesem Augenblick den Dschungel vor sich, auf den Sie sich, nachdem Sie Kipling so schön übersetzt haben, geistigen Besitzanspruch erworben haben. Machen Sie sich auf die Suche nach den Pfaden der Affen, den Ruinen der Hindu-Stadt, um mir von alldem erzählen zu können.
Gott weiß, wie sehr mich das interessiert.

Immer wieder erlebt man, wie Proust manche literarischen Figuren nach dem Lesen in sich ein zweites Mal aufleben lässt.

Im letzten Absatz dieses Briefes bedankt sich Proust erneut bei d´Hümières gebührend für die Übersetzung:
Ich kann Ihnen für >Moglis Entfürung< gar nicht genug danken. Mit dieser Übersetzung haben Sie mir eine der größten literarischen Freuden bereitet, die ich je empfunden habe. Ich gehe mit diesem entzückenden Poem bei allen klugen und empfindsamen Menschen hausieren, die ich kenne. Kennen Sie sich in Kiplings Leben aus?

Doch Proust stellt sich auch kritische Fragen, und konfrontiert d´Humières damit.
Wissen Sie, woher bei (Kipling) dieses so eigene Interesse für das Leben der Tiere, all diese Entführungen, diese Reise auf dem Rücken der Elephanten oder Affen oder Panthern führt? (…) Das Einzige, was mir missfällt, ist, wenn es so scheint, als wolle er allegorisch werden, zum Beispiel das Affenvolk, das nichts aufbauen kann usw. Glauben Sie, dass er da eine Allegorie schreiben wollte?

Eine Allegorie zu was? Er befürchtete, dass mit den Affen die Menschen gemeint sein könnten. Hier hätte ich Lust, nochmals Das Dschungelbuch zu lesen. Ich denke, dass ich es tun werde.

Aber ich wollte jetzt auch noch wissen, wie alt Kipling zu Prousts Zeiten war und habe festgestellt, dass der Altersunterschied nicht sehr groß gewesen ist. Rudyard Kipling ist 1865 geboren und 1936 gestorben. Er ist gerade mal sechs Jahre älter als Marcel Proust und hat aber ein deutlich längeres Leben als er gehabt, Proust, der die 50 nicht überschreiten konnte, während Kipling 71 Jahre alt wurde. Und trotzdem war er ein Genosse aus Prousts Zeiten.

Telefongespräch mit Anne
So richtig intensiv haben wir uns diesmal nicht ausgetauscht, da sehr viele Briefe Wiederholungen zu politischen Motiven enthielten. Weitere Gedanken zu Anne habe ich entsprechend im Text deutlich hervorgehoben.

Weiter geht es nächstes Wochenende von Seite 240 bis Seite 249.

_________________
Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen, 
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
(Marcel Proust)

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Samstag, 10. August 2019

Meine literarische Reise nach Dublin (3)

Unser dritter Tag in Dublin.  
James Joyce

Samstag, den 03.08.2019

Als Erstes wollten wir uns nach dem Frühstück die Samuel Beckett – Brücke anschauen. Eine wundervolle Brücke im Format einer Harfe. Da ich ja selbst Musik so wahnsinnig liebe, bin ich von solchen Symbolen sehr angetan. Wobei die Harfe eines von mehreren der Wappenzeichen Irlands ist. Warum die Brücke nach Beckett benannt wurde, ist mir bis heute nicht wirklich klar geworden. Im Internet findet man lediglich zur Brückenkonstruktion Informationen, wie zum Beispiel, dass sie 120 Meter lang ist und 48 Meter hoch, und dass sie die Mackenstreet, die Südseite des Flusses, mit der Guild Street im Norden verbindet. Wer die Brücke gebaut hat, und andere Bautechnische Beschaffenheiten kann man auf Wikipedia entnehmen.

Ein paar Meter von der Brücke entfernt befand sich ein Touristenschiff, sodass Tanja und ich die Gelegenheit ergriffen haben, mit dem Schiff mitzufahren. Der Schiffskapitän konnte uns allerdings nicht zusichern, ob wir mitfahren konnten, und bat uns, abzuwarten. Das Schiff war auch schon mit vielen Tourist*innen beleget. Kurze Zeit darauf bekamen wir die Zusicherung, mitfahren zu dürfen. Eine Schifffahrt von 60 Minuten für jeweils 25,00 € pro Person, einfache Fahrt. Gefahren sind wir mit dem Schiff nach City Centre to Dun Laoghaire. Ich informierte mich, ob man von dort aus gut ins James Joyce Centre gelangen könne. Als der Touristenführer bejahte, sind wir eingestiegen. 

Das bunte Irland zeigte sich auch im Meer sehr farbenprächtig. Grüne, gelbe, blaue und rote Leuchttürme bekamen wir zu sehen. Ich fand sie wundervoll, weil ich genau diese Farben so sehr liebe. 

Später, als das Schiff angelegt hat, sind wir an dem Hafen, im Centre Dun Laoghaire, spazieren gegangen. Und so verbrachten wir völlig ungeplant wieder etwas Zeit am Meer, wenn auch nur den halben Tag. 

Danach sind wir dann aufgebrochen, das James Joyce Center aufzuspüren. Ich wurde langsam kribbelig, weil ich es kaum abwarten konnte, endlich sein Haus, das mittlerweile ein Museum ist, zu entdecken. Wir sind weiter mit dem Bus gefahren, hier war mir mein Smartphone, vielmehr Googlemaps, eine große Hilfe, weil es mir angezeigt hat, mit welcher Buslinie wir weiterfahren konnten, um unser Ziel zu erreichen. Und tatsächlich, nicht mehr weit, befanden wir uns mitten im James Joyce Centre. Das gesamte Zentrum war geschmückt mit vielen Statuen und Büsten. Ich habe alles fotografiert, was mir über den Weg gelaufen ist. Wunderbare Figuren …

Bis zu dem Museum war es nicht mehr weit, bis wir plötzlich vor dem Haus standen. Tanja wollte nicht mit mir rein, sie ging stattdessen in ein Café. Keine Ahnung, wie lange ich in dem Museum verbringen wollte, aber ich musste mich festlegen, auf eine Uhrzeit, um Tanja wieder zu treffen, und sie nicht ganz so lange alleine zu lassen. Eine Stunde müsste genügen, dachte ich mir, aber sie hat mir nicht genügt. Ich hätte locker zwei Stunden für die Besichtigung aufbringen können. Das nehme ich aber nicht so eng, ich werde wieder nach Dublin reisen, und ein weiteres Mal das gesamte Zentrum besuchen.

James Joyce hat allerdings nicht sein ganzes Leben in Dublin zugebracht. Wer ist James Joyce eigentlich? Er war ein irischer Schriftsteller, ist 1882 in Dublin geboren und 1941 in der Schweiz gestorben, wo er auch begraben ist. Er verbrachte sein Leben größtenteils in Dublin, Paris, Triest und in Zürich. Bekannt ist der Autor mit den Werken Dubliner und Ulysses. Beide Werke habe ich noch ungelesen in meinem Bücherregal stehen. 

Ulyssus ist keine einfache Leküre, aber zählt zur Weltliteratur. Ein Buch von über 800 Seiten. Es geht um den Protagonisten Leopold Bloom, der aufgezigt, was er an einem einzigen Tag in Dublin erlebt hat. Joyce hat Haare auf den Zähnen, er ist sehr kaltschnäuzig und wahnsinnig sarkastisch und humoristisch. Er nimmt so einige Figuren auf die Schippe. Ich hatte mir in Dublin das eBook runtergeladen, weil ich nach dem Museumsbesuch es nicht abwarten konnte, mir selbst einen ersten Überblick zu dieser Romangeschichte zu verschaffen. James Joyce`Buch wurde damals von den Amerikanern wegen seiner Obszönitäten vehement abgelehnt. Heute feiert der Autor auch bei den Amerikaner*innen große Wertschätzung. 


Durch die Reise nach Dublin bin ich nun sehr neugierig auf diese Bücher geworden. Aber Joyce war nicht nur Literat, nein, er war auch musisch bewandert. Er war Baritonist. Außerdem wurden seine Gedichte vertont und aufgenommen. Im Haus fand ich sein Wohnzimmer und seine Schlafkammer richtig spannend.
Und was sehe ich auf dem Tisch? Das ist der Tisch, an dem Joyce gearbeitet hat, worauf ich ein Werk von Marcel Proust sehe, Jean Santeuil, ein Roman von mehr als 700 Seiten. Leider gibt es dieses Buch nicht mehr bei uns in Deutschland. Mir ist das Buch durch Prousts Briefe bekannt. James Joyce, der elf Jahre jünger als Proust ist, hat auch Proust gelesen. Als ich dieses Buch sah, hüpfte meine Seele innerlich vor Freude mehrere Sprünge, dass ich nun wie durch ein Wunder eine Vorstellung von diesem proustischen Werk bekommen durfte. Dieses Werk in den Händen zu halten, war mir ein Genuss. Ich erlebe es häufig, dass ich Dinge, die ich im eigenen Land nicht finde, sie mir im Ausland völlig unerwartet begegnen. Wie viel hatte ich im Netz recherchiert, viel Zeit hatte ich aufgebracht, weil ich überall nach diesem Buch gesucht hatte. Wer hätte das gedacht, dass ich es ausgerechnet hier in Dublin bei Joyce auf dem Arbeitstisch  liegen finden würde. Ist das zu verstehen, wie beglückt man über solche Begebenheiten sein kann? 

Nachdem ich Joyces Haus besichtigt habe, draußen wartete schon Tanja, sind wir durch dieses Viertel gelaufen und haben die vielen schönen Statuen bewundert. Mir fällt es schwer, eine Auswahl zu treffen, welche Fotos ich von den vielen Fotos, die ich gemacht habe, hier reinstellen möchte. Dadurch, dass das Textbild, bzw. das Layout durch die Fotos hier auf Blogspot stark in Mitleidenschaft gezogen wird, weil Blogspot häufig nicht das Layout wieder gibt, das ich vorgebe. Dieses Problem ist bei vielen Blogger*innen dieser Seite bekannt. 

Ich habe mir überlegt, eine eigene Seite zu erstellen, auf dem ich die Fotos wiedergeben werde, ohne viel Textbeitrag. 

Anschließend gingen wir wieder Essen. Es war schon spät, unser Magen knurrte.
Nach dem Essen sind wir wieder zurück ins Hotel. Wir waren müde, der Tag war lang, aber ich fühlte mich durch diesen Tag stark bereichert.
Im Hotel machten wir uns wieder frisch, danach verarbeitete ich meine Materialien und bereitete mich auf den nächsten Tag vor.

Dies war das Wesentliche aus unserem dritten Tag in Dublin.

Da ich dieses Wochenende mit Anne-Marit wieder Proust lesen werde, werde ich den vierten Tag erst Anfang nächster Woche schreiben. Da ich morgen Vormittag, am Sonntag, den 11.08.2019, eine Fahrradtour nach Reinheim plane, eine Stadt im Landkreis von Darmstadt-Dieburg, so werde ich weniger Zeit haben, alle meine literarischen Projekte umzusetzen, weshalb ich das Eine oder Andere verschieben muss.


Donnerstag, 8. August 2019

Meine literarische Reise nach Dublin (2)

Unser zweiter Tag, Freitag, 02.08.2019 


Tanja hat den Wunsch geäußert, an die See fahren zu wollen. 

An der Hotelrezeption 
wurden wir beraten, welcher Strand sehenswert sei. Und so wurde uns Bray empfohlen, dass dies die schönste Meeresgegend von Dublin sei. Nach Bray kam man am besten mit dem Zug, wenn man ohne Auto ist. 

Bild könnte enthalten: Personen, die sitzen, Tisch und Innenbereich
Auf dem Weg zum Bahnhof sind wir an einer katholischen Kirche stehen geblieben, um sie von innen zu besichtigen. Sie war innen wirklich wunderschön. Ich selbst bin keine Kirchgängerin, aber ich besichtige ganz gerne Kirchen. Tanja dagegen ist sehr fromm, besucht sonntags zu Hause regelmäßig den Gottesdienst. Gefallen hat mir der Adler, konnte aber noch nicht herausfinden, was er symbolisieren sollte. Vielleicht hatte er keine tiefere Bedeutung, denn von hinten betrachtet zeigte sich der Adler als ein Lese- und Rednerpult. In der Kirche saßen Menschen, die den Rosenkranz gebetet hatten.

Nach der Besichtigung nahmen wir den Weg zum Bahnhof wieder auf. Doch wir haben haben auf unserem Weg so viele schöne Dinge entdeckt, aber auch viel Trauriges. Nachdenklich stimmende Statuen. Mitten auf einem Wohnplatz. Eine Frau in Flammen. 

Bild könnte enthalten: Pflanze, Tisch und im Freien
Weiter gingen wir unseren Weg. Wir hatten ungefähr eine Stunde Zugfahrt vor uns. Und eine Stunde wieder zurück. Zwei Stunden Fahrtzeit. Aber die Zugfahrt war wunderschön, auf dem Weg nach Bray aus dem Zugfenster das Meer zu betrachten. Es schien sehr einsam auf der rauen See gewesen zu sein. Aber jede Menge Meeresvögel hielten sich hier auf. Es gab kaum Badegäste.
Irland sorgt für ganz viel Bespaßung für die kleinen Gäste. Jede Menge Kirmes parallel zum Strand. Kinderkarussell, Riesenrad, und noch weitere Actiongeräte, ähnlich wie bei uns auf dem Heinerfest. Das hatte ich so noch nie erlebt.

Aber es war kein Strand, an dem man hätte gut Spazierengehen können, weshalb ich mich ans Wasser setzte, und das Meer betrachtete. Aber auch die Menschen beobachtete ich. Tatsächlich viele rothaarige Iren waren zu sehen, aber in der Mehrzahl waren die Rothaarigen auch in Irland nicht. Viele Blondhaarige, aber auch viele Dunkelhaarige.

Am Strand gab es ein Schild, das darauf hinwies, dass das Baden hier gefährlich sei. Ich beobachtete vier erwachsene Schwimmer, die nicht ins Meer rausgeschwommen sind, sondern seitlich schwammen.
Tanja ging alleine weiter, während ich mal meinen Gedanken nachgehen konnte, ohne ständig abgelenkt zu werden. Später trafen wir uns wieder zur Heimfahrt. Wir verbrachten viele Stunden am Meer, haben uns ausgetauscht und haben viel Zeit mit Nichtstun zugetan.
Gegen 17:00 Uhr fuhren wir wieder zurück. Und hungrig waren wir. Wir hatten noch nicht zu mittaggegessen.

Als wir wieder in Dublin waren, suchten wir in der Nähe vom Hotel ein Restaurant. Die Pubs waren alle voll, viele Dubliner genossen wohl den Feierabend und den Eintritt ins Wochenende.
Endlich hatten wir ein Restaurant entdeckt, das uns beiden behagt hatte. Gute vegetarische Speisen für mich, Tanja aß ein Fleischgericht.

Es wurde spät, sodass wir Lust hatten, zurück ins Hotel zu gehen, um uns frisch zu machen. Tanja wollte danach ein Cocktail trinken gehen, so gingen wir beide in die Bar des Hotels. Aber sie hatten keine Cocktails.
Ich ging wieder zurück aufs Zimmer, um mich auf den nächsten Tag vorzubereiten. Denn der nächste Tag sollte den Schriftstellern gewidmet werden.

Darüber werde ich dann morgen berichten.

Mittwoch, 7. August 2019

Meine literarische Reise nach Dublin (1)

Fünf Tage habe ich dort mit meiner Freundin Tanja verbracht. Vom 01. August bis 05. August 2019.

Fünf Tage werde ich retrospektivisch aufzeichnen. Jeden Tag einen.
Fünf Tage in Dublin, in einem wundervollen vier Sterne Hotel waren wir einquartiert. Ein hoch fürstliches Frühstücksbuffet zu jedem Tagesbeginn, mit sehr netter Hotelbelegschaft. Das Mespil Hotel, in der 50-60 Mespil Road, Dublin 4, in der Nähe des Zentrums der Stadt, kann ich bestens weiterempfehlen.

Ich war aufgeregt, weil ich seit 12 Jahren nicht mehr verreist bin. Ich hatte vor zwölf Jahren meinen traumatisierten Kater Momo zu mir geholt, den ich nicht zurücklassen konnte, da Momo es mit meinem Fortgehen mit einem erneuten Verlust in Verbindung gebracht hätte. Momo habe ich vor zwei Jahren einschläfern lassen, weil er an Krebs erkrankt war. Nun habe ich noch zwei Katzen, aber die beiden anderen haben kein Trauma in der Art, wie Momo es hatte. Trotzdem werde ich nicht lange wegsein, immer nur fünf bis sechs Tage, weil meine andere Katzendame meine Abwesenheit in der Art nicht kennt. Glücklicherweise gibt es eine Familie bei uns im Haus, die auch eine Katze haben, und wir uns bei Reisen gegenseitig die Haustiere betreuen. Das hatte ich viele Jahre zuvor noch nicht.

Natürlich war ich aufgeregt, weil ich so viele Jahre nicht mehr verreist bin und ich nicht wusste, ob meine Englischkenntnisse dafür noch ausreichen. Außerdem habe ich mich für Tanja verantwortlich gefühlt, da sie gar kein Englisch kann, und ich wollte für uns beide alles richtigmachen.

Den ersten Tag begannen wir in Dublin recht früh, da wir mit der Lufthansa um 7:15 Uhr von Frankfurt aus geflogen sind. Wir waren um 10:30 Uhr im Hotel. Eigentlich wollten wir beide ein eigenes Zimmer, aber diese wären für jeden jeweils 300,- € teurer geworden. Umso mehr haben wir uns dann gefreut, als wir an der Rezeption gefragt wurden, ob wir gemeinsam in einem Bett schlafen wollen oder zwei separate Betten haben wollten. Klar, dass wir uns für die zwei separaten Betten entschieden haben. Im Zimmer angekommen, fragte mich meine Freundin Tanja, welches Bett ich haben wollte, und sie überließ mir das größere.

Geht es mit uns beiden gut? Tanja ist ein ganz anderer Mensch als ich, sie hat ganz andere Hobbys als ich, denn mich hat es durch die die Musik nach Dublin verschlagen, während Tanja sonst immer in den Süden gereist ist. Mal etwas anderes, sagte sie, als sie sich meiner Reise anschließen wollte. Ja, und die Schriftsteller, auf die war ich auch neugierig. James Joyce, Oscar Wilde wollte ich besuchen. Tanja ist immer schön mitgedackelt, obwohl sie gar nichts mit Literatur am Hut hat. Doch was uns verbindet ist unser Menschenbild …

Zum Geburtstag habe ich von meiner Familie eine Fitnessuhr geschenkt bekommen, die in Irland zum vollen Einsatz gebracht wurde. Am ersten Tag in Dublin haben wir über 25000 Schritte geschafft, da wir auf die öffentlichen Verkehrsmittel verzichtet haben. Wir wollten Dublin auf eigene Faust erst mal erkunden.

Aber ganz so ziellos waren wir nicht, denn ich wollte unbedingt ein Musikgeschäft aufsuchen, um Musiknoten zu der traditionellen irischen Musik zu kaufen. Ich liebe irische Musik, vor allem auch irische Balladen.

Mithilfe meiner Navigation mit dem Handy konnten wir das Musikhaus finden, aber leider führte es nur Musikinstrumente, aber keine Musiknoten. Der Mitarbeiter schrieb mir eine Adresse zu einem anderen Musikhaus auf, wo ich Musiknoten erwerben könne. Tatsächlich haben wir dieses Geschäft mit etwas Mühe finden können und so habe ich dort im Sortiment sechs Notenbücherfinden können, die ich noch nicht in meinem Repertoire hatte. Ich war so beseelt von Glück, denn in Deutschland konnte ich keine neuen Notenbücher finden, da ich schon fast alle im Bestand hatte.

Danach war der Tag schon um, und so sind wir wieder zurück ins Hotel. Mittaggegessen hatten wir im Stadtzentrum, in einem Pub, das uns aber nicht sonderlich geschmeckt hat, da es sehr fettlastig war, und wir beschlossen haben, die nächsten Tage in ein nobles Restaurant einzukehren.

Im Hotel hatte ich keine Langeweile, denn ich hatte viele Fotos geschossen, die ich sortiert hatte, um sie meinen Freund*innen auf Facebook und auf WhatsApp zu teilen, denn viele waren neugierig, wie ich Irland erleben würde.  

Und ich hatte mich weiter kundig machen wollen, wo die Reise am nächsten Tag gehen sollte. Habe mich mit meinem Reiseführer und mithilfe des Internets informiert und vorbereitet. 

Tanja hat sich in der Zwischenzeit mit dem TV beschäftigt. Es gab aber nur ein deutsches Programm, und zwar  ARD. Sie wollte Nachrichten schauen …

Dies war unser erster Tag in Dublin. Wir waren von der Stadt so verblüfft, weil es eine so vielfältige und eine so bunte Stadt gewesen ist. Die öffentlichen Verkehrsmittel waren in Bezirke unterteilt, und so hatten Bus und Straßenbahn von Bezirk zu Bezirk eine andere Farbe. Die Häuser waren bunt, rote, gelbe, grüne Türen mit schönen Motiven als Türglocke. Da ich Farben so liebe, kommt mir dieses Bunte sehr gelegen.

Auch die Menschen waren symbolisch betrachtet bunt, sie waren locker. Die Verkehrsregeln wurden von den Passanten, obwohl überall Ampeln standen, alles andere als respektiert. Und die Autofahrer hielten an, obwohl sie grün hatten. Niemand hat gehupt. Tanja war zögerlich, ich aber habe mich den Iren angepasst, und hatte schließlich auch nicht mehr diese Art von Verkehrsregeln beachtet und bin bei Rot auf die andere Straßenseite marschiert. Gebracht hat mir das nicht viel, keine Zeitersparnis, da ich drüben auf Tanja warten musste. 


Keine Fotobeschreibung verfügbar.

Verblüfft hatte uns auch der Saint Stephen´s Green Park, der von Möwen und Menschen übervölkert war. Viele Menschen verbrachten dort ihre Pausen, nahmen im Park ihren Lunch ein, dass wir durch die Menschenmasse etwas abgeschreckt waren. 

So, morgen Abend berichte ich über den zweiten Tag unserer Reise. Den Park wollten Tanja und ich am Wochenende nochmals aufsuchen, wenn die Menschen nicht zur Arbeit müssen, und der Park sicherlich weniger Menschen bergen würde.



Dienstag, 30. Juli 2019

Proust und die Dreyfusaffäre

Da ich nächstes Wochenende keine Zeit haben werde, haben Anne und ich ein wenig vorgearbeitet und die nächsten zehn/elf Seiten vorgezogen.


Seite 217 – 228  

Auf den nächsten Seiten gibt es nicht so viel, was ich aufschreiben möchte. Proust hatte wieder einen Asthmaanfall, schreibt darüber an seine Mutter, später lädt er literarische Freunde zu einer Dinnerparty ein, und in einem anderen Brief schreibt er über die Dreyfusaffäre. 

Und die Wogen zwischen Reynaldo Hahn und Marcel Proust scheinen sich wieder geglättet zu haben. 


An Jeanne Proust
September 1896

Proust schreibt einen Brief an seine Mutter, die sich auf Reisen befindet. Marcel erlitt wieder einen Asthmaanfall, war dadurch auf eine Rauchinhalation angewiesen. Zur Beruhigung muss er sonst nach der Inhalation Baldrian und Amylnitrit eingenommen haben, wie aus dem Brief hervorgeht, während er dieses Mal auch ohne diese Präparate ausgekommen sei. Baldrian ist als ein pflanzliches Beruhigungsmittel bekannt und Amylnitrit ist ein Antidepressivum. Das würde auch zu Prousts Erkrankung passen, denn so eine Atemnot ist eine existenzielle Bedrohung, und man zu jedem Anfall den Tod vor Augen haben muss. Ich kenne jemanden aus der Familie mit ähnlicher Symptomatik. Er schreibt, dass er diesmal mit Natron und Kräutertee ausgekommen sei und auf die anderen Medikamente verzichten konnte.

Aber es sind auch literarische Gespräche, und so teilt er der Mutter mit, dass er in einer privaten Leihbibliothek namens Cabinet de lecture den Briefband zwischen Schiller und Goethe bestellt hätte, sowie auch einen Band von Flaubert, der über die Bretagne geschrieben hat. Dieses Buch Über Felder und Strände: Eine Reise in die Bretagne ist auch ins Deutsche übersetzt.
Er schreibt: (…) das heißt, unter so viel Schätzen, die sie nicht besitzen, haben sie mir wenigstens das geschickt. Du siehst, das Sursum hat nicht nachgelassen. Und das, wenn Dein Sohn in einem erträglichen Gesundheitszustand, ohne Beschäftigung (…) ganz sich selbst überlassen würde, ich spreche nicht von der Arbeit, denn wenn ich auch nicht sagen kann, ich hätte wieder an meinem Roman gearbeitet in dem Sinne, dass ich von ihm absorbiert worden wäre und ihn in Gänze konzipiert hätte, so ist doch das Heft seit dem Tag, an dem ich es gekauft habe (…) und das nicht alles darstellt, was ich gemacht habe, da ich vorher auf losen Blättern gearbeitet habe – so ist doch dieses Heft nun zu Ende, und es zählt 110 große Seiten), nach einer gewissen Zeit gebildeter als die Gebildeten wäre.

Man kann aus diesem Schreiben herauslesen, dass Proust es nun geschafft hat, das Schriftstellern als Beruf zu betrachten. Das hat mich sehr gefreut, dass er dabei sehr wahrscheinlich auch von seiner Mutter unterstützt wird. Von dem Vater liest man leider nichts mehr.

Aber dass Proust durch seine Erkrankung an seiner Arbeit gehindert wird, geht deutlich aus dem Brief hervor. Aber er zeigt auch auf, dass er nicht ganz untätig geblieben ist. Stolze 110 große Seiten während der Krankschreibung ist schon enorm, wenn man auch bedenkt, dass Proust, um zu regenerieren, auch viel Schlaf benötigt hat, wie man aus dem Brief entnehmen kann. Er hat dadurch noch einen zusätzlichen enormen Zeitverlust hinnehmen müssen.

Er grüßt seine Mutter mit Dein kleiner Marcel.

25 Jahre ist Marcel alt, und scheinbar macht er sich nicht nur vor seinem Geliebten so klein, sondern auch vor seiner Mutter. Vielleicht wurde er von der Mutter stark bemuttert, weil er von Kind auf schon sehr kränklich war.

An Alfred Franklin
Januar 1897

Alfred Franklin ist der Administrator der Mazarine - Bibliothek, in der Proust im Ehrenamt eingestellt ist. Auch hier bekundet er Ausfallzeiten, doch Franklin geht damit Proust gegenüber wohlwollend um. Er bittet um Verlängerung seiner Beurlaubung, da er noch immer mit seinem Studium beschäftigt sei. Wahrscheinlich ist sein Philosophiestudium noch gar nicht abgeschlossen, und er die Bibliothek für seine Studien gerne nutzen möchte.
Die derzeitige Richtung meines Studiums hat mir, mehr noch als mein Gesundheitszustand, die Verlängerung meiner Beurlaubung, um die ich im Ministerium nachgesucht habe, zur Notwendigkeit gemacht. Da man mir hat ausrichten lassen, dass dieser Verlängerung stattgegeben worden sei, glaubte ich mich nicht nur im Recht, als ich nicht in die Mazarine zurückkehrte, sondern fürchtete auch, den guten Gepflogenheiten zuwiderzuhandeln, wenn ich während meiner Beurlaubung die Bibliothek beträte: In der Tat hätte ich häufig den starken Wunsch, dort wie jeder andere Leser arbeiten zu können. Ich fürchte, Sie könnten es als einen Mangel an Takt und Zurückhaltung auslegen, wenn ein beurlaubter Angestellter sich frei in der Bibliothek bewegt.

Außerdem schreibt er, dass er sich freuen würde, seine Kollegen und seine Vorgesetzte wiederzusehen, deren Liebeswürdigkeit er so sehr schätzen würde. Aber wenn jemand beurlaubt ist, wieso ist es ein Problem, sich auf der Dienststelle zu zeigen? Anders wäre es, sich während einer Krankschreibung in die Öffentlichkeit zu begeben.

Aber der Brief zeigt, wie gewissenhaft Proust seiner Arbeit gegenüber als Angestellter ist. Aber was bedeutet in Frankreich Ehrenamt? Hier in Deutschland erhalten ehrenamtliche Mitarbeiter*innen kein Gehalt, das wird in Frankreich sehr wahrscheinlich anders gehandhabt, denn Proust musste hier eine schwere Aufnahmeprüfung bestehen, um aufgenommen zu werden. Das muss also eine Anstellung sein, die mehr als ein unbezahltes Ehrenamt ist.

An Robert de Montesquiou
Mai 1897

Und wieder ein Brief an einen Schriftstellerkollegen. Hatten wir nun länger nicht. Proust hat Monsieur France und Montesquiou kurzfristig zum Diner eingeladen. Aus der Fußnote ist zu entnehmen, dass Proust über dieses Abendessen einen Bericht in der Gaulois verfasst hatte, der am 25.Mai 1897 publiziert wurde. Aus der Fußnote ist zu entnehmen:
>Ein höchst literarisches und elegantes Diner fand gestern Abend bei Marcel Proust statt, der erstmals seine zahlreichen Freunde zusammenführte. (…)<. Es sei ein schönes Abendessen gewesen, hieß es weiter, >bei dem pariserischer Geist und Witz nur so perlte<.

Die Fußnote zählt acht Gäste mit einem anschließenden >>usw<<. Ich könnte mir schon eine ganze intellektuelle Gesellschaft vorstellen. Unter den Gästen befand sich auch Reynaldo Hahn. Auch Robert de Montesquiou hatte die kurzfristige Einladung angenommen. Doch Damen waren hier nicht vertreten.
Ich lade keine Damen ein, und wir werden nur ganz wenige sein, denn so bin ich nicht gezwungen, sehr enge Freunde einzuladen, die auf keinen Fall auf einige meiner Gäste treffen dürften.

Das hatte politische Gründe, denn 1897 ging in Frankreich der Antisemitismus los und wie aus der Fußnote zu entnehmen ist, geht es hier um die Dreyfusaffäre, die in Frankreich begonnen hatte, und sie die französische Gesellschaft und auch Prousts Freunde zu spalten begonnen hatte.

Die Dreyfusaffäre hatte Proust auch in seiner Recherche sehr ausführlich behandelt.

Der jüdische Hauptmann Alfred Dreyfus, 1859-1935, wurde 1894 zu Unrecht auf die Teufelsinsel verbannt. Man hatte ihm Spionage für das Deutsche Reich vorgeworfen, weshalb er wegen Landesverrat verurteilt wurde. Emile Zola hatte sich für den zu Unrecht Inhaftierten eingesetzt und veranlasste eine Petition, zu der es dazu eine lange Unterschriftenliste gibt. Weitere Details sind dem Brief zu entnehmen.

Laut Wikipedia liegt die Teufelsinsel 13 km vor der Küste von Französisch-Guayana in Südamerika.

Nun muss auch Proust seine Haltung zu Dreyfus zeigen, womit er in den letzten Briefen sich eher herausgehalten hatte. Aber mittlerweile zeigt er Partei für Dreyfus, beteiligt sich an der Unterschriftenliste, die Zolas Petition mitbeigefügt wird. 

Telefongespräch mit Anne
Anne sind dieselben Briefe ins Auge gefallen wie auch mir. Anne hat Prousts Liebenswürdigkeit berührt und das Wohlwollen seiner Vorgesetzten. Auch die Verniedlichung, Dein kleiner Marcel, konnte sich auch Anne damit erklären, dass Proust von der Mutter von klein auf, weil er so krank war, ein wenig verhätschelt wurde.

Anne und mir machen die Briefe immer noch große Freude, wir haben nicht ein Wochenende ausfallen lassen. Wir fühlen uns beide von Proust stark bereichert.

Nächstes Wochenende geht es weiter von Seite 228 bis 239.

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Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen, 
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
(Marcel Proust)

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Montag, 29. Juli 2019

Enttäuschte Liebe

Seite 207 – 2017  

Auf den folgenden Seiten erlebten Anne und ich Marcel Proust wieder voll in seinem Element. Schüttet sein Herz aus, bzw. wie Anne sagt, trägt er sein Herz auf der Zunge, redet allerdings um den heißen Brei, schreibt sehr ausschweifend, sodass man zwischen den Zeilen lesen muss, wobei uns beim zweiten Mal lesen seine Probleme deutlich wurden. Proust steckt in einer schweren Liebeskrise mit Reynaldo Hahn. Zwei dieser Briefe haben uns diesbezüglich beschäftigt.

In einem anderen Briefen geht es thematisch auch um Literatur, diesmal um Plagiatsvorwürfe.

An Reynaldo Hahn
Juli / August 1896

Ein sehr persönlicher Brief, trotz förmlicher Anrede. Proust ist seelisch betrachtet tief gekränkt, weil Hahn ihm versprochen haben soll, Proust alles mitzuteilen, was er auf Reisen erlebt habe.
Reynaldo, ich hatte heute eine Anwandlung schlechter Laune, Sie dürfen sich darüber nicht wundern oder mir deswegen böse sein. Sie haben mir gesagt >Ich werde Ihnen nie wieder etwas sagen.< Das wäre ein Eidesbruch, wenn es stimmen würde. Aber auch wo es nicht stimmt, ist der Schlag für mich äußerst schmerzhaft. Dass Sie mir alles sagen werden, ist seit dem 20, Juni meine Hoffnung, mein Trost, meine Stütze, mein Leben. (207)
Eigentlich klingt das ein wenig banal, gekrängt zu sein, weil der Freund sich weigert, ihm von seinen Erlebnissen zu berichten, die Hahn ohne Proust in Deutschland erfahren hat. Alles von dem Freund wissen zu wollen, haben wir als ein seelisches Klammern aufgefasst, das so viel Nähe einfordert, die für viele Menschen in dieser Weise als einengend empfinden würden. Da wir leider keinen Antwortbrief von Hahn vor uns liegen haben, müssen wir uns denken, was Proust verzweifeln lässt.
Um Ihnen keinen Kummer zu bereiten, spreche ich fast nie davon, aber um nicht selbst großen Kummer zu haben, denke ich fast immer daran. So haben Sie mir ausgerechnet das gesagt, was mich wirklich >verletzen< kann. Ich ertrüge lieber tausend Beleidigungen. Ich verdiene sie, häufiger als Sie glauben. Aber ich verdiene sie nicht in den Augenblicken schmerzlichster Anstrengungen, in denen ich, ein Gesicht ausspähend, Namen vergleichend oder eine Szene wiederherstellend, die Lücken eines Lebens zu füllen trachte, das mir teuer ist als alles andere, das mir aber Anlass zu trostloser Unruhe bleiben wird, solange mir selbst seine unschuldigsten Regionen unbekannt sind. (Ebd)
Prousts Neugier, die in Eifersucht mündet, verschafft ihm Probleme, und er selbst nicht weiß, wie er diese einzuschätzen hat.
Wenn aber meine Einbildung absurd ist, sollte man ihr nichts in den Weg legen, denn es ist die Einbildung eines Kranken. Es ist sehr boshaft, einem Kranken damit zu drohen, ihm seine Lebensflamme auszublasen, weil seine Manie ihm auf die Nerven geht.
Proust war nicht nur körperlich sehr kränklich, auch psychisch, wie er erkennt, war er nicht gesund. Selbst aus seiner Sicht neigt er zur Manie, und aus anderen Büchern habe ich entnehmen können, dass er auch unter Depressionen litt. In Fachkreisen würden man von einer bipolaren Störung sprechen.

Proust macht sich häufig klein, gibt Reynaldo dazu viel zu viel Macht. Auch in diesem Brief gibt er sich als Reynaldos Pony.

Seien Sie nachsichtig mit Ihrem Pony. Würden Sie viele Herren finden mit all den Eigenschaften, die Sie von einem Pony verlangen usw.? (208)

An Reynaldo Hahn
Juli / August 1896

Weiter geht es im nächsten Brief an Reynaldo Hahn. Allerdings spricht er in den Anfangszeilen von Freundschaft, aber wohl eher in der Form einer Redewendung. Ein paar Zeilen später spürt man die tiefe Verletzung. Egal, wie es gemeint ist, es folgen schwere Vorwürfe Hahn gegenüber:
Unsere Freundschaft hat nicht mehr das Recht, hier das Wort zu ergreifen, dafür ist sie nun nicht mehr stark genug. Aber Ihre Geschichte macht es mir zur Pflicht, nicht dabei zuzusehen, wie Sie so dumme, so bösartige und auch so feige Handlungen begehen, ohne zu ihrem eigenem Wohl den Versuch zu unternehmen, Ihr Gewissen wachzurütteln und Sie dazu zu bringen, dies, wenn schon nicht einzugestehen – denn das verbietet Ihnen Ihr Stolz -. so doch zumindest zu fühlen.
Was hat Proust so getriggert? Dass Hahn zu wenig Zeit mit ihm verbringt? Erst begibt sich der Freund ohne ihn für mehrere Monate ins Ausland, siehe letzte Briefe, und als er wieder im Land ist, verbringt er seine Zeit auf Abendveranstaltungen, statt sie alleine mit Proust zu verbringen.
Als Sie mir sagten, dass Sie zum Souper blieben, war dies nicht das erste Zeichen Ihrer Gleichgültigkeit mir gegenüber. Aber als Sie mir zwei Stunden später, nachdem wir freundlich geplaudert und Ihre musikalische Unterhaltung genossen hatten, ohne Zorn und ganz kühl sagten, dass Sie nicht mit mir nach Hause wollten, war dies der erste Beweis von Boshaftigkeit, den Sie mir gegeben haben.
Das sind schon große Vorwürfe, einem Menschen Boshaftigkeiten zu unterstellen, nur, weil Hahn seine Zeit anders verbringen möchte. Aus den nächsten Zeilen geht hervor, dass Proust sich von Hahn nicht mehr geliebt fühlt. Proust scheint als ein Hochsensibler zu Gefühlen einen großen Hang zu haben. Vieles wirkt melodramatisch, wenn er sich emotional nicht beachtet fühlt.

Aus der Fußnote geht hervor, dass diese Eifersuchtsszenen auch in der Recherche Unterwegs zu Swann eingebettet waren. Ich kann mich deutlich an mehrere Eifersuchtsszenen des fiktiven Marcels erinnern. Schon als kleiner Junge konnte er sie äußern, wenn die Mutter sich um ihre Gäste gekümmert hat, und sie den Jungen ohne Gutenachtkuss ins Bett geschickt hat. Der kleine Marcel war eifersüchtig auf die Gäste seiner Mutter.
Und wenn mir etwas Kummer bereitete, das für Sie ein wirkliches Vergnügen war wie Reviers, habe ich niemals gezaudert. Im Übrigen bereue ich nichts von dem, was ich getan habe.
Anne und ich haben uns gefragt, was er getan haben könnte? Sexuelle Annäherungen? Das sind nur Vermutungen, wissen können wir das nicht.

In der Fußzeile steht, dass Proust gemeinsam mit Hahn einen Ausflug in Reviers gemacht haben könnte. Sicherlich sind sich die beiden hier sexuell nahegekommen.

Weitere Vorwürfe dieser Art sind dem Brief zu entnehmen.

In der Abschlusszeile bezeichnet sich Proust auch in diesem Brief wieder als Hahns Pony.
Ihr kleines Pony, das nach diesem Huftritt ganz traurig und allein in den Stall zurückkehrt, als dessen Herr Sie sich einst gern bezeichneten.
Diese Vorstellung, wirklich als Bild wunderschön beschrieben, dennoch wirkt sie auf mich sehr infantil. Auf jedem Fall keine erwachsene Liebe, in der beide Partner auf Augenhöhe sich bewegen.

Weiter wirft er Hahn vor:
Fast wünsche ich mir schon, dass das Verlangen, mir Freude zu machen, nie eine Rolle bei Ihnen gespielt hat, bei Ihnen nie vorhanden war. Andernfalls müssten – wenn solche Jämmerlichkeiten, denen Sie mehr verhaftet sind, als Sie glauben, so oft die Oberhand bei Ihnen gewinnen – diese mehr Gewalt über Sie haben, als ich glaube. All das wäre nur Schwäche, Stolz und Kraftprobe. (…)
Aber an all das glaube ich nicht, ich glaube nur, dass, genauso wie ich Sie sehr viel weniger liebe, Sie mich überhaupt nicht lieben, und das, mein liebster Reynaldo, kann ich Ihnen nicht übel nehmen.

Kann man den letzten Satz ernst nehmen? Natürlich nimmt er es Reynaldo übel. Anne und ich sind auf die nächsten Briefe zwischen Proust und Hahn gespannt.

An Lucien Daudet
August 1896

Proust befand sich auf Reisen, die er unterbrechen musste, da er wieder erkrankt war. Er hat sich eine schwere Erkältung eingefangen. Ist heiser und fiebrig. Lucien schrieb Proust, um über seinen Onkel zu schreiben. Allerdings besteht der Brief aus Fragmenten, was Proust Lucien mitteilt. Auf den Seiten sind zudem literarische Themen mitabgedruckt. Proust schien zu der Zeit jede Menge Novellen geschrieben zu haben, die von einem anderen Schriftsteller plagiiert wurden. Doch hierzu Proust:
Lieber Lucien, ich gestehe Ihnen unumwunden, dass diese Wunderwerke nicht von Guillemont stammen, sondern von mir. Und ich leide, wenn ich daran denke, dass derartige Dinge unbekannt bleiben werden. Im Ernst: wollen Sie, dass wir uns bei einer angesehenen Zeitung in >Vorschlag bringen< und mit unseren >kleinen Krawatten< Geld verdienen, indem wir einmal wöchentlich ein noch >unerforschtes< Feld beackern?
Telefongespräch mit Anne
Wir hatten Mitgefühl mit diesem liebenden Marcel, dessen Forderungen nicht erwidert wurden. Und wie sehr er unter seinem Liebeskummer litt, wobei für uns nichts Tragisches passiert ist. Aber wir sind auch nicht die Verliebten und können dieses Liebesleid ganz objektiv betrachten, allerdings wird dieser Liebeskummer sehr einseitig erlebt, denn Hahn scheint gelassen seinen Weg auch ohne Proust zu gehen, was Proust schmerzlich verletzt. Da aber Reynaldo Hahn für Marcel Proust bis zu seinem Lebensende eine wichtige Person bleiben wird, bleibt es für uns noch spannend, wie sich diese Männerbeziehung noch weiter gestalten wird.

Ich stellte mir noch die Frage, wie Franz Kafka es geschafft hat, alle seine Novellen weltweit publizieren zu lassen, während Marcel Prousts Novellen unbekannt geblieben sind? Mit seinen Novellen hat er sich sein Geld verdient. Hierauf werden wir so schnell wohl keine Antwort finden. 

Da ich nächstes Wochenende keine Zeit haben werden, lesen Anne und ich morgen nochmals zehn/elf Seiten und werden uns darüber am Dienstag austauschen. 

Die nächsten Briefe; von Seite 217 – 228.

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Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen, 
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
(Marcel Proust)

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